Editorial

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Die Unplanbarkeit des Planbaren

Spitzensportler haben mitunter einen untrüglichen Sinn für die Weisheiten des Lebens, nicht immer sprachlich geschliffen, aber unverfälscht auf den Punkt gebracht. Wie so oft birgt die Einfachheit reinere Klarheit als hoch­gestochenes Geschwurbel.

Als der ehemalige Boxweltmeister Mike Tyson einmal befragt wurde, wie er denn auf einen Gegner reagieren würde, der nach der Analyse seines Kampfstils einen Plan gegen Tyson entwickelt hätte, antwortete dieser: «Everyone has a plan, until they get punched in the mouth.» Frei übersetzt: Jeder hat einen Plan, bis er eins aufs Maul kriegt. 

Was für den damals als unbesiegbar geltenden Tyson schlichte Lebenserfahrung war – mit einer gehörigen Prise Grossspurigkeit versetzt –, ist für Unternehmer, im Jahr 2020 ganz besonders, eine sinnige Metapher. So gilt es als unternehmerische Selbstverständlichkeit, dass es unmöglich ist, alle einem bestimmten Plan zugrunde liegenden Entwicklungen langfristig korrekt zu prognostizieren. Natürlich ist eine Unternehmensstrategie nichts anderes als ein langfristiger Plan, dem eine Unternehmensvision zugrunde liegt und aus dem sich Ziele und Massnahmen ableiten. Und natürlich verhindert planvolles Handeln, sich im Klein-Klein des operativen Tages­geschäfts zu verzetteln. Und doch gibt es eben ein fundamentales Planungsproblem: die Unplanbarkeit des Planbaren. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise durch Corona bestätigt das mehr als deutlich.

Schon Mitte der 1990er-Jahre hat sich der Begriff «Vuca» etabliert, ursprünglich eine Beschreibung des US-Militärs der neuen Situation nach dem kalten Krieg. Das Akronym steht für «Volatility», «Uncertainty», «Complexity» und «Ambiguity». Jetzt erst, ausgelöst durch die Pandemie, ist erkennbar, was mit Vuca umschrieben ist, aber bis anhin nicht flächendeckend erlebt wurde. Plötzlich sind es auch gesellschaftliche und wirtschaftlich vermeintlich stabile Systeme, die herausgefordert sind, sich neu zu justieren. Bewährte Routinen sind nicht mehr verlässlich, schneller als in Jahrzehnten zuvor sind alte Muster zu überwinden und Neues zu integrieren. Trotz der radikalen Konfrontation mit der Krise und ihrer zum Teil existenziellen Folgen ist mit diesem Wissen die Zukunft aktiv zu gestalten. Basierend auf einem Krisenmanagement sind es vor allem die Leadership-Qualitäten, die darüber entscheiden, auf welche Weise die Unplanbarkeit des Planbaren als Restrisiko mit Chancenpotenzial zu bewältigen ist.

PS: Mehr zum Thema Krisenmanagement in der Ausgabe Nr. 4-5/2020.

Porträt