Editorial

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Kleine Ozeanografie

Meeresrauschen, samtiger Strand und ein frischer Cocktail unter Palmen – das sind wohl die gängigsten Assoziationen, die mit einem blauen Ozean verbunden sind. Nicht so bei W. Chan Kim und Renée Mauborgne.

Die Professoren der französischen Wirtschaftshochschule Insead verstehen den Ozean als Metapher für einen Ort unternehmerischen Wirtschaftens, der bestimmten Markt­mechanismen ausgesetzt ist. In ihrem Bestseller «Der blaue Ozean als Strategie» unterscheiden die Wissenschaftler zwischen «blauen Ozeanen» und «roten Ozeanen». Der «rote Ozean» bezeichnet bildlich gesehen ein Haifischbecken, in denen sich Konkurrenten blutige Kämpfe liefern. Gemeint sind begrenzte Märkte, in denen Unternehmen versuchen, ihre Wettbewerber zu übertreffen, um sich einen grösseren Anteil an der vorhandenen Nachfrage zu sichern. Der «blaue Ozean» dagegen steht für neue, un­berührte Märkte oder Geschäftsfelder, die wenig bis keinen Wettbewerb aufweisen. 

Dass es diese «Ozeane» gibt, ist nicht neu. Sie waren schon immer Bestandteil des Wirtschaftslebens, da sich Branchen und Märkte ständig weiterentwickeln. Erfolgsbeispiele aus dem blauen Ozean reichen von der Glühbirne über das Automobil bis zum Smartphone. Neu an der um die Jahrtausendwende entwickelten Blue-Ocean-Methodik ist die strategische Herangehensweise, sich nicht am Wettbewerb zu orientieren, sondern systematisch über den eigenen Tellerrand zu sehen und gezielt ganzheitliche Innovationen zu entwickeln, mit denen sich völlig neue Wachstumspotenziale erschliessen lassen. Befeuert wird die Blue-Ocean-Strategie zwar durch die Digitalisierung, doch sie verfolgt weniger technologische Innovationen als vielmehr eine (Kunden-)Nutzeninnovation. 

Natürlich vermitteln Kim und Mauborgne Handwerkszeug, doch kann ein Wechsel zur Blue-Ocean-Strategie wie jeder andere Changeprozess auch scheitern. So gilt es, den Aufwand richtig einzuschätzen und mit den möglichen Ressourcen abzugleichen, ganzheitlich umzudenken und Wechselwirkungen zwischen der eigenen Unternehmensidentität und den Bedürfnissen der Zielgruppe zu analysieren. Für Unternehmer, die Innovation als Wettbewerbsfaktor, Bestandteil ihrer Unternehmenskultur und kontinuierlichen Prozess verstehen, dürften die damit verbundenen Risiken bekannt und somit die Blue-Ocean-Methodik sehr hilfreich sein. Aber die meisten Unternehmen werden auch zukünftig durch rote Ozeane navigieren. Die Blue-Ocean-Strategie kann hierbei als eine Möglichkeit betrachtet werden, ein neues Konzept zu entwickeln und ein hybrides Innovationsmanagement als Denkmodell anstossen.

PS: Mehr zum Thema Innovationsmanagement lesen Sie in der Ausgabe Nr. 9/2020.

Porträt