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Internationalisierung

Was von China noch zu erwarten ist

Die neue Regierung Chinas hat weitreichende Reformen angekündigt, um China sowohl als Gesellschaft als auch als Nation voranzubringen. Gleichzeitig gilt die wirtschaftliche Verlangsamung im «Reich der Mitte» als grösstes Risiko auch für das globale Wachstum. Dieser Beitrag beleuchtet Hintergründe und Herausforderungen.
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Trotz der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, über das viel berichtet wurde, ist China für geschätzte 50 Prozent des weltweiten Wachstums verantwortlich. Zieht man die ökonomische Ungewissheit in Europa in Betracht, angefeuert vom Brexit und der generellen Schwächung der Europäischen Union, sowie die Instabilität, die aus Konflikten im Mittleren Osten resultiert, und die noch nie dagewesene Unvorhersehbarkeit der neuen US-Regierung, so kommt man zum Schluss, dass eine ökonomische Bruchlandung Chinas der Beginn einer globalen Krise sein könnte. Das Verständnis, was wir von China in den kommenden Jahren erwarten können, wird umso wichtiger, wenn wir evaluieren wollen, wie sich unsere Volkswirtschaften und Unternehmen entwickeln können.

Chinas Einfluss auf die Welt

Die neue Regierung Chinas hat weitreichende Reformen angekündigt, um China sowohl als Gesellschaft als auch als Nation voranzubringen. McKinsey hat eine wirtschaftliche Verlangsamung in China als grösstes Risiko für das globale Wachstum eingestuft. Die meisten von uns sind sich nicht bewusst, wie stark sich der Erfolg oder Misserfolg von Chinas Reformprogramm auf die Welt von morgen auswirken wird.

Seit der Ära von Deng Xiaoping ist das vorrangige Ziel der kommunistischen Partei, China wirtschaftlich zu entwickeln. Einerseits für das Wohlergehen der Bevölkerung, andererseits, damit China stark genug wird, eine unabhängige Weltmacht zu sein. Aus chinesischer Sicht ist das nur normal: Im Zuge seiner 2000-jährigen Geschichte als zusammenhängendes Reich war China sowohl unabhängig als auch ein wichtiger, wenn nicht sogar dominanter Faktor in der Welt. In den vergangenen 30 Jahren erreichte China nun wieder eine herausragende Position – zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht.

Während Chinas dynamisches Wachstum noch vor wenigen Jahren als gefährliche Konkurrenz gleichermassen für führende Volkswirtschaften und Entwicklungsländer gesehen wurde, befürchten wir heute, dass ein Niesen Chinas der ganzen Welt eine Grippe bescheren könnte. Ganz egal, aus welcher Perspektive wir auf das Thema blicken – es ist eine Gewissheit, dass Chinas Entwicklung ein unvermeidlicher Faktor für unser wirtschaftliches Wohlergehen geworden ist.

Kürzlich kam jedoch viel Unsicherheit über Chinas wirtschaftliche Gesundheit auf. Dazu beigetragen haben ein Börsenkrach und Abwertungen im Jahr 2015, ein anhaltender und ungezügelter Anstieg von Gemeinschulden, die die Immobilienblase befeuern, sich aufblähende Non-Performing-Loans, abgeschwächtes Wachstum sowie die Kapitalflucht.

Undurchsichtiges Innenleben

Gleichzeitig haben das Vorgehen mit harter Hand im südchinesischen Meer, die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und die Ausweitung der Zensur und Internetkontrolle das internationale Vertrauen beschädigt. Diese Trends verleihen nicht gerade den Eindruck, Chinas Führung würde freiere und fairere Bedingungen für den privaten Sektor schaffen, der ja die staatlichen Investitionen als neuer Wachstumsmotor Chinas ablösen soll.

Bis heute führen das undurchsichtige Innenleben Chinas und zahlreiche Missverständnisse bezüglich der politischen Absichten zu meistens ungenauen Prognosen von ausländischen Ökonomen. Vor allem jene, die einen unausweichlichen wirtschaftlichen Kollaps ankündigen.

Chinas von oben gesteuertes Top-down-System, das nicht auf das allgemeine Wahlrecht setzt, ist für viele Kommentatoren die besorgniserregendste Charakteristik. Gleichzeitig macht das das Land aber auch ziemlich vorhersehbar – jedenfalls weit mehr als grosse westliche Demokratien in jüngster Zeit.

