Branchen & Märkte

Technologien: Ausblick

Den technologischen Anschluss nicht verlieren

Die Schweiz führt seit Jahren die Innovationsrankings an, sie verfügt über grosse Standortvorteile. Und doch besteht, vor allem in Sachen Digitalisierung, auch Nachholbedarf. Wie eine Studie zeigt, gilt dies insbesondere für KMU.
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Erneut belegte in diesem Sommer die Schweiz im Global Innovation Index den ersten Platz von 130 untersuchten Ländern – vor Schweden, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten. Auch beim Innovationsindikator 2017 liegt unser Land ganz vorne, dort vor Singapur, Belgien und Deutschland. Dass die Schweiz in beiden Rankings zum sechsten Mal hintereinander den Spitzenplatz innehat, ist sehr beachtlich.

Zudem sind dies nicht die einzigen vergleichbaren Rankings, bei denen die Schweiz glänzt. Regelmässig belegt unser Land Spitzenplätze, wenn es um Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit geht. Doch bei aller Zufriedenheit, auf den Lorbeeren ausruhen dürfen sich Unternehmen hierzulande nicht. Denn die digitale Transformation bringt zahlreiche disruptive Technologien mit sich, welche die Situation radikal verändern können.

Zudem gilt es, die möglichen Verzerrungen von solchen Rankings zu bedenken: So sind es insbesondere Pharmamultis wie Novartis oder Roche, welche wegen ihrer umfangreichen Investitionen in Forschung und Entwicklung einen Löwenanteil zu den inländischen Forschungsausgaben beitragen.

Doch wie sieht es mit den vielen KMU, dem Rückgrat der Schweizer Wirtschaft, aus? Sind auch sie für die kommenden Herausforderungen gerüstet? Haben sie das Know-how und die Mittel, um den technologischen Wandel zu bewältigen oder gar mitzugestalten?

Der «Technology Outlook 2017» (TO), eine Publikation der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften, geht unter anderem dieser Frage nach. Im «Technology Outlook» beurteilen über 20 ausgewiesene Experten die wichtigsten Technologien sowie deren Chancen und Gefahren aus Sicht der Schweiz. Die Bilanz für KMU fällt gemischt aus: Zum einen bieten sich ihnen grosse Chancen, zum andern besteht aber auch Handlungsbedarf.

Herausforderung Industrie 4.0

«Industrie 4.0» gehört zu den Schlagworten der Stunde. Gemeint ist die Durchdringung industrieller Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Dabei wird oft auf Standardlösungen aus der Business-IT aufgebaut. Die Differenzierung erfolgt dann über die individuelle Weiterentwicklung der Software und die Vernetzung der Komponenten.

In der Schweiz ist bereits ein umfangreiches praxisorientiertes Wissen vorhanden, weil der Preisdruck viele Unternehmen schon vor Jahren zu einem konsequenten Digi­talisierungskurs gezwungen hat und zahlreiche KMU als Zulieferer in die vernetzte Produktion von Grossfirmen integriert wurden. Doch geht die Entwicklung heute noch einen Schritt weiter in Richtung cyber-physische Produktionssysteme, bei denen alle Prozesse virtuell abgebildet werden und Sensoren sämtliche Vorgänge überwachen. Die erhobenen Daten erlauben bessere Analysen und ermöglichen es, die Effizienz zu steigern, Fehler früh zu erkennen und zu vermeiden. All das steigert die Produktivität. Zudem lassen sich Korrekturen in Echtzeit vornehmen.

Robotik ist Trumpf

Es mag manche vielleicht überraschen, aber die Schweiz ist ein regelrechtes Robotik-Mekka. Weltweit gibt es nirgends eine höhere Dichte an Nachwuchskräften, die in diesem Bereich ausgebildet werden. Dafür sorgen insbesondere die Technischen Hochschulen, die auch eine Rekordzahl von Robotik-Start-ups hervorbringen. Während starre Industrieroboter schon lange im Einsatz sind, werden zunehmend auch flexible sowie intelligente Roboter entwickelt.

Ein spezielles Augenmerk dürfte in den nächsten Jahren der kollaborativen Robotik gelten, also Robotern, die mit Menschen zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist der Zweiarm-Roboter Yumi, den ABB 2016 auf den Markt brachte. Dieser kann Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten, ohne diese zu gefährden. Für die Schweizer Maschinenindustrie bietet dieses Segment grosse Chancen, da sie sich mit der Herstellung komplexer und präziser Maschinen gut auskennt.

Roboter lassen sich in ganz unterschiedlichen Bereichen wie der Landwirtschaft, im Forstwesen, der Logistik oder Medizintechnik einsetzen, um nur ein paar Anwendungsfelder zu nennen. Weiter ist zu erwarten, dass sogenannte Serviceroboter vermehrt im Haushalt und im Dienstleistungssektor zum Einsatz kommen. Gelingt es der Schweiz, das vorhandene Know-how in den Bereichen Präzisionsmechanik, künstlicher Intelligenz und Sensorik zu bündeln und die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft zu intensivieren, kann unser Land auf dem Gebiet der Robotik eine Führungsrolle übernehmen.

Additive Fertigung forcieren

Vielerorts ist das noch Zukunftsmusik, denn bereits die digitale Beherrschung der Prozesse ist eine Aufgabe, mit der sich viele Schweizer KMU schwertun. Oft werden Prozesse nur lokal isoliert betrachtet und trotz hohem technischem Know-how hapert es nicht selten bei der digitalen Abbildung. Im Gegensatz dazu arbeiten beispielsweise in der deutschen Automobilindustrie auch kleinere und mittlere Unternehmen mit Hochdruck daran, ihre Prozesse konsequent virtuell abzubilden. Hier sind bei vielen Schweizer KMU gros­se Anstrengungen nötig, wollen sie den Anschluss nicht verpassen.

