Der ehemalige Unternehmensberater Frédéric Laloux benennt zwei Führungsaufgaben, die für CEOs in der Selbstorganisation entfallen. Diese sind:
- Alle Entscheidungen mit grosser Tragweite fällen.
- Die Organisation antreiben,
- Druck ausüben.
Kernaufgaben entfallen
Warum diese Kernaufgaben während der Transformation zur Selbstorganisation entfallen und zu welchen Herausforderungen dies führt, zeigen nachfolgende Ausführungen.
Alle Entscheidungen mit grosser Tragweite fällen
Alle Entscheidungen mit grosser Tragweite zu fällen, ist die heutige Kernaufgabe von CEOs. Es heisst ja nicht ohne Grund «Chief Executive Officer». Der CEO bekommt Themen, Herausforderungen und eine Vielzahl an Entscheidungsvorlagen auf den Tisch, die das ganze Unternehmen betreffen, und hat zu entscheiden, was zu tun ist. Diese Rolle nimmt einen Grossteil der Arbeitszeit der heutigen CEOs in Anspruch und wird in der selbstorganisierten Organisationsform nach klaren Prinzipien von allen Mitarbeitenden in ihren Rollen übernommen. Es ist das, was Laloux mit «Distribution of Power» (Die Verteilung der Macht) meint.
Für den CEO heisst dies in der Konsequenz, dass es ihn im Tagesgeschäft viel weniger benötigt; es verschafft ihm den Raum, neue, viel wichtigere Rollen auszuüben. Zudem führt dies dazu, dass der CEO nicht mehr unter extremer Dauerbelastung steht, die eine Folge der Gesamtverantwortung für das Wohl der Organisation ist.
Selbstorganisation führt dazu, dass die Verantwortung für das Ganze von vielen getragen wird. Die Anforderung, die ich in meinen 20 Jahren als Berater immer wieder von Führungskräften zu hören bekam, lautet: «Unsere Mitarbeitenden sollen mehr unternehmerisch denken und handeln.» Oftmals habe ich mit der Aussage gehadert, weil dies bei unveränderten Top-down-Machtstrukturen ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Für diese durchaus berechtigte Anforderung benötigt es gänzlich neue Rahmenbedingungen, diese schafft die Selbstorganisation.
Der bekannte und oft gehörte Einwand bei Selbstorganisation ist: «Was passiert, wenn das Unternehmen in eine Krise schlittert, wie können dann rasch die notwendigen Entscheidungen gefällt werden, um Gröberes zu verhindern?» In den Beschreibungen der Organisationen, die Laloux untersucht hat, werden viele Beispiele aufgezeigt, die belegen, dass gerade durch die Selbstorganisation schnelles lösungsorientiertes Handeln möglich wird. Beim Automobilzulieferer Favi (Frankreich) wurde zum Beispiel innerhalb weniger Stunden eine Teilzeitbeschäftigung beschlossen, bis der Umsatzausfall infolge abgesprungener Kunden wieder durch Neu-Aufträge kompensiert werden konnte. Das kollektive Wissen der Mitarbeitenden und das unternehmerische Denken, verbunden mit dem hohen Engagement, werden genutzt, damit in der Krisensituation rasch effektive Lösungen gefunden werden können.
Aber es bleibt eine Falle bei der Transformation zur Selbstorganisation, dass im Moment, wo es eng wird, der CEO wieder reflexartig in die alte Rolle rutscht und das Ruder übernimmt. Hier ist eine vertrauensvolle Kollaboration entscheidend, was auch beinhaltet, den Menschen und ihrem Lernprozess zu vertrauen. Es bedingt aber auch, dass der CEO Menschen um sich hat, die sich getrauen, ihm den Spiegel vorzuhalten, wenn er in alte Muster zurückfällt.
Es ist auch zu bemerken, dass Selbstorganisation manche Mitarbeitenden, vor allem durch ihre Sozialisierung, vor grosse Herausforderungen stellt. Nicht jeder Mensch ist geschaffen für diese Transformation, das muss beachtet werden. Es gibt solche, die mit der grösseren Verantwortung aufblühen, andere folgen ihnen und wieder andere können oder wollen den Schritt nicht machen. Dort gibt es interessante Erfahrungswerte bei Unternehmen wie Spotify, die den Mitarbeitenden drei Monate verlängerte Kündigungsfristen gewährten und damit einen fairen Abgang ermöglichten, wenn sie die Reise nicht mitmachen wollten.