Branchen & Märkte

Digitalisierung und Logistik

Ein kritischer Blick auf die digitale Realität

Die digitale Transformation kommt bei KMU mangels Zeit, Fachpersonal und Investitionsmitteln nur langsam voran. Grosse und mittelständische Produzenten und Detailhändler sowie mittelständische Logistikdienstleister agieren als Treiber und setzen Trends.
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In der Schweiz reagieren Industrie und Handel wie auch die Logistikdienstleister grossenteils sehr zurückhaltend auf den internationalen Digitalisierungstrend. Zu diesem Ergebnis kommt die «Logistikmarktstudie Schweiz 2017» der Universität St. Gallen. Insbesondere KMU sind skeptisch, ob eine Digitalisierungsstrategie im Bereich Logistik ihnen wirklich Kosteneinsparungen und Wettbewerbsvorteile bringt.

Bislang geringe Investitionen

Der Ende August veröffentlichte «KMU Spiegel» der FHS St. Gallen bescheinigt KMU in den meisten Branchen eine überwiegend positive bis begeisterte Einstellung zur Digitalisierung. Allerdings wurde anscheinend nicht abgefragt, wie es mit der konkreten Umsetzung von E-Strategien in den Unternehmen aussieht.

Bisher haben nur wenige Unternehmen in der Schweiz, zum Beispiel im Bereich Logistik, in Digitalisierungslösungen in­vestiert. Bei den Logistikdienstleistern konzentrieren sich diese Massnahmen vor allem auf Fahrzeugausstattung, Ladungsträger, Sen­dungsverfolgung und Kunden­informationssysteme sowie Transport- und Lagermanagementsoftware.


Die Spediteure erhoffen sich von der Digitalisierung mehr Transparenz bei Güter- und Fahrzeugbewegungen, Zeiteinsparungen, eine höhere Kosteneffizienz und eine höhere Abfer­tigungsqualität, aber auch mehr Verlässlichkeit und Sicherheit. In Industrie und Handel stehen neben Supply-Chain-Management-Lösungen für eine bessere Supply-Chain-Kontrolle und -Abwicklung (Execution) vor allem Smart Technologies wie Palettier-, Pack- und Kommissionierroboter, Datenbrillen sowie autonome Fördertechnik im Vordergrund von Digitalisierungsstrategien.

Ernüchternde Marktstudie

Die «Logistikmarktstudie Schweiz 2017» zeigt, dass grössere Unternehmen deutlich weiter in der digitalen Transformation vorangeschritten sind als KMU. Gründe sind vor allem die Höhe der notwendigen Investitionen in Know-how, IT und Technik, aber auch der enorme Zeitaufwand für die Beschaffung von Hard- und Software. KMU-Führungskräfte sind im Allgemeinen stark ins Tagesgeschäft eingebunden und haben wenig Musse, Zukunftsvisionen und Digitalisierungsstrategien zu entwickeln.

Die Studie unterstreicht, dass es bei der digitalen Transformation in der Schweiz bisher hauptsächlich um die Umwandlung von analogen, zum Beispiel auf Papier basierten Prozessen, in digitale Prozesse geht. Die Veränderung von Geschäftsmodellen beziehungsweise die Schaffung ganz neuer Geschäftsmodelle, die den grenzüberschreitenden, schnellen Online-Handel, Air­bnb und Uber hervorgebracht haben, sind eher rar.

Effizientere Prozesse nötig

Dabei verändert sich das Umfeld der KMU seit der Einführung des Internets, von Barcodes und RFID (Identifizierung mithilfe elektromagnetischer Wellen), elektronischer Do­kumente, mobiler Endgeräte et cetera rasant. In volatilen Märkten  müssen Logistikmanager in Industrie sowie Handel, aber auch ihre Dienstleister schneller, flexibler, agiler auf neue Anforderungen reagieren. Nur so können sie sich im intensiven nationalen wie auch globalen Wettbewerb behaupten. Neben hervorragendem logistischem und branchenspezifischem Fachwissen braucht es somit immer bessere Methoden, um Warenströme zu berechnen und optimieren zu können. Darüber hinaus verlangen alle Beteiligten der Wertschöpfungskette, so früh wie möglich über Veränderungen informiert zu werden, um diese in ihre eigenen Planungen (Produktion, Strategien, Ressourcen, Kapazitäten etc.) einfliessen zu lassen. So sollen die Waren noch punktgenauer für die Kunden bereitgestellt, Unterbrüche der Lieferketten vermieden, das Qualitätsmanagement weiterhin verbessert und die Kosten gesenkt werden.


