Branchen & Märkte

Renaturierung

Wie Ökologie und Ökonomie zusammengehen

Sind die laufenden Renaturierungen ein kostspieliger, ökologischer Trend, der ebenso rasch wieder vergeht, wie er gekommen ist? Und welchen Gewinn oder Nutzen hat nun ein Unternehmen durch die Renaturierung der Fliessgewässer?
PDF Kaufen

Die Schweiz weist ein weit verästeltes Netz von rund 65 000 Kilometer Bächen und Flüssen auf. Ab dem 17. Jahrhundert begannen die grossen Eingriffe in unse­re Gewässer. Bis in die 1970er-Jahre wur­den Gewässer begradigt, verbaut und eingedolt, unter anderem aus Gründen des Hochwasserschutzes und für die Nutzbarmachung (Trockenlegung) weiter Flächen. Nur ungefähr die Hälfte der Gewässer ist bis heute naturnah oder natürlich erhalten geblieben.

Die Folgen dieser Gewässerkorrekturen kommen nun erst zum Tragen. Durch die baulichen Eingriffe können die Fliessgewässer ihre Funktion als Lebensadern für die natürliche Vielfalt, für die Erhaltung der Grundwasserreserven und Hochwasserschutz nicht mehr gewährleisten. Verarmung von Flora und Fauna, Wassermangel in Trockenzeiten und stellenweise verheerende Überschwemmungen sind die Folge.

Vision Renaturierung

«Renaturieren» bedeutet, dem Gewässer wieder genügend Raum zu geben, damit es seine Funktionen von Neuem wahrnehmen kann. Wie sieht das aus? Der Bund hat in der Vision «Gewässer 2100» beschrieben, dass die Dynamik der naturnahen Gewässer und des angrenzenden Uferbereichs so sein soll, dass die typische Flora und Fauna erhalten bleibt und die Gewässer sich entsprechend ihrer Dynamik nach Störungen wie zum Beispiel einem Hochwasser selbst erholen können. Damit diese Vision Realität werden kann, wurden unter anderem im Jahr 2011 das neue Gewässerschutzgesetz und die Verordnung in Kraft gesetzt, welche festlegen, dass die Kantone dafür sorgen, den Gewässern genügend Raum auszuscheiden, zu revitalisierende Gewässerabschnitte zu planen sowie zu definieren, was in diesen Abschnitten geschehen soll.

Der Überbegriff «Renaturierung» fasst verschiedene Massnahmen zusammen: Einerseits sind darunter bauliche Massnahmen zu verstehen, um die na­türlichen Funktionen eines verbauten oder korrigierten, oberirdischen Gewässers wieder herzustellen (Revitalisierung). Andererseits gehören dazu aber auch Massnahmen zur Sicherung der Fischgängigkeit, zur Aktivierung des Ge­schiebehaushalts, zur Regulierung der Was­serentnahmen (Restwasser) und des Schwall- und Sunkbetriebs bei Kraft­werken. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schätzt die Kosten für eine vollständige Bearbeitung des Revitalisierungsbe­darfs auf 14 Milliarden Franken. Eine komplette Revitalisierung aller beeinträchtigten Fliessgewässer ist jedoch nicht nur aus Kostengründen unrealistisch. In Siedlungsgebieten beispielsweise ist es aufgrund der städtebaulichen Entwicklung gar nicht mehr möglich, dem Gewässer den nötigen Raum zurückzugeben.

