Digitalisierung & Transformation

Künstliche Intelligenz I

Für jede Unternehmensgrösse den passenden KI-Einstieg

KI-Agenten sind virtuelle Assistenten, die nicht nur Fragen beantworten, sondern selbstständig Aufgaben erledigen. Sie planen Meetings, erstellen Berichte oder durchsuchen Dokumente. Für KMU stehen drei Wege offen: von einfachen Lösungen ohne Programmierung bis zu massgeschneiderten Spezialanwendungen.
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Mit ChatGPT ist künstliche Intelligenz vor rund zwei Jahren definitiv im Geschäftsalltag angekommen. Die nächste Generation geht weiter: KI-Agenten handeln selbstständig als virtuelle Mitarbeitende, die rund um die Uhr verfügbar sind.

Drei Stufen der Entwicklung

Ein KI-Agent ist ein digitales System, das eigenständig Aufgaben ausführt und selbst entscheidet, welche Schritte für ein Ziel notwendig sind. 

Beispiele: Ein HR-Agent generiert Arbeitszeugnisse automatisch aus Personaldaten. Ein Vertriebsagent analysiert Kundenanfragen und schlägt Termine vor. Ein Recherche-Agent durchsucht täglich Fachartikel und verschickt Zusammenfassungen. Ein Rechnungsagent verarbeitet Rechnungen per Texterkennung und ordnet Kostenstellen zu. Diese Agenten warten nicht auf Befehle, sondern handeln proaktiv. Die Entwicklung solcher Agenten verlief in drei Stufen: 

  • Klassische Chatbots folgen festen Skripten und sind unflexibel. 
  • LLM-basierte Chatbots (Large Language Models wie ChatGPT) verstehen natürliche Sprache und antworten flexibel. 
  • Agentische Systeme kombinieren Sprachfähigkeiten mit aktivem Handeln: E-Mails versenden, Datenbanken durchsuchen, Programme steuern. Mehrere Agenten können zusammenarbeiten.

Agenten nutzen unterschiedliche Techniken: 

  • Basis-LLMs verfügen über allgemeines Wissen. 
  • RAG-Systeme (Retrieval-Augmented Generation: abfragegestützte Erzeugung) durchsuchen firmeneigene Dokumente, bevor sie antworten. So kann ein Agent interne Richtlinien erklären, die nicht in seinem Training waren. 
  • GraphRAG berücksichtigt zusätzlich Beziehungen zwischen Informationen und erkennt Zusammenhänge zwischen Personen, Projekten und Dokumenten.

Praxiserfahrungen 

Seit 2016 nutzt die Universität Genf einen Sandbox Ansatz – eine abgeschlossene Testumgebung, in der neue Systeme gefahrlos ausprobiert werden, ohne den Betrieb wesentlich zu gefährden. Besonders wertvoll für KMU, um KI ohne grosse Investitionen kennenzulernen.

Das Team konzentriert sich auf fünf Bereiche: kontinuierliche Schulung, Aufbau technischer Infrastruktur, praktische Erprobung, Entwicklung von Datenschutz-Regeln und Erstellung von Leitfäden zur KI-Transformation.

Zunächst wurden klassische Chatbots für Studierendenberatung entwickelt, später No-Code-Agenten für HR-Aufgaben und Sitzungsprotokolle. Für Forschende entstand ein Museum-System, bei dem Besucher mit einem Agenten über antike Statuen sprechen und detaillierte Informationen via RAG-Zugriff auf eine Wissensdatenbank erhalten.

Ein anspruchsvolles High-Code-Projekt betrifft Memento, die zentrale Wissensplattform der Universität Genf mit tausenden Dokumenten wie Reglementen, Kalendern und Richtlinien. Die herkömmliche Suchfunktion lieferte unbefriedigende Ergebnisse. Ein intelligenter Such-Agent versteht nun die Absicht hinter Anfragen, interpretiert Kontext und liefert präzise Antworten durch die Kombination von RAG und fortgeschrittenen Sprachmodellen. Zusätzlich wird GraphRAG getestet.

Die drei Stufen im Detail

No Code: Der schnelle Einstieg

No-Code-Plattformen ermöglichen jedem Mitarbeitenden, KI-Agenten zu nutzen, ohne Code zu schreiben. Die Konfiguration erfolgt über grafische Oberflächen oder natürliche Sprache.

