Strategie & Management

The Dark Side of Entrepreneurship (Teil 3 von 3)

Was man von Al Capone und Co. lernen kann

Meist stehen erfolgreiche Innovatoren im Blickpunkt der Öffentlichkeit, die im gesetzlichen Rahmen und mit bestehenden Konventionen das Schritttempo des Fortschritts bestimmen. Spannend und nutzenstiftend sind jedoch auch die sogenannten dunklen Seiten des Unternehmertums.
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Nach den «Informal Entrepreneurs» im ersten Teil («KMU-Magazin», Ausgabe 4–5/2022) ging es im zweiten Teil um die «Controversial Entrepreneurs». In diesem dritten Teil dieser Serie behandelt der ­Autor «Criminal Entrepreneurship», also unternehmerisches Handeln, das sowohl illegal als auch illegitim ist.

Verbrechen fasziniert. Nach einer re­präsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IMAS lesen 70 Prozent der Österreicher Krimis. Für das ZDF analysierte der Journalist Glenn Riedmeier das Programm des Jahres 2015 und kam auf über viereinhalbtausend gesendete Morde – mehr als zehnmal so viele, wie in Deutschland tatsächlich stattfanden. Millionen Menschen bestaunen die Cleverness der Raubzüge in der Ocean’s-Trilogie oder der «Haus des Geldes»-Serie, vom Computerspiel Grand Theft Auto wurden 240 Millionen Einheiten verkauft.

Entrepreneure und Verbrechen

Entrepreneure stellen Regeln infrage. ­Gehören dazu auch rechtliche Regeln? In einer viel zitierten Studie untersuchten Zhang und Arvey anhand von Längsschnittdaten, ob Einträge ins Strafregister als Jugendliche eine Prognose erlauben würden, ob sie später als Erwachsene eine Laufbahn als Manager oder als Entrepreneur einschlagen würden. Es zeigte sich, dass milde Formen der Gesetzesübertretung (zum Beispiel betrunkenes Autofahren, Beteiligung an Schlägereien in der Schule, Schulverweise etc.) bei ­Entrepreneuren tatsächlich signifikant häufiger vorkamen als bei Managern.

Für wirklich kriminelle Taten (zum Beispiel Diebstahl) ergab sich dagegen kein Unterschied. Man kann daraus folgern, dass Entrepreneure in ihrer Entwicklung tatsächlich eine Tendenz haben, auch rechtliche Grenzen auszuloten. Allerdings beschränken sie sich dabei auf ­vergleichsweise harmlose Delikte.

Umgekehrt gibt es jedoch auch Ver­brecher, die unternehmerisch handeln. Manchen Verbrechen liegt eine innovative Idee zugrunde, und man kann ihre Taten als Identifikation und Nutzung ­einer – zwar dunklen und bösen, aber eben doch – unter­nehmerischen Gelegenheit interpretieren.

Unternehmerische Prinzipien

Bei aller gebotenen Distanzierung von der rechtlichen und moralischen Verwerflichkeit ihrer Taten, sie illustrieren wichtige unternehmerische Prinzipien sehr gut:

Prinzip 1: Mit Innovation überraschen

Louis Moore, Henry Jackson und Melvin Cale waren gewöhnliche Verbrecher, als sie am 10. November 1972 dem Piloten des Southern-Airways-Fluges 49 aus ­Birmingham, Alabama, eine Pistole an die Schläfe hielten. Flugzeugentführungen waren damals beinahe an der Tagesordnung. Seit Ende der 1960er-Jahre kam es allein in den USA fast jede zweite ­Woche zu einem Vorfall. Sie forderten zehn Millionen Dollar, man hielt sie hin. Da kam Jackson eine Idee, die die Luftfahrt verändern sollte. Er drohte: Wenn nicht gezahlt würde, dann würden sie das Flugzeug in das Atomkraftwerk Oak Ridge ­rasen lassen.

Bundespolizei, Air Force und die Betreiber waren wie gelähmt. Niemand war je auf diesen Gedanken gekommen. Es gab keine Vorkehrung, keine Abwehrpläne, nicht einmal eine Vorstellung von der Dimension der möglichen Katastrophe. Die Radikalität dieser innovativen Drohung und die Lähmung der beteiligten Stellen waren so gross, dass man die Entführer bei einer Zwischenlandung in Lexington, Kentucky, sogar noch frisch auftanken und starten liess. Mit zwei ­Millionen Dollar Beute endete die Ent­führung schliesslich auf Kuba.

Ein anderer speziell innovativer Verbrecher war der als «Dagobert» bekannt gewordene Kaufhauserpresser Arno Funke. Er überraschte die Polizei bei den 30 versuchten Geldübergaben mit im­mer neuen technischen Konstruktionen. Einmal liess er das Geld beispielsweise in ­einer Streusandkiste deponieren. Während die Polizei dem Erpresser auflauerte, griff er sich die Beute unbemerkt von unten und flüchtete in der Kanalisation – er hatte die Kiste auf einen präparierten Kanaldeckel gestellt.

Kreativität und neuartige Ideen stellen auch für Entrepreneure im legalen und ­legitimen Bereich den zentralen Wett­bewerbsfaktor dar. Der Erfolg von Steve Jobs, Dietrich Mateschitz und Walt Disney basiert zu einem guten Teil auf der ­Fähigkeit, die Welt mit Innovation zu überraschen.

