Strategie & Management

Co-Creation

Wenn Unternehmensführer mit Lego spielen

Dass spielerische Massnahmen nicht nur die Kreativität von Kindern fördern, sondern auch in der Unternehmenswelt Innovationsprozesse und vor allem die Co-Kreativität befruchten können, zeigt der dänische Bauklötzchenhersteller Lego. Was genau dahintersteckt, wird in diesem Beitrag beschrieben.
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Wandel und Veränderung sind schön und gut. Alle wissen, dass etwas passieren muss – aber nur wenige laufen richtig los. Und wenn, dann meist mit einem inneren Widerstand, keiner genauen Vorstellung vom Ziel und eher verhalten. Kein Wunder also, dass vielen Veränderungsvorhaben schon nach kurzer Zeit die Luft ausgeht. Besonders wichtig bei anvisierten Change-Vorhaben ist daher, an der Spitze zu beginnen, aber alle miteinzubeziehen. Heisst: Für die neue schnelle Welt braucht es neue Führungskompetenzen. Und um zu ermitteln, was wirklich an welcher Stelle gebraucht wird, braucht es das ganze Unternehmen. Nur so erhält man einen 360-Grad-Blick, Feedback von allen Ebenen und am Ende ein Ergebnis, mit dem sich Unternehmen nicht nur zukunftsfähig fühlen, sondern es auch wirklich sind.

Ein Zielbild schaffen

Das alles lässt sich mit Lego Serious Play (LSP) erreichen. Der von dem dänischen Hersteller im Jahr 1996 gemeinsam mit der Lausanner Kaderschmiede IMD entwickelte Strategieplanungsprozess bringt das Spielerisch-Kreative zurück in die Arbeitswelt. Wer schneller bessere Ideen entwickeln und kollaborative Innovationen kreieren möchte, sollte sich an die kleinen Steine trauen. Bei LSP geht es vor allem um die Co-Kreativität. Gemeinsam bauen die Teilnehmer (Mitarbeiter aller Ebenen, von New Hire bis Vorstand) Antworten auf Frage- und Problemstellungen. Dabei werden sie von einem zertifizierten Lego-Facilitator angeleitet.

Am Ende stehen dreidimensionale Modelle im Raum, die in einem abschliessenden Schritt zu einem gemeinsamen Modell zusammengefügt werden. Dieses Shared Model ist fortan das Zielbild, das Motivation erzeugt und Mitarbeiter anzieht. Der Weg dorthin gestaltet sich in mehreren Schritten.

Das Set-up

Für einen Workshop mit zwölf Teilnehmern, der sich beispielsweise auf den Kompetenzausbau der Führungskräfte fokussiert, werden ein grosser Bautisch mit Bestuhlung und ein freistehender Präsentationstisch benötigt. Der Bautisch ist die kreative Workstation der Teilnehmer. Am Präsentationstisch werden nach jeder Runde die Ergebnisse vorgestellt. Hier entsteht zum Schluss auch das gemeinsame Modell aller Teilnehmer. Ein Beamer mit Leinwand erleichtert dem Facilitator die Weitergabe von Informationen, Fragestellungen und Arbeitsanweisungen. An der Seite des Raums wird das Lego-Buffet aufgebaut. Für einen Workshop mit zwölf Teilnehmern benötigt man zirka 10 000 Steine. 

Neun Prozessschritte

Eingeleitet wird der LSP-Workshop zum Beispiel mit einem Vortrag des Facilitators, in dem die Teilnehmer auf die Wichtigkeit neuer Führungsmodelle aufmerksam gemacht werden. Ein Wachrüttler zu Beginn, denn er verdeutlicht, dass in der Vuca-Welt (volatility: Volatilität, Unbeständigkeit; uncertainty: Unsicherheit; complexity: Komplexität; ambiguity: Mehrdeutigkeit) das Alte nicht mehr richtig und das Neue noch nicht ganz funktioniert. Es ist also essenziell, dass Führungskräfte und Zukünftige verstehen, wie sie transaktionale und transformale Führungsmethoden verbinden, um das beste Ergebnis für das Unternehmen zu erzielen. Diese Ambidextrie sorgt dafür, dass Mitarbeiter abgeholt und Unternehmen innovativ werden. 

