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Weiterbildung

Mit praxisintegriertem Studium gegen den Fachkräftemangel

Fachkräfte auf die eigenen Bedürfnisse hin im Betrieb ausbilden und dies auf Tertiärstufe: Das praxisintegrierte Bachelor-Studium (Pibs) der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) beschreitet seit Herbst 2015 gemeinsam mit KMU sowie grossen Schweizer Unternehmen neue Wege bei der Ausbildung von Fachleuten. Eine Zwischenbilanz.
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«Es ist sehr schwierig, Spezialisten zu finden. Die Nachwuchsförderung im eigenen Betrieb ist für uns daher von zentraler Bedeutung.» Catherine Vicente ist HR-Verantwortliche bei der Basler IT-Dienstleisterin Innobit AG. Das Unternehmen mit gut 60 Mitarbeitenden setzt seit eineinhalb Jahren auf das praxisintegrierte Bachelorstudium – kurz Pibs. Es richtet sich an gymnasiale Maturanden, die Berufspraxis im Unternehmen mit einem Hochschulstudium kombinieren möchten. Dabei sind die Studierenden je etwa zur Hälfte beim Arbeitgeber und im Studium eingebunden. Mit dem Pibs erreicht die Innobit AG eine ideale Ergänzung für die von der Firma benötigten Informatikerprofile.

Neue Modelle sind gefragt

Bis 2022 wird es hierzulande an 87 000 IT-Fachkräften fehlen, davon rund 50 Prozent Hochschulabsolventen – das prognostiziert die ICT Berufsbildung Schweiz. Der Blick auf die demografische Entwicklung stimmt dabei nicht eben hoffnungsvoll. Zudem droht die Zuwanderungsinitiative, die Rekrutierung von Fachkräften aus dem nahen Ausland zu erschweren. Für Unternehmen ausserhalb der IT-Branche wird es besonders schwierig, geeignetes Personal zu finden.

Meist stehen sie laut Staufenbiels jährlicher Analyse der 100 beliebtesten Arbeitgeber nicht zuoberst auf der Wunschliste der technischen Hochschulabgänger. Informatiker und Ingenieure bevorzugen Technologie-Schwergewichte wie Google, ABB oder Siemens. Wollen die Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten, müssen sie neue Strategien entwickeln, um an die notwendigen Fachleute heranzukommen.

Die Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) hat das Studienmodell Pibs federführend zusammen mit mehreren Arbeitgebern in der Schweiz, insbesondere der Schweizerischen Post und Swisscom, entwickelt. Es fokussiert auf die gezielte Verzahnung von Theorie und Praxis und spricht damit eine neue Zielgruppe an.

Viele Jugendliche mit Gymnasialmatura verspüren zwar den Wunsch, direkt ins Berufsleben einzusteigen, möchten aber gleichwohl nicht auf einen Hochschulabschluss verzichten. Als Teil des Massnahmenpakets gegen den Fachkräftemangel gab der Bundesrat 2015 grünes Licht für das praxisintegrierte Bachelorstudium in Informatik.

Dieses duale Modell bietet die Möglichkeit, IT-Fachexperten in Zusammenarbeit mit einer Fachhochschule intern und auf die eigenen Bedürfnisse hin auszubilden. Darin sieht die Innobit AG auch den entscheidenden Vorteil: «Wir können unternehmensspezifisches Fachwissen von Beginn an vermitteln und das Profil des studierenden Mitarbeiters wesentlich mitgestalten. Als Praxispartner haben wir ein Mitspracherecht beim Angebot der Wahlpflichtmodule und Vertiefungsrichtungen», erläutert Catherine Vicente die Vorteile. Gerade die Schwerpunkte «Data Science» und «IT-Sicherheit» sind sehr gefragt, heben sie sich doch stark von den klassischen Berufslehrprofilen ab.

Flexibilität entscheidend

Die Innobit AG kennt das duale Studium bereits von ihrer früheren mehrjährigen Zusammenarbeit mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Der Hauptgrund des Wechsels zur FFHS war laut Catherine Vicente die bessere Strukturierung von Ausbildungs- und Studienzeit und die Flexibilität der Einsatzmöglichkeiten. Zwar hätten sie mit der DHBW grundsätzlich sehr gute Erfahrungen gemacht, allerdings sei das Studium so organisiert, dass die Theorie- und Praxisphasen jeweils in Dreimonatsblöcken am Stück absolviert würden. Dies habe sich insbesondere bei Projekteinsätzen bei Kunden als Nachteil erwiesen.

«Das Pibs erlaubt ein fixes Arbeitspensum von 20 Stunden in der Woche. Damit können wir unsere Studenten besser in Projekte einbinden. Die Studierenden werden so für unsere Kunden von Beginn an zu geschätzten sowie zu verfügbaren Ansprechpartnern. Für uns als Unternehmen erleichtert diese Variante des Studienaufbaus zudem die interne Planung», ist Vicente überzeugt.

Die Flexibilität des Modells erlaubt eine fast freie Einteilung der Arbeits- und Studienzeit. Die Vorlesungen an der FFHS werden konzentriert an nur einem Wochentag durchgeführt. Da dem Student darüber hinaus noch mindestens ein Tag zum Selbststudium zur Verfügung steht, kann die Einteilung zwischen Selbststudium und Arbeitszeit individuell abgesprochen werden.

