Digitalisierung & Transformation

Digitalisierung (Teil 2 von 3)

Wie die Wertschöpfungskette zu optimieren ist

Der erste Teil («KMU-Magazin», Ausgabe 4 – 5/2021) dieser dreiteiligen Serie behandelte die Vorbereitungen auf dem Weg zur Digitalisierung. Nachdem der Unternehmenszweck und die Werte überprüft wurden sowie intern Handlungsspielräume für die neue Aufgabe geschaffen wurden, geht es im zweiten Teil um den Blick nach aussen.
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Wenn ein bereits länger operierendes und noch traditionell geführtes Unternehmen ins digitale Zeitalter geführt werden sollte, ist die Datenlage, die zur Verfügung steht, vermutlich lückenhaft oder gar nicht vorhanden. Es kann zudem sein, dass bislang aufgrund historisch gewachsener Märkte und angestammter Kundensegmente das systematische Sammeln und Auswerten von Informationen wenig dringlich erschien. Spätestens das Krisenjahr 2020 sollte aber jedem Unternehmen die Augen dafür geöffnet haben, welchen Wert Kundendaten und Marktwissen für den Erfolg haben.


Märkte definieren 

Die zurückliegenden Monate zeigen deutlich: Märkte können sich schnell und drastisch verändern. Gleiches gilt für die Kundenbedürfnisse. Und beides kann in Wellen oder dauerhaft variieren. Digitalisierung hilft genau hier: Unternehmen bleiben flexibel. Es lohnt sich, herauszufinden, ob die Märkte und Kundensegmente von gestern auch die von morgen sein werden – demografisch, in Hinblick auf die Kaufkraft oder aber die Art, wie Kunden künftig Produkte kennenlernen und wo und wann sie diese kaufen. Hierzu gibt es genügend Daten, Studien und Prognosen, die sie nicht selbst ge­nerieren müssen und für ihren künftigen Erfolg nutzen können. Ein erfolgrei­ch­es Konzept, um zeitnah Kundenwünsche oder Verbesserungen und Probleme zu erkennen, ist das Net-Promoter-Score-(NPS-)Konzept. Richtig angewandt, werden die relevanten Kundenkontaktpunkte mit dem Unternehmen automatisiert evaluiert und sogar interne Mitarbeiter-Befragungen damit durchgeführt. Sobald die Mitarbeiter über ein NPS-System incentiviert werden, wird das Unternehmen kundenfokussierter.

Für bisher konservativ geführte Unternehmen mag es ungewohnt sein, aber die neue Realität und die ungewisse Zukunft erfordern ein Umdenken, Mut zum Ausprobieren und eine fortwährend lernen­de Unternehmenskultur inklusive einer gewissen Fehlertoleranz. Bewährte Märkte und Kundensegmente sollten nicht leichtfertig aufgegeben, aber kritisch hinterfragt werden – gerade beispielsweise in Hinblick auf deren Krisenfestigkeit. Aber aufgepasst, einen Markt rein digital aufzubauen, ist fast genauso teuer wie ein physischer Aufbau. Performance-Marketing ist ein gutes Mittel, um zu testen, aber nicht, um physische Produkte in einem neuen Markt zu positionieren, wenn man die Marke nicht kennt. Es ist ein Irrtum, zu meinen, die Digitalisierung sei das Zaubermittel für rasche Umsatzsteigerung. Auch die Digitalisierung erfordert langen Atem, Geduld.


Kundenprofile schärfen

Auch die Kommunikationskanäle verändern sich. Für viele Unternehmen scheint es noch immer überraschend zu sein, dass sie selbst über ungenutzte Möglichkeiten – vor allem im Bereich der sozialen Medien – verfügen. Dort können potenzielle Kunden zielgenau angesprochen und ihr Nutzerverhalten analysiert werden. 

Ein gutes Mittel, um Aufmerksamkeit zu generieren, sind Influencer. Social Media ist vielfältig und es geht nicht primär um zusätzlichen Umsatz, sondern um die Stärkung des Brands sowie um Customer Support bei Kundenfragen. Aber auch auf ihrer eigenen Website haben viele Unternehmen Optimierungspotenzial. Die direkte Kommunikation zu den Zielgruppen hat den enormen Vorteil, dass man eine Welt schaffen kann, die sich an den Bedürfnissen der Kunden orientiert. Artikel in der Publikums- und Fachpresse haben ihre eigenen Vorteile, aber den erwähnten nicht. Gleichzeitig kann man beeinflussen, wie gut sich Inhalte von Suchmaschinen und damit von potenziellen Neukunden finden lassen. Wie das genau funktioniert, erläutern wir im dritten Teil dieser Artikelserie.

Tipp: Gehen Sie statt von Ihren bereits vorhandenen Märkten von künftigen Absatzmöglichkeiten aus. Testen Sie mit kalkuliertem Risiko neue Märkte und neue Kundensegmente über Suchmaschinen und Social Media. Messen Sie den Erfolg. Lernen Sie aus Fehlern. Testen Sie erneut.

Testen, Messen, Lernen

Welche neuen, womöglich digitalen Distributionskanäle wurden im Unternehmen in den letzten Jahren erschlossen? Welchen exakten Nutzen bringen die bestehenden Kanäle? Wie werden Zwischenhändler motiviert, gemeinsam mit der Geschäftsführung neue Kundensegmente zu erschliessen? Viele Unternehmen haben auf diese Fragen nur unzureichende Antworten.

