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Interview mit Daniel Bodmer

«Wir disruptieren uns sozusagen täglich selber»

Daniel Bodmer, CEO der Faigle-Gruppe, über die Digitalisierung im Dokumenten- und Datenmanagement, das Selbstverständnis von «Chance Management» und die Auswirkungen der Coronakrise.

Herr Bodmer, im vergangenen Juni haben Sie die operative Führung der Faigle-Gruppe übernommen. Was hat Sie dazu bewogen, in das Familienunternehmen einzusteigen?

Die Faigle AG kenne ich schon seit dem Anfang meiner Karriere. Faigle ist ein grossartiges Unternehmen, welches sich von der elektronischen Rechenmaschine über Bürokopierer hin zum Dokumenten- und Datenspezialisten stetig weiterentwickelte und heute in diesem Bereich eine klare Marktführerschaft innehat. Stetiger Wandel und Innovation sind eine grosse Herausforderung, die mich immer wieder reizt. Ein Unternehmen fit zu halten und für die Zukunft vorzubereiten, also stets neu zu erfinden, ist meine Leidenschaft.

Sie haben bislang in ganz unterschiedlichen Branchen gearbeitet. Welche Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten können Sie in dieser Stellung anwenden?

Bereits 1990 arbeitete ich in der Büroautomation und erlebte da die erste Welle der Digitalisierung und konkret die Entwicklung des Fotokopierers vom analogen zum digitalen Gerät. Ich hatte die Verantwortung für Farbkopierer, ein Gerät, das bereits damals zugleich Scanner als auch Drucker war und in die Netzwerke der Unternehmungen eingebaut wurde. Nachher durfte ich in meiner Karriere auch zahlreiche andere Branchen kennenlernen. Der rote Faden bei meinen Tätigkeiten war immer die Innovation und das Change Management. Auch meine letzte Aufgabe in der Finanzindustrie war geprägt vom Umbau und der konsequenten Digitalisierung alter Prozesse und des Angebots von neuen Lösungen für den Kunden. Der kommerzielle Erfolg hat sich sehr schnell eingestellt, weil die Mitar­beiter sofort verstanden haben, wohin die Reise geht, und diese aktiv unterstützt haben. 

Die Faigle AG war ein Familienunternehmen. Ist sie das immer noch, und wenn ja, wie wirkt sich das auf Ihre Tätigkeit aus?

Mit über 250 Mitarbeitenden, welche ihre Dienstleistungen in der ganzen Schweiz erbringen, ist der Ausdruck «Familienunternehmen» wahrscheinlich nicht ganz richtig. Der Eigentümer, Dr. Andres Iten, hat sich schon seit Jahren auf das Verwaltungsratspräsidium konzentriert, wo er zusammen mit seiner Frau und einem sehr ausgewogenen Verwaltungsrat die Strategie definiert und das Unternehmen weiter begleitet. Die Vorteile eines unabhängigen Aktionärs hingegen, welche sich beispielsweise bei der Frage der Liquidität, kurzen Entscheidungswegen oder auch einem gewissen sozialen Engagement manifestieren, sind allerdings sehr schöne Eigenschaften, auf die wir stolz sind und die wir nicht missen möchten.

Die Faigle AG bezeichnet sich als Gesamtlösungs­anbieter. Was ist darunter konkret zu verstehen?

Während früher das Kopiergerät im Mittelpunkt unserer Dienstleistung stand, ist es heute der Kundennutzen und die entsprechende Beratung. Wir begleiten mit unseren Systemen alle Abläufe betreffend Daten und Dokumenten, von der Erstellung oder Scan bis hin zur Archivierung, Weiterverarbeitung oder Prozessintegration und allenfalls dem späteren Ausdruck. Peripherie und Hardware werden dabei zu einer von vielen Komponenten in der Lösung. Ob damit noch gedruckt wird, ist langfristig weniger wichtig als das Zusammenspiel aller Komponenten.

Welche Unternehmen gehören zu den Zielgruppen der Faigle AG?