Der Logistiker respektive Logistikdienstleister kann diese steigenden Ansprüche nur mit einem effizienten Datenmanagement und einer progressiven Digitalisierung aller Prozesse respektive einer Prozessautomatisierung erfüllen. Die zu diesem Zweck entwickelten IT-Lösungen sollen einerseits die Kommunikation zwischen den einzelnen Akteuren von Supply-Chains unterstützen und optimieren, andererseits die Tätigkeiten und Prozesse in Supply-Chains beziehungsweise Supply-Chain-Systemen vernetzen, koordinieren, synchronisieren und automatisieren. Innovative integrierte IT-Lösungen beschleunigen den Informationsfluss im nationalen wie im grenzüberschreitenden Warenverkehr, verbessern die Lieferbereitschaft, erhöhen die Supply-Chain-Transparenz und senken Kosten.

Durch den Einsatz zukunftsorientierter Software und anderer technischer Mittel kann der Logistikdienstleister seine eigene Servicequalität substanziell erhöhen und sein Produktportfolio erweitern. Gleichzeitig hilft er Kunden, Ressourcen zu sparen, Servicestandards zu verbessern und die Produktqualität zu erhöhen. So sind im grenzüberschreitenden Online- respektive Multi-Channel-Handel eine kosteneffiziente, schnelle Zoll­abwicklung sowie ein komplikationsloses
Retourenmanagement ein inhärenter Bestandteil des Produktangebots. Die Di­gitalisierung ist eine wichtige geschäftsunterstützende Funktion (business enabler) für die Umsetzung von Unternehmensstrategien in Industrie, Handel und bei Logistikdienstleistern.

Theorie und Praxis

Das ist die Theorie. In der Praxis arbeiten allerdings rund 80 Prozent der Aussenhandel treibenden KMU in der Schweiz noch mit Papier, stellen Verbände wie der SSC (Swiss Shippers, Council) und IG Air Cargo Switzerland bedauernd fest. Die Schere geht bei der digitalen Transformation weit auseinander. Online-Buchungs- und Einkaufsplattformen haben zwar in den letzten Monaten viele Schlagzeilen gemacht, sie geniessen aber bisher nur eine relativ geringe Akzeptanz. Auch die Marktdurchdringung elektronischer Luft- und Seefrachtbriefe, von Cargo-Community-Systemen / Connectivity-Plattformen wie efreight oder der Blockchain-Technologie blieb bisher weit hinter den hohen Erwartungen zurück. Digitale Speditionen stecken noch in den Kinderschuhen. Letztendlich entscheidet nicht Logistik 4.0 über die Kundenzufriedenheit und den Erfolg eines Spediteurs, sondern die optimale Erfüllung des Auftrags, das Fulfillment in der analogen Welt.

Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung jeder E-Strategie ist eine offene, positive Einstellung von Management und Mitarbeitern zur Digitalisierung und zu den daraus folgenden Branchenveränderungen. Es braucht dazu die Bereitschaft zum Wan­del­ und die Wandlungsfähigkeit. Bisher überwiegen eher die Angst vor dem Unbekannten, dem Abschied von ausgetretenen Pfaden, dem Verlust von Arbeitsplätzen durch Automatisierung und Roboter, vor der totalen Überwachung durch den Staat oder das eigene Unternehmen (Stichwort gläserner Bürger oder Mitarbeiter) und die Sorge um die Datensicherheit.

Die Akzeptanz von «smart technologies» hängt in erster Linie vom eigenen Nutzen ab. Dieser muss den Mitarbeitern verdeutlicht werden. Das notwendige Changemanagement ist eine Top-Kader-Verantwortung. Darüber hinaus braucht es bestens ausgebildete Mitarbeiter. Weiterbildungsofferten reduzieren die Angst vor Neuem. Zudem können IT-Systeme nur mithilfe kompetenter Mitarbeiter kontinuierlich weiterentwickelt und ihr Potenzial voll ausgeschöpft werden.

Treiber Bund

Der Bundesrat hat 2016 eine Strategie «Digitale Schweiz» verabschiedet. Er legt mit dieser Leitlinien für das Handeln der Bundesverwaltung fest und setzt Schwerpunkte wie die Schaffung innovationsfördernder, positiver gesetzlicher Rahmenbedingungen, eine kohärente und zu­kunftsorientierte Datenpolitik und die beschleunigte Digitalisierung der eigenen Institutionen, zum Beispiel des Zolls. Bedauerlicherweise fehlen zum Teil die Investitionsmittel oder IT-Investitionen werden nicht mit der notwendigen Professionalität angegangen. KMU haben bisher von der Strategie noch keinen greifbaren Nutzen gehabt.

Fazit

Die Möglichkeiten smarter Technologien, des Internets der Dinge, der digitalen Vernetzung von Menschen und Objekten entlang der gesamten Lieferkette von der Verkaufsstelle zum Hersteller sind noch lange nicht ausgeschöpft. Es dauert oft sehr lange, bis sich Technologien im Tagesgeschäft durchsetzen. Man bedenke nur, dass bereits 1737 der erste Roboter (eine Ente) gebaut wurde.