Die politische Führung in Peking entwickelt mittel- und langfristige Pläne, die von einer grossen Anzahl von Experten und Beamten diskutiert, in weiterer Folge für einen breiteren Diskurs veröffentlicht und schliesslich umgesetzt werden. Die regelmässig beschlossenen Fünfjahrespläne sind am bekanntesten, aber sie stehen nicht alleine da: Sie werden üblicherweise von langfristigeren, zweckmässigen Plänen begleitet. Der Premierminister hat vergangenes Jahr einen Zehnjahresplan «Made in China 2025» vorgestellt, ein «Sci-Tech Innovation 2030 Megaprojects»-Plan ist in Ausarbeitung.

Innerhalb eines solchen Rahmenplans erhalten Staatsbedienstete aller Stufen Vorgaben, die auf das Gesamtziel ausgerichtet sind. Nach diesen Zielvorgaben werden die Beamten auch bewertet und bei Erfolg befördert. Multinationale Unternehmen agieren sehr ähnlich, um eine stabile Entwicklung sicherzustellen.

Grundsätzlich werden die Pläne umgesetzt und die formulierten Ziele erreicht. Natürlich heisst das aber nicht, dass nichts schiefgehen kann: So hatte beispielsweise der Fokus der vorangegangenen Regierung, BIP-Wachstum um fast jeden Preis zu generieren, sehr negative Effekte auf Chinas Umwelt, über die auch viel berichtet wurde.

Pragmatismus vor Ideologie

Neben diesem top-down gesteuerten und auf Ziele fokussierten Management des Landes ist ein zweites Element wichtig, um zu verstehen, wie China funktioniert: Die chinesische Führung betont und befürwortet Pragmatismus, nicht Ideologie. Das erscheint für uns sehr paradox, weil wir uns an die Überzeugung gewöhnt haben, dass für Kommunisten die Ideologie immer an erster Stelle kommt. So war China unter Mao tatsächlich so stark ideologisch ausgerichtet, dass die wirtschaftliche Realität teilweise einfach geleugnet wurde.

In der jüngeren Vergangenheit wird China aber – zumindest in ökonomischen und technologischen Aspekten – von einer der am meisten auf Fakten und Logik basierten Regierungen der Welt geleitet. Wissenschaftliche Beweise, zum Beispiel beim Klimawandel, werden nicht in Frage gestellt. Die Ideologie beeinflusst die Analyse von ökonomischen Fakten nicht. Deng Xiaopings Konzept «Aufgrund von Fakten nach der Wahrheit suchen» und sein berühmter Spruch «Wen kümmert die Farbe einer Katze, solange sie Mäuse fängt?» definieren bis heute die Herangehensweise der Regierung.

Die chinesische Führung verfügt also auch über all die Nachweise, um genau zu wissen, dass der momentane Ansturm auf kredit- sowie investmentbasiertes BIP-Wachstum in eine Sackgasse führt.

Schnelles Wachstum

Aus Angst vor sozialen Unruhen nach der Finanzkrise 2008 beschloss die Regierung von Wen Jiabao, dass China weiterhin schnell wachsen müsse – ganz egal, welche Ressourcen dafür nötig sein würden. Chinas Finanzhaushalt war sehr gesund, die Führung konnte es sich leisten, die Schulden zu erhöhen und den Aus­bau der Infrastruktur voranzutreiben. Bis zum Jahr 2008 ging der Anteil der Schulden am BIP tatsächlich zurück.

Der Ausbau der Infrastruktur ab 2008 war atemberaubend. In nur sieben Jahren wurden 40 000 Kilometer an Eisenbahnstrecken errichtet. Zum Vergleich: In den 60 Jahren seit der Gründung der Volksrepublik bis 2008 wurden insgesamt 68 000 Kilometer an Gleisen gebaut. In denselben sieben Jahren wurden 63 000 Kilometer Autobahnen errichtet, mehr als das gesamte Netzwerk, das in den 20 Jahren von 1988 bis 2008 gebaut worden war. Während diese Investitionen in die Infrastruktur für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sicherlich positiv sind, wird es mit der Zeit aber immer schwieriger, lohnenswerte Projekte zu definieren und umzusetzen.

Dazu kommt, dass Provinzvertreter immer wieder im Alleingang entschieden haben, die lokale Wirtschaft zu fördern. Unter dem Druck, Wachstumsziele zu erreichen, haben Lokalpolitiker grosse Projekte genehmigt, die einen signifikanten ökonomischen Einfluss hatten – aber auf Staatsebene wenig Sinn machten.

