Branchen & Märkte

Internationalisierung II

Indien – auf dem Weg zum wirtschaftlichen Riesen

Indien ist der viertwichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien. 400 Schweizer Industrieunternehmen haben auf dem Subkontinent bereits Fuss gefasst – und es werden immer mehr. Doch der Einstieg in den indischen Markt birgt auch Tücken. Wie der erfolgreiche Eintritt in den vielversprechenden Markt gelingt, zeigt nachfolgender Beitrag.
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Indien, hinter China und Japan die drittgrösste Volkswirtschaft in Asien, ist das Land der Chancen. Auch wenn es im Moment unter einem Schnupfen leidet. Das Wirtschaftswachstum sinkt dieses Jahr auf fünf Prozent – während man in der Schweiz mit einer Rate von 1,8 Prozent hoch zufrieden ist. Das Potenzial der indischen Wirtschaft bleibt trotz überbordender und ineffizienter Bürokratie so-wie Korruption gewaltig. Die Wirtschaft wächst auch in Krisenzeiten stärker als in Europa. Treiber dieser Entwicklung ist die rasant anwachsende Mittelschicht, die heute über 300 Millionen Menschen umfasst – so viel wie ganz Europa. Hinzu kommt die Demografie: Während China aufgrund der Ein-Kind-Politik in wenigen Jahren unter Arbeitskräftemangel leiden wird, produziert Indien jedes Jahr über eine Million Hochschulabgänger, die die Wirtschaft zusammen mit einer unternehmensfreundlichen Politik beflügeln.

Erfolgsfaktoren

Langfristig ist Indien ein wirtschaftlicher Riese. Das hat die Schweizer Wirtschaft bemerkt. Waseem Hussain, Zürcher mit indischen Wurzeln, unterstützt als Projektleiter Unternehmen dabei, sich in Indien zurechtzufinden. «Wer unvorbereitet in den indischen Markt eintritt, scheitert oft. Im indischen Chaos verlieren die Schweizer zuerst die Geduld, dann die Nerven und brechen das Experiment Indien dann ab», sagt Hussain.

Was ist entscheidend für den Erfolg eines ausländischen Unternehmens in Indien? Neben Know-how und Geschäftsstrategie sowie universellen Erfolgsfaktoren in der Wirtschaft, ist es wichtig, über die richtigen Kontakte im Land zu verfügen. Diese seien wertvolle Schaltstellen zwischen dem ausländischen Unternehmen sowie lokalen Behörden und der Wirtschaft. «In einem Land, wo der Mensch von Kindesbeinen an lernt, dass es das Ziel seiner Seele ist, die absolute Harmonie zu erreichen, ist es wichtig, die Bereitschaft zu signalisieren, sich als Unternehmen auf die Menschen und die lokalen Gebräuche einzulassen», sagt Hussain.

Unternehmen vor Ort

Interkulturelle Kompetenz sei deshalb ein zentraler Schlüssel zum Erfolg auf dem indischen Markt. Sie trage massgeblich zum unternehmerischen Erfolg bei, indem sie Effizienz, Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter steigere.

Um in Indien erfolgreich zu sein, sei es wesentlich, selbstbewusst, stark und ausdauernd zu sein, sagt Hussain. Die Voraussetzung dazu sei es, sein Gegenüber zu verstehen und dessen Handlungen nachvollziehen zu können.

Die Verlockungen, sich den dynamischen Markt Indien zu erschliessen, sind für Schweizer KMU gross. Längst sind nicht nur die Grossen wie ABB oder Novartis in Indien aktiv. Sulzer Chemtech, Rieter und Geberit sind seit Jahren in Indien aktiv, wo sie für den Binnen- und Weltmarkt produzieren. Sie sind nur zwei von rund 400 Schweizer Unternehmen, die heute in Indien tätig sind und rund 70 000 Arbeitsplätze geschaffen haben.