Step 1: Enten

Um die erste Scheu vor dem doch eher unbekannten und ungewöhnlichen Ansatz zu verlieren, ist es sinnvoll, einen LSP-Workshop mit einer simplen Arbeitsanweisung zu beginnen: eine Ente bauen. Es ist egal, wie die Ente aussieht. Ein offizielles Entenmodell existiert nicht. Jedem Teilnehmer stehen dafür sechs Steine zur Verfügung. Nach einer Minute werden alle gebeten, ihre Ente in die Mitte zu halten – und schon folgt das erste Aha-Erlebnis. Keine Ente gleicht der anderen. Sechs Steine, eine Minute Zeit, zwölf verschiedene Ergebnisse. Es wird deutlich: Jeder hat hier eine eigene Perspektive und Sichtweise auf die Dinge. Eine weitere Schlüsselerkenntnis: LSP liefert Ergebnisse, und zwar schnell.

Step 2: Erläuterung der Methode 

Nachdem die ersten Berührungsängste überwunden sind, folgt eine kurze Einführung in die Methode. Dabei wird deutlich: In dem Workshop wird jeder gehört und gebraucht. Jede Sichtweise und Einschätzung ist gleichermassen von Wert. Die des Azubis ebenso wie die des Geschäftsführers. Dafür wird aber auch 100 Prozent Beteiligung gefordert und ge­fördert, keine 80-20-Verteilung wie in klassischen Workshops und Seminaren. Die Vorteile der aktiven Einbindung: Teilnehmer teilen ihre Einsichten, entwickeln Vertrauen zueinander und am Ende steht das Commitment der ganzen Gruppe. Ent­sprechend schneller kommt man zu den Ergebnissen.

In diesem Beispiel geht es um die Frage nach neuen Führungskompetenzen. Die Teilnehmer erkunden gemeinsam, welche neuen Fähigkeiten es wirklich für künftige Leader braucht, und setzen sich auch mit erfolgskritischen Situationen auseinander. LSP ist eine geführte Methode, um schnell und agil zu Ergebnissen zu gelangen. Sie basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Organisationsentwicklung und Psychologie. Besonders wichtig ist, dass die Teilnehmer lernen, auf ihre Intuition und ihr Gefühl beim Bau der Modelle zu hören. Diese werden in Metaphern erstellt, die realistische Darstellung ist eine Option, aber kein Muss. 

Step 3: Skillbuilding und Metaphern

Im dritten Schritt bauen die Teilnehmer ihre ersten Modelle. Sie erschaffen aus einer vorgegebenen Palette an Lego-Steinen individuelle Türme. Wieder stehen nach Ablauf der Zeit völlig unterschiedliche Turm-Variationen auf dem Tisch, die nun unter der Fragestellung: «Was sagt dieser Turm über die Persönlichkeit des Erbauers aus?» erklärt werden. So verstehen die Teilnehmer, wie ein Modell zur Metapher wird und wie eine Geschichte rund um das Gebaute gewebt werden kann. 

Step 4: Storytelling und Vertiefung

Dieser Schritt soll sowohl den Umgang der Methode LSP als auch das Thema des Workshops vertiefen. Zum ersten Mal geht es gezielt um «Führung»: Dazu werden die Beteiligten aufgefordert, die seltsamste Führungssituation, die sie als Geführter oder Führungskraft erlebt haben, in einem Modell zu visualisieren und zu erläutern. Häufig wird jetzt bereits erkennbar, wo Stolperfallen lauern. Für die Erläuterung müssen die Teilnehmer die Methode Storytelling nutzen, um eine Geschichte um ihr Modell zu weben. So können auch eher sen­sible Themen genauer und ohne Berührungsängste betrachtet werden. 