Ohne Nachhaltigkeit

Das bemerkenswerteste Beispiel dafür sind die 210 Kohlekraftwerke, die 2015 auf lokaler Ebene abgesegnet wurden, während im selben Jahr der Kohleverbrauch in China erstmals sank. Daraufhin wurden 103 dieser Projekte – viele davon bereits im Bau – von der Regierung in Peking gestoppt. Es werden tatsächlich kaum neue Kohlekraftwerke benötigt werden, weil erwartet wird, dass der steigende Bedarf an Elektrizität mehr und mehr von nicht fossilen Energieträgern gedeckt wird, um den CO2-Ausstoss zu verringern.

Vor demselben Hintergrund haben die von staatlicher Seite geführten Investitionen der vergangenen sieben Jahre eine erhebliche Überkapazität in den traditionellen Schwerindustrie-Sektoren wie Stahl, Zement und Kohlebergbau erzeugt. Ganze Industriezweige wurden dadurch unrentabel, weil die Unternehmen in einem überbelieferten Markt konkurrieren. In weiterer Folge wirken sich solche Überkapazitäten auch auf internationale Märkte aus und führen zu Unstimmigkeiten im Handel, weil diese Unternehmen verzweifelt nach weltweiten Absatzmärkten suchen.

Rasante Zunahme der Schulden

Es sind aber nicht nur die staatlichen Investitionen, die immer unwirksamer werden. Auch die zusätzlichen Schulden, die benötigt werden, um die Investitionen zu finanzieren, sind gefährlich sowie unhaltbar. Die chinesischen Staatsschulden wuchsen von 2007 bis 2014 jedes Jahr durchschnittlich um rund 20 Prozent des BIP – von 158 Prozent auf 282 Prozent des BIP.

Die Gesamtschulden sind zwar nicht untragbar – sie erreichen das Level von Südkorea –, aber die Geschwindigkeit der Zunahme der Schulden ist verblüffend. Nach allen Einschätzungen kann das momentane Modell noch drei bis fünf Jahre überleben, bis es eine nicht zu beherrschende Schuldenlast angehäuft hat. Es ist positiv für China, dass die Finanzierung der Schulden fast komplett im Inland geschieht (wie auch in Japan), im Grunde bereitgestellt durch die fast 30 Prozent des verfügbaren Einkommens, das die chinesischen Bürger auf deren Bankkonten sparen.

Dadurch befindet sich China nicht in derselben Position wie einige Entwicklungsländer, die für ihre Entwicklung auf internationale Kredite angewiesen sind. Dazu kommt, dass die ausländische Devisenkontrolle chinesische Bürger darin beschränkt, im Ausland zu investieren. Deswegen parkt die lokale Bevölkerung ihr Erspartes in den chinesischen Banken.

Dennoch, das Vertrauen der Kontoinhaber könnte Schaden nehmen und die Zinsleistung sowie die Notwendigkeit, ab einem bestimmten Punkt die Gesamtschulden zu reduzieren, können die Profitabilität von Unternehmen schädigen und die Verfügbarkeit von Geldmitteln für weitere Investitionen einschränken.

Private Investitionen nötig

Deswegen ist es offensichtlich, dass China sein «Geschäftsmodell» ändern muss, um das Wachstum aufrechtzuerhalten. Die Lösung des Problems ist an sich nicht schwierig: Die Bevölkerung sollte weniger sparen und dafür aktiver an der Wirtschaft partizipieren, entweder durch den Konsum oder durch die direkte Investition in existierende oder neue Unternehmen.

Das würde dazu führen, dass die Ausgaben zwar gleich bleiben, aber nicht auf immer neuen Schulden basieren, sondern von der Bevölkerung direkt gestemmt werden. Dazu kommt, dass der private Sektor bedeutend effizienter agiert und eine bessere Kapitalrendite aufweist als der staatliche Sektor. Die Forcierung von privaten Investitionen wird sicherstellen, dass die Investments effizienter und das Wachstum nachhaltiger sind.

Das Reformpaket

Um die notwendigen wirtschaftlichen Veränderungen in Gang zu bringen, wurde seit 2013 ein weitreichendes Reformpaket verabschiedet. Mit dem Ziel, den privaten Konsum anzukurbeln, wurde die Sozialversicherung ausgeweitet. Bis 2020 soll der Bevölkerung ein umfassendes soziales Netz geboten werden, inklusive einer allgemeinen Gesundheitsvorsorge für alle. Bemerkenswerte staatliche Anreize für Firmengründer sollen den privaten Sektor weiter stärken.