Die Schere zwischen gut aufgestellten Mittelständlern und Papier-verhafteten KMU ist gross. Letzte-Meile-Lösungen für Lieferungen auf Abruf bleiben im B2C- wie auch im B2B-Geschäft eine grosse Herausforderung. Die Digitalisierung eröffnet neben der Optimierung des Tagesgeschäfts die Chance für völlig neue Geschäftsmodelle und Leistungen. Hier kann noch viel Unerwartetes kommen. Vor 100 Jahren war Mobiltelefonie noch Science-Fiction.

«Logistik ist im Online-Handel zum entscheidenden Erfolgsfaktor avanciert»

«KMU-Magazin» im Gespräch mit Urs Häner, Managing Director European Logistics Switzerland, Dachser Spedition AG.

Herr Häner, wie steht Dachser zur digi­talen Revolution?

Die Digitalisierung ist seit über 30 Jahren ein Thema bei Dachser. Wir sehen sie als evolutionären Prozess. Nur ein kleiner, wenn auch nicht unwichtiger Teil der Digitalisierung beinhaltet revolutionäre oder disruptive Komponenten. Zur Förderung von Innovationen und zur Validierung neuer Technologien haben wir eine eigene Corporate Unit gegründet. Diese beschäftigt sich mit Zukunftsthemen wie City-Logistik, dem Einsatz von Big Data, Connectivity-Platt­formen, Lead-Logistics-Provider-Konzepten, Smart Identification und vielem mehr. Ausserdem kooperieren wir eng mit zahlreichen logistisch orientierten Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen.

Ist Dachser komplett digital?

Dachser arbeitet heute weltweit IT-gestützt und mit neuester Technik. Derzeit lassen sich aus diversen Gründen aber nicht alle speditionellen Abläufe komplett digitalisieren. Bei Katastrophen wie dem Unterbruch der Rheintal-Bahnstrecke sind immer noch ganz andere Fähigkeiten gefordert. Aber die Start-ups mit ihren innovativen, digitalen Lösungen bringen eine neue Dynamik in die Branche und spornen uns an, uns weiter zu verbessern. Bei Dachser sehen wir es als unsere Aufgabe, mit neuen Technologien dort voranzuschreiten, wo es Sinn macht, aber auch zu erkennen, wo der digitalen Welt Grenzen gesetzt sind.

Verdrängen digitale Speditionen in Zukunft Unternehmen wie Dachser?

Nein. Es braucht immer noch Menschen, erfahrene Mitarbeiter. Die Gestaltung der Transportketten wird zunehmend komplexer. Bei Unterbrüchen, die wir nicht beeinflussen können, wie Naturkatastrophen, Streiks, Kriegen oder, ganz aktuell, der Sperrung der Rheintal-Bahnstrecke im August und September, kommt es immer stärker darauf an, dass wir Mitarbeiter haben, die schnell, flexibel und kompetent auf solche Vorfälle reagieren sowie kreativ Transportlösungen für unsere Kunden finden. Das schafft Vertrauen und stärkt Kundenbeziehungen. Unsere Kunden wissen, dass sie sich auf uns verlassen können.

Trotzdem verändert sich vieles durch die Digitalisierung. Auch bei Dachser?

Was wir machen, hat sich in den letzten 20 Jahren nicht geändert, aber wie wir es machen zum Teil sehr stark. Unser Geschäftsmodell ist das gleiche geblieben. Es geht immer noch darum, die richtigen Güter zur rechten Zeit an den richtigen Ort zu bringen. Unsere Kerntätigkeiten sind die physische Bewegung und die Lagerung von Waren, hauptsächlich Industriegüter und Lebensmittel. Aber unsere Prozesse haben sich in Folge der digitalen Evolution verändert. Sie sind transparenter, schneller und zum Teil zuverlässiger geworden. Kleinere Sendungen, schneller, pünktlicher, weltweit – das sind die Schlagworte. Die digitale Vernetzung macht dies möglich.

Wo sehen Sie Chancen?

Wir haben unsere Marktposition unter anderem mithilfe von Prozessautomatisierungen weltweit ausbauen und unser Profil schärfen können. Die Digitalisierung bietet uns die Chance, unsere Wertigkeit in der Wahrnehmung unserer Kunden zu steigern. So ist die Logistik im boomenden Online-Handel vom klassischen Kostentreiber zum entscheidenden Erfolgsfaktor avanciert. Dank unserer hervorragend ausgebildeten Mitarbeiter und ihrer Erfahrung, unserer IT-Tools sowie unseres stabilen, globalen Netzwerks können wir Schweizer KMU einen wertvollen Service im In- und Ausland anbieten.