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Märkte I

Lateinamerika: eine Region mit attraktiven Geschäftsmöglichkeiten

Bisher stand Lateinamerika aus Sicht der Schweizer Exportindustrie stets im Schatten von Nordamerika. Doch die lateinamerikanischen Staaten, insbesondere Mexiko und Brasilien, gewinnen bei Schweizer Exporteuren zunehmend an Bedeutung. In diesen Ländern sind vor allem Know-how und gute Qualität aus der Schweiz gefragt. Mit einigen Staaten bestehen zudem Freihandelsabkommen, was ein Engagement in der Region begünstigt.
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Die Schweizer Ausfuhren nach Lateinamerika können sich gut sehen lassen. Im Jahr 2011 exportierten hiesige Unternehmen Waren im Wert von über 5,5 Mrd. CHF. Zum Vergleich: In die USA als zweitwichtigsten Absatzmarkt der Schweiz führten Schweizer Firmen im gleichen Zeitraum Güter im Wert von fast 20 Mrd. CHF aus.

Die Zahlen zum bilateralen Handel zwischen der Schweiz und den USA zeigen, dass es für Schweizer Unternehmen in den lateinamerikanischen Staaten sicherlich auch noch weiteres Absatzpotenzial gibt, zumal Lateinamerika verschiedene Branchen bietet, die vom Schweizer Know-how profitieren könnten. Beim Blick auf die Schweizer Direktinvestitionen in Lateinamerika wird ausserdem deutlich, dass diese Region doch wichtiger ist, als man vielleicht im ersten Moment annehmen würde.

Aktuell belaufen sich die Schweizer Direk­t­investitionen in Lateinamerika auf rund 140 Mrd. CHF, während es in den USA etwa 180 Mrd. CHF sind. Die Bedeutung Lateinamerikas dürfte in naher Zukunft also zunehmen. Es gibt in der «Neuen Welt» einige interessante Märkte, so etwa das aufstrebende Mexiko.

Mexiko ist mit einer Gesamtbevölkerung von rund 114 Millionen Menschen ein grosser Markt, der in vieler Hinsicht als Vorbild für andere lateinamerikanische Staaten gilt. Das Land ist politisch und wirtschaftlich stabil und weist ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von rund vier Prozent auf, obwohl die Sicherheitslage in einigen Landesteilen sowie die eher schwach ausgeprägte Rechtssicherheit gewissen Unternehmen Sorgen bereiten.

Mexiko stützt sich auf eine grosse Anzahl junger Arbeitskräfte und weist eine bedeutende Binnennachfrage aus. Das Land wird oft als «Werkstätte der Vereinigten Staaten» bezeichnet. Seit 2007 ist Mexiko denn auch der günstigste Standort für die Belieferung des US-Marktes, knapp vor Indien. Häufig fehlt es jedoch in verschiedenen Branchen an Know-how. Genau deshalb sollten Schweizer Firmen zum Zug kommen.

Das seit 2001 bestehende Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und der Schweiz stärkt zudem die Wirtschafts-und Handelsbezie­hungen und garantiert einen verbesserten Marktzugang. Mit fast 7 Mrd. CHF gehört die Schweiz bereits zu den grössten Ausland­investoren Mexi­kos.

Um die Bedeutung Mexikos zusätzlich zu unterstreichen, hat die Osec vor Kurzem ein sogenanntes «Commercial Office» in Mexico City eröffnet, das vor allem Schweizer und Liechtensteiner KMU beim Markteintritt in Mexiko unterstützen soll.

Für lateinamerikanisch orientierte Schweizer Firmen ist ferner der Umstand interessant, dass Mexiko wegen zahlreichen anderen Freihandelsabkommen mit Zentralamerika und den Andenstaaten wie Kolumbien, Peru und Chile als Handelsdrehscheibe für die Region des nördlichen Südamerikas dient. Ein Engagement in Mexiko ist aufgrund der 12 Freihandelsabkommen mit 44 Ländern, der Nähe zu den USA und des günstigen Produktionsstandortes sicherlich prüfenswert, wenn sich ein Schweizer Unternehmen ernsthaft mit einer Expansion nach Lateinamerika befasst.

MEM und Medtech im Fokus

Besonders attraktiv ist der mexikanische Markt für die Schweizer MEM-Branche. Analysten erwarten in den kommenden Jahren weitere Betriebsverlagerungen aus dem NAFTA-Raum sowie aus Asien und Europa nach Mexiko. Vor allem die mexikanische Automobilzuliefererindustrie durchläuft eine starke Expansionsphase. Nach Verlautbarungen von Grossinvestitionen seitens Honda und Mazda im Jahr 2011 folgten Anfang 2012 Nissan, Chrysler und Audi. Die Automobilzulieferindustrie wird jedoch nicht nur durch die inländische Produktion angetrieben. Die USA sind mit einem Exportanteil von fast 90 Prozent der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt für mexikanische Kraftfahrzeugteile. Nebst der Elektrotechnik ist das Land ein wichtiger Standort der Luftfahrtindustrie geworden. Aber auch die Medtech-Industrie in Mexiko profitiert von der Verlagerung von Produktionsstandorten – insbesondere vom weltweit grössten Medtech-Produzenten USA in das südliche Nachbarland. Der grösste Medtech-Cluster Mexikos liegt in Tijuana, unweit der amerikanischen Grenze, und hat seine Arbeitsplätze in den letzten sechs Jahren von 15 000 auf 31 000 mehr als verdoppelt. Der durch das Freihandelsabkommen bedingte Wegfall der Importzölle ermöglicht es Schweizer Lieferanten von Komponenten, im Vergleich zum amerikanischen Markt günstiger zu exportieren.