Denjenigen, welche über fertige, einsetzbare Technologien verfügen, bietet die Regierung Zuschüsse von bis zu fünf Millionen RMB (750 000 USD). «Innovation» sowie das «massenhafte Unternehmertum» sind die neuen Schlagworte der chinesischen Wirtschaftspolitik. Die Reformpakete, die das Unternehmertum fördern sollen, beinhalten die Weiterentwicklung der Rechtsstaatlichkeit, den Bürokratieabbau sowie die Beschleunigung der Zulassungsverfahren. Laut den Berichten wurden hunderte Schritte von Genehmigungsprozessen und in der Verwaltung abgeschafft.

Während wir immerhin einen kleinen Fortschritt beim Tempo der Firmengründungen sehen, stellen die neuen Bestimmungen aber sicher noch keine grundlegende Veränderung im Geschäftsalltag dar. In Wirklichkeit wurden zwar einige Forma­litäten abgeschafft, aber die verbleibenden Schritte nehmen jetzt oft mehr Zeit in Anspruch. Nicht selten wird der tatsächliche Geschäftsalltag dadurch schwieriger und langsamer, ganz im Gegensatz zu den Intentionen der Reformen.

Mangelhafte Umsetzung

Auch das ist neu in Chinas jüngster Geschichte: Bis jetzt, verallgemeinernd gesagt, wurden wichtige Reformen fast umgehend auch gespürt. Deswegen haben einige Kommentatoren hinterfragt, ob die aktuellen Reformen von der Regierung und dem Präsidenten auch wirklich aufrichtig gemeint sind und umgesetzt werden. Die Macht, die der Präsident gefestigt hat, hat dazu geführt, dass von einer neuen Mao-ähnlichen Ära gesprochen wird, in der gross verkündete ökonomische Reformen nicht umgesetzt werden.

Das halte ich für unwahrscheinlich, vor allem aufgrund des Einflusses, den der Präsident in allen Aspekten der Regierungsarbeit genommen hat. Die Themen der wirtschaftlichen Entwicklung und der Reformen, die im aktuellen Fünfjahresplan (Nr. 13, veröffentlicht im Mai 2016) besprochen werden, wurden mit Gewissheit auch vom Präsidenten überwacht. Die Verzögerung, mit der der Plan veröffentlicht wurde, wird auch als Hinweis dafür gewertet, dass der Präsident sich persönlich mit einigen Details des Plans auseinandersetzen wollte.

Die mangelhafte Umsetzung der Reformen ist wohl vielmehr eine unerwartete Konsequenz aus der von der Regierung erwarteten strengen Disziplin, die im Zuge der Antikorruptionskampagne in den Mittelpunkt gestellt wurde. Staatsbedienstete wollen Fehler vermeiden und gehen auf Nummer sicher. Regulierungen werden schärfer ausgelegt als notwendig. Dazu kommt, dass einige Beamte sich wohl mit Absicht passiv verhalten und darauf hoffen, dass sie im Falle einer Abkühlung der Wirtschaft und steigender Unzufriedenheit in der Bevölkerung wieder freiere Hand haben.

Machtkampf

In anderen Worten: Es spricht vieles dafür, dass sich zurzeit ein Machtkampf zwischen der Zentralregierung in Peking und der Verwaltung abspielt. In Wahrheit verlieren nämlich Staatsbedienstete am meisten durch die aktuellen Reformen: So wurden in einem Staatsbetrieb in Peking die Gehälter um 30 Prozent gekürzt, wie wir in Erfahrung gebracht haben. Die Anti-Korruptions-Kampagne hat dazu geführt, dass zusätzliche – schwarze – Einnahmequellen versiegen. Und – vielleicht am wichtigsten – beim Versuch, die Verwaltung zu professionalisieren, wird der Status und Einfluss der Offiziellen nach und nach reduziert.

Geschäftsleute in China spüren diese Spannungen zwar nicht direkt, aber die Friktionen nehmen unter der Oberfläche weiter zu. Dies vor allem im Hinblick auf die innerparteilichen Wahlen im Oktober dieses Jahres, wenn das neue Po­litbüro ausgewählt wird – der höchste Machtzirkel Chinas. Ob sich dieser Macht­kampf dann zuspitzt und welche Konsequenzen das hätte, lässt sich noch schwer abschätzen.

