Branchen & Märkte

Best Practice: Neuausrichtung im Branchenwandel

«Die Digitalisierung birgt Gefahren, trägt aber auch Chancen in sich»

Die Baumer AG in Islikon bei Frauenfeld hat sich von der Druckerei hin zur Spezialistin für Direktwerbungslösungen entwickelt und etabliert sich zunehmend als Kompetenzzentrum für Dokumentenprozesse. Wie das Unternehmen auf neue Herausforderungen reagiert hat und auf welche Weise Qualität hierbei eine Klammer bildet, sagt CEO Daniel Jud.
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Herr Jud, Ihre Familie übernahm die Firma Baumer 1978 im Rahmen einer externen Nachfolgelösung …

Ja, mein Vater war das. Es kam so: Der Familienbetrieb Baumer wurde seit 1866 über drei Generationen geführt. Die vierte Generation hatte kein Interesse an der Stabübernahme. Mein Vater, von der Industrie herkommend, kaufte mit Aktienmehrheit den Druckbereich. Ich selber stieg im Jahr 2000 ins Unternehmen ein und bewältigte mit ihm zusammen die damals schwierige Wirtschaftssituation erfolgreich. 2003 zog sich mein Vater mit 65 Jahren ins Verwaltungsrats-Präsidium zurück, übergab mir die Schlüssel zur operativen Leitung und ermöglichte mir die Übernahme der Aktienmehrheit. Nach seinem Tod Ende 2015 rückte ich ins Verwaltungsrats-Präsidium nach. Meine Schwester ist teilzeitlich im Betrieb tätig und hält 30 Prozent der Aktien.

Baumer ist unternehmergeführt. Inwiefern spürt man das?

Als ehemaliger Manager in der Pharma-Industrie und heutiger Unternehmer erkenne ich als grossen Unterschied vorab die langfristige Optik und das wendige Entscheiden. Zweitens ist die Identifikation des Unternehmers mit dem Betrieb naturgemäss höher, bestimmt auch jene der Mitarbeitenden. Und drittens herrscht Engagement auf jeder Stufe. Das enge Profitcenter-Denken findet nicht statt.Das alles ist für die Kunden, aber auch für die Mitarbeitenden direkt spürbar. Weil wir langfristig denken, vermitteln wir Sicherheit. Das spürt man sehr wohl. Man schätzt sich, kennt sich gut. Das Vertrauen ist da. Die meisten Mitarbeitenden sind schon seit Jahren bei uns.

Begonnen hat alles vor 150 Jahren «auf den Spuren Gutenbergs» …

Ja, in den ersten Jahrzehnten stand bei Baumer die Buchdruckerkunst im Zentrum. Aber schon früh gelang es, Wege aus­serhalb des reinen Druckens zu beschreiten. Illustre Beispiele aus den alten Zeiten sind etwa das «Patent für Geschäftsbücher mit Rohleder-Rücken» von 1907 oder das «Patent für ein Lose-Blätter-Buch» von 1920. Der Drang nach Neuerungen war also immer da, und er setzte sich später fort. Auch heute trachten wir danach, Produkte und Dienstleistungen zu kreieren, die der Praxis einen hohen Nutzen bringen. Soweit wie möglich, versuchen wir, vorauszugehen statt nachzuahmen.

In den Jahren nach 1980 setzte eine Verlagerung Richtung Mailing-Geschäft ein. Was waren hier die Überlegungen?

Mit der Produktion von Endlos-Formularen, Garnituren und Konti-Snaps bewegte sich Baumer sehr lange im admi­nistrativen Sektor. Als aber Ende der 1970er-Jahre die ersten Laser-Drucker auftauchten, führte das zu einem Umdenken. Wir stiegen ein in die Veredelung von Dokumenten und boten dies in Endlosformaten an. Danach wurde in der Geschäftswelt der Gedanke des papierlosen Büros diskutiert – eine potenzielle Gefahr für uns. Deshalb fokussierte man sich auf einen boomenden Sektor, auf die Direktwerbung.

Der Einstieg glückte nach einigen Anpassungen im damaligen Maschinenpark. Dieser Wandel forderte unsern Verkauf stark, denn unvermittelt hatten wir mit einer völlig andern Kundschaft zu tun. Statt Einkäufer von Dokumenten waren in diesem Feld Werbeleiter von Firmen oder Agenturleiter unsere Ansprechpartner. Aber es gelang, wir konnten uns in bestimmten Branchen etablieren. Wir gelten als Spezialist in diesem Feld. Heute sind wir unter anderem strategischer Lieferant der Schweizer Post.