Geeignet für KMU, die schnell Erfolge erzielen wollen, Unternehmen mit begrenzten IT-Ressourcen und Abteilungen, die eigenständig digitalisieren möchten. Möglich sind standardisierte Assistenten für Kundensupport, Dokumentenzusammenfassung, Übersetzung und einfache Planung.

Praxisbeispiel: Mit Microsoft-Copilot-Agent wurde ein HR-Assistent konfiguriert. Mitarbeitende beschreiben, welche Informationen ins Arbeitszeugnis sollen – der Agent holt Daten aus dem Personalsystem, formuliert professionell und legt zur Prüfung vor. Die Einrichtung dauerte wenige Stunden ohne IT-Spezialisten. Ein weiterer Assistent extrahiert spezifische Informationen aus umfangreichen PDF-Dateien über EU-Forschungsausschreibungen. Die Kosten beschränken sich meist auf die Plattformlizenz, beispielsweise Microsoft 365 Copilot. Die Einrichtung dauert Stunden oder Tage, Programmierkenntnisse sind nicht erforderlich.

Low Code: Die flexible Mitte

Low-Code-Plattformen bieten mehr Gestaltungsspielraum. Grundfunktionen werden über grafische Oberflächen konfiguriert, für Spezialfälle kann eigener Code ergänzt werden. Oft arbeiten Fach­abteilungen und IT zusammen.

Geeignet für KMU mit etwas IT-Kapazität, Unternehmen, die bestehende Systeme einbinden wollen, und Organisationen mit spezifischen Prozessen. Möglich sind Integration mit CRM oder ERP, Auto­matisierung komplexerer Workflows und branchenspezifische Anpassungen.

Praxisbeispiele: Ein Vertriebsagent verbindet sich mit dem CRM, erstellt nach Kundengesprächen Zusammenfassungen, schlägt Follow-up-Termine vor und informiert bei wichtigen Kunden den Vorgesetzten. Ein Rechnungsagent nutzt Texterkennung, gleicht Daten mit Be­stellungen ab, ordnet Kostenstellen zu und markiert Abweichungen. Ein Rechts-Agent scannt Verträge, extrahiert Klauseln und Fristen, erinnert vor Ablauf. Ein Event-Agent organisiert Veranstaltungen: Einladungen, Zu-/Absagen, Raum- und Catering-Buchung, Teilnehmerlisten.

Für die Universität entwickelt: automatische Recherche wissenschaftlicher Artikel, Transkription von Sitzungen mit Protokollerstellung.

Die Kosten setzen sich aus Plattformlizenz und Entwicklungsaufwand zusammen. Die Einrichtung dauert Wochen, grundlegende Programmierkenntnisse sind hilfreich.

High Code: Massgeschneiderte Lösung

High Code bedeutet klassische Entwicklung von Grund auf. Entwickler programmieren exakt zugeschnittene Lösungen.

Geeignet für KMU mit komplexen, einzigartigen Prozessen, Unternehmen mit eigener IT oder Budget für externe Entwickler und höchste Kontrolle beim Datenschutz. Möglich sind vollständige Kontrolle über alle Funktionen, Integra­tion beliebiger Systeme, optimale Per­formance und höchste Datensicherheit durch lokalen Betrieb.

Praxisbeispiel Memento: Die zentrale Wissensplattform der Universität mit tausenden Dokumenten (Studienreglemente, Personalrichtlinien, Kalender, Prozesse). Die Stichwortsuche lieferte zu viele irrelevante Treffer. Die massgeschneiderte Lösung: Alle Inhalte wurden systematisch erfasst. Ein intelligenter Such-Agent versteht die Bedeutung von Anfragen. Bei «Wie viele Ferientage habe ich?» erkennt er, dass es um Personalregelungen geht, identifiziert passende Dokumente und formuliert präzise Antworten. Die Umsetzung nutzt RAG: durchsucht relevante Dokumente, lässt ein Sprachmodell verständliche Antworten formulieren. Graph­RAG wird getestet für Querverbindungen zwischen Regelungen.

Die Entwicklung erfolgt durch Spezialisten über mehrere Monate. Zwar höhere Initialkosten, aber optimale Anpassung.

