Branchen & Märkte

Energiemarkt

KMU können erstmals frei ihren Stromproduzenten wählen

In der Schweiz kann heute ein KMU, das weniger als 100 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbraucht, nicht wählen, von wo es seinen Strom bezieht. Ein neuartiger, genossenschaftlicher Ansatz macht dies jetzt erstmals möglich: KMU erhalten die Gewissheit, dass sie ausschliesslich Strom aus dem selbst gewählten Schweizer Wasserkraftwerk erhalten.
PDF Kaufen

Zahlreiche kleine und mittelgrosse Unternehmen setzen heute schon auf Maschinen und Technologien, die es ihnen erlauben, Strom zu sparen und damit effizienter und nachhaltiger zu werden. Einige haben zudem ihren Wagenpark erneuert und setzen vermehrt auf Elektro-Fahrzeuge. Die Unternehmen tun dies natürlich einerseits um Kosten zu sparen, andererseits wollen sie damit einen Beitrag zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt leisten. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die bewusste Auswahl des Stromproduktes beim lokalen Stromlieferanten. Dabei nutzen die Unternehmen heute den sogenannten Label-Strom, also jene Stromprodukte, welche ganz oder teilweise auf erneuerbaren Energien basieren.

Doch damit haben sie keine Garantie, dass ihr Strom tatsächlich zu jeder Zeit mit Wasserkraft oder Solaranlagen produziert wird. Denn der Stromlieferant kauft diesen Strom häufig über Zertifikate auf Jahresbasis, was zur Folge hat, dass der gekaufte Label-Strom nicht jederzeit aus erneuerbaren Energien stammt und die Produktion nicht unbedingt einheimisch sein muss. Doch wie können KMU sicher sein, dass ihr Strombedarf tatsächlich nachhaltig und zum Verbrauchszeitpunkt in der Schweiz erzeugt wird?

Auf Wahlfreiheit setzen

Immer mehr Menschen ist es ein Bedürfnis, zu wissen, woher ihr Strom kommt und wer diesen produziert. Die Entwicklung ist vergleichbar mit derjenigen beim Essen. Die Konsumenten wollen wissen, ob die Tiere artgerecht gehalten werden oder das Gemüse Biostandards entspricht. Wer konsequent einen ökologischen Lebensstil verfolgt und beispielsweise ein Auto mit Elektroantrieb fährt, will beim Aufladen sicherlich keine Produktion von Kohle- oder Atomstrom verursachen.

Doch die noch nicht umgesetzte Liberalisierung des Strommarktes für Privathaushalte und KMU mit einem Verbrauch von weniger als 100 000 Kilowattstunden pro Jahr führt dazu, dass KMU ihren Stromanbieter und das Stromprodukt heute nicht frei wählen können. Sie sind sogenannte gefangene Kunden und damit jenen Energieversorgern ausgeliefert, die das Monopol in ihrer Region ausüben. Wenn hingegen ein Grosskunde mit seinem Energielieferanten nicht zufrieden ist, kann er sich ohne Umstände einem neuen zuwenden. Das schafft Wettbewerb und generiert günstige Preise. Privatkunden und KMU müssen wohl noch eine Weile darauf warten, bis sich ihnen ähnliche Möglichkeiten bieten.

Schliesslich ist die Situation auch für manche Wasserkraft-Stromproduzenten nicht befriedigend. Sie dürfen den Endkunden nicht direkt ihre Produkte anbieten oder ihnen eine Rechnung zuschicken. Besonders betroffen von diesen Umständen sind Firmen wie die FMV, Enalpin, Axpo, Alpiq oder Repower. Andere Produzenten hingegen profitieren von ihren zahlreichen Endkunden, denen sie ihren Strom direkt liefern dürfen, und können dadurch ihre Gestehungskosten weiterverrechnen. Ihnen geht es trotz angespannter Situation im Strommarkt immer noch prächtig.

