Digitalisierung & Transformation

Digitale Transformation (Teil 1 von 7)

Wie der digitale Wandel auf Unternehmen wirkt

Die digitale Informations- und Kommunikationstechnik entwickelt sich rasant und unaufhaltsam. Die Serie «Digitale Transformation» beleuchtet die wichtigsten Aspekte dieses Prozesses, zeigt die Konsequenzen für Unternehmen auf und skizziert Lösungsmöglichkeiten.
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Die Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft schreitet voran. Sie bringt gros­se Umwälzungen für Unternehmen aller Branchen und aller Grössen mit sich – also auch für KMU. Diese Entwicklung ist tiefgreifend und kontinuierlich. Viele vergleichen die Auswirkungen mit der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Was kommt auf KMU zu? Schon heute entstehen völlig neue Geschäftsmodelle, neue Produkte und Leistungen sowie neue Kundenbeziehungen. In den europäischen Ländern werden etwa die Hälfte der Arbeitsplätze wegfallen, schätzen Experten. In den Unternehmen entstehen neue Formen der Zusammenarbeit, neue Qualifikationen sind erforderlich – lebenslanges Lernen werden die Regel sein.
 

Zeichen der Zeit erkennen

Digitale Technologien wie z. B. das Cloud Computing ermöglichen es schon heute, dass länder- und abteilungsübergreifend Teams engstens zusammenarbeiten und zeitgleich auf gemeinsame Informationen zugreifen. Durch die digitalen Medien wie das mobile Internet beschränkt sich das Arbeiten zudem nicht mehr nur auf den Schreibtisch im Büro, sondern ist an jedem Ort zu jeder Zeit möglich – ganz nach dem Motto: «Always on – always in touch».

Keine Frage ist, ob sich die rasant fortschreitende Digitalisierung auf KMU auswirken wird. Die Frage lautet, ob sie die Potenziale der Digitalisierung für ihren eigenen Geschäftserfolg erkennen und gezielt und langfristig nutzen; oder ob sie reagieren und womöglich den Anschluss an den Wettbewerb verlieren. Beispiele wie Kodak zeigen, dass selbst ehemals erfolgreiche Unternehmen vom Markt verschwinden, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen – der Erfolg von gestern kann der schlimmste Feind für den Erfolg von morgen sein. Drei zentrale Fragen lauten:

  1. Wie werden sich Wirtschaft und Unternehmen durch die fortschreitende Digitalisierung in den kommenden Jahren entwickeln? Welche Konsequenzen hat dies für kleine und mittelgrosse Unternehmen?
  2. Wie können die kleinen und mittleren Unternehmen diese Entwicklungen als Wettbewerbsvorteil nutzen?
  3. Wie lassen sich Abteilungen, Teams, Manager und Mitarbeitende motivieren, die enormen Chancen für das Unternehmen und für sich zu nutzen und hierbei auftretende Hindernisse, Mühen und Probleme zu meistern?


Geschäftstreiber Technologie

Fast jeder kennt den Begriff «digitale Transformation». Sie wird auch als Digitalisierung, digitaler Wandel und digitale Revolution bezeichnet. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Viele Unternehmer meinen, digitale Transformation bedeute die Umstellung auf neue IT oder gar nur die Einführung von Social Media im Unternehmen. Jedoch ist digitale Transformation viel weitreichender. Es ist ein Prozess, der nie aufhören wird.

Schauen wir uns an, was Experten zur digitalen Transformation sagen: Die KPMG sieht die digitale Transformation in ihrer Studie «Digitale Transformation in der Schweiz» vom Oktober 2014 so: «Der
Begriff ‹digitale Transformation› steht für eine kontinuierliche Veränderung der Geschäftsmodelle, der Betriebsprozesse sowie der Kundeninteraktion, getrieben durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien.»

KPMG hebt die drei Veränderungsmöglichkeiten (Geschäftsmodelle, Unternehmensprozesse und Kundenerlebnis) hervor. Digitale Transformation ist somit der gezielte Einsatz von digitalen Technologien, um Wertschöpfungsprozesse neu zu gestalten und enorme Potenziale in Zukunftsmärkten zu erschliessen. Sie geht einher mit einem organisationalen Wandel und dem Einsatz von neuen Führungs- und Motivationssystemen, um das Unternehmertum im Unternehmen zu stärken. Digitale Technologien und Software sind demzufolge wichtige Enabler für die digitale Transformation. Entscheidend dabei sind:

  • Datenaustausch und  Datenanalyse,
  • Berechnung und Bewertung von Optionen
  • Initiierung von Handlungen und Einleitung von Konsequenzen.

