Branchen & Märkte

Internationalisierung

Wie zwei Schweizer Unternehmer Lateinamerika erobern wollen

Der Toggenburger Silvio Frigoli hat das Produkt, der Appenzeller Daniel Breitenmoser die Expertise für Lateinamerika. Der Beitrag zeigt, wie die Unternehmer zusammen das Marktpotenzial in der Region bergen wollen.
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Innerhalb von weniger als zwei Jahren ist «Biotulin» zu einem der meistverkauften Kosmetikprodukte der Schweiz geworden. Das vom deutschen Start-up My Vital Skin hergestellte Gel wirkt bei der Behandlung von Hautfalten wie Botox, aber auf rein pflanzlicher Basis. Bekannt geworden ist es durch seine natürliche Wirksamkeit und eine innovative Produktekommunikation, in der prominente Kunden wie die spanische Königin Letizia, die britische Prinzessin Kate oder der amerikanische Schauspieler Leonardo di Caprio mitmachen. Laut dem Generalimporteur für die Schweiz, dem Toggenburger Unternehmer Silvio Frigoli, ist Biotulin beim Vertriebspartner Manor unter den Kosmetikprodukten das «Spitzenprodukt» gemessen an den verkauften Stückzahlen. Dabei sei der Detailhändler dank einem Anteil von rund 30 Prozent für den Schweizer Kosmetika-Markt repräsentativ.

EU-Markt zu bürokratisch

«Eigentlich wollte ich ja nichts mit Kosmetikprodukten zu tun haben. Für dieses wechselhafte Geschäft braucht man zu viel Geld», sagt Frigoli, der mit seiner Firma Elixan im toggenburgischen Gähwil in zweiter Generation ätherische Öle und andere Gesundheitsprodukte herstellt. Aber als ihm Mitarbeiterinnen vor rund zwei Jahren von Biotulin erzählten, liess ihn sein Unternehmerinstinkt eine Ausnahme machen. Zum einen beeindruckte ihn die Wirksamkeit, «die für ein Kosmetikprodukt schon fast zu stark ist, um zulässig zu sein».

Zum anderen faszinierte ihn das Konzept eines Unternehmens und einer Marke, die aus einem einzigen Produkt bestehen. «Biotulin ist ähnlich aufgebaut wie Red Bull. Es gibt viele Energydrinks, aber man kauft ein Red Bull. Ähnlich könnte es dereinst mit Biotulin sein.»

Weitere Wachstumsmärkte

Diese Überzeugung und der Erfolg in der Schweiz liessen Frigoli schon bald nach weiteren Wachstumsmärkten Ausschau halten. Die Europäische Union kam für ihn unter anderem wegen des aufwendigen Zulassungsverfahrens für Gesundheits- und Schönheitsprodukte nicht infrage. «Für einen kleinen Schweizer Anbieter wie uns macht es in diesem Markt keinen Spass mehr. Diesen bürokratischen Aufwand können sich nur die Grossen leisten.»  Russland, die Ukraine und Zentralasien wiederum sind ihm bekannte und zugängliche Märkte, doch leiden sie seit mehreren Jahren unter kriegerischen Konflikten, den damit verbundenen internationalen Wirtschaftssanktionen sowie dem Zerfall der Rohstoffpreise.

In dieser Situation ergab sich Anfang 2016 über einen gemeinsamen Geschäftspartner der Kontakt mit Daniel Breitenmoser, einem in Kolumbien wohnhaften Unternehmer aus Appenzell.

Wissensvermittlung

Daniel Breitenmosers Firma Ongresso unterstützt KMU vornehmlich aus dem gesamten deutschsprachigen Raum bei der Marktbearbeitung in Lateinamerika. «Gerade in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich gibt es viele kleine und mittlere Unternehmen, die zwar über erst­klassige Produkte verfügen, nicht aber über das notwendige Wissen, um sie fernab von ihren Stammmärkten in der Schweiz und Europa zu vertreiben. Dieses Wissen stellen wir zur Verfügung», sagt Daniel Breitenmoser.

Dabei geht es nicht nur um Marktwissen im einschlägigen Sinne, also um Kenntnisse für Marktstrategien, Marketing oder Vertrieb. «Wir haben gemerkt, dass die Bedürfnisse der Kunden weitergehen. Selbst wenn ein kleines oder mittleres Unternehmen einen relativ klaren und positiven Eindruck vom Potenzial hat, kann es vor dem Markteintritt zurückschrecken, wenn ihm das finanzielle Risiko zu gross erscheint», erklärt Breitenmoser. Um möglichst viele Unwägbarkeiten auszuräumen und die Planungssicherheit des Kunden zu erhöhen, bietet Ongresso auch Dienstleistungen in den Bereichen Treuhand, Recht und Personalwesen an, selbst kleinere Büroräumlichkeiten werden vermietet.

