Gemäss der Staatsanwaltschaft in Zürich ist in den vergangenen Jahren eine deutliche Steigerung der Wirtschaftskriminalität festgestellt worden. Was sind Hauptursachen dieser Entwicklung?
Ein Grund für den beobachteten Anstieg liegt sicher darin, dass in den letzten Jahren das Bewusstsein für das Thema Wirtschaftskriminalität deutlich gestiegen ist. Gewisse Tatbestände, die heute als wirtschaftskriminell eingestuft werden, waren bis vor einigen Jahren noch gar nicht als solche deklariert. Denken sie zum Beispiel an Auslandskorruption. Diese war bis vor 15 Jahren in der Schweiz nicht strafbewehrt. Kaum jemand hat sich daran gestört und Bestechung galt vielfach sogar als notwendig, wenn man in bestimmten Ländern Geschäfte machen wollte. Dies zeigt sich auch in anderen Bereichen. Dass beispielsweise Banken ausländischen Personen bei der Steuerhinterziehung helfen, galt offensichtlich bis vor wenigen Jahren auch als akzeptables Geschäftsgebaren. So gibt es unterschiedliche Delikte oder Handlungsweisen, die heute als inakzeptabel gelten, die aber vor ein paar Jahren noch durchaus üblich waren. Dies sind Beispiele, bei denen man sagen könnte, das Thema ist stärker in den Fokus gerückt, man beschäftigt sich stärker damit und dadurch werden die Fallzahlen erst mal höher. Das muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass sich die Leute heute schlechter verhalten als früher. Die Taten gelten aber heute als kriminell und werden strafrechtlich verfolgt.
Also alles halb so schlimm, oder gibt es weitere Gründe?
Ein weiterer Grund, für den es durchaus Indizien gibt, ist, dass in Krisenzeiten umgangssprachlich gesagt, «die Luft dünner wird». Also durch eine Verschärfung des wirtschaftlichen Umfeldes der Wettbewerbsdruck höher wird. Dadurch können sich einige Personen verleitet sehen, mal «Fünfe grad sein zu lassen», damit sie ein Geschäft doch noch machen, auch wenn das nur mithilfe unlauterer Mittel möglich ist. Ein Grund kann auch in den Anreizsystemen gesehen werden, die viele Unternehmen in den letzten Jahren eingeführt haben. Hierzu zählen beispielsweise stark leistungsorientierte Vergütungs- und Bonussysteme. Um die ambitionierten Zielvorgaben zu erfüllen und damit den Bonus zu erhalten, können sich einige Personen dazu verleiten lassen, dies auch mit unlauteren Handlungen zu tun. Der erste Interpretationsansatz geht eher davon aus, dass eine stärkere Sensibilisierung stattgefunden hat und so mehr Fälle entdeckt werden, demgegenüber sprechen die beiden letztgenannten Ansätze eher dafür, dass es wirklich zu mehr wirtschaftskriminellen Handlungen kommt.
Wie erklären Sie sich diesen Bewusstseinswechsel?
Ein Grund dafür ist die Wirtschaftskrise ab 2008. Durch diese sind Verhaltensweisen stärker in den Fokus getreten, die bis dahin als akzeptabel galten oder geduldet wurden. Daraufhin hat eine Verschärfung der Wahrnehmung stattgefunden und heute gelten gewisse Verhaltensweisen als nicht mehr akzeptabel. Aber auch grosse Skandale wie Enron oder WorldCom sowie im Korruptionsbereich Siemens führen häufig zu einem Paradigmenwechsel. Das war schon in den 1970er-Jahren so, als der Fall Lockheed in den USA eine erste Welle von staatlichen Massnahmen im Bereich der Bekämpfung der Auslandskorruption auslöste.
Laut einer Studie von KPMG zur Wirtschaftskriminalität 2013 in Deutschland, Österreich und der Schweiz bewerten 81 Prozent der befragten Unternehmen ihre Präventionsmassnahmen als ausreichend und sehen für ihr Unternehmen nur ein geringes Risiko, von der Wirtschaftskriminalität betroffen zu sein. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass jedes zweite Grossunternehmen und auch jedes fünfte KMU in den letzten zwei Jahren von Wirtschaftskriminalität betroffen waren. Können Sie diesen Trend aus eigenen Untersuchungen bestätigen?
Wir haben 510 auslandsaktive Schweizer Unternehmen, überwiegend KMU, befragt, welche Massnahmen sie zur Korruptionsprävention einsetzen und wie sie die Wirksamkeit dieser Massnahmen bewerten. Dabei hat sich gezeigt, dass die Unternehmen die Wirksamkeit generell als sehr hoch einschätzen. Wir haben dann mithilfe von multivariaten statistischen Verfahren versucht, zu überprüfen, ob Unternehmen, die Präventionsmassnahmen einsetzen, weniger von Korruption betroffen oder weniger involviert sind. Wir haben also versucht, die Selbsteinschätzung der Unternehmen mithilfe eines objektiven Masses abzustützen. Zumindest mit den Daten, die uns vorliegen, ist uns dies jedoch nicht gelungen. Das heisst, auch hier finden wir etwas Widersprüchliches: Einerseits ist die Selbsteinschätzung bezüglich der Wirksamkeit der Präventionsmassnahmen sehr positiv, andererseits ist eine objektive Überprüfung, ob die Massnahmen tatsächlich auch wirksam sind, nicht gelungen. Die einzige Massnahme, bei der wir einen positiven Effekt feststellen konnten, ist der sogenannte «Tone from the Top», also dass sich die Unternehmensleitung ganz klar und deutlich gegen Korruption ausspricht.