Die Lieferanten und Handelspartner sind selbstverständlicher Teil der Wertschöpfungskette und eine wertvolle Datenquelle. Im Idealfall sind sie auch Wertschöpfungspartner, die über den Umsatz und die Marge hinaus motiviert sind, Teil des Geschäftsmodells zu sein. Werden Datenfragmente der eigenen Kunden­daten mit denen der Zwischenhändler und Endverkäufer bereits ausgetauscht? Es wäre beispielsweise hilfreich, dem Vertriebspartner Einblick in das sich wandelnde Nachfrageverhalten der Kunden zu geben, das über die Website erfasst wird.

Warenkörbe im E-Shop eröffnen ein enormes Potenzial zur Kundenanalyse. Kauft beispielsweise ein Mann in Dubai seine Unterwäsche selber ein oder wird das für ihn von einer Drittperson erledigt? Wird bei einem Sale über den E-Shop auch reguläre Ware gekauft? Könnte es sein, dass ein Produkt mit einem tiefen Deckungsbeitrag wichtig ist, weil es einfach über Google gefunden wird und bei Kunden zur Nachfrage nach Produkten mit hohem Deckungsbeitrag führt (X-Selling)? Anhand des Nutzerverhaltens auf der Website kann angezeigt werden, welche der dort vorgestellten, aber noch nicht produzierten Produkte besonderes Interesse erregen.

Neue Vertriebspartner sollten analysiert und getestet werden, vor allem solche, die sich bereits die Vorteile der digitalen Möglichkeiten zunutze machen. Von diesen Partnern kann das Unternehmen lernen und mit ihnen evaluieren, wie Produkte am besten zur Geltung kommen. Auch hier helfen übrigens die Angaben bereits bestehender Kunden zu ihrem Nutzerverhalten in der Online-Welt. Und auch hier gilt: Testen, Messen, Lernen. Weiss das Unternehmen bereits, wie viele Kunden die Produkte mit dem Smartphone suchen und einkaufen? Die Strategie muss differenziert werden, je nachdem, auf welchem Preispunkt das Produkt angesiedelt ist. Für einen Luxusbrand kann es sehr interessant sein, in einem «geschlossenen» Kanal oder  einer Online-Plattform tiefpreisige Tests durchzuführen, um neuen Kunden die Ware schmackhaft zu machen.

Tipp: Tauschen Sie ausgewählte Daten aus, die Lieferanten und Händlern Nutzen bringen, und incentivieren Sie in Zusammenarbeit mit Ihren Vertriebspartnern datenbasierte Entscheidungen, die zu einem Verkaufserfolg führen. Stellen Sie Ihren Vertriebspartnern Ihre NPS-Analysen zur Verfügung oder befragen Sie auch Ihre Wholesale-Partner, nicht nur die Endkonsumenten.


Kundenbedürfnisse kennen

Das Produkt ist nicht das Geschäftsmodell. Einen bestimmten Nutzen zu generieren, die Bedürfnisse der Kunden zu kennen und im besten Fall zu antizipieren, das ist das Geschäftsmodell. Das Auswerten von intern und extern generierten Daten hilft dabei, Bewährtes weiterzuführen, aber auch flexibel auf sich wandelnde Bedürfnisse einzugehen. 

Kennt das Unternehmen den Wertschöpfungsbeitrag jedes einzelnen Produktes oder Service-Angebots? Welches Kundensegment sorgt für welchen Umsatz und für welchen Gewinn? Wie ist deren mittel- und langfristiges Potenzial? Radikal zu denken, muss im Unternehmen erlaubt sein, etwas infrage zu stellen, das Portfolio auf den wahren Wertschöpfungsbeitrag hin zu analysieren.

Die Schaffung einer soliden Faktengrundlage ist zentral. Sich nur auf Erfahrungswerte oder den Geschäftsinstinkt verlassen ist gefährlich. Kunden kennenlernen, Ideen an ausgewählten Zielgruppen ausprobieren oder einen Kundenbeirat bilden sind Bestandteile einer Digitalstrategie. All das, inklusive der Auswertung, geht am einfachsten und effizientesten auf digitalem Weg. Die Instrumente dazu müssen nicht erfunden werden. Es gibt sie längst. Das Team muss jedoch die Chance haben, das geeignete Werkzeug selbst zu bestimmen, oder zumindest temporär freie Mitarbeiter zur Seite gestellt bekommen. Studenten, digitale Ideen-Plattformen, Zusammenarbeit mit Fachhochschulen sind kostengünstige Wege, um an neues, digitales Wissen zu kommen und um auf potenzielle Mitarbeiter aufmerksam zu werden.

Am Ende ist es nicht das Unternehmen, welches das Produkt von morgen oder die neue Dienstleistung entwirft, sondern die Kunden selbst – passgenau, ihren Wünschen entsprechend und vielleicht bereits mit einer Vorbestellung.

Tipp: Lernen Sie und Ihr Team, qualifiziert «Nein» zu sagen. Je detaillierter Ihre Datenlage, desto einfacher wird es Ihnen fallen, rasch zu vermeintlich brillanten Ideen Stellung zu nehmen und auf Fakten basierende Entscheidungen zu treffen. Damit richten Sie den Fokus auf die Projekte mit dem grössten Erfolgspotenzial für Ihr Team und Ihr Unternehmen. 

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