Wir sind in unserer Branche eine der grösseren Direktvertriebsorganisationen der Schweiz und verfügen über ein gut ausgebautes Fachhandelsnetz. Damit betreuen wir vom KMU bis zu grossen Unternehmen alle Kunden, welche ein Bedürfnis nach Dokumentenlösungen haben. Während dies in kleineren Unternehmen ein ganz einfaches Kopiersystem ist, sind Firmen im Bereich Treuhand, Steuern, Finanzwesen oder auch in Medizinaltechnik führend bei der Digitalisierung von Dokumenten und Prozessen. Hier unterstützen wir mit Beratung und Entwicklung von massgeschneiderten Lösungen.

Wo werden die Geräte hergestellt, die Sie verkaufen?

Das ist gar nicht mehr so einfach zu beantworten. Unsere Hauptlieferanten haben ihre Hauptsitze in Japan und produzieren auch noch dort. Wie alle Technologiekonzerne haben sie die Produktion mittlerweile allerdings nach ganz Asien verlegt. Der Markt für Hardware nimmt kontinuierlich ab und wird durch Softwarelösungen ergänzt. Hier sind unsere Produkte mehrheitlich aus Europa oder gar Eigenentwicklungen. 

Ein neues Gebiet sind 3D-Drucker? Was wird mit diesen produziert?

So neu ist 3D gar nicht mehr. Die Anwendungen gehen von Einzelstücken bis hin zur Massenproduktion im industriellen Sektor, wie beispielsweise der Automobilindustrie. Faigle konzentriert sich auf die Teilbereiche Beratung, Aufbereitung von CAD-Daten zur Vorbereitung eines 3D-Drucks, und Fertigung von kleineren Auflagen in höchster Qualität und unterschied­lichen Druckverfahren. 

3D-Drucker können im Hinblick auf Innovationsschutz problematisch sein, das heisst, Imitationen ermöglichen. Wie kann man das vermeiden?

Faigle verpflichtet sich dank einer klar festgehaltenen Policy zu Gesetz und ethischem Verhalten. Jegliche Verletzung von Grundrechten, also auch Patenten, lehnen wir ab und verpflichten uns, diese entsprechend anzuzeigen.

Eine neue Geschäftsleitung ist meist auch mit Ver­änderungen verbunden. Was sind Ihre Pläne?

Meine Kernkompetenz ist es, das Unternehmen infrage zu stellen und so umzugestalten, dass wir auch in Zukunft ein kom­petenter Partner unserer Kunden sind. Ich bin nicht bei Faigle, um das alte Geschäft zu optimieren und möglichst viele Geräte zu verkaufen. Wir werden unseren Fokus vermehrt auf auto­matisierte Prozesse, digitalisierte Abläufe und vor allem auf das Dokumenten- und Datenmanagement verlegen. Alles, was di­gitalisiert werden kann, wird sowohl bei uns intern als auch in den Kundenlösungen konsequent verfolgt. Unser Hauptertrag basiert heute noch auf dem Ausdruck von Papier, aber wir werden alles daransetzen, den Maschinenpark unserer Kunden zu optimieren. So riskieren wir auch, dass weniger ausgedruckt wird. Unter dem Aspekt des Kundeninteresses, der Prozess­optimierung und der Ökologie ist es nicht optimal, viele Geräte abzusetzen, sondern dem Kunden zu zeigen, welcher Maschinenpark für ihn ideal ist. Wir müssen den Kunden so lenken, dass er die richtigen Geräte besitzt und den optimalen Output produziert, sogar wenn wir danach nur noch Beratung, aber keine Produkte verkaufen. 

Wie wird das konkret ablaufen, ohne dass es Kündigungen und andere Probleme gibt?

Das erfordert – auch bei unseren Kunden – oft ein Umdenken, man muss sogar manchmal das Unternehmen auf den Kopf stellen, entgegen des kurzfristigen Erfolges. Das verstehe ich unter dem Begriff «Chance Management». Schaffen wir es, das Po­sitive aus der Veränderung mitzunehmen und ein Geschäfts­modell daraus zu entwickeln, werden wir keineswegs Mitar­beiter entlassen. Im Gegenteil, die Strategie soll eben gerade helfen, nachhaltig die Substanz unseres Unternehmens zu sichern. Das ist nicht erledigt in drei Monaten. Wenn man dies rechtzeitig in die Bahnen leitet, muss niemand Angst vor Entlassung haben. Es wird ja nicht alles radikal geändert. Wir brauchen unsere Leute trotzdem noch, aber alle müssen verstehen, warum wir langfristige Ziele anstelle des kurzfristigen Erfolges bevorzugen. Den Mitarbeitenden muss ich diese Vision vermitteln können und den Freiraum geben, auf unser gemeinsames Ziel hin zu arbeiten. Die Leute bringen die Fähigkeiten zur Veränderung schon mit, sie müssen nur wollen und dürfen.

