Warum Freiheit auch Angst machen kann

Psychologie

Warum Freiheit auch Angst machen kann

Wenn Menschen sich mehr Freiheit wünschen, aber an einem verregneten Wochenende nichts mit sich anzufangen wissen, liegt die Vermutung nahe, dass wir unseren «Käfig» selbst inszenieren. Der Beitrag zeigt, warum das so ist und welcher Weg dort hinausführt.

Warum Freiheit auch Angst machen kann

Wenn Menschen sich mehr Freiheit wünschen, aber an einem verregneten Wochenende nichts mit sich anzufangen wissen, liegt die Vermutung nahe, dass wir unseren «Käfig» selbst inszenieren. Der Beitrag zeigt, warum das so ist und welcher Weg dort hinausführt.

Noch nie waren wir so frei und «satt» wie heute: Unsere Grundversorgung ist gesichert, meistens haben wir sogar viel mehr, als wir brauchen. Die Freizeit können wir – Corona einmal aussen vor – mit einem schillernden Angebot an interessanten Aktivitäten füllen. Und auch in Zeiten der Pandemie mangelt es uns nicht an geistig-intellektuellen Herausforderungen oder Angeboten für emotionale Erfüllung.

Suche nach Befriedigung

Wir könnten uns also ganz entspannt ­zurücklehnen und das Leben geniessen. Theoretisch. In Wirklichkeit finden wir aber doch immer wieder etwas, das wir noch nicht haben, noch nicht sind, noch nicht erreicht haben. Ist das eigene Leben gerade nicht dramatisch genug, gibt es ­sicher etwas im Aussen, worüber wir­ jammern oder meckern können: das Wetter, die Politik, die Nachrichten oder Arbeitskollegen. So bleiben wir immer unzufrieden. Als «Entschädigung» für unser Leiden suchen wir beständig weiter nach Befriedigung: Erfolg, Geld, Essen, Sex, Genussmittel, Schönheit, Spass, Sport etc. Sicherlich hat das innere «Getrie­bensein» individuelle Ursachen wie verfestigte Kindheitsmuster, alte Gefühle, energetische Blockaden oder einfach schlechte Gewohnheiten. Mit Präsenz im Augenblick wäre aber jeder Mensch in der Lage, jede dieser Ursachen unmittelbar zu entkräften und frei zu sein. Warum steigen wir nicht einfach aus dem «Hamsterrad» aus? Beliebte Ausreden sind: «Ich kann nicht, weil …» Ja, warum eigentlich?

Freiheit kann Angst machen

Würden wir unsere Freiheit annehmen und unser Leben selbstbestimmt gestalten, würden wir zurückgeworfen auf ­unsere bedingungslose Eigenverantwortung. Obwohl wir also scheinbar nach innerer und äusserer Freiheit streben, ist es in der Realität eher so, dass wir sie vermeiden. Wir begeben uns immer wieder «freiwillig» in Zwänge, aus denen wir uns befreien wollen, und erschaffen Probleme, die wir lösen können. Sehr leicht erkennen wir selbst gebaute Zwänge am Wörtchen «muss»:

  • Ich muss heute Kunden anrufen!
  • Ich muss Sport machen!
  • Ich muss mal wieder die Grossmutter besuchen!
  • Ich muss zum Friseur!
  • Ich muss die Wohnung putzen!

Und das ist noch die entwickelte Form. Oft verwenden wir eher «man muss». In allen Fällen verwandeln wir selbst gewählte ­Aufgaben und Entscheidungen in innere Zwänge. Immer mit dem Ziel, beschäftigt zu sein. Dabei verlegen wir unseren Re­ferenzpunkt, also die Autorität über unser Leben, von innen («Ich kann/darf/möchte … ») nach aussen («Mein Chef / mein Arzt / meine Frau / meine Nachbarn / die Gesellschaft … sagt, ich muss …»).Eine weitere beliebte Strategie, um die Freiheit zu vermeiden, ist das «Streben nach mehr»:

  • Ich muss mehr Geld verdienen, dann bin ich frei.
  • Ich muss mehr Freizeit haben, dann bin ich ausgeglichen.
  • Ich muss mehr wissen, dann bekomme ich alles in den Griff.
  • Ich muss schöner sein, dann werde ich gemocht.
  • Ich brauche mehr Vergnügen, dann bin ich glücklich.
  • Ich muss erfolgreicher sein, dann werde ich anerkannt.
  • Ich muss mehr Gutes tun, dann fühle ich mich wertvoll.