Sechs Schritte zur Einführung

Schritt 1: Digitale Reife bewerten

Standortbestimmung von Stufe 1 (papierbasiert, E-Mail als Hauptwerkzeug) über Stufe 2 (Fachanwendungen, Website) und Stufe 3 (vernetzte Systeme wie CRM) bis Stufe 4 (datengetriebene Entscheidungen). Je nach Stufe sind unterschiedliche KI-Lösungen sinnvoll.

Schritt 2: Konkretes Problem definieren

Erfolgreiche KI-Projekte beginnen mit klar definierten Geschäftsproblemen: «Mitarbeitende verbringen zu viel Zeit mit Informationssuche.» «Kunden warten zu lange auf Antworten.» «Manuelle Rechnungsprüfung bindet zu viele Ressourcen.» Definieren Sie messbare Ziele, schätzen Sie Kosten und Nutzen realistisch ein.

Schritt 3: Entwicklungsstufe wählen

Die Wahl hängt ab von verfügbaren IT- Ressourcen, Komplexität der Aufgabe, Budget, Zeitrahmen und Datenschutz­anforderungen. Faustregel: Starten Sie mit No Code, steigen Sie um auf Low Code für spezifische Anpassungen, wählen Sie High Code nur bei wirklich einzig­artigen Anforderungen.

Schritt 4: Kontinuierlich verbessern

KI-Agenten lernen aus Nutzung. Planen Sie regelmässige Überprüfungen: Funktioniert der Agent wie erwartet? Wo gibt es Fehler? Welche Funktionen werden genutzt? Etablieren Sie einen Prozess für Problemmeldungen. Aktualisieren Sie regelmässig.

Schritt 5: Mitarbeitende befähigen

Praktische Schulungen sind entscheidend: Welche Aufgaben kann der Agent übernehmen? Wie formuliert man Anfragen optimal? Was sind die Grenzen? Wertvoll ist ein internes «Rezeptbuch» mit bewährten Prompts für häufige Aufgaben. Die Universität Genf entwickelte ein strukturiertes Programm, das leicht auf KMU übertragbar ist.

Schritt 6: Regeln und Datenschutz klären

Definieren Sie klare Richtlinien: Welche Daten dürfen Agenten verarbeiten? Was darf nicht mit externen Systemen geteilt werden? Wer ist verantwortlich bei Fehlern? In der Schweiz und der EU sind DSG, DSGVO und der geplante EU AI Act relevant. Letzterer stuft KI nach Risiko ein – kritisch sind Systeme im Personalwesen oder in der Medizin. Für die meisten KMU gelten moderate Anforderungen. Wichtig: Bei externen Diensten wie ChatGPT werden Daten übertragen und eventuell in anderen Ländern verarbeitet. Für sensible Daten sollten lokale Lösungen oder abgesicherte Unternehmenszugänge verwendet werden.

Der typische Projektverlauf

Ein KI-Agent-Projekt unterscheidet sich von klassischer Software: Datenaufbereitung (Informationen sammeln, bereinigen, strukturieren, das ist oft der aufwendigste Schritt), Technologiewahl (einfacher Agent oder komplexe Lösung?), Modellauswahl (welches Sprachmodell? Braucht es RAG? Multiple Agenten?), Workflow-Definition (welche Schritte in welcher Reihenfolge? Wann muss ein Mensch eingreifen?), Test und Verbesserung (ausgiebig mit realistischen Szenarien), kontinuierliche Weiterentwicklung (regelmässige Anpassung an neue Anforderungen).

Schlussfolgerung

KI-Agenten sind praktische Werkzeuge für KMU. Dabei gilt es aber zu beachten, dass es für jede Unternehmensgrösse und jedes technische Niveau einen passenden Einstieg gibt. Beginnen Sie klein mit No Code für klar definierte Aufgaben. Sammeln Sie Erfahrungen, schulen Sie Mitarbeitende, bauen Sie Vertrauen auf. Erweitern Sie schrittweise zu komplexeren Lösungen.

Die Beispiele der Universität Genf zeigen: Mit systematischem Vorgehen, realistischen Zielen und Einbindung der Mitarbeitenden gelingt die Transformation. KMU müssen nicht alles selbst entwickeln. Partnerschaften mit Beratungsfirmen, Fachhochschulen oder Anbietern erleichtern den Einstieg. Entscheidend ist, jetzt mit der Implementierung zu beginnen und die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen.

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