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Liberalisierung von Dienstleistungen

Geheime Verhandlungen über Tisa-Abkommen

Seit 2012 verhandeln die Politiker heimlich über Tisa (Trade in Services Agreement), ein Abkommen für die internationale Liberalisierung von Dienstleistungen mit weitreichenden Folgen. Die meisten Parteien und Wirtschaftsorganisation schweigen dazu. Allerdings formiert sich Widerstand.
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Laut Bundesrat soll das Abkommen Tisa den Marktzugang für den Handel mit Dienstleistungen verbessern und durch zusätzliche Handelsregeln die Rechts­sicherheit erhöhen. Es sei eine Chance, auch auf plurilateraler Ebene die in­ter­nationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Dienstleistungssektors zu stärken. Das Abkommen soll den Charakter eines Präferenzabkommens unter den Vertragsparteien haben, vergleichbar mit einem Freihandelsabkommen.

Die WTO-Doha-Runde

TISA hängt mit der WTO-Doha-Runde (Doha Development Agenda, DDA) zusammen. So werden die Aufträge bezeichnet, die die Wirtschafts- und Handelsminister der WTO-Mitgliedsstaaten 2001 auf ihrer vierten Konferenz in Doha bearbeiten und bis 2005 abschliessen sollten. Die Ministerkonferenz der WTO vom Dezember 2011 brachte die Erkenntnis, dass ein gleichzeitiger Abschluss sämtlicher Verhandlungsthemen des Do­ha-Mandats in absehbarer Zeit nicht realistisch ist. Deswegen verhandelt man jetzt über Tisa. Nach Artikel V Gats können einzelne Länder untereinander unter bestimmten Bedingungen den Dienstleistungshandel weiter liberalisieren, als die WTO vorsieht. Allerdings wird über Tisa ausserhalb der WTO verhandelt.

Die Idee zu Tisa stammt aus den USA und sie wurde einer Gruppe von WTO-Mitgliedern präsentiert, die sich Really Good Friends of Service (RGF-Gruppe) nennen. Sie werden auch als «Koalition der Willigen» bezeichnet, unter anderen die EU, Japan, Kanada, die Türkei und einige südamerikanische Länder. Seit Februar 2012 trifft man sich regelmässig in Genf unter dem gemeinsamen Vorsitz der USA und Australiens. Vertreter der Schweiz nahmen von Beginn an aktiv an den Diskussionen teil. Der Bundesrat und auch die EU verhandeln auf der Basis des Doha-Mandats.

Schweiz will Liberalisierung

Auf der Seco-Webseite findet man ein interessantes Papier von 2012, das die Position der Schweiz gegenüber den WTO Doha-Gesprächen zeigt und damit auch ein Licht auf die Tisa-Verhandlungen wirft. In dem Papier heisst es wörtlich: «Die Schweiz setzt sich für eine umfassende Runde ein, die nicht nur den Marktzugang erhöht, sondern auch bestehende Regeln verbessert, wo nötig neue Regeln schafft und die Kohärenz zwischen dem multilateralen Handelssystem und an­deren Politiken (Umwelt, Entwicklung usw.) fördert.» Das erklärt das Bestreben der schweizerischen Politiker, eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zu spielen. Und weiter heisst es: «Die Schweizer Begehren an andere WTO-Mitglieder betreffen vorwiegend Finanzdienstleistungen, Logistikdienstleistungen, Vertriebsdienstleistungen, gegenüber Unternehmen erbrachte Dienstleistungen, Tourismusdienstleistungen und den Transfer von Kader und Spezialisten.»

Die Anfangsofferte der USA für Tisa wurde im September 2013 unterbreitet. Im November 2013 befand man, dass der Text ausreichend ausgearbeitet sei, um weitere Offerten auszutauschen. Ende Januar diesen Jahres reichte die Schweiz ihre Anfangsofferte ein. Auf Anregung der Schweiz haben sich die Teilnehmer bei Tisa auf den Ansatz einer «hybriden» Verpflichtungsliste geeinigt, mittels welchem Verpflichtungen wie Meistbegünstigung, Marktzugang, Inländerbe­handlung gleichzeitig sowohl positiv wie negativ aufzufassen sind. Was das allerdings konkret bedeutet, wird aus den bisher zugänglichen Unterlagen nicht klar.

