Es gibt derzeit viele offene Fragen, wenn es um Katalonien geht, sowohl als politisches Gebilde wie auch als Wirtschaftsstandort. Aus diesem Grund haben in den ersten drei Oktoberwochen über 1300 Unternehmen ihren Firmensitz in andere Städte beziehungsweise Regionen verlegt, so auch die Zürich Versicherung, die von Barcelona nach Madrid umgezogen ist.
Operativ hingegen ändert sich jedoch weder für die Kunden noch die meisten Mitarbeiter kaum etwas. Entsprechend schwierig ist es, die realen Auswirkungen dieser Krise auf die katalanische und spanische Wirtschaft zu ermitteln, nicht zuletzt, weil die meisten Informationen politisch gefärbt und daher mit Vorsicht zu deuten sind.
Katalonien wird oft als Wirtschaftsmotor Spaniens bezeichnet, doch die fünftgrösste Volkswirtschaft Europas besteht aus weiteren sechzehn sogenannten «autonomen Regionen» (= Kantone respektive Bundesländer), die auch zum gesamtnationalen Bruttoinlandprodukt beitragen. Dabei ist nicht nur an die Hauptstadt Madrid zu denken, in deren Ballungsraum 6,3 Millionen Menschen leben, sondern etwa auch an die Balearen, wo Rekordzahlen im Tourismus gemeldet werden, oder an das Baskenland als Industrie- und Technologie-Hochburg, deren Pro-Kopf-BIP rund zehn Prozent über jenem von Katalonien liegt.
Krise überwunden
Am 9. August dieses Jahres erklärte die EU-Kommission in einer Pressemitteilung, dass die schlimmste Rezession in der 60-jährigen Geschichte der Europäischen Union überwunden sei. Besonders hart traf es dabei eben Spanien, wobei es hierfür gleich mehrere Gründe gegeben hat: Einerseits hatten Bauboom und Immobilienspekulation für eine viel zu heiss laufende Konjunktur gesorgt, die früher oder später platzen musste. Andererseits zählte man Ende der 2000er-Jahre unzählige, regionale Sparkassen, die von Politikern und, im Falle der «Cajasur» in Andalusien, von der Kirche geführt wurden – nicht immer nach rein ökonomisch-unternehmerischen Kriterien.
Fehlte für Projekte auf lokaler und regionaler Ebene das Geld, so bediente man sich in der jeweiligen Sparkasse. Und es waren auch diese «cajas de ahorros», die Hypotheken wie warme Weggli vergaben, mit einem Finanzierungsgrad von bis zu 95 Prozent. So kam es, wie es kommen musste, und das Kartenhaus brach in sich zusammen: Die Menschen verloren ihren Job, konnten ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen, die Sparkassen kamen ins Trudeln.
Mit einem Negativwachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von minus 3,58 Prozent fiel Spanien 2009 in eine mehrjährige Rezession. Die Arbeitslosenquote stieg auf über 25 Prozent, bei den Jugendlichen war sogar jeder Zweite ohne Stelle! Als Reaktion auf die Rezession wurde nicht nur bei den Gemeinden, den «Comunidades Autónomas» und der Zentralregierung der Rotstift angesetzt, sondern auch Arbeitsgesetze geändert und die Mehrwertsteuer um drei Punkte auf 21 Prozent erhöht. Zudem wurden nach den Stresstests 2009 und 2010 zahlreiche Sparkassen fusioniert und/oder an solide Banken verkauft.
Doch die Zeiten, in denen das Wort «crisis» allgegenwärtig gewesen ist, sind definitiv vorbei. 2014 kam Spanien mit einem Jahreswachstum von plus 1,36 Prozent wieder aus dem Loch, seither steigt das Bruttoinlandprodukt um jährlich etwas über drei Prozent. Wie stark die Katalonienkrise die Wirtschaftszahlen der Nation beeinflussen wird, bleibt jedoch fraglich, zumal es ja zu keiner Landflucht im nationalen Sinne gekommen ist. Anstatt in Barcelona wird die Zürich Versicherung ihre Steuern nun in Madrid begleichen.