Strategie & Management

Human Resources (Teil 1 von 6)

Wie KMU im Kampf um die besten Talente bestehen

Der Zugang zu qualifiziertem Fach- und Führungspersonal gestaltet sich für KMU aufgrund limitierter zeitlicher, finanzieller und personeller Ressourcen zunehmend herausfordernder. Die sechsteilige Serie behandelt Fragestellungen um die Thematik, wie im hart umkämpften Markt die besten Talente gewonnen und gehalten werden können.
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Der Ausdruck «War for Talent» beschreibt ein hoch kompetitives Umfeld für die Rekrutierung und die Bindung talentierter Mitarbeitender. 1997 wurde der Begriff zum ersten Mal von McKinsey-Direktor Ed Michaels verwendet, der damit die stetige Suche einer innovativen Per­so­nalabteilung nach den besten Mitar­beitenden bezeichnete. Fachkräfte fehlen der Schweiz heute insbesondere in den MINT-Berufen, also in den Bereichen Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften, Technik und im Gesundheitswesen. Dies obschon die Schweiz über sehr renommierte Universitäten und Hochschulen verfügt. Das Problem ist demzufolge vielschichtig und komplex und die Frage nach «Anreizen» für Bewerber wird zentral. 

Wie aber macht sich dieser Kampf um Talente im Unternehmensalltag bemerkbar? Erste Indizien können das gänzliche Ausbleiben von Bewerbungen auf Ausschreibungen sein oder Bewerbungen, die auf die Anforderungen und das Level der ausgeschriebenen Vakanz nicht passen. Der Kampf kann aber auch erst im Rekrutierungsprozess oder noch später deutlich werden – dann nämlich, wenn sich gut umsorgte Bewerber plötzlich für ein anderes, parallel geprüftes Angebot entscheiden oder wenn die Mitarbeitenden in der eigenen Organisation verstärkt von Headhuntern angesprochen und für neue Positionen abgeworben werden. 

Kampf ohne Grenzen  

Die Ursachen für den War for Talent sind vielfältig. Der grösste Einfluss dürfte von der demografischen Entwicklung ausgehen: Die geburtenstarken Jahrgänge sind bereits in Pension oder werden es demnächst sein. Viele dieser Stellen können nicht nachbesetzt werden. Weiter sinkt in den europäischen Ländern seit einigen Jahren die Geburtenrate, was die Situation zusätzlich verschärft.

In den letzten Dekaden wurde ein tiefgreifender Wandel von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft vollzogen. Treiber hierfür waren der technologische Fortschritt – heute beobachtbar in der Digitalisierung – und damit verbunden die Entwicklung hin zu einer Wissensgesellschaft. Arbeitnehmende sehen sich heute mit höheren Anforderungen konfrontiert und die Anzahl Jobs für Hochqualifizierte hat rapide zugenommen. Das lebenslange Lernen und damit das Verständnis für die Notwendigkeit, sich kontinuierlich weiterzubilden, um die eigene Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten oder zu steigern, werden zum Ziel einer qualifizierten Elite.

Der Kampf um die besten Talente erfolgt heute global und die Vernetzung, unter anderem durch die sozialen Netzwerke, macht den Zugang für viele Akteure einfacher; Unternehmen suchen nicht nur lokal, sondern weltweit nach qualifizierten Mitarbeitenden. Grenzen stellen in der Rekrutierung keine Hindernisse mehr dar und häufig werden individuelle hochattraktive Pakete geschnürt, um Talente zu einem Transfer zu bewegen. Diese beinhalten eine attraktive Kompensation und nicht selten auch Opportunitäten für den Lebenspartner. Gerade sehr gut ausgebildete Arbeitnehmer sind für gewöhnlich auch besonders flexibel. Sie verfügen über eine kultivierte Offenheit und Neugier, sie können sich oft mühe­-los in mehreren Sprachen auf einem hohen Level unterhalten und fühlen sich in vielen Städten und Ländern zu Hause. 

Wertewandel bei Kandidaten

Über längere Zeit lässt sich zudem ein Wertewandel in der Gesellschaft beobachten: Für viele jüngere Leute, Vertreter der Generationen Y und Z, ist das Gehalt nicht mehr der entscheidende Faktor bei der Stellenwahl. Bedeutender sind Flexibilität, Selbstbestimmung und generell die Möglichkeit, Berufs- und Privatleben bestmöglich miteinander zu vereinbaren und in eine gute Balance zu bringen. Flexible Arbeitsmodelle stehen demzufolge auf der Wunschliste vieler Bewerber. 

Darüber hinaus streben Talente stärker nach einer Position bei einem Unter­nehmen, mit dessen Werten sie sich auch  identifizieren können. Sie suchen ein sinnstiftendes Umfeld, in dem sich ein gewisser Impact erzielen lässt, verwirklichen sich stärker als Freelancer und arbeiten selbstständig und projektbasiert.

Qualifizierte Bewerber für sich zu ge­winnen, wird für Unternehmen folglich anspruchsvoller. Doch nicht nur die Unternehmen selbst, sondern auch der Staat muss seine Hausaufgaben machen. Er kann wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen schaffen, damit die Schweiz für Talente weiterhin attraktiv bleibt. Beispiele dafür sind Massnahmen zur Frauenförderung oder die gezielte Steuerung der Zuwanderung von Fachkräften.

