Strategie & Management

Mitarbeiterführung

Unternehmerische Selbstreflexion als Schlüsselkompetenz

Reflexion geht vor Aktion. Diesem Motto folgen zielorientierte Unternehmer und Führungskräfte, die zwar im Führungsprozess selbstbewusst agieren, zugleich jedoch immer auch ihr Denken und Handeln sowie ihre Entscheidungen reflektieren.
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Die Coronakrise verdeutlicht wie unter einem Brennglas: Einerseits liegt es in der Verantwortung von Unternehmern und Führungskräften, zielbewusst voranzugehen, mutige Entscheidungen zu treffen und selbstbewusst zu kommunizieren, dass man sich seiner Sache sicher ist. Denn so entstehen aufseiten der Mitarbeiter, Kunden und Stakeholder Sicherheit und Orientierung. 

Andererseits müssen sie bereit sein, sich selbst und ihre Entscheidungen infrage zu stellen und neu zu justieren. Denn die einhundertprozentige Angemessenheit der eigenen Ansichten zu proklamieren ist in unsicheren Krisenzeiten nicht zielführend.

Spagat bewältigen

Selbstüberzeugt agieren und sich dabei hinterfragen – wer dieses Selbstverständnis leben will, steht als Verantwortungsträger vor einem schwierigen Spagat. Das Virus hat die Ambivalenz zwischen entschlossenem Handeln und dem Zweifel an der eigenen Entscheidung verstärkt. Es gibt Verantwortungsträger, die durch solche Ambivalenzen in innere Konflikte gestürzt werden. Was können sie tun, um den Spagat zu bewältigen?

Sieben Bewusstseinsebenen

Grundsätzlich gilt: Menschen und Unternehmen, die Fragen stellen, bleiben lebendig und zukunftsfähig, weil sie die gegebene Situation nicht hinnehmen, sondern kritisch reflektieren und auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten sind. Sie nutzen die Chance, die eigene Haltung zu überdenken, indem sie alte Muster reflektieren und dabei das eine oder andere verändern oder über Bord werfen. Um die Selbstreflexion systematisch voranzutreiben, bietet das Modell der Bewusstseinsebenen Orientierung.

Das Modell geht zurück auf Richard Barrett, der in seinem Buch «Werteorientierte Unternehmensführung» zwischen den sieben Ebenen «Überleben», «Beziehungen», «Selbstachtung», «Transformation», «Innerer Zusammenhalt», «Einen Unterschied machen» und «Dienen» unterscheidet. Auf jeder Ebene adressiert das Unternehmen die persönlichen Bedürfnisse der Mitarbeiter und die organisationalen Bedürfnisse des Unternehmens, sodass es 14 Dimensionen gibt. Das Modell bedarf einer Erweiterung um eine weitere Ebene – dazu später mehr. Zunächst einmal sollen die sieben Bewusstseinsebenen konkretisiert werden:0

Bewusstseinsebene 1 – Überleben

Existenzielle Dinge stehen im Vordergrund: Die Mitarbeiter haben das Bedürfnis nach Gesundheit, Sicherheit und einem auskömmlichen Einkommen. Die organisationalen Bedürfnisse betreffen die finanzielle Stabilität und die Rentabilität, das ökonomische Fundament muss tragfähig sein.

Bewusstseinsebene 2 – Beziehungen

Mitarbeiter möchten sich zugehörig fühlen und in einer Atmosphäre arbeiten, die von Respekt und Wertschätzung geprägt ist. Auf der Unternehmensebene stehen Beziehungen zwischen den Mitarbeitern und zu den Mitarbeitern im Fokus, die sich auch in einer konstruktiven Streitkultur widerspiegeln. Wichtig: Führungskräfte und Mitarbeiter ziehen an einem Strang.

Bewusstseinsebene 3 – Selbstachtung

Die Mitarbeiter möchten stolz sein auf das, was sie machen. Das Selbstwertgefühl wächst, wenn sie ihre Kompetenzen, Potenziale und Fähigkeiten am Arbeitsplatz entfalten und einsetzen können. Dazu gehört eine Kommunikationskultur, die mit positiven Rückmeldungen wie Lob und Anerkennung arbeitet. Auf der organisationalen Ebene ist das Bedürfnis nach klaren Strukturen, Prozessen und Abläufen entscheidend, die die Leistungsfähigkeit unterstützen.

Bewusstseinsebene 4 – Transformation

Auf der Mitarbeiterebene ist das Bedürfnis gemeint, sich ständig weiterzubilden und zu lernen. Angesichts der Komplexitätssteigerung im digitalen Zeitalter ist es notwendig, sich von überflüssigem Wissen und überflüssigen Erfahrungen zu trennen. Für die organisationale Dimension gilt: Das Bedürfnis des Unternehmens besteht darin, einen kontinuierlichen Lern- und damit auch Verbesserungsprozess in Schwung zu halten.

Bewusstseinsebene 5 – innerer Zusammenhalt

Auf der Individualebene spielen Integrität, Identität und Authentizität eine Rolle. Der Mitarbeiter will sich mit dem, was er tut, identifizieren können. Auf der organisationalen Ebene stehen die Gedanken der Zusammengehörigkeit und des Zusammenhaltens im Mittelpunkt. Das Unternehmen möchte, dass alle Beteiligten sich an einem Leitstern orientieren und gemeinsam eine Mission verfolgen. Denn Werte geben dabei Orientierung und Halt.