Die digitale Transformation ist also kein Schlagwort auf dem technologischen Abenteuerspielplatz und auch keine neue Trenderscheinung, welche in den nächsten Jahren wieder verschwindet: Sie ist ein fortlaufender und unaufhaltsamer Prozess. Für die einen Unternehmen wird sie Fluch sein, für die anderen Segen.

Das Ziel: Leistungssteigerung

Verkürzt wäre also, den Blick nur auf neue Technologien zu konzentrieren.Vielmehr geht es um die Transformierung und Weiterentwicklung aller Unternehmensprozesse, des Kundenerlebnisses und der Geschäftsmodelle.

Die beiden Professoren Wade und Marchand sehen im «Digital Business Transformation» den organisatorischen Wandel durch die Nutzung von digitalen Technologien, um gravierend die Leistung zu steigern. Vier Technologien charakterisieren sie für die «Digital Business Transformation»:

  • Analysetools und -anwendungen
  • Mobiletools und -anwendungen
  • Plattformen für das Teilen von digitalen Inhalten
  • Social Media

Das Ziel ist es, die Performance zu steigern. Und zwar von folgenden Bereichen:

  • Umsatz
  • Effizienz
  • Wissensaustausch
  • Organisationale Agilität
  • Customer Insights
  • Customer Engagement

Schritte der Transformation

Die digitale Transformation sollte in fol-genden drei Schritten ablaufen:

  1. Entwicklung von digitaler Kompetenz: Im ersten Schritt sollten die kleinen und mittelgrossen Unternehmen ihre digitale Kompetenz aus- beziehungsweise aufbauen: Was sind die Besonderheiten der Digitalisierung? Was die Herausforderungen? Welche Chancen bietet die Transformation und welche Grenzen sind erkennbar?
  2. Plan für die gezielte und kontinuierliche Nutzung der Potenziale: Im zweiten Schritt beantwortet das Unternehmen die Frage, wie es die Potenziale nutzen will und die Gefahren bannen beziehungsweise wie es sich auf diese vorbereitet.
  3. Kontinuierlicher Wandel: Im dritten Schritt erfolgt die kontinuierliche digitale Transformation.

Die Autoren Michele Lankshear und Colin Knobel beschreiben das höchste Level des digitalen Wissens so: «Die höchste Ebene ist die der digitalen Transformation. Diese wird erreicht, wenn zuvor eine digitale Kompetenz ausgebildet wurde, um Innovation und Kreativität zu entwickeln. Diese ermöglichen und fördern wiederum den bedeutsamen Wandel innerhalb des Arbeits- oder Wissensbereiches und können jenen stimulieren. Diese Veränderung kann sich auf individueller Ebene, Gruppenebene oder als Organisation vollziehen.»

«Schöpferische Zerstörung»

Vom Webstuhl zum Fliessband, von der ersten programmierbaren Steuerung hin zu cyber-physischen Produktionssystemen – die reale und die virtuelle Welt verschmelzen. Die Geschwindigkeit dieses technologischen Wandels nimmt immer mehr zu: Laut Mooreschem Gesetz verdoppelt sich die Leistung von Chips, Bandbreite und Computern alle 18 Monate. Exponentielle Technologien entwickeln sich rasant. Hierzu zählen:
    

  • Biotechnologie
  • Neuro- und Nanotechnologie
  • Neue Energien und Nachhaltigkeit
  • IKT und mobile Technologien
  • Sensorik
  • 3-D Printing
  • Künstliche Intelligenz
  • Robotik
  • Drohnen

Die Digitalisierung wird viele etablierte Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsprozesse grundlegend ändern – ganz im Sinne der «schöpferischen Zerstörung» nach Schumpeter. Die Kernaussage: Jede ökonomische Entwicklung baut auf dem Prozess der schöpferischen beziehungsweise kreativen Zerstörung auf. Die Neukombination von Produktionsfaktoren, die sich erfolgreich durchsetzt, verdrängt alte Strukturen und zerstört sie letztlich.  Zerstörung ist also notwendig, damit eine Neuordnung stattfinden kann – sie ist demnach kein Systemfehler. Schumpeter erkannte damit das Wechselspiel aus Innovation und Imitation als Triebkraft des Wettbewerbs.