Wie sehen denn die zukünftigen, idealen Lösungen von Faigle aus?

Wir werden gleichzeitig Lösungen anbieten, die Dokumente archivieren, verwalten und in andere Systeme, beispielsweise ein ERP, überführen, ohne Medienbruch, also möglicherweise ohne Ausdruck. Wir disruptieren uns sozusagen täglich selber. Dies ist eine grosse Veränderung, die natürlich anfänglich schmerzt. Da sich dieser Prozess in der Gesellschaft aber ohnehin vollziehen wird, wollen wir bei den Ersten sein, die das Thema systematisch und professionell angehen. Wir wollen unter den Anbietern von professionellen Dokumentenlösungen ganz vorne sein und die Zukunft unseres Unternehmens sicherstellen.

Die Digitalisierung ist doch kein neuer Prozess. Warum gibt es in diesem Bericht heute noch Disruptionen?

Digitalisierung ist tatsächlich keineswegs eine neue Entwicklung, man kann diese sogar als Epoche betrachten. Digitalisierung kann Industrien disruptieren, aber andere profitieren gewaltig davon. So betrachte ich auch die Büroautomatisierung, der Fotokopierer ist vielleicht eines Tages nicht mehr nötig, das Foto oder der gescannte Text aber schon. Mit anderen Worten, der Inhalt bleibt, die Lösung ändert sich. Heute fotografiert man mehr Bilder, druckt aber selten eines aus. Es gibt ganze Industrien, die digitale Bildverarbeitung anbieten, und Medienkanäle, die von Bildern leben, ohne diese auszudrucken. Es hat sich vieles verlagert und Neues ist entstanden.

Wie wirkt sich das für die Kunden aus? 

Ein Beispiel: Eine meiner letzten Aufgaben war, in der Finanzindustrie einen Kundenantragsprozess komplett zu digitalisieren. Der Kunde muss nun nicht mehr in eine Filiale gehen, er braucht auch keinen physischen Kontakt mehr. Ich habe das Unternehmen dadurch neu aufgestellt, obwohl ich kein Spezialist für Finanzindustrie bin. Meine Aufgabe ist es, zu verstehen, wie Menschen funktionieren. Ich muss sie dazu motivieren, selber die nötigen Schritte zu tun. Das gilt besonders in Branchen, bei denen sich die Anzahl der Mitbewerber nicht ändert und deshalb der Wettbewerbsdruck zunimmt. Es ist viel wichtiger, zu definieren, wie man es anders machen kann, ob es neue Märkte gibt usw. Auch funktioniert es nicht, wenn einer an der Spitze steht und versucht, zu motivieren. Es ist wichtig, dass sich alle miteinander auf einen Weg begeben und gemeinsam anpacken. Kein Manager kann heute mehr alleine ein Unternehmen zum Erfolg bringen, er kann aber den Weg aufzeigen und vorleben. In dieser Hinsicht wurde auch die alte Führungsidee disruptiert und durch einen modernen Unternehmensstil ersetzt. 

Die Bankindustrie investiert im Moment Unsum­men in digitale Entwicklungen. Gibt es ein Nach­holbedürfnis?

Am Finanzplatz Schweiz wurde vor der Finanzkrise im Bereich Digitalisierung wenig unternommen. Wir wurden von Asien überholt, nicht zuletzt von Singapur, das in diesem Bereich führend ist. Fintech-Unternehmen sind mit neuester Technik und Kundenlösungen ins europäische Geschäft eingestiegen und die Schweiz hinkte hinterher. Die Schweizer Banken setzten auf Standorte und Filialen, aber solche wurden durch die neuen Techniken an vielen Orten überflüssig. 