Elixan steht beispielhaft für die Bedürfnisse eines kleinen oder mittelgrossen Unternehmens bei der Internationalisierung. «Ich wusste zwar vom schon fast exzessiven Schönheitskult in verschiedenen Ländern Lateinamerikas, von all den Schönheitsoperationen, Faceliftings und so weiter. Aber viel weiter reichten meine Kenntnisse nicht», sagt Silvio Frigoli. Für ihn war deshalb von Anfang an klar: Er brauchte einen Partner vor Ort, der im wörtlichen und im übertragenen Sinne dieselbe Sprache spricht wie er. «Oftmals sagt man uns kleineren Unternehmern, dass das Kapital das Entscheidende sei. Aber das stimmt überhaupt nicht.» Wenn man Geld habe, wolle sowieso jeder mit einem zusammenarbeiten. Wichtiger sei ein Partner, der die eigenen Märkte gut kenne und sich auf eine unternehmerische Idee einlasse.

Schweizer Mentalität

Die Schweizer Identität von Ongresso war Frigoli dabei weniger wichtig als die Grösse und – damit verbunden – die Mentalität in der Firma. «In grossen Unternehmen kann vor lauter ISO-Normen und Befehlsketten niemand mehr entscheiden, in kleinen geht das viel schneller, das schätze ich ausserordentlich.»
 
Entsprechend viel hat sich seit dem ersten Kontakt zwischen Silvio Frigoli und Daniel Breitenmoser getan. Zunächst einigten sie sich auf eine Partnerschaft, in der beide an den unternehmerischen Risiken und Chancen beteiligt sind. «Damit hat Ongresso einen langfristigen Erfolgsanreiz, im Gegensatz zu einer lokalen Firma, bei der ich nur Dienstleistungen einkaufe», sagt Frigoli.

Vertriebslizenzen

Nachdem Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru (siehe Box «Stichwort: Die Pazifik-Allianz») sowie Venezuela als prioritäre Märkte bestimmt waren, beantragte Elixan die entsprechenden Vertriebslizenzen beim Produzenten My Vital Skin und Ongresso leitete die behördliche Registrierung von Biotulin ein. In Kolumbien ist das Produkt seit Oktober zugelassen, in den vier anderen Märkten sollte es Mitte 2017 soweit sein.

Am Puls sozialer Netzwerke

Parallel dazu begann Ongresso für Kolumbien ein Multichannel-Marketing umzusetzen. Eine Website wurde aufgebaut und eine Social-Media-Managerin angestellt. «Gerade bei Lifestyle- Produkten ist es wichtig, am Puls der sozialen Netzwerke zu sein, virtuelle Communities als interessante Nachfragesegmente zu definieren und sie im eigenen Sinne zu beeinflussen», sagt Daniel Breitenmoser.

Dafür würden auch Partnerschaften mit lokalen oder nationalen Berühmtheiten als Biotulin-Kunden angestrebt. Doch auch die physische Präsenz sei wichtig, weshalb man in Gesprächen mit einem grossen Detailhändler sei. «Wir sind aber nicht in Eile. Die Erfahrungen von Silvio Frigoli in der Schweiz haben gezeigt, dass es sich durchaus lohnt, zuerst durch den Direktvertrieb ein klareres Bild vom jeweiligen Markt zu erhalten und erst dann die Distribution über den Detailhandel zu forcieren.»
 
Wie wichtig dabei lokale Kenntnisse sowie Kontakte sind, zeigt die folgende Anekdote. Im letzten Oktober, während die ersten Biotulin-Lieferungen noch in der Verzollung waren, gingen bereits 200
Bestellungen ein. «Einer unserer Distributoren hat beste Kontakte in die High Society von Bogotá», sagt Breitenmoser. «Als er an einer Charity-Veranstaltung von Biotulin erzählte, kannten viele Anwesende das Produkt wegen prominenten Kunden wie Kate Middleton bereits.

Das Interesse war riesig.» Der Appenzeller rechnet damit, dass er den monatlichen Absatz innert Jahresfrist auf 10 000 Stück steigern kann, wobei ein Gel für umgerechnet 70 Franken verkauft wird. Zum Vergleich: In der Schweiz werden laut Silvio Frigoli zurzeit pro Monat 4000 bis 5000 Stück zum Preis von 58,50 Franken abgesetzt.
 
Angesichts solcher Verkaufszahlen will Frigoli demnächst nicht nur Biotulin, sondern auch selber hergestellte Produkte wie ein Teebaum-Öl und ein Warzenpflaster in Kooperation mit Ongresso nach Lateinamerika exportieren. «Die haben dort hinten einen Schlaraffenland-Markt. Der ist noch nicht so übersättigt wie der unsrige», sagt er.

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