Neue Spielregeln

Seit der neue Präsident zusammen mit dem neuen Parteisekretär im Frühling 2013 die Macht übernommen hat, hat sich vieles geändert. Xi Jinping hat die Machtkonzentration erstaunlich rasch vorangetrieben, wahrscheinlich sogar zum Erstaunen der ehemaligen politischen Eliten, die ihn in diese Machtposition brachten. Das scheint eine Abkehr von der Dentg-Xiaoping-Ära zu sein, während der die kollektive Führung zur Norm wurde; der politische Kompromiss führte dazu, dass Hu Jintaos Politbüro von sieben auf neun Mitglieder ausgeweitet wurde, um die verschiedenen Fraktionen innerhalb der Partei zu repräsentieren.

Viele – vor allem in intellektuellen Kreisen – glauben, dass die Anti-Korruptions-Kampagne eigentlich dazu dient, politische Gegner auszuschalten. Für sie und viele internationale Beobachter machen seine Machtfülle, die nationalistische Politik und der Hauch eines neuen Persönlichkeitskults Xi Jinping zu einem quasi- oder neo-maoistischen Präsidenten. Im Zuge der Konsolidierung seiner Macht hat der Präsident in erster Linie seine Kontrolle über das Militär sichergestellt – die ultimative Garantie politischer Macht, wenn es hart auf hart kommt. Als direkte Konsequenz darauf wurden die zwei einflussreichsten Offiziellen, die Vize-Vorsitzenden der Militärkommission, abgesetzt. Die Reduzierung der Truppenstärke um 300 000 erlaubt es, eine neue, loyale Führung einzusetzen.

Um die Unterstützung des Militärs sicherzustellen, wurden sicherlich einige nationalistische Positionen forciert – zum Beispiel die harte Hand im südchinesischen Meer. Dazu gilt in China, wo sich die Menschen vor allem auf die Verbesserung der materiellen Konditionen fokussieren, das Spiel mit dem Nationalismus als Möglichkeit, die Unterstützung der Bevölkerung auch in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs oder einer ausgewachsenen Krise sicherzustellen.

Der chinesische Präsident

Die Meinungen gehen auseinander: Ist der Präsident von Natur aus nationalistisch oder diktatorisch? Verfolgt er Ziele, weil er davon überzeugt ist, dass sie am besten für das Land sind? Oder ist er ein Populist, der seine Macht und die Macht seiner Verbündeten sichern will, unter dem Vorwand, die Korruption zu bekämpfen? Eine Antwort, die der Realität nahekommt, ist wohl nicht so einfach, wie man es sich wünschen würde. Wahrscheinlich muss die Antwort Elemente beider Theorien enthalten. Internationale Beobachter glauben durchwegs nicht an die guten Absichten des chinesischen Präsidenten.

Aber während viele wohlhabende Chinesen der Regierung recht zynisch gegenüberstehen, ist die Mehrheit der Bevölkerung überzeugt und unterstützt den Präsidenten. Seine Zustimmungsrate wird allgemeinhin mit 70 bis 80 Prozent angenommen. Bedenkt man das Ausmass und die Komplexität des Landes, muss man in aller Fairness fragen: Wie kann eine politische Führung einen solchen umfassenden Wandel erfolgreich umsetzen, ohne dabei die Macht zu konzentrieren? Einen solchen Umschwung in Zeiten der ökonomischen Abkühlung zu schaffen, all das mit einem Zeithorizont von wenigen Jahren und der Gewissheit, die eigene Verwaltung zu verärgern, ist eine abschreckende Herausforderung.

Ausblick

Zu einem grossen Teil glaube ich an die ehrlichen Absichten der Regierung. Die wirtschaftlichen Verbesserungen sowie die Anti-Korruptions-Aktivitäten sind authentisch, und der Präsident steht hinter den Reformen. Die kritische Frage ist, ob die momentane Führung den politischen Kampf, der sich derzeit abspielt, übersteht. Im Oktober sollte das Resultat sichtbar sein. Es deutet vieles darauf hin, dass sich der Präsident durchsetzen wird. Dadurch, vorausgesetzt, dass es zu keinem Handelskrieg mit den USA kommt, wird China den Wandel hin zu einer Wirtschaft schaffen, die vom privaten Sektor angeführt und von Marktkräften angetrieben wird. Das würde sowohl für lokale als auch für ausländische Unternehmen zahlreiche neue Chancen mit sich bringen.

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