Step 5: Neue Kompetenzen bauen

Erst jetzt beginnen die Bausessions zum eigentlichen Workshop-Thema. In sieben Minuten werden Modelle zum Thema «Kompetenzen» entworfen. Wo hakt es? Aber auch: Was läuft bereits gut? Jeder baut die Kompetenz, die ihm am wichtigsten erscheint. Einige werden sich vermutlich in der Erläuterung doppeln. Diese werden nicht ignoriert, sondern: Hier sollte dementsprechend ein besonderer Schwerpunkt gesetzt werden. Danach geht es in die Pause. Denn LSP soll kein Spaziergang sein, sondern «hard fun». 

Step 6: Enten, die Zweite

Nach der Mittagspause folgt eine Warm-up-Übung: Die Teilnehmer werden gebeten, ein zweites Mal individuelle Enten zu bauen. Diesmal unter der Vorgabe, dass das Modell ihre Gefühle nach der Hälfte des Workshops widerspiegelt. 

Step 7: Kompetenzen, die Zweite

In Step 7 giessen die Mitarbeiter weitere, individuell wichtige Kompetenzen nach dem bekannten Prinzip in ein Modell und präsentieren es dem Plenum. Hierbei kann das Augenmerk zum Beispiel auch auf besondere Herausforderungen wie Agilisierung und Digitalisierung gelegt werden. 

Step 8: Das Shared Model der Führungskompetenzen

In 15 bis 20 Minuten werden die einzelnen Kompetenz-Modelle der Teilnehmer nun zu einem gemeinsamen zusammengefügt. In der Regel kommt es an diesem Punkt zu hitzigen Diskussionen. Es ist also darauf zu achten, dass der Kern von LSP nicht verloren geht: Jeder soll am Ende mit dem gemeinsamen Modell leben können. Alle Aspekte von allen Beteiligten sollten berücksichtigt sein. Das Shared Model wird dem Plenum dann von drei bis vier Teilnehmern mithilfe des Storytellings vorgestellt. Diese Geschichten können zu Dokumentationszwecken gefilmt werden. Durch den Gebrauch der Metaphern verankert sich das Gesagte fest in den Köpfen der Teilnehmer. 

Step 9: Abschluss und Ausblick

Trotz der vielen Denkanstösse bleiben einige Kompetenzen übrig, die zwar be­nötigt werden, aber noch nicht bedacht wurden. Dazu werden in einem abschlies­senden Schritt in Sechsergruppen von folgenden zwei Auf­gaben gestellt:

  • Bau von Modellen zu zukünftigen Herausforderungen, die die Organisation und verschiedene Führungskräfte bewältigen müssen 
  • Bau von Modellen zu erfolgskritischen Situationen bei der Führung von Mitarbeitern

So wird das gemeinsame Modell noch einmal um die entstandenen Aspekte ergänzt. Für den Zeitpunkt, an dem keinem mehr ganz klar ist, was welches Modell darstellen soll, schliesst sich hier der dokumentarische Teil des Workshops an, damit die Ergebnisse für die  Zu­kunft festgehalten werden können. Da­für werden alle Modelle mit Haftnotizzet­teln versehen. Darüber hinaus werden die Teilnehmer gebeten, die in den Modellen enthaltenen Kompetenzen, zusammen mit für die Position wichtigen Werten und Einstellungen, auf einem Flip­chart schriftlich festzuhalten. 

Ein weiterer Schritt zur Verdichtung der Informationen sowie des gesammelten Wissens kann sein, die Teilnehmer in kleine Gruppen einzuteilen und darum zu bitten, individuelle Flipcharts zu den Werten, Kompetenzen und Einstellungen anzufertigen. Anschliessend gibt es einen offenen Marktplatz, auf dem man sich frei bewegen, miteinander diskutieren, offene Fragen stellen und die Ergebnisse verinnerlichen kann.

Ein Lego-Serious-Play-Workshop eignet sich grundsätzlich für jedes Unternehmen, das hierarchieübergreifend einen umfassenden Blick auf vorhandene und fehlende Kompetenzen erhalten möchte. In kreativer Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Führungskräften verschiedenster Ebenen entsteht ein einmaliger Rundumblick. Und das sogar innerhalb eines Tages. Zu beachten ist der wichtigste Punkt dabei: Da alle zu 100 Prozent beteiligt waren, werden die Veränderungsvorhaben auch von allen verstanden und somit getragen.

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