Es gibt aber sicher viele Bankkunden, die den per­sönlichen Kontakt am Schalter schätzen. Lässt sich das wirklich durch Digitalisierung ersetzen?

Das ist sehr unterschiedlich nach Kundenstruktur und Region. Deswegen verläuft diese Entwicklung auch nicht von einem Tag auf den anderen. Aber der Trend geht eindeutig zur Digitalisierung. Deswegen wurden in den letzten Jahren von den Schweizer Banken wie schon erwähnt hohe Summen investiert und sogar Firmen gekauft, die gute Ideen in Bezug auf Digitalisierung haben. Deswegen holt der Schweizer Finanzplatz jetzt auf und hat ein hohes Niveau erreicht. Die Coronakrise hat allerdings auch gezeigt, dass andere Branchen noch deutlich grösseren Aufholbedarf haben. Wie kann es nur sein, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) noch mit Fax kommuniziert? Dies zeigt, wie rückständig die Schweiz teilweise noch ist. 

Andere Unternehmer sehen die Schweiz im Hinblick auf Digitalisierung weltweit gut positioniert. Wie beurteilen Sie diese andere Sicht?

Die Schweiz ist prädestiniert dafür und hätte die finanziellen Mittel, sich für die nächste Dekade einen massiven digitalen Vorsprung zu verschaffen. Wir sind zwar am Aufholen, aber man hat relativ lange geschlafen, und zwar in allen Bereichen, wie Medizin, Finanzindustrie, Bürobereich usw. Heute sind wir je nach Statistiken in Sachen Digitalisierung an fünfter Stelle weltweit. Diese haben wir uns in den letzten Jahren erarbeitet, vorher waren wir noch weiter hinten. Bei unseren finanziellen Voraussetzungen genügt die Ambition auf den fünften Platz jedoch nicht, wir sollten weit voraus die Nummer eins sein und diese Investition jetzt machen, wo wir es uns leisten können.

Wie können wir das noch erreichen? Kann die Corona­krise da einen Schub geben und zu Taten motivieren?

Sicher, aber das ist weltweit so, wir haben viel Konkurrenz. Innovation setzt immer einen gewissen Leidensfaktor voraus, das muss man aushalten. Es gäbe aber genügend Marktkräfte, die die Innovation fördern. Wir dürfen nur nicht zu lange warten, sonst werden die Kosten unverhältnismässig hoch. Das kann sich nicht jede Industrie leisten. Also jetzt handeln und wenn nötig sogar die Disruption im eigenen Geschäft in Kauf nehmen.

Wie bewältigt man das?

Das ist eine Frage der Aufklärung und des Vorlebens. Man muss die Chancen erkennen und anpacken. 

Welche Tendenzen gibt es denn heute im Hinblick auf Bürodigitalisierung, vor allem für KMU?

Die Tendenz geht zur Digitalisierung jeglicher Dokumente und der Einbindung in Prozesse. Angefangen beim noch immer physischen Post- und Rechnungsversand bis hin zum Ablage­system in einem physischen Archiv. Moderne Büros haben keine Verteilpost mehr im Hause, sondern lassen sich die Post, beispielsweise Rechnungen, einscannen und digital oder von Anfang an elektronisch zustellen. Damit ist das Dokument nicht nur digitalisiert, sondern auch richtig eingelesen und kann automatisch weiterverarbeitet werden. Bei der Kommunikation mit Kunden wird kein Papier mehr verschickt, sondern man tauscht nur noch digitale Dokumente aus. Der ganz neu ein­geführte QR-Code auf der physischen Rechnung ist also eigentlich schon wieder veraltet, bevor er richtig eingesetzt wird.

Geht denn der Trend zum papierlosen Büro? Darauf wartet man doch seit Jahrzehnten.

