Branchen & Märkte

Internationalisierung

Chinas Wirtschaft im Zeichen von Corona

China sieht sich mit der ersten Rezession seit dem Beginn der Öffnung des Landes vor 40 Jahren konfrontiert. Für 2020 wurde erstmals kein Wachstumsziel festgelegt. Statt­dessen wird die Schaffung von Arbeitsplätzen priorisiert. Was bedeutet das für die Geschäfts­chancen von internationalen Firmen in China?
PDF Kaufen

China reagierte auf den ersten Ausbruch von Covid-19 in Wuhan mit einem ri­gorosen Lockdown. Durch die Einschränkung der sozialen Kontakte sollte die Übertragung des Virus verhindert werden. Für die Chinesen waren die öko­nomischen Folgen des Lockdowns de­saströs – genauso wie für die meisten anderen Länder weltweit.

Erstmals Negativwachstum

Zum ersten Mal seit der Öffnung Chinas vor 40 Jahren bekamen die chinesischen Bürger Negativwachstum zu spüren: –6,2 Prozent im ersten Quartal 2020 im Jahresvergleich. Die Regierung reagierte mit zahlreichen Initiativen, um den Fall abzubremsen. Staatliche Banken boten grossen Unternehmen neue Kredite und reduzierte Zinsen, wobei der niedrigste Kreditzinssatz für Firmen immer noch bei 4,35 Prozent liegt. Um kleinere Firmen zu unterstützen, wurden die So­zialabgaben für Angestellte von KMU bis Ende 2020 erlassen.

Darüber hinaus hat die Regierung auch ihre traditionale Stimulus-Methode zur Anwendung gebracht und Infrastruk­­tur- sowie Bauprojekte gestartet. Der Verkauf von Baggern und Schwerlastkraftwagen zog um 60 Prozent an, während Zement- und Stahlverkäufe im Mai um 8 beziehungsweise 6 Prozent im Jahres­vergleich wuchsen.

Die Industrieproduktion wuchs im Mai ebenso, und zwar um 4,4 Prozent im Jahresvergleich. Der Einkaufsmanagerindex war im Mai und Juni in den Bereichen Industrie und Dienstleistungen über 50, was auf ein Wachstum der Wirtschaft hindeutet.

Der Konsum war im Juli im Jahresvergleich negativ: –1,1 Prozent. Im Juni (–1,8 %) und Mai (–2,8 %) war der Konsum jeweils noch etwas weiter unter dem Level des Vorjahres, da die Bevölkerung noch vorsichtiger war und auf soziale
Aktivitäten verzichtete, die das Risiko der Übertragung des Virus erhöhen.

Noch keine Erholung

Dennoch ist China von einer völligen Erholung noch weit entfernt. Die städtische Arbeitslosenrate lag im Juni bei 5,7 Prozent, nur unwesentlich geringer als im April (6 %). 19,3 Prozent der Menschen im Alter von 20 bis 24 Jahren und mit Universitätsabschluss suchen in Chinas Städten eine Arbeit. Die Wanderarbeiter, die aus den ländlichen Gebieten Chinas kommen und ihre Jobs verloren haben, werden in dieser Statistik aber nicht abgebildet. Insgesamt rechnen Experten mit rund 290 Millionen Wanderarbeitern in China, und gut 20 Prozent davon könnten Schätzungen zufolge momentan arbeitslos sein.

Der chinesische Premierminister hat diese kritische Arbeitsplatzsituation anerkannt – während seiner offiziellen jährlichen Ansprache in Chinas Parlament hat er arbeitslose Chinesen dazu ermuntert, mit Imbiss- und Verkaufsständen Geld zu verdienen.

Laut einer Analyse der Financial Times hat Chinas wirtschaftliche Aktivität erst im Juli das Level erreicht, das sie vor dem 23. Januar hatte, als der Wuhan-Lockdown startete. Sie ist immer noch rund 20 Prozent unter dem Level von
vergangenem Jahr.

Dazu kommt, dass das Risiko der Pan­demie nicht völlig eliminiert wurde. Als einige Personen in Wuhan positiv getestet wurden, unternahm die Stadt grösste Anstrengungen und testete 10 Millionen Einwohner in den letzten 20 Mai-Tagen. 300 asymptomatische Fälle wurden entdeckt, was klar machte, dass der Virus in dem 77-tägigen Lockdown nicht komplett ausgelöscht wurde.