Umweg zur freien Stromwahl

Da die vollständige Strommarktliberalisierung also noch eine Weile auf sich warten lässt, können KMU weiterhin Strom nicht am freien Markt einkaufen. Der neu entwickelte Ansatz der Genossenschaft E-Can Suisse bietet hingegen ab sofort die Möglichkeit, selber zu wählen, wo und wann ihr Strom produziert wird. Die Unternehmen beziehen ihren Strom zwar weiterhin vom lokalen Stromlieferanten, haben aber die Gewissheit, dass ihr Strombedarf in Echtzeit in einem von ihnen gewählten Wasserkraftwerk erzeugt und ins Netz eingespeist wird. So verdrängen sie die gleiche Menge Strom vom Markt, vornehmlich den Importstrom aus den Kohlekraftwerken.

Bei diesem Modell wird der aktuelle Strombedarf direkt beim Zeitpunkt des Verbrauchs auf 15 Minuten genau gemessen und im ausgewählten Kraftwerk produziert. Die Endkunden sichern sich darüber hinaus mit einer Vorauszahlung
für mehrere Jahre einen fixen Strompreis, der die vollen Produktions-, Vertriebs- und Verwaltungskosten der Wasserkraft widerspiegelt.

Einziger Wermutstropfen, die Abrechnung zwischen Kunde, E-Can Suisse und lokalem Stromlieferanten ist aufgrund des teilliberalisierten Strommarkts kompliziert. Das KMU reserviert seine Produktionskapazität mit einer Vorauszahlung. Das ausgewählte Wasserkraftwerk produziert den Strom und speist diesen verbrauchsgenau ins Netz ein. Die resultierenden Erträge werden dem KMU ausbezahlt. Je nach Strommarktpreis decken diese Auszahlungen die Energiekosten der Stromrechnung, welche der lokale Stromlieferant dem KMU in Rechnung gestellt hat.

Ökostrom für Raiffeisen

Mit dem Modell von E-Can Suisse haben Schweizer Unternehmen erstmals die Gewissheit, dass ihr Strombedarf zu 100 Prozent in der Schweiz, verbrauchsgenau und mit Wasserkraft erzeugt wird. Die Unternehmen, die einen umweltbewussten Weg gehen wollen, können so ihre Nachhaltigkeit noch konsequenter umsetzen. Aus diesem Grund hat sich die Raiffeisen Gruppe entschieden, einen Teil ihrer Gebäude komplett mit Schweizer Wasserstrom zu versorgen.

«Die Raiffeisen Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, ihre Emissionen deutlich zu reduzieren. Ein wichtiges Element hierbei ist der Bezug von erneuerbaren Energien aus der Schweiz. Schon heute nutzt Raiffeisen 100 Prozent des Stroms aus solchen Quellen», sagt Sebastian Tomczyk von Raiffeisen Schweiz. «Doch das Modell von E-Can Suisse geht noch einen wichtigen Schritt weiter: Heute haben wir nicht die absolute Gewissheit, dass unser Strom-
verbrauch tatsächlich in Echtzeit aus einer nachhaltigen Produktion stammt. E-Can Suisse bietet uns dafür eine Garantie. Deshalb unterstützen wir die Idee und werden über E-Can Suisse Strom produzieren lassen.»

Kaum höhere Kosten

Für viele Firmen sind die Stromkosten zwar keine hohe Budgetposition, dennoch stellt der Preis von Ökoprodukten immer noch eine Hürde dar. Zudem herrscht in der Politik und Gesellschaft die Meinung vor, dass Schweizer Wasserkraft nicht rentabel betrieben werden kann. Dabei muss mit Schweizer Wasserkraft hergestellter Strom nicht teurer sein als andere Energieprodukte. Ein Tarif­vergleich der Elcom, der unabhängigen staatlichen Regulierungsbehörde im Elektrizitätsbereich, für 2018 zeigt, dass rund 40 Prozent der Schweizer Haushalte und Unternehmen mit E-Can Suisse besser fahren würden, als wenn sie das an ihrem Standort jeweils günstigste Angebot wählen. So profitieren insbesondere Gewerbebetriebe im Mittelland, in Graubünden sowie in der Nordschweiz. Aber auch in der Zentralschweiz, in Zürich oder in der Ostschweiz liegt der Strompreis von E-Can Suisse teils nur unwesentlich über demjenigen der lokalen Anbieter für deren günstigstes Produkt.