Strategie & Management

Unternehmensentwicklung

Unternehmenskultur auf die Mega­trends vorbereiten

Um zu wissen, ob die eigene Unternehmenskultur auf die Megatrends der 2020er-Jahre vorbereitet ist, macht es Sinn, zunächst zu ermitteln, was die Organisation ungeachtet des Zeitgeists braucht. Der Beitrag führt die wichtigsten Megatrends auf und zeigt, wie mit einem Identitätscheck die Basis für eine zeitgemässe Unternehmenskultur gelegt werden kann.
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Der aktuelle Zeitgeist wird nach wie vor von Schlagwörtern wie «Agility», «Employ­ability», «Diversity und Inklusion», «New Work und Leadership», «Brand Performance» dominiert. Gleichzeitig ist festzustellen, wie sich Unternehmen von ihrem Sinn und Zweck und ihren Kernaufgaben entfernen. Dies ist in vielen Unternehmenskulturen bereits sichtbar, weil diese ohne Identität keine Orientierung mehr vermitteln. Ein kurzer Identitäts-Check zeigt auf, wie die eigene Unternehmenskultur verstanden wird. Die Antworten weisen darauf hin, was die Organisation, ungeachtet des Zeitgeistes, braucht.

Kardinalstugenden der Führung

Die Zuschreibung einer Identität hängt auch davon ab, nach welchen Werten sich das eigene Naturell in seinem Leben / seiner Arbeit ausrichtet; sie hängt also unmittelbar mit der eigenen Lebenseinstellung zusammen. Dies zeigt sich in
den Kar­dinalstugenden der Führung.

Intuition

Sind Kopf und Herz mit der Sache ver­bunden, kann Intuition (Bauchgefühl) die sieben Merkmale der Unternehmenskultur situationsgerechter gewichten, um leichter entscheiden zu können.

Empathie

Sie ermöglicht, sich auf andere Perspektiven und Weltbilder einzulassen, um damit die eigene Urteilsfähigkeit zu schärfen. Empathie ist eine Eigenschaft, aus möglichen Konflikten gemeinsame In­teressen herauszufiltern zu können.

Fehlerkultur

Eine transparente und unterstützende Fehlerkultur gewährleistet Loyalität und Vertrauen, die wertvollsten Werte einer Gemeinschaft.

Anzeichen, dass sich der Zeitgeist ändert, sind bereits erkennbar. Mischkonzerne verkleinern sich, atypische Geschäftsfelder werden verkauft. Politiker der nächsten Generation wollen «Too big to fail»-Organisationen zerschlagen.

Klima, Gesundheit, Ernährung und das Zusammenfinden und -erleben über gemeinsame Bedürfnisse findet mehr in der realen und immer weniger in der virtuellen Welt statt.

Die wichtigsten Megatrends

Das deutsche Zukunftsforschungsinstitut in Frankfurt hat aktuell die fünf wich­tigsten Megatrends für Unternehmen in den 2020er-Jahren geortet.

Individualisierung

Der Megatrend Individualisierung ist noch sehr stark egoistisch geprägt. Individualisierung wandelt sich und drückt sich in einer neuen Wir-Kultur aus, über gleichgesinnte Gemeinschaften, Kollaborationen und Kooperationen, statt des narzisstischen Ichs. Für Unternehmen hat dies vor allem Einfluss auf die Art und Weise, wie im Team zusammenge­arbeitet wird und wie Organisationen geführt werden («gleich im Geist»). Für die Unternehmenskultur wird die eigene Identität noch wichtiger, weil Mitar­beitende und Kunden sich über ein Kollektiv orientieren und Kooperationen nur über gleiche Ausrichtungen in der Haltung Glaubwürdigkeit finden.

Silver Society 

Die älter werdende Gesellschaft verfügt über einen unglaublichen Erfahrungsschatz und die Gelassenheit, Herausforderungen anzunehmen. Dies wird unterschätzt, weil sich die Aufmerksamkeit noch zu stark auf neue Technologien konzentriert. Menschen in der zweiten Lebenshälfte haben eine andere Sicht auf Leistung, Wachstum und Innovation als die Jüngeren. Zudem schätzen sie Vorgänge in Unternehmen, was wichtig und richtig ist, anders ein. Deshalb wird Routine und Erfahrung als Vitalisierung erkannt und geschätzt, um die alleinige Konzentration auf neue Technologien aufzuweichen. 

