Das Grounding der Swissair im Jahr 2001 war nicht nur in der Schweiz ein grosser Schock: Die «fliegende Bank», ein Symbol für Zuverlässigkeit und Qualität, erlebte den fast unvorstellbaren GAU. Was war geschehen? Die Swissair hatte einerseits ab den 1990er-Jahren mit Veränderungen im Markt zu kämpfen (siehe Box «Quellenhinweise»). Der Untergang der Swissair war aber andererseits auch die Folge schwer nachvollziehbarer Entscheidungen der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates: Ein übermässig optimistischer Expansionskurs führte zu grossen Fehlinvestitionen und ein gleichgeschalteter Verwaltungsrat war von konformistischem Groupthink geprägt (siehe Box «Quellenhinweise»).
Der Untergang der Swissair ist eines der guten Lehrbeispiele für die negativen Folgen der menschlichen Irrationalität. Die Entscheidungsträger der Swissair waren alle hochgebildet und intelligent, aber den irrationalen Fallstricken des Denkens und Entscheidens waren sie hilflos ausgeliefert. Dank umfangreicher Forschungsergebnisse aus Verhaltensökonomie, Psychologie und Philosophie haben wir heute die Möglichkeit, aus solchen Fehlern zu lernen – und sie in der Praxis gezielt zu vermeiden.
Die Bedeutung von Rationalität
Es gibt zwei wesentliche Arten von Rationalität: instrumentelle Rationalität und epistemische Rationalität.
Instrumentell rational
Instrumentell rational sind Menschen dann, wenn sie nutzenmaximierend Ziele verfolgen. Wenn eine Person zum Beispiel von Zürich nach Bern fahren will, aber den Zug nach Basel nimmt, handelt die Person instrumentell irrational.
Epistemisch rational
Epistemisch rational sind Menschen nur dann, wenn sie aus guten Gründen glauben, was sie glauben (der Begriff epistemisch ist abgeleitet vom griechischen Wort für Wissen, episteme). Wenn eine Person zum Beispiel glaubt, die Erde sei flach, obwohl alle Evidenz darauf hindeutet, dass die Erde rund ist, dann ist diese Person epistemisch irrational. Epistemische Rationalität ist eine Unterform der instrumentellen Rationalität, weil damit letztlich auch ein Ziel verfolgt wird: Wir wollen die Genauigkeit unseres Wissens über die Welt erhöhen.
Rationalität spielt im unternehmerischen Alltag eine zentrale Rolle. Unternehmertum ist im Grunde nichts anderes als die praktische Anwendung von Rationalität: Ziele setzen und priorisieren; Strategien für die Zielerreichung entwickeln; laufend neue Informationen aus der Umwelt verarbeiten; Ziele, Zielpriorisierung sowie Strategien für die Zielerreichung angesichts neuer Informationen anpassen – Unternehmertum ist ein steter Rationalitätskreislauf. Dieser Rationalitäts-Kreislauf wird aber oft und unbemerkt unterbrochen, weil sich irrationale Denkmuster in viele Entscheidungssituationen einschleichen.
Das irrationale Gehirn
Das menschliche Gehirn ist das Ergebnis evolutionärer Mutation und Selektion. Das bedeutet, dass unser Gehirn nicht perfekt und fehlerfrei ist, sondern «nur» gut genug, um uns durch den Alltag zu manövrieren. Damit das funktioniert,
arbeitet unser Gehirn mit sogenannten kognitiven Heuristiken: Heuristiken sind intuitive Daumenregeln, mit denen wir unbewusst, sparsam und automatisiert Schlussfolgerungen und Entscheidungen treffen können. Meistens sind Heuristiken tatsächlich gut genug. Beim Autofahren beispielsweise denken wir nicht jede Sekunde aktiv über das Fahren nach, sondern begeben uns in eine Art Autopilot – und kommen trotzdem am Ziel an. Oft aber haben unbewusste kognitive Heuristiken einen verzerrenden Einfluss und führen zu irrationalen Entscheidungen – zu Entscheidungen also, mit denen Ziele teilweise oder komplett verfehlt werden. Weil Heuristiken einen solch verzerrenden Einfluss haben können, werden sie auch als kognitive Biases beschrieben (siehe Box «Quellenhinweise»). Mittlerweile sind fast 200 Bi-ases wissenschaftlich dokumentiert. Die Haupterkenntnis dieser umfassenden Forschung: Nicht einige wenige Menschen sind in einigen wenigen Situationen irrational – alle Menschen sind systematisch irrational.