Wir sind also die meiste Zeit damit beschäftigt, unsere Freiheit zu vermeiden, obwohl wir sie herbeisehnen. Das führt natürlich nie zu dauerhafter Freude und Erfüllung, ist aber dennoch sinnvoll. Denn wenn wir nicht wissen, was wir mit unserer Freiheit anstellen sollen, dann ist sie eine Strafe. Trauen wir uns die Eigenverantwortung für unser Leben nicht zu, empfinden wir uns selbst als sinn- oder nutzlos. Diese Gefühle gehören zu den unangenehmsten überhaupt, weil sie unsere Daseinsberechtigung grundsätzlich infrage stellen. So meinen wir, den Halt auf der Welt zu verlieren.

Die Suche nach dem Halt

Das vielfach verteufelte «Hamsterrad» und ständige Streben nach «mehr» ist so ge­sehen nicht die schlechteste Wahl. Zum ­einen fühlt sich Druck immer noch besser an, als halt- und nutzlos in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Zum anderen entstehen aus unserer Strebsamkeit natürlich unglaubliche geistige und materielle Errungenschaften, die die Entwicklung unserer Welt und Gesellschaft vorantreiben. 

Wenn es jedoch nicht mehr ausreicht, uns durch Leistung oder kurzfristige Befriedigung bedeutsam und glücklich zu fühlen, brauchen wir etwas anderes, das uns den nötigen Halt gibt. Mutige Menschen sind auf der Suche nach diesem «Neuen» vorangegangen und haben tatsächlich die (Er-)Lösung gefunden: Aus Sinnhaftigkeit entstehen Erfüllung und Zufriedenheit! Dem Leben Sinn und Bedeutung ­geben funktioniert auf zwei Wegen.

Wie Sinngebung funktioniert

Wir geben unseren Alltags­aufgaben mehr Bedeutsamkeit

Das bedeutet schlichtweg, dass wir alles, was wir tun, ganz bewusst und bestmöglich tun. Besonders ganz banale Tätigkeiten. Wenn wir einen Teller abwaschen, sind wir mit unseren Gedanken ganz beim Abwaschen. Wir spülen den Teller so perfekt, wie noch nie zuvor jemand einen Teller gespült hat. Wir erfreuen uns daran, dass wir die Zeit haben, den Teller in Ruhe abzuwaschen, dass wir gesunde Hände haben, um den Teller zu waschen, dass uns fliessendes Wasser zur Verfügung steht. 

Wenn wir mit einem Mitarbeiter sprechen, sind wir ganz und gar bei dem Mitarbeiter. Wir hören genau zu und nehmen ihn mit Körper, Geist und Seele wahr. Wir erkennen, welchen Benefit wir in diesem Gespräch für alle Beteiligten erreichen, und bemerken, wie nützlich wir als Gesprächspartner sind. So aufmerksam bei banalen Tätigkeiten zu sein, klingt erst einmal ziemlich langweilig. Sobald wir jedoch unsere inneren Widerstände gegen diese «Präsenz» überwunden haben, stellen wir sehr schnell fest, wie die Hingabe an eine Aufgabe uns innerlich immer ruhiger und zufriedener werden lässt.

Wir finden und verwirklichen unseren Lebenssinn

Das bedeutet ganz einfach, uns darüber bewusst zu sein, wie wir wirklich «vom Leben» gemacht sind und wofür wir unsere Besonderheit in diesem Leben ein­setzen sollen. Im Gegensatz zu obiger Präsenzübung sind Sinn und Bedeutung unseres Alltags dabei nicht «chaotisch», sondern klar ausgerichtet. Denn jeder Mensch ist eine vollkommene, perfekt ausgestattete «Massanfertigung» der Natur mit einem Auftrag, den niemand sonst erfüllen kann.

Mit bewusster Sinnlebung erkennen wir sehr schnell, dass alles in unserem Leben uns dabei unterstützen will, unseren ­Auftrag bestmöglich erfüllen zu können. Aus meiner Erfahrung gibt es nichts, was mehr zu einem erfüllten Leben und innerer Freiheit beiträgt, als die Gewissheit, dass die ganze Welt hinter dir steht. Wenn wir Sinn im Leben haben, können wir ­unsere Freiheit annehmen und positiv nutzen. Wir können unser Leben aktiv schöpferisch gestalten und damit grosse Ver­änderungen zum Besten des Ganzen bewirken.

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