Welche wichtigsten strategischen Neuausrichtungen kamen seither hinzu?

Wir haben drei Geschäftsbereiche: «Dokument», «Dialog» und «Prozess». Zum Dokument: Diese klassische Sparte mit Fokus auf dem administrativen Bereich der Kunden wurde in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Wir bewegen uns hier mit speziellen Produkten in einem Nischenmarkt. Dazu gehören beispielsweise die Herstellung und der Versand von Sicherheits-Dokumenten. Im Versand von Pin-Codes ist Baumer sogar Marktführer. Für die Projektgruppe «E-Voting» des Kantons Zürich entwickelten wir den Stimmrechtsausweis. Und für Spitäler produzieren wir Armbänder, die der Patientenidentifikation dienen. Die Anforderungen an das Material punkto Beständigkeit, Tragkomfort und Hygiene sind sehr hoch.

Deshalb ist das Material aus Polyester, nicht aus Papier. Trotzdem gelingt uns die Verarbeitung auf den gleichen Maschinen wie für Papier. Bei solchen Produktentwicklungen hilft uns, dass im Unternehmen viel Know-how vorhanden ist, das in zahlreichen Tests zum Tragen kommt. International ist Baumer Teil eines Netzwerks von Firmen gleichen Charakters, was den Erfahrungsaustausch befruchtet. Ein weiterer Geschäftsbereich ist «Dialog». Dieser seit Jahrzehnten weiterentwickelte Sektor umfasst alle Facetten eines professionellen Dialog-Marketings. Für die Kundschaft zählen letztlich die erreichten Responsezahlen. Entsprechend variantenreich muss der Empfänger der Botschaft «abgeholt» werden. Da­zu gehören Personalisierung, Veredelung, Selfmailer, Boxmail, Give Aways und anderes mehr. Immer mehr werden heute Cross-Media-Kampagnen gefahren – analog und digital vernetzt.

Kommen wir zum dritten Geschäfts­bereich.

Der dritte Bereich schliesslich heisst «Prozess». Diese Outsourcing-Dienstleistung konzentriert sich nicht in erster Linie auf das gedruckte Produkt, sondern auf den Prozess, der dazu führt. Der Kunde profitiert von der Ersparnis bei der Prozessgestaltung und von der gebotenen Sicherheit im Dokumenten-Management. Dank Investitionen in den Maschinenpark und in die Software sind wir in der Lage, sowohl Einzelplatz-Volumen als auch Mehrplatz-Volumen zu übernehmen. Mit eigener Applikation bewältigen wir für die Kunden die entsprechenden Schnittstellen in der IT-Kommunikation, insbesondere auch für die Überwachung und das Verfolgen der Dokumente via Web.

Zur Branche allgemein: Wie entwickelt sie sich derzeit?

In der grafischen Branche herrscht ein extremer Verdrängungsmarkt mit vielen Anbietern. Je nach Geschäftsfeld und Anbieterkompetenz ist der Konkurrenzdruck spürbar. Dann aber auch führt die fortschreitende Digitalisierung zur teilweisen Substitution gewisser Produkte. Die ganze Branche, also auch wir, müssen mit dieser Entwicklung zurechtkommen.

Und wie ist Baumer in der Branche positioniert?

Wir haben es geschafft, uns vom reinen Druckgeschäft zu lösen und uns in neuen Geschäftsfeldern mit neuen Produkten aufzustellen. Rund um das Dialog-Marketing und um den Dokumentenbereich wurden zahlreiche Dienstleistungen aufgebaut. Da steckt sehr viel Know-how drin. Deshalb ist dieser Baumer-Mehrwert nicht einfach zu kopieren. Unser Vorteil: Wir haben den Einstieg rechtzeitig gewählt.

Für uns ist wichtig, laufend Produktinnovationen parat zu haben, welche für eine gewisse Zeit die Alleinstellung sichern. Es sind Produkte, die sowohl in der Herstellung als auch im Verkauf von Interesse sind. Kreative und sichere Lösungen sind immer auch Argumente für die eigene Reputation. Im Digitaldruck hat sich Baumer ein anerkanntes Profil erarbeitet. Auch hier punkten wir mit Verlässlichkeit und Qualität. Das Geschäftsfeld Baumer Process konzentriert sich in der Nische auf eine bestimmte Kundengruppe.