Wie ein «normaler» Mitarbeiter

Das Unternehmen wählt seine Pibs-Studierenden selbst. Die sonst bei einer Rekrutierung gültigen Selektionskriterien spiele also auch beim dualen Modell eine zentrale Rolle. Da es um eine Investition in die Zukunft geht, sollten sich Vorstellungen beider Seiten decken und die Studierenden zur Firmenkultur passen. «Da das Studienmodell noch ganz neu war, fiel die Resonanz auf unsere Ausschreibung hin zunächst gering aus. Nur wenige Bewerbungen sind eingetroffen», merkt die HR-Verantwortliche an.

Das Warten habe sich aber gelohnt. «Eines Tages hatten wir dann eine fantastische Bewerbung auf dem Tisch. Ein Vorstellungsgespräch und ein Schnuppertag später konnten wir nach allgemeiner Begeisterung eine Zusage für die Einstellung erteilen.»

Die Wahl fiel auf den 22-jährigen Jan Gysin. Nach seinem Maturabschluss war ihm schnell klar, dass er theoretisch Gelerntes sogleich praktisch anwenden möchte. Als er somit auf das Pibs aufmerksam wurde, wusste er sogleich, dass dies genau die Ausbildungsmöglichkeit war, die er suchte.

«Durch die Kombination von Studium und Arbeit sind die Wochen abwechslungsreich und spannend», erzählt Jan Gysin. «Nachdem zu Beginn meine Arbeitskollegen noch etwas unsicher waren, was sie mir bereits zutrauen können, wurden mir aber schnell verschiedene Aufgaben zugetragen und ich konnte bereits aktiv an Kundenprojekten mitarbeiten.»

Die Integration ins Team sei ihm sehr einfach gemacht worden. Die Teamkollegen seien offen auf ihn zugegangen, stellten viele Fragen zu seinem Studium. «Wenn ich Hilfe benötige, nehmen sie sich Zeit und wir besprechen mögliche Lösungen. Ich fühle mich wie ein «normaler» Mitarbeiter, der halt einfach meist nur zu einem 50-Prozent-Pensum arbeitet.

Sinnvoller Aufwand

Die Durchführung des Pibs im Unternehmen ist grundsätzlich unabhängig von der Struktur, der Grösse oder der Ausrichtung der Firma möglich. Unabdingbar sind hingegen eine kompetente fachliche und persönliche Betreuung der Studierenden und abwechslungsreiche Tätigkeiten. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und FFHS ist ein Kooperationsvertrag. Darin sind die wesentlichen Prinzipien verankert.

Praktisch umgesetzt wird die Zusammenarbeit und der Abgleich zwischen Praxis sowie Theorie durch regelmässige Absprachen zwischen Firmenvertreter und Hochschule. Sogenannte Transferarbeiten, die Bestandteil des Curriculums sind, ermöglichen der FFHS, die Tätigkeit und den Einsatz des Studierenden zu überprüfen. Sie bieten einen genauen Einblick in die Aufgaben, die der Studierende im Unternehmen übernimmt. In jedem Semester finden Evaluationen statt, um Verbesserungspotenzial zu eruieren.

Selbstverständlich bedarf eine engagierte Betreuung seitens des Unternehmens eines gewissen zeitlichen Aufwandes. Dieser lag für die Innobit AG im ersten Semester durchschnittlich zwischen zwei bis fünf Stunden pro Woche, was sich aber im Verlauf des Studiums reduzierte. Wie beim Recruiting und der Einarbeitung neuer Mitarbeiter werden auch beim praxisintegrierten Studium nicht die operativen Kostenstellen belastet.

Der Aufwand für das Pibs besteht primär aus Lohnkosten des Studierenden sowie der Betreuung und wird in der Regel den Human Resources beziehungsweise der Berufsbildung zugeordnet. Das Gehalt eines Pibs-Studierenden liegt im höheren Lehrlingsniveau, die Studiengebühren werden häufig ebenfalls vom Unternehmen übernommen. Der Vorteil gegenüber der Einstellung von extern ausgebildeten, neuen Mitarbeitern ist, dass nach Abschluss und bei Übernahme des Pibs-Absolventen keine weiteren versteckten Kosten wie die Einarbeitung in die zukünftige Arbeit auftreten. Die Abteilungen können somit 100 Prozent Leistung ernten.

Investitionen lohnen sich

Natürlich benötigt das duale Studium im Unternehmen Planungszeit, ein Konzept und Budget sowie Sorgfalt bei der Durchführung. Doch die Pluspunkte liegen klar auf der Hand: Ein Pibs-Absolvent mit über vier Jahren Praxiserfahrung, Know-how über das Unternehmen und dessen Kultur sowie Handlungs- und Fachkompetenz findet sich nicht so einfach auf dem Campus. Nach einer erfolgreichen Lancierung des neuartigen Studienmodells 2015 mit insgesamt sieben Praxispartnern – darunter namhafte Unternehmen wie Swisscom oder Post – startete im vergangenen Herbst der zweite Jahrgang.

Als Praxispartner dabei sind aktuell das Inselspital, das Bundesamt für Informatik, Hewlett Packard Enterprise, IBM, Schindler sowie die KMU Inware.ch, Net Access, Swiss Media Partners, Oriented.net und die Informatikdienste der FFHS. Insgesamt absolvieren 41 Studierende aus der ganzen Deutschschweiz das neuartige Informatikstudium an der FFHS sowie bei ihrem Praxispartner. Für die Innobit AG ist das Zwischenfazit eindeutig: «Unsere Erwartungen wurden zu 100 Prozent erfüllt. Da wir das Modell bereits aus Deutschland kannten, hatten wir von Anfang an keinerlei Bedenken. Wir sind sehr zufrieden.»

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