Aufgrund ihrer Grösse sollten neben Brasilien und Mexiko sicherlich auch die Andenstaaten Südamerikas näher betrachtet werden, also zum Beispiel Chile, Peru und Kolumbien. Sie wachsen derzeit mit 4,5 Prozent bis sechs Prozent, verfügen über gesicherte demokratische Strukturen und haben einen stark zunehmenden Mittelstand. Für unsere Exportwirtschaft wichtig: Die Schweiz hat mit diesen Märkten Freihandelsabkommen abgeschlossen (mit Peru und Kolumbien 2011, mit Chile bereits 2004). Ein wesentlicher Teil unserer industriellen Exporte wird damit von Zollhemmnissen befreit. Diese drei Märkte brauchen Technologien, in Chile und Peru vor allem in den Bereichen Bergbau, alternative Energien (inklusive Cleantech), Infrastruktur und Wasser; in Peru und Kolumbien in den Bereichen Cleantech, Hydroelektrizität, Agrartechnologie und Infrastruktur. Allein Kolumbien hat im Infrastrukturbereich Projekte von mehr als 20 Mrd. CHF ausgeschrieben. So ist vor allem der Bau von Häfen, Strassen und Schienennetze geplant.

Die Länder des Andengürtels verfügen über ähnliche topografische Verhältnisse wie die Schweiz; die Eisenbahnlinien und Strassen müssen über Schluchten und durch Tunnels geführt werden, und auf diesem Gebiet verfügt die Schweiz über ein eindrückliches Know-how – man denke z. B. an den Bau der NEAT. Dieses Know-how muss gebündelt in diese Märkte gebracht werden, denn dort wird es benötigt. Bei der Osec wurde bereits ein entsprechendes Projekt angestossen. Auch punkto Konsumgüter sind diese Märkte nicht uninteressant. Rasante Wachstumszahlen und eine schnell wachsende Mittelschicht treiben den Konsum an, zum Teil werden auch hochpreisige Produkte gekauft.

Das gilt übrigens auch für Brasilien: Dieser Markt mit rund 200 Millionen Einwohnern hat alleine in den letzten fünf Jahren rund 20 Millionen Bürger aus der Armen- in die Mittelschicht katapultiert. Pharma, Chemie, Präzisionsmaschinen und Spezialanlagen aus der Schweiz sind dort gefragt, ebenso Zulieferartikel für die stark wachsende Automobilindus­trie. Die Markteintrittshürden sind allerdings beachtlich, vor allem bei registrierungspflichtigen Produkten wie Medikamenten.

Geschäftsmöglichkeiten versprechen auch die anstehende Fussball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro im Jahr 2016. Da Brasilien über Defizite im Transport- und Infrastrukturbereich verfügt, bieten sich vor allem für Zulieferer, Engineering-Unternehmen und allgemein Firmen, die im Infrastrukturbereich und als Nischen-Player tätig sind, gute Chancen.

Eine Expansion ins Ausland will sorgfältig vorbereitet sein. Ein Unternehmen muss deshalb rechtzeitig analysieren, wie es zukünftig die Auslandstrategie umsetzt, welches Know-how es hat, auf welche Ressourcen es zählen kann und wie wettbewerbsfähig das eigene Produkt im Zielmarkt sein wird. Genügend Beachtung sollte man sicherlich auch den Gepflogenheiten bzw. der Kultur im Zielland schenken. In Lateinamerika muss beim Aufgleisen von Geschäften genügend Zeit eingerechnet werden. Die helvetische Geradlinigkeit und Zielorientierung deckt sich nicht immer mit den Eigenschaften, die man bei Geschäftspartnern in Lateinamerika antrifft. Oft gehört dort auch «Small Talk» zu einer Geschäftsanbahnung.

Bevor man zu konkreten Geschäftsplänen übergeht, spricht man nicht selten zuerst über alle möglichen anderen Dinge. Einfacher als etwa bei Geschäften in Asien gestaltet sich der Umstand, dass in Mittel- und Südamerika lateinische Sprachen gesprochen werden, vorwiegend Spanisch und Portugiesisch in Brasilien. Obwohl die jüngere Generation weit­gehend mit Englisch vertraut ist, ist bei der Kommunikation mit der «alten Garde», den Entscheidungsträgern, das Beherrschen der entsprechenden Sprachen ein Muss. Neben den sprachlichen Hürden gilt es auch, besonderes Augenmerk auf mögliche bestehende Netzwerke zu richten und diese zu nutzen. Bei einer Expansion nach Lateinamerika ist es ratsam, auf jeweilige Spezialisten mit entsprechendem Know-how zurückzugreifen, die einem beim Markteintritt richtig beraten.

Auch die Wahl des richtigen Geschäftspartners ist zentral. Dafür sollte man besser etwas mehr Zeit aufwenden als beispielsweise in Europa. Man sollte darauf achten, dass die Kooperation bei einem Partner ebenfalls von strategischer Bedeutung ist. Auch der potenzielle Partner sollte bei einer engeren Zusammenarbeit gefordert sein, Geld verdienen zu müssen. Denn er wird nur eine Partnerschaft eingehen und Investitionen tätigen, wenn er einen Nutzen sieht. Einen guten und verlässlichen Geschäftspartner an der Seite zu haben, der ähnliche Interessen wie das Schweizer Unternehmen verfolgt, dürfte sich längerfristig auszahlen.

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