KMU besonders betroffen 

KMU sind der Motor und das Rückgrat einer jeden Wirtschaft. Die Schweizer KMU-Studie 2020 zeigt eindrücklich auf, dass KMU 99,7 Prozent der Schweizer Firmen ausmachen. Wobei insbe­sondere die Anzahl der Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitenden enorm dominiert: Sie machen mit fast 90 % den Löwenanteil aller Betriebe aus und beschäftigen rund 23 Prozent aller Mit­arbeitenden.

Hinsichtlich personeller Ressourcen verfügen KMU über vorwiegend generalis­tisches Wissen. Aufgrund des im Vergleich mit Grossunternehmen eher niedrigen Gehaltsniveaus und des weniger mit Sicherheit assoziierten Images haben KMU grössere Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu rekrutieren. Auch ist in einem KMU beispielsweise ein beschei­deneres Budget vorhanden, um Talente bereits früh von den Universitäten ab­zuholen und im Hause zu entwickeln. Oder aber es ist zu wenig Wissen in der Organisation verfügbar, wenn es darum geht, weitere mögliche Kanäle für die Rekrutierung von Talenten zu nutzen. 

Häufig verfügen KMU zudem nur über eine schwache Employer Brand und man nimmt sie schlichtweg nicht wahr am Markt – die «Magnetwirkung» fehlt und es gelingt nicht, Talente anzuziehen. 

Weiter erschwerend kommt hinzu, dass bei KMU das Tagesgeschäft immer Vorrang hat und aus diesem Grund nur wenig Zeit bleibt, sich ernsthaft über die strategische Ausrichtung Gedanken zu machen. Die Frage nach dem «Wie» und damit eine klare Unternehmensmission, nach der insbesondere die jüngeren Generationen suchen, bleiben damit ungeklärt.

Die Stärken der KMU

KMU haben viele Stärken, die ausge­sprochen gut mit dem aktuellen Werte­verständnis der neuen Generation harmonieren. So sind KMU beispielsweise deutlich geringer formalisiert als grosse Organisationen, was sich in weniger standardisierten Arbeitsabläufen und Pro­zessen ausdrückt und den Automati­sierungsgrad tiefer ausfallen lässt. Die flachen Hierarchien und die durch die Organisationsstruktur bedingte Flexibilität führen zu mehr Freiraum für intuitive Handlungen.

In KMU sind deshalb häufig eine kon­-krete Umsetzungsstärke, im Sinne von «Macher-Qualitäten», und eine gewisse Hemdsärmeligkeit gefragt. Sie machen Organisationen pragmatisch und ermöglichen es KMU, verglichen mit Grossunternehmen flexibler auf sich verändernde Umweltbedingungen zu reagieren und sich am Markt effektiver aufzustellen. 

Häufig ist der Unternehmensführer die Schlüsselfigur, vereinigt in seiner Rolle das Kapital und die Leitung und trägt das Risiko wie auch die Verantwortung für die Unternehmung. KMU sind häufig langfristig orientiert, weil das Unternehmen oftmals Existenzgrundlage ist und viele Unternehmer danach trachten, die Firma an die nächste Generation zu übergeben. Dieser nachhaltige Fokus findet seinen Niederschlag in einer klaren Stärke von KMU: Die Firmen übernehmen soziale Verantwortung und setzen auf die Beziehungspflege zu den Mitarbeitenden. Die Kontakte zur Unternehmensleitung sind in der Regel eng und informell. 

Die Mitarbeitenden und der Unternehmer bilden eine personalgeprägte Betriebs­gemeinschaft, die stark auf zwischenmenschlichen Beziehungen beruht. Mitarbeitende von KMU sehen sich häufig nicht als Angestellte, sondern als Partner der Leitung. Dieses Beziehungsverhältnis wird nach aussen getragen und so prägen intensive Kontakte zu Kunden häufig die Absatzorientierung von KMU. KMU bewirtschaften deshalb häufig lokale oder regionale Märkte, die durch eine hohe Kundennähe gekennzeichnet sind.

Ausblick

KMU können bei Talenten mit der Leidenschaft für die eigene unternehmerische Leistung, einer guten und über die Jahre gefestigten Unternehmenskultur wie auch mit kurzen Entscheidungswegen und dem «Spirit» des Gründers punkten.  Doch es gibt noch weitere Faktoren, welche die Attraktivität von KMU als Arbeitgeber stärken. Der nächste Beitrag dieser Serie thematisiert in der folgenden Ausgabe des «KMU-Magazin» den Aus­senauftritt von Organisationen und bietet konkrete Tipps für die gezielte Stärkung der Arbeitgebermarke. 

Schliesslich soll der Beitrag dazu befähigen, dass die Leser die Frage beantworten können, warum Bewerber überhaupt bei der eigenen Organisation arbeiten wollen sollten. Das Bewusstsein für die firmen­eigenen Stärken und Schwächen ist essenziell, denn auch im War for Talent gilt: Mit einer klaren Vision, einer guten Strategie, der taktischen Raffinesse und den richtigen Waffen werden Schlachten gewonnen.

Porträt