Der Mehrwert

Aber lohnt es sich denn auch, so viel Geld auszugeben? Was ist der Mehrwert eines naturnahen Wasserlaufs? Fragt man bei der Bevölkerung nach, ist einer der wichtigen Gründe für eine Renaturierung die Erholung. Gerade durch die zunehmende Verstädterung wächst das Bedürfnis nach Ausgleich und Raum für verschiedenste Freizeitaktivitäten. Fliessgewässer sind wichtige Elemente einer attraktiven Landschaft und gehören zum Bild der Schweiz. Eine Umfrage zeigt, dass die befragten Personen bereit wären, pro erwachsene Person und Jahr während zehn Jahren zwischen 21 und 167 Franken für einen renaturierten Gewässerabschnitt zu bezahlen, jedoch nur, wenn auch der direkte Zugang zum Wasser gewährleistet wird (Arnold et al., Mehrwert naturnaher Wasserläufe, 2009). In Siedlungsnähe kann eine naturnahe Gestaltung eines Gewässers folglich zu einem wirtschaftlichen Standortfaktor für eine Gemeinde oder Region in Bezug auf die Naherholung werden.

Der Nutzen für die Natur ist unbestritten. Häufig sind es ja gerade naturschützerische Anliegen, welche am Anfang einer Revitalisierung stehen. Dabei stehen nicht einzelne Arten wie Eisvogel oder Bachforelle im Fokus, sondern Ziel ist, den Zustand und die Funktionsfähigkeit eines ganzen Ökosystems zu verbessern. Denn ein funktionierendes Gewässer-Ökosystem dient uns nicht nur als Nah­erholungsgebiet oder als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, sondern, wie bereits zu Beginn erwähnt, schafft es auch Puffer gegen Überschwemmungen, vermindert Bodenerosion oder -absackung und das Grundwasser – unsere wichtigste Trinkwasserressource – wird gesichert. Es gibt weitere Funktionen von der Erhaltung der genetischen Ressourcen (Fischerei, Holz) über die Selbstreinigungskapazität der Gewässer bis zum Heimatgefühl, die unserer Gesundheit und Sicherheit dienen oder gar Produktionsfaktoren sind.

Schwierige Bewertung

Doch welchen Gewinn oder Nutzen hat nun ein Unternehmen durch die Renaturierung der Fliessgewässer, sofern es sich nicht um den für die Pflege verantwort­lichen Landschaftsgärtner oder einen Natursportanbieter handelt, der direkt einen Vorteil aus der neu gestalteten Flusslandschaft ziehen kann? Die Ausgangslage ist vergleichbar mit der Luftqualität oder dem Lärm. Eine zuverlässige Quantifizierung des Nutzens oder der Kosten, welche aus einem Mangel oder eines Rückgangs der von einem renaturierten Flusssystem zur Verfügung gestellten Ökosystemleistungen resultieren würden, existiert nicht. Zwar wurde schon mehrfach versucht, ökonomische Bewertungen von Lebensräumen, von Massnahmen oder gar von einzelnen Tier- oder Pflanzenarten zu machen, sie blieben jedoch immer lückenhaft und umstritten.

Es braucht neue Herangehensweisen: Natürliche Ressourcen sind als ökonomisches Kapital zu betrachten, unabhängig davon, ob sie auf den Markt gelangen oder nicht. Auch wenn unsere herkömmlichen Messgrössen wie das Bruttoin­landprodukt (BIP) für deren Erfassung ungeeignet sind und neue Methoden entwickelt werden müssten. Jeder Betrieb verbraucht natürliche Ressourcen, zum Beispiel Wasser, Papier, und profitiert von Ökosystemleistungen wie sauberer Luft und naturnahen Landschaften, in welcher die Mitarbeitenden sich regenerieren können. Doch genügt diese Tatsache, um Biodiversitätsaspekte in den Geschäftsgang einzubeziehen?

Umweltfragen integrieren

Kaum. Es bedarf eines bewussten Entscheids der Leitung, die Aspekte Ökosystemleistungen und Biodiversität ebenso ins unternehmerische Management zu integrieren wie Energiefragen. Dabei werden die verschiedenen Tätigkeitsfelder eines Unternehmens von der Strategie über das Personalwesen bis hin zur Produktion betrachtet, um bestehende Massnahmen zu optimieren oder neue zu entwickeln. Die gesamte Führung eines Unternehmens kann durch die Einrichtung eines Umweltmanagementsystems verbessert werden. Es geht darum, aufzuzeigen, dass Umweltfragen in Prozessen und Strukturen verankert sind und kontinuierlich verbessert werden sollen. Sofern nicht das ganze Managementsystem angepasst werden soll, können auch Teilaspekte untersucht werden.