Wandel unterschiedlich intensiv

Die für die ökonomische Transformation notwendigen Veränderungen sind unterschiedlich intensiv:

Kontinuierliche (inkrementelle) Transformation

Digitale Transformation kann inkrementell als kontinuierliche Weiterentwicklung bestehender Lösungen sein. Die Innovationshöhe ist gering – die digitalen Technologien und Konzepte werden nur zur Optimierung der vorhandenen Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle genutzt. Beispiele für fortführende Innovation: Die Computermaus ist wohl noch immer die verbreitetste Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Steve Jobs hat Computermaus weiterentwickelt und sie erschwinglich gemacht für den Konsumenten! Er führte sie zum Erfolg.

Die CD war technisch gesehen eine gros­se Innovation bezüglich der Tonqualität einerseits sowie der Bedienung andererseits. Ausserdem war die CD der Schallplatte wegen der deutlich günstigeren Produktion weit überlegen. Die Wertschöpfungskette änderte sich nicht, da es weiterhin Presswerke und Plattenhändler benötigte. Das Verhältnis zwischen Künstler und Musikverlagen blieb gleich. Der Markt blieb also wie er war.

Radikale Transformation

Im Falle radikaler Transformation entstehen völlig neue Zweck-Mittel-Kombina­tionen, die intensiven Gebrauch von di­gitalen Technologien sowie von deren Konzepten machen. Disruptive Transformationen binden digitale Technologien und Konzepte so ein, dass die entstehenden Angebote keine konkurrenzfähigen Ergebnisse erzeugen. Hierdurch etablieren sich disruptive Innovationen zunächst in Nischenmärkten, zeigen jedoch ein hohes Wachstumspotenzial auf. Kontinuierliche Verbesserungen dieser Angebote verbessern die Leistungsmerkmale, bis sie die geforderten Eigenschaften etablierter Märkte erfüllen.

Zu diesem Zeitpunkt sind disruptive Lösungen wesentlich günstiger und auch in weiteren Leistungskriterien gegebenen Angeboten deutlich überlegen. Im Ergebnis werden die bestehenden Marktstandards in erheblichem Umfang neu definiert oder es entstehen vollkommen neue Märkte. Beispiel für bahnbrechende Innovationen: Der iTunes Music Store veränderte die Wertschöpfungskette komplett und nahm Presswerke und Händler aus dem Spiel. Er schaffte für Kunden den Zwang ab, Musik in grossen Mengen zu kaufen. Für Künstler eröffnete sich die Möglichkeit, ohne Plattenlabel zu veröffentlichen.Weitere Beispiele für zukünftige disruptive Innovationen:

Die Hochschulausbildung ist teuer und ineffizient und bildet oft an den Bedürfnissen des Marktes vorbei. Alternative Angebote wie Online-Kurse und Fernuniversitäten, die den Bedürfnissen der Studierenden eher entsprechen als die traditionelle Hochschule, werden diese zunehmend verdrängen.

  • 3-D-Drucker stellen schon heute viele Gegenstände selbst her – schon heute werden die ersten Wohnhäuser in Beton gedruckt. Diese Entwicklung wird die Geschäftsmodelle vieler klassischer Hersteller von Gütern in Frage stellen.
  • Viele Finanzdienstleistungen werden sich in den kommenden Jahren radikal verändern. Schon jetzt kann man in einigen Ländern über Internet-Plattformen private Kredite vergeben bzw. in Anspruch nehmen. Dies wird das traditionelle Privatkundengeschäft der Banken und Sparkassen radikal verändern. Auch wird es in Zukunft möglich sein, mit dem Smartphone Rechnungen zu bezahlen, was die Kreditkarte schnell überflüssig machen könnte.

Das Innovatoren-Dilemma

Erfolgreich werden künftig jene Unternehmungen sein, welche ihre Prozesse flexibel halten, schnell anpassen und parallel digitalisieren können. Unternehmen sind aber meist Gefangene ihres eigenen Erfolgs. Wenn sie ihr Geschäftsmodell ändern, verärgern sie auch ihre Stammkunden, mit welchen sie Gewinne erzielen. Die Chance ist gering, sich mit radikal neuen Ideen durchzusetzen. Welche erfolgreich sein wird, lässt sich kaum vorhersagen.

