Digitalisierung & Transformation

Datenbasierte Dienstleistungen (Teil 1 von 3)

Die wesentlichen Phasen bis zur Umsetzung

Industrie 4.0 ermöglicht neue, datenbasierte Dienstleistungen. Der vorliegende Beitrag beschreibt die drei wesentlichen Phasen bis zur Umsetzung. Wichtige Kriterien sind dabei die Geschäftsmodell-Perspektive, das Verdichten von Informationen bis zur Auswahl der Dienstleistung sowie das Verstehen der eigentlichen Leistungserbringung.
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Viele Industrieunternehmen haben in den letzten Jahren ihre Produkte mit Sensoren versehen, welche nun in der Lage sind, Daten über den Zustand und die Umgebung des Produkts zu sammeln und zu übermitteln. Diese Daten bilden die Grundlage für datenbasierte Dienstleistungen. Das bekannteste Beispiel hier­für ist die vorausschauende Wartung. In der vorausschauenden Wartung wird die Wartung nicht mehr zu einem gesetzten Termin durchgeführt (Preventive Maintenance) oder nach dem Auftreten des Vorfalls (reaktive Wartung), sondern datenbasiert zum optimalen Zeitpunkt durchgeführt (Predictive Maintenance).

Verschiedene Studien haben aufgezeigt, dass es bei Unternehmen trotz der bestechenden Idee mit der Umsetzung hapert. Gründe hierfür sind oftmals ein geringes Verständnis für das Kundenbedürfnis, unzureichende Marktkenntnis und fehlende technologische und organisatorische Fähigkeiten. Der vorliegende Artikel beschreibt einen Ansatz, welcher sich in drei wesentliche Phasen einteilen lässt und die Grundlage für die Umsetzung von datenbasierten Dienstleistungen bildet (siehe Abbildung 1). Die drei Phasen basieren auf den Erkenntnissen eines Innosuisse-Projekts mit dem Titel «Da­tenbasierte Dienstleistung nachhaltig umsetzen».

Anzumerken ist, dass die Umsetzung datenbasierter Dienstleistungen auch weitreichende (organisatorische) Veränderungen aus sozio-technischer Sicht für ein Unternehmen bedeutet. Der Fokus der vorliegenden Artikelreihe liegt je­doch auf der Entwicklung datenbasierter Dienstleistungen. 

Die Ideenphase

Die Möglichkeiten, welche durch die zusätzlich generierten Daten entstehen, sind vielfältig. So können beispielsweise die oben beschriebene Dienstleistung der vorausschauenden Wartung angeboten und Assistenzsysteme entwickelt werden, welche dem Kunden basierend auf den Daten Vorschläge zur Optimierung machen, oder es könnten Verbrauchsprognosen erstellt werden. 

Um die Potenziale aufzudecken, ist zu empfehlen, die langfristigen Entwicklungen der Endkonsumenten anhand einer Umfeldanalyse zu berücksichtigen. Wichtige Inputs liefern hier die Megatrends des Zukunftsinstituts aus Deutschland. Darauf aufbauend können Kreativitätstechniken eingesetzt werden, welche die Mit­arbeiter anregen, weitere als die bereits mehrfach diskutierten Möglichkeiten zu entdecken. Die spannendsten Ideen flies­sen anschliessend in die «Industrial In­ternet of Things (IIoT)»-Geschäftsmodell-Analyse ein. Die IIoT-Geschäftsmodell-Analyse ist ein erprobtes Tool, welches im Innosuisse-Projekt «Industrie 4.0 – eine strategische Roadmap» entwickelt wurde. 

Die Geschäftsmodell-Analyse bildet das eigentliche Kernstück der Ideenphase. Einerseits werden die Workshopteilnehmer gezwungen, die Idee aus den vorgegebenen Dimensionen zu beleuchten. Diese Dimensionen ermöglichen wiederum eine Vergleichbarkeit der Ideen. Andererseits wird die Vielschichtigkeit der Ideen berücksichtigt, indem alle fünf Dimensionen des IIoT-Geschäftsmodells diskutiert wer­den. Eine einseitige Fokussierung auf das Nutzenversprechen oder die Technologie wird damit verhindert. Abbildung 2 visua­lisiert die IIoT-Geschäftsmodell-Analyse.  