Die Schweiz verfügt traditionell über eine starke MEM-Industrie. Mit rund 320 000 Beschäftigten ist sie auch die mit Abstand grösste industrielle Arbeitgeberin hierzulande. Dabei kommt den KMU eine gros­se Bedeutung zu: 99 Prozent der MEM-Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeitende. Dies zeigt die hohe Spezialisierung: Viele MEM-KMU produzieren stark kundenspezifische, hochpräzise Baugruppen in kleinen Stückzahlen. Eine Automatisierung ist unter diesen Bedingungen bisher kaum rentabel. Additive Fertigungsverfahren könnten dies ändern, denn sie ermöglichen die kostengünstige Herstellung von speziell geformten Komponenten, auch in kleinen und mittleren Stückzahlen.

Bisher hat sich die Schweiz auf industriel­ler Ebene nur unwesentlich an der Weiterentwicklung dieser Technologie beteiligt. Zudem hinkt sie bezüglich der Ver­breitung dem europäischen Umfeld hinterher. Dies ist umso schlimmer, da der additiven Fertigung ein signifikant höheres Wachstum prognostiziert wird als konventionellen Fertigungstechnologien. Doch dank ihrer Innovationsfähigkeit und interdisziplinären Stärke sollte die Schweiz in der Lage sein, diesen Gap zu schliessen und die additive Fertigung gezielt zu nutzen.

Grosse Potenziale dafür gibt es neben der Maschinen- auch in der Turbinenindustrie, der Medizintechnik, der Leichtbaubranche und in der Luft- und Raumfahrt. Damit diese genutzt werden, muss das Thema in der hiesigen Förderkultur verankert und die Forschung zur Entwicklung von Materialen für additive Fertigungsprozesse intensiviert werden. Hier gibt es Platz für Nischenanbieter.

Medtech-Branche unter Druck

Mit grossen Herausforderungen sehen sich KMU in der Medizintechnik-Branche konfrontiert. Zwar weist die Branche eine hohe Wertschöpfung auf, doch die Hürden für Innovationen werden auf diesem Gebiet immer zahlreicher. Strenge regulatorische Vorgaben und Marktzulassungsbedingungen sowie hohe Qualitätsanforderungen und Zertifizierungskosten machen KMU das Leben schwer. Für diese wird es auch schwieriger, sich bei grösseren Ausschreibungen durchzusetzen oder Zugang zu Spital-Einkaufs­organisationen zu erhalten.

Der Staat hat die Problematik erkannt und fördert die Forschung auf diesem Gebiet mit Initiativen, die beispielsweise von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) getragen werden. Auch private Förderprogramme spielen eine wichtige Rolle. Gerade auch für Start-ups ist eine solche Förderung essenziell, sie reicht jedoch nicht aus. Um den klinischen «Proof of Concept» zu erreichen, die dafür nötigen Daten zu erheben und die benötigten Fallzahlen zu erreichen, sind Mittel nötig, welche die Möglichkeiten solcher Förderprogramme zumeist übersteigen. Hier braucht es deshalb neue Möglichkeiten der Unterstützung durch Plattformen, welche die Umsetzung einer guten Idee zumindest in die ersten klinischen Anwendungen begleiten. Mit Innovationen und hoher Qualität kann sich die hiesige Medtech-Branche auch in Zukunft gegen die steigende Konkurrenz aus Billiglohnländern behaupten.

Angewandte Forschung stärken

All diesen Herausforderungen zum Trotz stimmt der «Technology Outlook 2017» insgesamt positiv: Digitalisierung und neue disruptive Technologien bieten sehr grosse Chancen für innovative Unternehmen, ganz unabhängig von ihrer Grösse. Wer neue, auf einer digitalen Kunden- und Produktorientierung basierende Geschäftsmodelle konzipiert, kann heute so schnell wie nie zuvor einen Kundenstamm aufbauen und etablierte Akteure in deren Domänen konkurrenzieren. Beispiele dafür gibt es genug. Die Schweiz kann ihre Stärken nutzen, um mithilfe der neuen Technologien ihre Position im globalen Standortwettbewerb noch weiter zu festigen.

Gerade kleine und mittelgrosse Unternehmen können profitieren, da sie dank ihrer geringen Grösse agiler sind und die Nähe von Management und Produktion die vertikale Integration begünstigt. Viel wird davon abhängen, wie investitionsfreudig das Klima in den nächsten Jahren sein wird und wie gut die Politik die Wirtschaft unterstützt, indem sie für optimale Rahmenbedingungen sorgt. Die Bildung eines hochkarätigen Beirats «Digitale Transformation» zeigt, dass das Thema in Bundesbern angekommen ist. Entscheidend wird auch sein, ob Hochschulbildung und Spitzenforschung weiterhin genügend gefördert werden.

Der Fokus sollte aber vermehrt auf der angewandten Forschung liegen, dem unverzichtbaren Bindeglied zwischen langfristiger Grundlagenforschung und kurzfristiger Produktentwicklung. Dementsprechend muss der Technologietransfer zwischen Forschungszentren, Hochschulen und Industrie stärker gefördert werden. Insbesondere KMU, die oft keine grossen Forschungsabteilungen unterhalten, müssen einfacher Zugang zu Forschungsresultaten haben.

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