EU will besseren Marktzugang

In Bezug auf den Inhalt des Tisa ist es notwendig, über die Grenze zu sehen und sich zu informieren, wie man in den wichtigen Handelspartner EU und Deutschland darüber denkt. Zu beachten ist die Antwort der Deutschen Bundesregierung auf die «Kleine Anfrage» von einigen Abgeordneten und der Fraktion «Die Linke». Die Antwort darauf erfolgte am 19. Juni 2014. Auch die Deutsche Regierung hofft auf verbesserte Marktzugangschancen deutscher und europäischer Unternehmen in Drittstaaten. «Die Bundesregierung erwartet keine negativen Effekte aus den Tisa -Verhandlungen», heisst es. Man gesteht aber zu, dass die konkreten Auswirkungen des Abkommens zum jetzigen Zeitpunkt der Verhandlungen noch nicht abgeschätzt werden können.

Laut der Webseite des Deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) haben sich die Tisa-Teilnehmer darauf geeinigt, sich an den Formulierungen des multilateralen Abkommens zum Dienstleistungshandel GATS zu orientieren, das im Rahmen der WTO bereits 1995 verabschiedet wurde. Das beinhaltet sowohl die Verpflichtung, den Markt zum Beispiel nicht durch Quoten zu beschränken (Commitment on Market Access) als auch Inländer und Ausländer gleich zu behandeln (Commitment on National Treatment). Weiter wurden für jedes teilnehmende Land individuelle Listen erstellt. Für die Mitgliedsstaaten der EU gibt es eine gemeinsame Liste. Allerdings ist es für jeden EU-Staat möglich, individuelle Regelungen zu treffen.

Folgen für Service public

Vonseiten der Grünen Partei Schweiz wurde im März 2014 eine Anfrage an den Bundesrat über die Konsequenzen einer möglichen Tisa-Unterzeichnung für die Schweiz, vor allem für den Service public, gestellt. Der Bundesrat antwortete, die Schweiz beabsichtige, in den Tisa-Verhandlungen keine Verpflichtungen einzugehen, wenn gesetzliche Einschränkungen in Bezug auf den Marktzugang bestehen wie zum Beispiel im Bereich der Energie, der öffentlichen Bildung, des Gesundheitswesens, im öffentlichen Verkehr oder bei der Post.

Mit den Verhandlungen zum Tisa-Abkommen wird laut BMWi nicht das Ziel einer Privatisierung von den öffentlichen Dienstleistungen verfolgt. Denn die ganz besonders sensiblen Bereiche für die EU und deren Mitgliedsstaaten seien zum vornherein ausgenommen, wie beispielsweise die öffentliche Daseinsvorsorge oder audiovisuelle Dienste. Ebenso würden auch keine zusätzlichen Verpflichtungen etwa betreffend des Kulturbereichs übernommen.

Im Fokus der inhaltlichen Arbeit stehen derzeit neben der Ausarbeitung des Abkommenstextes und der Verpflichtungslisten die Diskussion sogenannter «Sektorpapiere» für die einzelnen Dienstleistungssektoren und -bereiche. Dabei werden Themen wie Informations- und Telekommunikationsdienstleistungen, Finanzdienstleistungen und die temporäre Erbringung der Dienstleistungen im Ausland durch natürliche Personen verhandelt.

Standstill-Klauseln

«Ratchet» bedeutet laut Seco-Webseite, dass eine Vertragspartei zukünftige Verringerungen von Einschränkungen zur Inländerbehandlung nicht rückgängig machen darf, es sei denn, die nationale Verpflichtungsliste enthält einen entsprechenden Vorbehalt. Die Schweiz hätte laut Bundesrat in ihrer Anfangsofferte darauf geachtet, dass insbesondere in den Bereichen der staatlich geregelten Dienstleistungen keine «Ratchet»-Verpflichtung eingegangen wird. Die be­treffende englische Formulierung in der Schweizer Anfangsofferte ist allerdings nur verständlich, wenn man auch die Hintergründe kennt.