In Peking, der Stadt, die in China am meisten Aufmerksamkeit in Sachen Virus-Prävention auf sich zieht, weil es auch darum geht, die politische Führung des Landes zu beschützen, wurden im Juni auch neue Virus-Fälle identifiziert. In zehn Tagen wurden 2,3 Millionen Einwohner getestet. 227 positive Fälle wurden bestätigt und isoliert. Zwei chinesische Bürger, die im Februar und April infiziert waren und sich danach erholt hatten, testeten ein zweites Mal positiv, was darauf hindeutet, dass der Virus ein zweites Mal ausbrechen kann.

Trotz allem ist das Konsumklima posi­tiv. Die Chinesen haben im Vergleich zu Bürgern anderer grosser Volkswirtschaften eine positive Sichtweise, was die Stärke der Wirtschaft und auch die individuelle finanzielle Situation betrifft.

Massnahmen in Billionenhöhe

Um die Wirtschaft langfristig anzutreiben, hat die chinesische Regierung ein Investitionspaket in der Höhe von 1,4 Billionen US-Dollar für neue Technologien bis 2025 geschnürt. Zusätzlich zu den herkömmlichen Infrastrukturinvestments werden auch der Ausbau von 5G, das Internet der Dinge, autonom fahrende Autos, künstliche Intelligenz und weitere neue Technologien landesweit forciert. So soll China in einen wahren digitalen Giganten verwandelt werden.

Die chinesische Regierung hat kürzlich auch den Ausbau des Netzwerks der Hochgeschwindigkeitszüge angekündigt. Bis 2035 soll das Netzwerk um 70 000 Kilometer erweitert und da­mit fast ver­doppelt werden. Alle Städte mit mehr als einer halben Million Einwohner sollen an das Hochgeschwin­digkeitsnetzwerk angeschlossen sein. Gleich­zeitig laufen Tests für neue Magnetschwebebahnen (Maglev), die eine Höchstgeschwindigkeit von 600 km/h erreichen sollen – neun solche Maglev-Linien sind in Planung.

Im Jahr des Coronavirus bleibt viel Un­sicherheit und man kann durchaus Zweifel hegen, was die Perspektiven der chi­nesischen Wirtschaft anbelangt. Den­-noch, Chinas erfolgreiche Eindämmung des kürzlichen Covid-Ausbruchs in Peking ohne grossflächige Lockdowns zeigt, dass das Land die sozialen Werkzeuge ent­wickelt hat, um die Pandemie ohne weitere grosse wirtschaftliche Schäden zu kontrollieren. Während weitere Ausbrüche so gut wie sicher sind, kann angenommen werden, dass sie ohne gross­flächige Ausgangssperren bewältigt werden können.

Positive Prognose

Der Internationale Währungsfonds (IWF) scheint das auch so zu sehen: Er hat kürzlich die wirtschaftliche Prognose für Chi­na überarbeitet und erwartet 1 Prozent Wachstum 2020 und 8,2 Prozent Wachstum 2021. UBS erwartet ein Wachstum von 1,5 Prozent dieses Jahr und 7,5 Prozent kommendes Jahr.

China hat die Wachstumsrate des zweiten Quartals veröffentlicht: 3,2 Prozent. UBS hatte ein Wachstum von lediglich 0,5 Prozent im zweiten Quartal erwartet, und viele Fachleute zweifeln an den positiven Zahlen. Einige Analysten schätzen, dass die Zahlen im zweiten Quartal durch die ungewöhnlich starken Exporte von Me­dizingütern und geringen Einfuhren verzerrt wurden.

Auch wenn die Genauigkeit der Zahlen des zweiten Quartals zu hinterfragen ist: Die Beobachter, die in China leben, sehen, dass im Juli weitgehend Normalität eingekehrt ist – mit angekurbelter wirtschaftlicher Aktivität, Staus und prall gefüllten Einkaufszentren. Die Menschen stehen sogar wieder vor Luxusgüter-Geschäften Schlange. 

Aufschwung erwartet

Zieht man in Betracht, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten in der ersten Jahreshälfte so niedrig ausgefallen sind, bedeuten die Prognosen von einem Wachstum für 2020, dass für die kommenden Monate mit einem signifikanten Aufschwung zu rechnen ist. UBS erwartet rund fünf Prozent Wachstum im Jahresvergleich für das dritte und vierte Quartal 2020.

Verglichen mit einem erwarteten BIP-Rückgang von zehn Prozent in der EU und einem Negativwachstum von acht Prozent in den USA, bedeutet diese wirtschaftliche Erholung, dass China die einzige grosse Weltwirtschaft sein könnte, die 2020 nicht schrumpft – jedenfalls solange sich die geopolitischen Spannungen, in die China involviert ist, nicht intensivieren. Damit bietet China nach wie vor sehr attraktive Marktchancen.

Porträt