Die Covid-19-Pandemie beschleunigt die Digitalisierung in den Betrieben. Viele Angestellte arbeiten nicht mehr in einem Unternehmensgebäude. Sie treffen die Mitglieder ihrer Arbeitsteams seltener persönlich, müssen sich weitgehend selbst organisieren, und wenn sie Fragen haben, suchen sie eher alleine nach einer Antwort, bevor sie einen Kollegen fragen. Fachkräfte von heute müssen sich an neue Techniken und Arbeitsprozesse gewöhnen, die sie zunächst kaum beherrschen. Zum Beispiel sind sie gefordert, Remote-Teams zu führen oder ad hoc eine Videopräsentation zu erstellen. Aufgrund der räumlichen Entfernung erfahren sie dabei weniger Unterstützung durch andere. Der Bedarf für Weiterbildung steigt also, während die Gelegenheiten dafür limitiert sind.
Wissen braucht Zeit
Die herkömmliche Form der betrieblichen Bildung ist das Schulungsseminar: Neue Prozesse oder Techniken werden den Betroffenen möglichst vor Ort und in Blockterminen vermittelt. Dabei wird oft wenig Rücksicht auf den individuellen Wissensstand der Teilnehmer genommen. Als persönliche Auszeichnung gilt immer noch, wenn jemand auf ein externes Seminar fahren und dort gemeinsam mit Angehörigen fremder Unternehmen lernen darf.
Dieser Austausch ist sinnvoll, aber die geballte Wissensvermittlung gilt als wenig effektiv. Wissen braucht Zeit, um sich zu setzen, sprich: vom Rezipienten nachhaltig aufgenommen zu werden. Deshalb wird es besser in kleinen Dosen verabreicht.
Plattformen als Hilfsmittel
Viele Unternehmen betrachten die Weiterbildung als einen Prozess, der vor allem durch technische Hilfsmittel unterstützt werden sollte. Folglich haben sie Learning-Management-Systeme (LMS) und Learning-Experience-Plattformen (LXP) installiert, die alle Lernressourcen zusammenführen und Foren für das wissbegierige Personal bereitstellen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber das Potenzial dieser Techniken ist grösser als ihr tatsächlicher Nutzen.
Wie so viele technische Systeme lassen LMS und LXP die menschliche Natur aussen vor: Individuen bevorzugen die unkomplizierte und leicht in den Arbeitsalltag integrierbare Kommunikation mit anderen, nutzen also lieber eine Sharing-Plattform wie Teams oder Slack, als dass sie sich an einem separaten System anmelden.
Wichtige Fragen
Die Personalentwicklung ist eine häufig unterbewertete Management-Disziplin. Längst nicht alle Unternehmen unterhalten einen eigenständigen Bereich für Learning and Development (L&D), viele sehen die betriebliche Weiterbildung als blosses Anhängsel der Personalabteilung, die mittlerweile als «Human Resources» (HR) betitelt wird.
Für die Angestellten war es aber nie so wichtig wie heute, ständig auf der Höhe des Wissens zu bleiben. Das lebenslange Lernen ist im New Normal der Homeoffice-Arbeitskultur eine praktische Notwendigkeit. Die Wissensaneignung darf jedoch nicht mit der täglichen Arbeit kollidieren. Das wirft für HR oder L&D vor allem vier Fragen auf:
- Welche Inhalte benötigt das Personal tatsächlich?
- In welcher Form lassen sie sich am effizientesten vermitteln?
- Wie können die Beschäftigten das Lernen möglichst bequem in ihren Alltag einfügen?
- Und wie lässt sich eine Lernkultur etablieren, die vor allem auf Eigenregie setzt?
Selbstbestimmtes Lernen
Die Auswahl der Inhalte hängt zum Teil von der jeweiligen Ausrichtung des Unternehmens ab. Es gibt aber eine Reihe von Themen, mit denen sich jeder Betrieb auseinandersetzen muss. Sie reichen von persönlichen Produktivitätswerkzeugen, insbesondere IT-Anwendungen, über allgemeines Management-Wissen bis zur Work-Life-Balance. Als Torwächterin des Wissens muss HR oder L&D definieren, welche Inhalte relevant und für welche Beschäftigten sie notwendig sind, und diese aus qualitativ hochwertiger Quelle zur Verfügung stellen.
Wichtig für eine effektive Wissensvermittlung ist allerdings nicht nur der richtige Content, sondern, dass sie in Form leicht verdaulicher Portionen geschieht. Wie gross die Häppchen sind, hängt vom Sujet, aber auch von Appetit und Verdauungsgeschwindigkeit der Lernenden ab. Individuelle Anpassungen des Lerntempos sollten unbedingt möglich sein. Dabei ist es vernünftig, dass sich Angestellte bestimmte Zeiten für ihre Weiterbildung reservieren. Aber der Übergang zwischen Arbeiten und Lernen sollte flexibel und fliessend sein. Gleichzeitig ist eine Wissensvermittlung ohne Hemmschwellen gefragt, die unabhängig von Zeit und Ort funktioniert. HR oder L&D sollten Anregungen und Lernanstösse geben, aber der Bildungserfolg hängt massgeblich davon ab, wie viel Eigeninitiative die Beschäftigten aufbringen.