Zum Beispiel können Ökosystemleistungen in den Wertschöpfungsketten der Produkte berücksichtigt werden. In einem neu zu entwickelnden erweiterten Rechnungswesen können Prinzipien «no net loss» (Vermeidung eines Nettoverlustes) oder «net positive impact» (Nettozunahme) von Ökosystemdienstleistungen als Standard integriert werden. Die Initiative TEEB – The Economics of Ecosystems and Biodiversity schlägt aufgrund einer Studie vor, dass eine Anwendung mittels robuster, biodiversitätsbezogener Benchmarks erfolgen sollte, durch Kontrollprozesse zur Schadensverhinderung und durch Umweltinvestitionen als Ausgleichsmassnahmen, wo Schaden nicht verhindert werden kann.

Durch eine Ökobilanz wird der gesamte Kreislauf von der Beschaffung bis hin zum Abfallprodukt dargestellt, in welchem sich zahlreiche Möglichkeiten zur Optimierung der Umweltbilanz des Unternehmens entdecken lassen. Ein realistischer Ansatzpunkt ist, dass sich ein Unternehmen entscheidet, den Aufpreis für Ökostrom mit einem Label zu bezahlen, der die Einhaltung zusätzlicher strenger und umfassender ökologischer Auflagen garantiert.

An Reputation gewinnen

Das Unternehmen gewinnt durch sein verantwortungsvolles und langfristig angelegtes Handeln an Reputation. So geht es bei der Corporate Responsibility nicht direkt ums Kerngeschäft, sondern um die unternehmerische Verantwortung, um gesellschaftliches Engagement. Eine beliebte Massnahme sind auch Freiwilli­geneinsätze mit Mitarbeitenden, zum Beispiel zur Neophytenbekämpfung auf einem Gewässerabschnitt. Das Unternehmen kann sich durch solche Aktionen gegen aussen positionieren, seine Unternehmensphilosophie kommunizieren und das Ansehen stärken. Eine weitere, rasch und relativ einfach umzusetzende Massnahme ist auch die naturnahe Gestaltung des Firmenareals. In der Schweiz hat sich dies dank der Stiftung Natur und Wirtschaft bereits etabliert. So kann zum Beispiel ein Bach ausgedolt und neu gestaltet werden.

Idealerweise ergibt sich aus Analyse und Optimierung der Abläufe ein besseres Verständnis der unternehmerischen Ri-siken und Möglichkeiten, langfristig Einsparungen zu machen, an Effizienz zu gewinnen und durch den Imagegewinn besser auf dem Markt positioniert zu sein. Die Einhaltung von Richtlinien und freiwilligen Initiativen kann dargelegt werden. Auf kurze Sicht handelt es sich aber klar um eine Investition ohne unmittelbaren Cashback.

Die Umweltprobleme, die sich uns stellen, haben wir durch Konzentration auf Kurzfristigkeit, Fehlanreize, Interessenkonflikte und die Unterschätzung der systemischen Risiken mitverursacht. Ein Trendwechsel ist aber im Gang: Kredit­institute und (Rück-)Versicherer haben infolge Katastrophen (Prestige 2003, Deepwater Horizon 2010, Sandy 2012) erkannt, dass Umweltrisiken und daraus resultierende, politische Reformen ein nicht zu vernachlässigender Faktor sind. Das nachhaltige, vorausschauende Unternehmen wartet nicht, bis die nächste Katastrophe eintritt, sondern sorgt vor. Es gilt anzustreben, dass unsere «Entwicklung den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.» (Brundtland Bericht, 1987). Es braucht die Überzeugung, dass eine stabile Umwelt uns allen dient und wir auch alle dafür verantwortlich sind.

Porträt