Für die Formulierung des Nutzenversprechens ist bewusst die Kundenperspektive einzunehmen und zu diskutieren. Dies umfasst das Angebot, wieso der Kunde dieses kaufen sollte und wer der Kunde ist. Bei der Ertragsmechanik wird analysiert, wann und in welcher Form Einnahmen erfolgen. Je nach Art des Nutzenversprechens können diese in der Art einer jährlichen Versicherungssumme, als Pay-per-piece-Modell oder aufwandbezogen verrechnet werden. 

Neben den Einnahmen sind auch die Ausgaben zu betrachten. Dabei sind sowohl die Investitionskosten abzuschätzen als auch die operativen Kosten, welche bei der Erstellung der Dienstleistung auflaufen.

Ist das Nutzenversprechen formuliert, gilt es in einem weiteren Schritt aufzuzeigen, wie die Leistungserstellung erfolgt. Die Analyse der Wertschöpfungskette umfasst dabei die interne Leistungser­stellung sowie die Zusammenarbeit mit dem Kunden. Die Möglichkeit, remote auf die Anlagen des Kunden zugreifen zu können oder über Augmented-Reality-Installationen (Brille, Mobiltelefon) den Kunden bei der Problembehebung zu unterstützen, führt zu einer Veränderung der Zusammenarbeit mit dem Kunden und zu neuen Prozessen bei der Leistungserbringung.  

Die vierte Dimension umfasst die notwendigen Investitionen in Technologien und Fähigkeiten. Dabei werden in einem ersten Schritt sogenannte Schlüsseltech­nologien gesucht, deren Wichtigkeit für die Projektumsetzung evaluiert und deren Beherrschung diskutiert wird. Diese Analysen ermöglichen eine Einschätzung, inwiefern die relevanten Technologien bereits beherrscht werden und die im Zusammenhang stehenden Fähigkeiten innerhalb vom Unternehmen aufgebaut werden müssen. 

Die fünfte Dimension ist die Vernetzung, anhand welcher diskutiert wird, wer mit wem womit und wie vernetzt ist. So sind die Vernetzung der Maschinen und der Datenaustausch die Grundlage für das Anbieten der datenbasierten Dienstleistung. Eine erste Skizzierung dieser Zusammenhänge ermöglicht den Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses der involvierten Systeme und Daten. Hier werden die interne Leistungserbringung und die Schnittstellen zum Kunden mit den involvierten Systemen verknüpft.

Die Diskussion anhand der Geschäfts­modell-Analyse erhöht das gemeinsame Verständnis einer Idee und ermöglicht die Selektion der für das Unternehmen geeignetsten Ideen. 

Erkenntnisse: Die Ideenphase beinhaltet einige Stolpersteine. So bleibt die Ideengenerierung trotz des Einsatzes unterschiedlichster Kreativitätstechniken herausfordernd. Die gemeinsame Diskussion der Idee aus der IIoT-Geschäftsmodell-Analyse ermöglicht ein vertiefteres Verständnis über die Inhalte. Zudem verhindern die vorgegebenen Dimensionen, dass nur eine isolierte Diskussion einzelner Elemente dominiert, wie zum Beispiel die Ertragsmechanik oder Technologie-Entscheidungen ohne das dazugehörige Nutzenversprechen. Allerdings ist vor allem das Identifizieren der Schlüsseltechnologien und der Fähigkeiten herausfordernd, da das Wissen dazu fehlt. Die Fallbeispiele zeigten zudem, dass eine Kriterienbasierte Selektion disruptive und komplexere Ideen eher benachteiligt, indem das Bekannte besser bewertet wird.

Die Lösungsphase

Die zweite Phase widmet sich dem Auf­-bau eines vertiefteren Verständnisses der ausgewählten Idee. Hier kommen unterschiedliche agile Entwicklungsme­thoden zum Einsatz. Dabei gilt es, im Sinne der Design-Thinking-Philosophie den Problemraum zu analysieren und vertiefte Erkenntnisse über die Herausforderungen und Bedürfnisse der Kunden zu generieren. Hier erfolgt ein Schritt zurück, das heisst, die in der Ideenphase getätigten Annahmen werden durch Informationen (zum Beispiel durch Kunden­interviews) bestätigt oder widerlegt. 

Im zweiten Beitrag der vorliegenden Artikelserie werden die unterschiedlichen Methoden zur Analyse der Kunden-Herausforderungen und -Bedürfnisse genauer beschrieben. Diese Erkenntnisse bilden eine zentrale Grundlage für die Festlegung des zu lösenden Problems und die Erarbeitung der (neuen) Lösung. Der Lösungsraum beinhaltet das Erar­beiten der konkreten, bedürfnisorientierten Idee und das Erstellen und Testen eines Pro­totyps der Dienstleistung.