Immer mehr Schweizer Unternehmen drängen auf den indischen Markt, wo Arbeitskräfte gut ausgebildet, günstig und hoch motiviert sind. Doch Indien wird auch immer mehr zu einem Absatzmarkt für Schweizer Produkte. Das Label «Swiss Made» habe einen sehr hohen Stellenwert in Indien, weiss Hussain, wo gleichzeitig die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern wächst. Steigende Einkommen und die sich verändernden Lebensgewohnheiten steigern das Wachstum in der Konsumgüterbranche. Allein die Luxus- und Lifestyle-Industrie wächst in Indien im Durchschnitt jährlich um 20 bis 25 Prozent. Und dies unabhängig von den weltweiten Krisen oder den Wirtschaftsrückgängen.

Managed Chaos

Als Sohn von Indern, der in Zürich aufgewachsen ist, lebt Hussain in zwei Welten. Dabei hat er seine Biografie zum Business-Modell gemacht. Der indische Markt sei viel komplexer und heterogener, als es viele westliche Manager vorstellen könnten. Die von westlichen Firmen erwarteten Quartalsrapporte und einen Return on Investment nach spätestens drei Jahren seien in Indien selten umsetzbar. Mit der richtigen Strategie liessen sich aber mittel- bis langfristige Erfolge sichern.

Allerdings kann nicht jedes Schweizer Unternehmen gewinnen. Wer in Indien oder mit Indern erfolgreich sein wolle, müsse sich mit den Sitten und Gebräuchen in diesem Land auseinandersetzen. Die Stolpersteine fangen laut Hussain bei Verhandlungen an und enden bei der Mitarbeiterführung, wo die kulturellen Unterschiede besonders zum Tragen kommen und Schweizer oft überfordern.

«Das vermeintliche Chaos in Verhandlungen ist gar keines. Dem Inder geht es immer um das Abwägen von Preis und Leistung. Er stellt dabei zwar seine eigenen Argumente, aber auch diejenigen der Gegenpartei auf die Probe, indem er eine Auslegeordnung von teilweise widersprüchlichen Ideen, Meinungen und Kritiken macht. Für westliche Manager ist dieses Vorgehen äusserst irritierend», sagt Hussain. Auch die Führung von in­dischen Mitarbeitern in der «Yes, no Problem»-Kultur ist eine Kunst für sich. Ein Schweizer Chef hat laut Hussain die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Er markiert den unerbittlichen Chef, der nicht mit sich diskutieren lässt. Weit erfolgreicher ist der Chef jedoch, wenn er sich als mitfühlend-väterlicher, jedoch gestrenger Vorgesetzter zeigt. Das Teammitglied vertraue darauf, dass sein Chef ihm den Weg durch Leben, Arbeit und Karriere weise.

Schmiergelder sind kein Muss

In Indien kommt man um die Zahlung von Schmiergeldern nicht herum. Diese Behauptung stimme nicht, sagt Hussain. Trotzdem werden die Erpressungsversuche oft als unabdingbar akzeptiert und stillschweigend bezahlt – auch von vielen Schweizer Unternehmen. Die Korruption in Indien ist zwar allgegenwärtig, doch die zunehmende Industrialisierung motiviert immer mehr indische Unternehmen, sich von den hergebrachten korrupten Praktiken zu lösen.

Viele indische Manager haben zudem entweder an einer indischen Eliteuniversität oder im Westen studiert. Sie sind hervorragend ausgebildet, bringen dadurch ein für Indien neuartiges Denken mit nach Hause und setzen dieses auch um. Unternehmen tun gut daran, nur mit solchen Personen zu verhandeln und Verträge abzuschliessen. «Immer wieder muss ich auch Schweizer Unternehmen davon abraten, mit lokalen Unterhändlern in Verhandlungen zu treten», sagt Hussain.

Experten sind sich einig, dass der Handel zwischen der Schweiz und Indien noch stark ausbaufähig ist – nicht erst, wenn einmal das geplante Freihandelsabkommen in Kraft tritt. Interkulturelles Knowhow und Management werden dann noch wichtiger, um Gräben zu überwinden und Brücken zu schlagen.

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