Unternehmergeist prägt Ihr Tun, und Sie tragen Verantwortung für das Ganze. Welchen Werten sind Sie verpflichtet?

Aufrichtigkeit gehört seit jeher zu den Grundwerten des Familienbetriebes. Darauf bauen wir, das erwarten wir auch von unseren Geschäftspartnern. Überdies gründen wir auf Leistungsbereitschaft, positivem Denken und Zukunftsorientierung. Dazugehört die Offenheit bei sich bietenden Chancen.

Ihr Unternehmen ist vierfach SQS-zertifiziert. Wofür genau und weshalb?

Gestartet sind wir bei der SQS mit ISO 9001 im Jahr 1993. Mit dem Zertifikat erhoffte man sich Aufträge von staatlichen Stellen. Obwohl diese Hoffnung nicht ganz erfüllt wurde, haben wir die Zertifizierung aufrechterhalten, ja sogar ausgebaut. Persönlich war ich anfänglich wegen unserer Betriebsgrösse eher skeptisch. Inzwischen gehöre ich zu jenen, die den eingeschlagenen Weg klar bejahen, und zwar wegen der erlangten Sicherheit in den Prozessen. Denn als Unternehmer und HSG-Betriebswirtschaftler ist mir wichtig, dass wir nach Prozessen arbeiten und unsere Mitarbeitenden diese sorgfältig beherrschen. In den Reviews und Rezertifizierungen können wir zudem qualitätsmässig wachsen.

Dabei müssen wir nicht «den ganzen Betrieb umbauen», sondern wir versuchen uns jedes Jahr in gewissen Bereichen zu verbessern. In den Gesprächen mit dem SQS-Auditor steht nicht «Drucktechnisches» im Zentrum, sondern unser Risikomanagement. Im Umweltbereich erlangten wir 2003 als Pionier der Branche das FSC-Zertifikat, die SQS-Zertifizierung nach ISO 14001 folgte im Jahre 2009.

Was waren Ihre Beweggründe für diese Zertifizierungen?

Ich entschied mich dafür, weil das einerseits gewisse Kunden wünschten, anderseits aber auch, weil ich als Familienvater die nächste Generation im Auge behalte. Konkret umgesetzt ist unsere Haltung gegenüber der Umwelt im neuen Geschäftsbau. Da wurde viel in die Gebäudetechnik investiert: Erdsonden-System mit Kühleffekt im Sommer, Heizen mit der Abwärme der Druckmaschinen und anderes mehr.

Im Vergleich zum alten Standort gelang es, den CO2-Ausstoss um rund 70 Prozent zu reduzieren. Wir sind stolz, diese Chancen mit dem Neubau genutzt zu haben. Zentral für Baumer ist der Schutz sensibler Daten. Die Zertifizierung «Good Privacy» drängte sich deshalb 2010 auf – ausgeformt in einem auch baulich integrierten Sicherheitskonzept. Nicht auf Kundenwunsch fiel dieser Entscheid, sondern aus eigenem Antrieb, denn wir müssen den richtigen und sicheren Umgang mit schützenswerten Kundendaten garantieren. Wir sind Datenschutzkonform und Finmakonform. Das macht uns attraktiv auf dem Markt. Das Thema Datenschutz wird immer wichtiger, die Sensibilisierung nimmt zu. Es stehen zudem Revisionen im Datenschutzgesetz an, die auch unsere Branche betreffen.

Zur Zukunft: Was beschäftigt Unternehmer Jud am meisten?

Auf makroökonomische Verwerfungen – Währung, Unsicherheit der Wirtschaftsentwicklung, Marktpreise – haben wir keinen Einfluss. Wir müssen uns darauf einstellen. Betriebswirtschaftlich sehe ich die in allen Gebieten fortschreitende Digitalisierung als Eckgrösse bei unseren Entscheiden für morgen. Für Baumer birgt sie Gefahren, trägt aber auch Chancen in sich. So benutzen wir digitale Kanäle, um analoge Kanäle zu pushen. Oder wir versuchen im Werbesektor durch die Kombination der beiden Kanäle ein optimales Resultat zu erreichen. Als Vertreter der Branche im Schweizer Kommunikationsrat und als Vorstandsmitglied des Schweizerischen Dialog-Marketing-Verbandes verfolge ich die Entwicklung besonders aufmerksam.

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