Beim Prototyping wird beispielsweise das Dashboard für die Visualisierung des Zustands anhand eines «Clickable Dum­my» erarbeitet (Minimal Viable Product, MVP). Ein «Clickable Dummy» zeigt die Funktionen des Dashboards auf, ohne diese mit richtigen Daten zu hinterlegen beziehungsweise zu programmieren. 

Anhand des Prototyps und weiterer Dokumentationen wie zum Beispiel einer Verkaufsbroschüre wird die Dienstleistung intern und mit möglichen Kunden getestet, werden Feedbacks eingeholt und überarbeitet. Dies ist ein iterativer Ansatz, in welchem die einzelnen Phasen des Design-Thinking-Prozesses mehrmals durchlaufen werden. 

Diese Phase folgt einem agilen Ansatz, indem die Verdichtung anhand von Sprints durchgeführt wird und innerhalb von drei bis vier Tagen eine Dienstleistung – hier am Beispiel des «Clickable Dummy» – entwickelt wird, welche mit Kunden getestet werden kann. Zentral dabei ist ein interdisziplinäres Team, welches unterschiedliche Funktionen abdeckt (zum Beispiel Entwicklung, Produktion, Vertrieb) sowie Personen mit Entscheidungsbefugnis (Geschäftsleitung). Somit kann innerhalb kürzester Zeit eine Lösung erarbeitet oder eine Idee als nicht geeignet identifiziert werden.     

Erkenntnisse: Die Sprints erlauben eine fokussierte Entwicklungszeit durch eine Abschottung vom Tagesgeschäft sowie einen kontinuierlichen Austausch von Informationen und kurzen Entscheidungswegen. Sogenannte funktionale Silos werden aufgebrochen. Die frühe Integration des Kunden bei der Problemanalyse und Bedürfnisabklärung verhindert, eine Angebotsentwicklung ohne entsprechen­de Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen. Das frühe Testen anhand des Dienstleistungs-Prototyps gemeinsam mit dem Kunden führt zu sehr konkreten Feedbacks und zeigt Argumentationslücken und den weiteren Entwicklungsbedarf auf. 

Der Prototyp macht das Unfassbare fassbar und ist eine unabdingbare Grundlage für den Aufbau eines gemeinsamen Ziels und das Verständnis im Projektteam. Die Konkretisierung und Rückmeldungen ermöglichen, eine fundierte Selektion (Go/No-Go) zu treffen.  

Die Analysephase

Die IIoT-Geschäftsmodell-Analyse in der Ideenphase ermöglicht bereits einen ersten Eindruck, wie das Anbieten einer datenbasierten Dienstleistung die Prozesse der Leistungserstellung verändern kann. Diese groben Annahmen gilt es nun weiter zu konkretisieren. Dabei sind sowohl die Soll-Prozesse aufzunehmen als auch ein Wissensnetzwerk zu erstellen, welches die Interaktion der beteiligten Akteure visualisiert. Der dritte Beitrag der vorliegenden Beitragsreihe beschreibt die eingesetzten Methoden und Erkenntnisse dieser Phase. 

Ausblick

Die drei Phasen (Ideen, Lösung und Analyse) bilden die Grundlage für die Entscheidung des weiteren Vorgehens. Jede Phase führt zu einem Erkenntnisgewinn, welcher die Selektion der geeignetsten Ideen und Lösungen erleichtert. Die drei Phasen ermöglichen es, die Chancen und Herausforderungen der Dienstleistungen zu erkennen und die Grundlage für den Umsetzungsentscheid zu legen. Die dafür aufzubringenden Ressourcen sind überschaubar, liefern jedoch eine notwendige Basis für die Umsetzung. 

Die eigentliche, ressourcenintensive Arbeit beginnt erst jetzt. So zeigt beispielsweise die Analyse der Wissensnetzwerke, dass die bestehende Organisationsstruktur zu funktionalen Silos führt, welche ein effektives Anbieten der datenbasierten Dienstleistungen beeinträchtigen können. Im weiteren Verlauf des Forschungs­projekts werden Methoden entwickelt, welche ein nachhaltiges Umsetzen der Dienstleistung durch eine geeignete Kombination von Mensch, Technik und Organisation unterstützen.

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