Prinzip 2: Fake it till you make it

Ein seriös wirkender Herr namens Charles Ponzi versprach 1920 in Boston eine ­Verzinsung von 50 Prozent innerhalb von 45 Tagen. Und tatsächlich: Die ersten Geldgeber erhielten das Geld. Ponzi bezahlte es aus den Einlagen derjenigen, die schnell von der märchenhaften Rendite angelockt worden waren. Innerhalb von wenigen Wochen raffte er auf diese Weise ein stattliches Vermögen zusammen, nach heutiger Währung fast 200 Millionen Euro. Als alles zusammenbrach, war es der bis dahin grösste ­Finanzbetrug aller Zeiten. Bis heute steht das «Ponzi Scheme» im Englischen für Schneeball­systeme im Allgemeinen.

In den Schatten gestellt wurde Ponzi 2008 von Bernie Madoff. Der schaffte sogar 65 Milliarden Dollar Schaden und zeigte damit, dass man auch als Imitator er­folgreich sein kann – zumindest eine Zeit lang. Der zeitweilige Erfolg von Hochstaplern wie dem «Verkäufer» des Eiffelturms Victor Lustig 1925 oder dem Postboten Gert Postel, der sich in den 1990er-Jahren als Psychiater Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy ausgab, ist erstaunlich. Dem «Hauptmann von Köpenick» wurde sogar ein literarisches Denkmal gesetzt.

Vollmundige Versprechen und gross­ar­tige Prognosen kann man auf jedem Pitch-Wettbewerb und jeder Crowdfunding-Plattform beobachten. Ein Entrepreneur, der seine Start-up-Idee still, ­bescheiden und voll Understatement kommuniziert, wird kaum einen Investor überzeugen. Das beste Beispiel für «Fake it till you make it» im Entrepreneurship ist vermutlich der Vertrag über die Lie­ferung eines Betriebssystems, den ein ­gewisser Bill Gates 1980 mit der riesigen IBM schloss. Gates wusste, dass es für ­Microsoft unmöglich sein würde, die Software in so kurzer Zeit selbst zu ­entwickeln. Also kaufte er der Firma ­Seattle Com­puter für 50 000 Dollar ihr System ab und modifizierte es leicht zu MS-DOS. Der Deal beschert ihm nach wie vor Milli­arden und gilt als einer der lukrativsten Verträge der Wirtschaftsgeschichte.

Prinzip 3: Business Planning ist die halbe Miete

Der Dresdner Juwelendiebstahl 2019 war vorbereitet wie in einem Heist-Movie. Schon Tage vor dem Einbruch hatten die Täter ein Fenstergitter am Historischen Grünen Gewölbe durchtrennt und wieder eingesetzt. In der Tatnacht legten sie den Theaterplatz in Dunkelheit, indem sie ­einen brennenden Kochtopf unter einen Stromkasten in den Katakomben des Dresd­ner Pegelhauses unter der Augustusbrücke stellten. Dann drückten sie ein Fenster des Schatzgewölbes aus der Verankerung und stiegen über eine Leiter in den dunklen Pretiosensaal ein. Von dort gingen sie zum Juwelenzimmer, zertrümmerten die Vitrine mit einer Axt und entnahmen ihr zielgerichtet drei besonders wertvolle Garnituren aus dem 18. Jahrhundert. Der Verlust betrug über 100 Millionen Euro.

Komplexität, Zeitdruck und Dynamik eines Start-ups machen es ebenfalls nötig, professionell, integriert und gründlich zu planen. Wer die parallele Entwicklung der Technologie, die Partner- und Investorensuche, den Aufbau einer Organisation sowie die Erschliessung der Kundensegmente spontan und aus dem Bauch heraus betreibt, hat schlechte Karten. In allen Entrepreneurship-Ausbildungen stellt das Business Planning daher ein zentrales Element dar.

Prinzip 4: Agilität und Wissensmanagement

Die Illegalität schafft für das organisierte Verbrechen besonders herausfordernde Bedingungen. Alle schriftlichen Dokumente sind potenzielle Beweismittel. Führung, Zuständigkeiten, Aufbauor­ganisation, Prozesskoordination und ­-regeln, Anweisungen und Befehle, Personalentwicklung, CRM, Wissensspeicherung und -weitergabe sowie das gesamte Rechnungswesen sind damit deutlich ­erschwert.

Es verwundert nicht, dass einem Gangster wie Meyer Lansky, einem der wich­tigsten Köpfe der sogenannten Kosher Nostra in den USA, ein ungewöhnliches Zahlengedächtnis nachgesagt wurde. Verhaftungen und Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Banden schaffen zusätzlich die Notwendigkeit, besonders schnell und koordiniert zu handeln. Das organisierte Verbrechen ist daher ein Musterbeispiel für schlanke, dezentrale und agile Strukturen. Diese Eigenschaft teilen sie mit Start-ups, die der überle­genen Finanzkraft bestehender Unternehmen in gleicher Weise mit Schnelligkeit und Flexibilität begegnen.

Lernchance für die helle Seite

Die Analyse der dunklen Seite von En­trepreneurship schafft nicht nur eine Lernchance für die wichtige und gesellschaftlich wertvolle helle Seite. Das En­tre­preneurship-Toolset hilft auch bei der Bekämpfung der illegalen und illegitimen Formen.

Als im 13. Jahrhundert im Süden von China ein erschlagener Bauer gefunden wurde, liess sich der ermittelnde Beamte von allen 70 Bauern des Dorfes ihre Sicheln zeigen. An keiner waren Blutspuren zu sehen. Doch der Beamte hatte eine innovative Idee. Er liess die Klingen auf das Feld legen und beobachtete, was geschah. Innerhalb kurzer Zeit war eine von Schmeissfliegen bedeckt – ein klares Indiz. Der überraschte Eigentümer der ­Sichel gestand den Mord.

Die Geschichte der Kriminalistik ist voll von kreativen und wirkungsvollen Innovationen, vom Fingerabdruck bis zur DNS-Analyse, und von unternehmerischen Ermittlern.

Porträt