Editorial

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Timing und Tempo

Verkürzte Darstellungen laufen oft in die Irre. Vor einigen Jahrzehnten fand das alte Sprichwort «Die grossen Fische fressen die kleinen» Eingang in Wirtschaft und Marketingberatung. Wortgetreu ist das inhaltlich natürlich nicht zu widerlegen.
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Als gern gebrauchte Metapher ist das Bild jedoch ein schöner Beleg, dass auch ein Vergleich hinken kann. So folgten vor allem Kapitalismuskritiker dem Duktus, dass die Mächtigen die Schwachen unterdrücken respektive kleine Unternehmen von den grossen vom Markt verdrängt oder aufgekauft werden. Pauschal trifft das nicht zu. Zudem sollten weder Politik noch Ideologie das «Fressverhalten» steuern. Die Geschichte hat gezeigt, dass Staatswirtschaft im Gegensatz zur Marktwirtschaft eben keine Basis für Demokratie und Wohlstand ist.

 

Das nächste scheinbar unumstössliche auf die Wirtschaft übertragene Naturgesetz folgte mit dem Spruch «Die Schnellen fressen die Langsamen». Dass die Schnellen die Langsamen fressen, ist vor allem durch die Digitalisierung neu belebt worden. Wie oft haben wir diese griffige Formel schon von Rednern auf Veranstaltungs­bühnen gehört? Speziell die IT- und Beraterbranche hat sie zum Prinzip erhöht. Natürlich kam mit der Digitalisierung ein neues Anspruchsverhalten, das Unter­nehmen unter anderem eine schnellere Anpassungsfähigkeit oder auch eine starke Reduktion von Durchlaufzeiten abverlangt.

 

Doch die Lebenserfahrung zeigt auch: Wer schnell frisst, hat auch schon mal Verdauungsprobleme. So ist davon abzuraten, Digitalisierung vor allem mit Schnelligkeit zu verbinden. Sinnvoller ist, mit dem neutralen Begriff Tempo angemessen umzugehen, der lediglich ein zu bestimmendes Zeitmass beschreibt. Wie hoch die Tempoangabe ist, kann nur unternehmensindividuell bestimmt werden. Selbst wenn ein Unternehmen einen niedrigen digitalen Reifegrad hat, darf Tempo nicht mit Überstürzung verwechselt werden. Dies vor allem auch, weil die zunehmende Digitalisierung zu gesamtunternehmerischen Veränderungsprozessen führt. Und die Transformation eines Unternehmens erfordert nun einmal Zeit. Wann die Schlagzahl dabei erhöht oder gesenkt wird, ist wiederum eine Frage des richtigen Timings. Somit dürften Tempo und Timing entscheidende Erfolgsfaktoren einer digitalen Transformation sein.

 

P.S.: Mehr zum Thema digitale Transformation in der Ausgabe Nr. 01-02/2024.

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