Das eigene Geschäftsmodell in Frage zu stellen, ist nach nüchterner Risikoabwägung sehr häufig nicht sinnvoll.  Das Management handelt rational, wenn es auf kontinuierliche Verbesserung setzt. Auf schöpferische Zerstörung können nur Gründer setzen, die viel zu gewinnen und nichts zu verlieren haben.


Industrie 4.0

Im produzierenden Gewerbe geht die digitale Transformation meist mit dem Begriff «Industrie 4.0» einher, auch als «vierte industrielle Revolution» bezeichnet. Der Begriff beschreibt den industriellen, auf Fertigungsprozesse gerichteten Einsatz von Automatisierungstechnik wie z. B. Robotik, die Entstehung cyber-physischer-Systeme und die Vernetzung produktiver Einheiten in der Fertigung.

Der kontinuierliche Austausch von physischen Produkten sowie Prozesse durch digitale Alternativen wird als «Entmaterialisierung» bezeichnet. Entmaterialisierung senkt die Produktionskosten, denn in einer digitalen Wirtschaft tritt die Mehrheit der Produktionskosten (Kosten für Design, Prototyping und Testing) auf, wenn die erste Kopie des Produktes erstellt wird. Ausserdem entstehen neue Online-Kommunikations- und Vertriebskanäle, die klassische, physische Kanäle ersetzen oder transformieren.

Der Publizist und Digitalexperte Wolf Lotter kritisiert den Begriff Industrie 4.0.  «Hinter dem von der Politik und den Verbänden gepushten Schlagwort ‹Industrie 4.0› steckt immer beides: Himmel und Hölle der Automatisierung. Der Begriff Industrie 4.0 führt auf den Holzweg. Wären wir wirklich auf das, was es ist, vorbereitet, müsste man das Ding beim Namen nennen: Wissen 1.0. Industrie 4.0, das soll klick, klack machen in den Köpfen von Bürgern, Unternehmern und Managern. Industrie 4.0 suggeriert eine Art logischen nächsten Schritt in der Industriegesellschaft, ihrem Sozialstaat und dem gängigen Erwerbsmodell: Sicherheit, Kontinuität, keine Brüche. Ja gut, es wird ein bisschen digitalisiert, aber sonst bleibt alles beim Alten – eine Fabrik mit Fliessband und Internetanschluss, festen Arbeitszeiten und einer dazugehörigen festen Lebensplanung bis zur Rente.» Er fordert ein gemeinsames Bewusstsein für den Schritt in die digitale Neuzeit. Es gebe zu wenig Aufbruch und zu viel Sicherheitsdenken, kritisierte der Experte Wolf Lotter auf der Konferenz «UBX 2015» in München. In puncto Digitalisierung haben Schweizer Unternehmen Nachholbedarf. Die Studie der Harvard Business Review und der Digital Index Switzerland der Unternehmensberatung Accenture zeigt: Die Schweiz bietet ideale Voraussetzungen für Innovationen und die digitale Transformation.

Potenzial noch ungenutzt

Eine Studie der Harvard Business Review und der Digital Index Switzerland der
Unternehmensberatung Accenture zeigt: Die Schweiz bietet ideale Voraussetzungen für Innovationen und die digitale Transformation. Doch bleiben die Potenziale in der Praxis ungenutzt.

Ein Beispiel: Laut einer Studie von KPMG aus dem Jahr 2014 lehnt der Grossteil der Unternehmen in der Schweiz die Schaffung einer CDO-Position (Chief Digital Officer) ab. Und nur bei einem Fünftel der befragten Unternehmen werden digitale Vorhaben auf der Stufe Geschäftsführung angestossen. Dies hängt jedoch stark von der Branche ab. Besonders Unternehmen aus Logistik und der Finanz- und Versicherungsbranche nehmen hier eine Vorreiterrolle ein. Die Unternehmen SBB, Swisscom sowie UBS gelten als digitale Zugpferde. Andere Branchen sowie die meisten KMU haben in puncto Digitalisierung noch Nachholbedarf.

Fazit

Die digitale Transformation birgt grosse Potenziale, die genutzt werden können, um im Markt bestehen zu können. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflussen im erheblichen Masse bisherige Geschäftsmodelle, bestehende Geschäftsprozesse und die Kundenbeziehungen / UX. Sie zwingen die Unternehmen, sich den Veränderungen anzupassen und zu lernen. Welche Chancen und Folgen sich aus diesen drei Stossrichtungen ergeben, erfahren Sie in der nächsten Ausgabe.

Porträt