Das ist tatsächlich schon seit 30 Jahren ein Thema, aber durchgesetzt hat es sich noch immer nicht generell. So gesehen ist dies kein Trend, sondern ein Dauerthema. Fakt ist aber, dass weniger gedruckt und dennoch mehr Dokumente und Daten im Umlauf sind. Bei einem digitalisierten System sind Ausdrucke nicht mehr zwingend nötig. Es ist aber keineswegs so, dass sich die Anzahl der Dokumente verringert. Je nach Prozess kann es passieren, dass eine hohe Anzahl digitaler Kopien desselben Dokumentes im Unternehmen vorhanden ist. Moderne Tools erkennen das und reduzieren automatisch die Kopien auf die notwendige Anzahl und diese werden an die Leute übermittelt, die sie verarbeiten müssen. Andererseits muss man es respektieren, wenn jemand Papier dem digitalen Dokument vorzieht. Ein Buch kann ja durchaus auch angenehmer zum Lesen sein als ein digitales Dokument. Dennoch nimmt die Anzahl digitaler Bücher stetig zu.

Wie hat sich die Coronakrise auf die Faigle AG aus­gewirkt und auf die Unternehmen, die Sie vertreten?

Das Druckvolumen ist deutlich zurückgegangen, weil im Homeoffice weniger gedruckt wurde. Dafür hat sich das Interesse an Dokumentenmanagement-Systemen massiv erhöht. Noch nie wurde deutlicher, wie wichtig ein Dokumentenzugriff von verschiedenen Standorten ist, zum Beispiel ein digitaler Kre­ditorenprozess, als zu Coronazeiten, weil eben kein physischer Zugriff auf Spesen, Rechnungen oder Steuerdaten möglich war. Die Transformation wird durch Corona einfach noch schneller eingeleitet. Kommen wird sie so oder so.

Wie beurteilen Sie das Thema Homeoffice und Datenschutz?

Die Interessen der Digitalisierung sind mit anderen Kriterien wie beispielsweise dem Datenschutz abzuwägen. Wir können nicht in Fragen des Datenschutzes päpstlicher als der Papst sein und andererseits alles, was unser Privatleben betrifft, über die sozialen Medien wahllos publizieren. Homeoffice ist eine gute Sache und sollte dies im Konflikt mit Datenschutz stehen, was ich übrigens nicht glaube, so ist zu entscheiden, welches Bedürfnis wichtiger ist. 

Wird das Heimbüro die Arbeit in der Firma oder werden Videokonferenzen direkte Gespräche ersetzen?

Nicht vollständig, das hat gerade die Coronakrise gezeigt. Das direkte Gespräch mit anderen Menschen enthält Elemente, die durch die Digitalisierung nicht abgedeckt werden, vor allem die Möglichkeit, den Gesprächspartner einzuschätzen und sich einzufühlen. Deswegen ist der direkte Kontakt weiterhin sehr wichtig.

Im Hinblick auf Umweltmanagement sind Reparaturen und Ersatzteile statt Neuprodukte sinnvoll. Beratung und Service gehört laut der Firmenpräsentation aus den 1990er-Jahren zur Firmentradition. Welche Schwerpunkte hat Ihr Service heute?

Das damalige Credo lautete: «Ein erstklassiges Produkt + fachliche Beratung + tadelloser Service = zufriedene Kunden». Das ist vermutlich auch heute noch völlig richtig. Natürlich hat Umweltmanagement heute einen anderen Stellenwert. Unsere Industrie hat in Bezug auf Material und Recycling allerdings schon immer Umweltaspekte beachtet. Tatsächlich sind die neuen Geräte im Unterhalt deutlich besser als noch vor wenigen Jahren. Nebst unserer konsequenten Haltung, Maschinenparks zu optimieren, versuchen wir also, die neuesten Gerätegenerationen zu platzieren, um so nachhaltiges Umweltmanagement zu verfolgen. Alte Geräte werden konsequent zurückgenommen und gemäss strengsten Vorgaben rezykliert. Hier geht es wie bei anderen Themen auch um eine andere Denkweise. Nicht, wie produziere ich das Gerät umweltfreundlich, sondern: Brauche ich überhaupt ein Gerät? 

Trotzdem besteht die Tendenz, immer das Neueste zu wollen und sogar Schlange zu stehen, wenn ein neues Handy erscheint? Was halten Sie davon?