Bewusstseinsebene 6 – einen Unterschied machen

Mitarbeiter und Unternehmen haben das Bedürfnis, «einen Unterschied zu machen», der auch als solcher wahrgenommen wird. Dazu gehen sie Allianzen und Partnerschaften ein und engagieren sich auf einer sozialen Ebene für Mensch und Umwelt. Auf der organisationalen Ebene besteht der Wunsch, durch den Zusammenschluss die Widerstandskräfte zu stärken, um als schlagkräftige Einheit zu agieren. Wichtiger als die Einzelinteressen sind die Interessen des Teams und des Unternehmens.

Bewusstseinsebene 7 – dienen

Die Mitarbeiter möchten etwas zurückgeben und sich für den Erhalt eines grösseren Ganzen einsetzen. Sie blicken über den Tellerrand ihres Daseinszwecks hinaus und engagieren sich für übergeordnete Ziele. Bei der organisationalen Dimension tritt neben das Ziel, das Unternehmen gesund und wettbewerbsfähig zu halten, die Intention, eine «dienende» Haltung einzunehmen und substanzielle Beiträge für eine lebenswerte Umwelt zu leisten. Im Fokus stehen die gemeinschaftlichen Interessen.

Selbstreflexion auf allen Ebenen

Bei der Erweiterung des Modells um eine achte Bewusstseinsebene geht es um die Selbstreflexion, und zwar auf allen sieben Ebenen und bezüglich der persönlichen und der organisationalen Bedürfnisse: Bei Ersteren stehen die Wünsche, Erwartungen und Hoffnungen der Mitarbeiter und der Führungskräfte im Vordergrund. Entscheidend sind oft die Bedürfnisse, die sich um die Selbstverwirklichung ranken. Denn viele Mitarbeiter möchten mit ihrer Arbeit auch einem grösseren Zweck dienen.

Bei den organisationalen Bedürfnissen dreht sich alles um die Beantwortung der Frage nach dem unternehmerischen Zweck: «Warum muss es uns geben und warum sollen die Menschen über uns sagen, dass es gut und richtig sei, dass es uns gibt?» Führungskräfte sollten eine Helikopterperspektive einnehmen und fragen, ob die Bedürfnisse der Menschen Berücksichtigung finden und/oder ob Anpassungsprozesse notwendig sind, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Kontraproduktiv wäre es, ein sinn- und identitätsstiftendes Werte-Set allein von der Unternehmensleitung ausarbeiten zu lassen. Es empfiehlt sich vielmehr, möglichst viele Menschen und Unternehmensebenen zu beteiligen, um ein differenziertes Bild zu erhalten.

Die richtigen Fragen stellen

Zentrale Vorstellung ist, bei der Selbst­reflexion stets die Erwartungen der Menschen und des Unternehmens in den Fokus zu rücken, um einen Motivationsschub zu erzielen. Ein Beispiel: Angenommen, die Teams sollen mehr Selbstverantwortung übernehmen und sich selbst organisieren. Im Rahmen der Selbst­reflexion wird diskutiert, was diese Entscheidung für die persönlichen Bedürfnisse (Fragen 1 bis 7) und die organisationalen Bedürfnisse (Frage 8 bis 14) bedeutet:

  • Frage 1: Welche möglichen Befürchtungen könnten durch die Entscheidung entstehen?
  • Frage 2: Was bedeutet die Entscheidung für das Zugehörigkeitsgefühl der Teammitglieder?
  • Frage 3: Werden die Bedürfnisse der Menschen geachtet?
  • Frage 4: Trägt die Entscheidung zum persönlichen Wachstum der Teammitglieder bei?
  • Frage 5: Wird der innere Zusammenhalt durch die Entscheidung gestärkt?
  • Frage 6: Erlaubt die Entscheidung das Engagement für andere Menschen und die Umwelt?
  • Frage 7: Führt die Entscheidung dazu, dass die Mitglieder die Ego-Brille ablegen und die gemeinschaftlichen Teaminteressen in den Mittelpunkt rücken?
  • Frage 8: Welche finanziellen Konsequenzen für das Unternehmen ergeben sich?
  • Frage 9: Trägt die Entscheidung dazu bei, harmonische Beziehungen entstehen zu lassen?
  • Frage 10: Werden bessere Teamergebnisse wahrscheinlicher?
  • Frage 11: Trägt die Entscheidung auf der Unternehmensebene zum kontinuierlichen Verbesserungsprozess bei?
  • Frage 12: Passt die Entscheidung zu den Unternehmenswerten und stärkt sie die Identität des Unternehmens?
  • Frage 13: Stärkt sie das Unternehmensganze?
  • Frage 14: Erlaubt sie den Einsatz für übergeordnete Ziele?

Auf der organisationalen Ebene geht es letztendlich darum, sich der unternehmerischen Identität zu vergewissern: «Befinden wir uns noch auf dem Weg, den wir einst eingeschlagen haben? Hat sich an unserer Kernaufgabe etwas geändert? Benötigen wir eine Kurskorrektur?» Und für die persönliche Ebene gilt: Wer im Selbstreflexionsprozess solche Fragen stellt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, Entscheidungen zu treffen, die Orientierung und Transparenz bieten, zu einem positiven Unternehmensklima beitragen und Zukunftsfähigkeit sicherstellen.

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