Sogenannte «Standstill»-Klauseln – wie dieser Begriff im Zusammenhang mit Tisa aufzufassen ist, bleibt unklar – und Ratchet-Klauseln sind nach der Auffassung der Deutschen Bundesregierung im Tisa-Abkommen nicht vorgesehen, wenn dadurch künftige Rekommunalisierungen erschwert und verhindert würden. Das wäre, nach dem derzeitigen Entwurf, auch nicht der Fall, da die Standstill- und Ratchet-Klauseln nur auf diskriminierende Regelungen angewandt werden, nicht aber auf die Regeln für den Zugang zum Markt von ausländischen Dienstleistungsanbietern.

Zudem könnten horizontale als auch spezifische Ausnahmen von Standstill- und Ratchet-Klauseln aufgenommen werden, wovon die EU und ihre Mitgliedsstaaten Gebrauch machen wollen.

Die Verhandlungsergebnisse über Tisa versucht man offensichtlich vor der Bevölkerung geheimzuhalten. Dokumente über Tisa sind auf der Seco-Webseite oder Wikileaks zu finden – auf Englisch. Offizielle Übersetzungen der Tisa-Dokumente auf Deutsch oder den anderen Schweizer Landessprachen gibt es nicht.

Erschwerte Veröffentlichung

Der deutschen Bundesregierung sind die Tisa-Verhandlungstexte bekannt. Allerdings könne eine breite Veröffentlichung aber nur im Einvernehmen mit allen Verhandlungspartnern geschehen. Das wurde aber in den Gremien in Brüssel bisher noch nicht diskutiert. Die deutsche Bundesregierung hält die einheitliche Handhabung der Frage über die Veröffentlichung der Verhandlungsdokumente im Rahmen der Tisa-Verhandlungen von allen beteiligten Vertragspartnern für wünschenswert. Das war die Antwort auf die Fra­ge, ob der deutschen Bundesregierung denn überhaupt bekannt sei, dass die Schweiz ihre Anfangsofferte publiziert hat.

Die Schweizer Regierung wird nicht darum herumkommen, die Ergebnisse der Verhandlungen und den Vertragstext offenzulegen. Nach Bunderverfassung (BV Artikel 141) unterstehen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind und /oder wichtige rechtssetzende Bestimmungen enthalten.

Widerstand formiert sich

Eine der wenigen Wirtschaftsorganisationen, die über Tisa informiert, ist die Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Tisa sollte helfen, den Stillstand in den Doha-Verhandlungen zu überwinden, heisst es dort. Bei der WKO befürwortet man das Tisa-Abkommen.

Bei den Wirtschaftsorganisationen wie Economiesuisse und Swissmem sowie bei den meisten grossen Schweizer Parteien sind keine Informationen oder Stell­ungnahmen über Tisa zu finden. Mit einer einzigen Ausnahme: Auf der Webseite der Grünen Partei gibt es einen Link zu der erwähnten Anfrage von Trede Aline sowie eine Motion. Diese lautet: «1. Der Bundesrat muss garantieren, dass keine Leistungen des Service public in den Tisa-Verhandlungen offeriert werden. 2. Der Bundesrat wird beauftragt, das Verhandlungsmandat zu Tisa des Seco zumindest den zuständigen Kommissionen offenzulegen.» Weiter gibt es in der Schweiz eine Petition gegen Tisa, wirksamer wäre aber sicher eine Initiative oder ein Referendum.

Eine kritische Stellungnahme findet man beim Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD): «Die Really Good Friends sind weiterhin in keiner Weise Freunde des Marktzutritts des Südens zum Agrarmarkt im Norden. Umso mehr wollen sie aber die Marktöffnung im Bereich von Dienstleistungen und Service public erzwingen. Dahinter stehen global tätige Konzerne wie Suez, RWE, Veolia, welche sich beispielsweise die Trinkwasserversorgung rund um die Welt unter den Nagel reissen wollen.» Bei der VPOD betrachtet man Tisa als Gefahr für den Schweizer Service public. Man befürchtet, die Schweizer Delegation werde mehr Konzessionen machen, als vorgesehen ist. Auch bei der deutschen Gewerkschaft Verdi findet man eine kritische Auseinandersetzung.

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