Ich bin ich nicht primär daran interessiert, die Geräte und Maschinen unserer Kunden auszutauschen. Andererseits gibt es neue Generationen von Produkten, die bestimmte innovative Funktionen zulassen, zum Beispiel die Follow-me-Lösung der Drucker. Dabei kann man an jedem Standort ausdrucken, indem man sich mit einem Badge oder Handy identifiziert. In unserer Industrie ist es also weniger wichtig, immer das Neueste zu wollen, nur weil es im Trend liegt. Neue Technologie mit höherem Kundennutzen erfordert aber dennoch eine regelmäs­sige Erneuerung des Druckerparks oder der digitalen Prozesse.

Kommen wir noch zu einer wirtschaftspolitischen Frage: Wie sollte sich die Schweiz zur EU stellen?

Faigle ist ein Schweizer Unternehmen, welches sich auf den Schweizer Markt konzentriert. Dennoch sind auch wir auf den freien Personenmarkt und Handel angewiesen, sind wir doch in zahlreichen Grenzregionen tätig. Da wir uns auch in der Entwicklung engagieren, finden wir gar nicht alle Ressourcen in der Schweiz. Eine enge Zusammenarbeit ist aus meiner Sicht un­umgänglich, auch wenn dies teilweise mit Kompromissen verbunden ist. Kein Land der EU hat nur Vorteile.

Sollten wir nicht als drittwichtigster Handelspartner der EU mehr Selbstbewusstsein zeigen?

Ich bin überzeugt, dass die EU sich auch in einem Innovationsprozess befindet. Die Tatsache, dass Grossbritannien ausgetreten ist, war schon ein Schock. Man wird sich auf Dauer von dem nach Brüssel orientierten Zentralismus verabschieden müssen. Dann wird sich die EU in eine Richtung entwickeln, die dem Schweizer Modell näherkommt. Die heutige EU ist teilweise so aufgeblasen, dass Innovation mehr behindert als gefördert wird. Andererseits hat es keinen Sinn, dass wir immer unsere eigenen Gesetze machen, die inhaltlich praktisch gleich sind, nur ein bisschen anders geschrieben werden, damit Schweiz drauf steht. Wir sollten von den Vorteilen profitieren, Kompromisse eingehen und dafür unsere Ideen auch aktiv einbringen.

Die EU-Länder haben durchschnittlich 85 Prozent Schulden, die Schweiz 35 Prozent. Es kann doch für die Schweiz nicht zuträglich sein, uns an diesem Schuldenberg zu beteiligen?

Von meiner Ausbildung her bin ich Ökonom. Ich habe gelernt, dass man die Geldmenge nicht beliebig ausdehnen sollte und nicht unendlich Schulden machen kann. Wenn man aber diese ökonomischen Prinzipien ausblendet und die Entwicklung des Wohlstandes in den letzten 30 Jahren betrachtet, gab es da trotz aller Schulden eine erfreuliche Entwicklung und die befürchtete Inflation ist bisher nicht eingetreten. Den Umständen entsprechend geht es den Staaten trotz Schulden eigentlich verhältnismässig gut. Natürlich möchte ich nicht auf dieses Niveau kommen, sehe aber für die Schweiz auch keine Gefahr. 

Die Voraussetzungen für eine Wirtschaftskrise bes­te­hen ja schon lange. Wird sie nicht jetzt durch Corona ausgelöst?

In den letzten Jahrzehnten haben wir keine Krise erlebt, die mit der von den Dreissigerjahren zu vergleichen wäre. Vor zehn Jahren gab es zwar mit der Finanzkrise einen Einbruch, aber eine nachhaltige, substanzielle Krise war das nicht wirklich. Ob jetzt Corona diese vorausgesagte dramatische Krise bringt, müssen wir abwarten. Ich bin kein Prophet und selbst Fachleute sind sich uneinig. So wie in den vergangenen Krisen pumpt man jetzt, auf nie dagewesene Art, viel Geld in die Wirtschaft. Gut möglich, dass dadurch eine schnelle Erholung eintritt und die Wirtschaft schnell wieder wächst. Ich bin zuversichtlich, dass auch hier dank Innovation und Transformation diejenigen am schnellsten wieder wachsen, die sich anpassen und Veränderung nicht nur zulassen, sondern aktiv fördern.

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