Branchen & Märkte

GDI-Studie: European Food Trends Report

Konsumenten haben Sehnsucht nach Einfachheit und Echtheit

Die Welt verändert sich immer schneller, viele Prognosen des ersten European Food Trends Report sind nach nur zwei Jahren bereits Realität: Zunehmende Knappheiten, schlechter kontrollierbare Märkte sowie weniger sorglose Konsumenten fordern die Food-Branche heute heraus.
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Am gravierendsten aber ist der ebenfalls vorausgesagte und nun eingetretene Vertrauensverlust der Konsumenten gegenüber der Industrie – dies hat inzwischen auch der Consumer Value Monitor bestätigt, den das GDI unmittelbar vor diesem Report durchgeführt und publiziert hat. Dieser Vertrauensverlust ist die direkte Konsequenz der Entwicklungen in der Nahrungsindustrie: Die Wertschöpfungskette wird immer komplexer und undurchschaubarer, dasselbe passiert mit den Produkten. Ihr verlorenes Vertrauen kompensieren die Konsumenten mit Sehnsüchten – nach Einfachheit und Echtheit. Oder anders gesagt: Die Industrie bietet Science, die Menschen wollen Romance. Die beiden Pole scheinen sich gegenseitig abzustossen.

Der Unmut wächst

Die Frage, wie das Vertrauen der Konsumenten wieder zurückgewonnen werden kann, steht denn auch im Zentrum dieses zweiten Reports. Der Druck, sich «korrekt» zu verhalten, ist weiter gestiegen. Die Konsumenten sehnen sich nach dem «Echten» und fordern von den Anbietern genau das: Unverfälschtheit, Transparenz, Glaubwürdigkeit. Dabei machen die Konsumenten einen Wandel durch: Sie lernen gerade, Beschränkung nicht als lustfeindlich zu empfinden, sondern als Erleichterung. Und zwar nicht bloss aus Budgetgründen, sondern auch, weil sie Orientierung suchen. Halt geben ihnen auch die nur limitiert verfügbaren Produkte, die den wertekongruenten Kriterien wie «Bio», «lokal», «saisonal» und «von Hand gefertigt» entsprechen. Die Konsumenten sind insgesamt kritischer, ängstlicher und wählerischer geworden, weil sie heute sensibler sind für die Unterschiede zwischen Sein und Schein; weil die Gesundheit mehr und mehr zum zentralen Faktor wird; weil Information allzeit und umfassend zugänglich ist. Die fremdbestimmenden Zwänge der Situationen, denen sie sich ausgesetzt fühlen, ärgern sie. Wer kann, wird radikal. Wer nicht kann, verdrängt. So oder so: Der Unmut gegenüber jeglicher Blendung, gerade wenn es um die Nahrung geht, wächst.

Gunst der Stunde nutzen

Convenience hat Zukunft, selbst wenn das auf den ersten Blick überraschen mag. Wenn sich der Konsument fremdbestimmt fühlt – Arbeit, Reisen, Zeitnot – kommt ihm Convenience oft durchaus gelegen. Allerdings sehnt er sich danach, dass auch das Praktische und Schnelle «echt» und gesund sei. Diese Lücke gilt es zu schliessen. Das Potenzial hierfür ist riesig und noch immer nicht annähernd ausgeschöpft – weder von den Händlern noch von der Gastronomie. Auch hier zeigen Beispiele aus den USA und anderen Ländern, was möglich ist. Dabei nutzt gerade der Supermarkt die Gunst der Stunde und positioniert sich mit Nähe, Intimität, Unmittelbarkeit und Verantwortung als neue Generation des Ladens um die «Ecke». Wenn ausserdem die Erwartungen an praktische Esslösungen steigen, wird die Mobilmachung von «gutem» Essen ein zentrales Thema.

Vorausschauend handeln

Im Fall, dass Anbieter diese Bedürfnisse nicht ernst nehmen, werden sich an ihrer Stelle neue Konzepte etablieren. Konsumenten können sich dem angebotsgetriebenen Markt verweigern und sich autonom organisieren – eine wachsende Bewegung von Community Supported Agriculture (CSA, Vertragslandwirtschaft) zeugt vom Streben nach alternativen Lösungen. Im Klima umfassender Gesundheits-, Nachhaltigkeits- und Echtheitsforderungen – und nicht zuletzt auch wegen der fortschreitenden Fettleibigkeitsepidemie – sind auch weitere Regulierungen von politischer Seite zu erwarten. Einzelhändler und Gastronomen sind deshalb gut beraten, vorauszuschauen und ihr Angebot so auszurichten, dass es gesundes, massvolles, ethisches, nachhaltiges und lokales Essen fördert – mehr noch, als es heute teilweise schon der Fall ist. Der Konsument fordert nicht nur von sich selber, sondern auch von den Anbietern Konsequenz: Nur derjenige, der auf die «schlechten» Produkte verzichtet, sie aus dem Angebot streicht, kann diesen hohen Glaubwürdigkeitserwartungen noch gerecht werden. Auch ein darüber hinausgehendes Engagement wie Wissensvermittlung gilt es in Betracht zu ziehen.

Science und Romance

Masslosigkeit und Entfremdung – die zentralen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte – werden abgelöst von einem neuen Bewusstsein für Essen und Nahrung. Innovative neue Angebote müssen die weit auseinanderliegenden Bedürfnisse nach Ursprünglichkeit einerseits und nach Convenience anderseits vereinen, ohne dabei Abstriche bei der Echtheit zu machen. Wissenschaft und Technik, aber auch Wissensvermittlung und Vereinfachung spielen dabei eine wichtige Rolle. Sicher ist: Der Konsument wird erst zufrieden sein, wenn er guten Gewissens «Ja» sagen kann. Und damit er das kann, braucht es auf allen Stufen der Wertschöpfungskette Renovationen, wenn nicht sogar Revolutionen. Das Ziel sollte sein, Science und Romance zu verbinden – also jetzt in nachhaltige, lokale und partnerschaftlich organisierte Wertschöpfungssysteme zu investieren und die direkte Verbindung der Konsumenten zur Produktion wieder herzustellen.