Eine Umkodierung der Wirtschaft beginnt – mehr Wirkung statt Leistung – mehr Gelassenheit durch Erfahrung statt «hörige digitale Agilität». Unternehmenskulturen werden vermehrt zum Orientierungsanker über Sinn und Zweck des Handelns, weil Unternehmer sich stärker auf Wichtiges und Richtiges (Ethik, Wirkung und langfristige Wirtschaftlichkeit) konzentrieren. Es ist die Silver Society, die im Unternehmen zur Vitalisierung beitragen wird.

Konnektivität 

Wir werden in Netzwerken leben. Dies beeinflusst uns sozial, in unserer Haltung und in unserem Denken. Das Zusammenspiel zwischen Menschen und Technologie, der Umgang mit den neuen Möglichkeiten, wird sich in den 2020er-Jahren richtungsweisend entwickeln, wenn der gegenwärtige technologische Hype umfassender begriffen wird.  Erst wenn Technologien gezielt und effizient eingesetzt werden, ergeben sich enorme Potenziale zur Effizienzsteigerung und für neue Geschäftsmodelle. Unternehmenskulturen entstehen über menschliche Beziehungen. Wenn der Nutzen von Effizienzsteigerungen nicht nur monetär, sondern auch zu Gunsten von Beziehungsentwicklungen eingesetzt wird, dienen Technologien dem Menschen und nicht allein dem Selbstzweck.

Neo-Ökologie

Der Megatrend Neo-Ökologie reicht in jeden Bereich unseres Alltags hinein, zum Beispiel Energiewende, Plastikverordnung, Biomärkte et cetera. Ob persönliche Kaufentscheidungen, gesellschaftliche Werte oder Unternehmensstrategie – selbst wenn nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, entwickelt er sich nicht zuletzt aufgrund technologischer Inno­vationen mehr und mehr zu einem der wirkmächtigsten Treiber unserer Zeit. Der Megatrend sorgt nicht nur für eine Neu­ausrichtung der Werte der globalen Gesellschaft, der Kultur und der Politik. Er verändert unternehmerisches Denken und Handeln in seinen elementaren Grund­festen. Unternehmenskulturen müssen Voraussetzungen schaffen, damit Menschen ihren Lebensinhalt und Lebenssinn in der Verschmelzung von Arbeit und privaten Aktivitäten und Ressourcenbewusstsein verwirklicht sehen. Somit wird der Zugang zur Identität einer Firma über das Produkt, die Haltung und deren Glaubwürdigkeit immer bedeutsamer.

Wissenskultur

In unserer komplexen Welt ist Wissen fluid, deshalb rücken vor allem implizite Fähigkeiten in den Fokus, die uns befä­higen, auf Veränderungen und Überraschungen zu reagieren. Ganzheitliches, systemisches Denken, Kontextbildung und Beobachtung zweiter Ordnung werden ebenso zu Kernkompetenzen wie zutiefst (zwischen-)menschliche Qualitäten. Gerade für Führungskräfte sind sie enorm wichtig, um mit der Organisation und den Mitarbeitern zu kommunizieren. 

Für die Unternehmenskultur bedeutet dies, dass es vor allem für Führungskräfte zentral sein wird, mit der Organisation und den Mitarbeitenden mit den erwähnten Fähigkeiten kommunizieren zu können. Im Besonderen wird der Umgang mit den Werten «Anstand», «Angst», «Konflikte», «Scham» und «Mut» als tragende Charaktereigenschaft gewertet werden. 

Ableitungen

Wer die fünf Megatrends der 2020er-Jahre versucht für seine Organisation aufzuschlüsseln, wird vermutlich folgende Feststellungen machen:

  • Aus der Zeit der Übertreibungen, der verschleierten Glaubwürdigkeit und dem Bewirtschaften von «Fake News» entsteht ein Bewusstsein für Echtheit. 
  • Der Status des «Followers» entwickelt sich langsam zum mitdenkenden, eigenständigen Mitglied oder gar Chef  einer Gruppe, in der er seine Bedürfnisse und seine Wertehaltung weiterentwickeln will.  
  • Schnelllebigkeit, Oberflächlichkeit, «Apps», ökologischer Fussabdruck, Unterhaltung, Kommerz etc. werden über ihre Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit hinterfragt, um sich neu zu orientieren und sich selbst besser wiederfinden zu können.

Diese Entwicklungen werden neue Grund­ausrichtungen bewirken. Besonders für Organisationen können diese Kultur-Prozesse am Arbeitsplatz von wirtschaftlichem und sozialem Nutzen sein. Es werden sich nämlich, ungeachtet der Branche, der Betriebsgrösse, des Marktes und des Um­feldes, dafür wieder drei altbewährte Grundwerte aufdrängen. Es sind dies:

  • Die Kompetenzen (Fach- und Führungskompetenzen)
  • Die Selbstverantwortung (Selbst­führung und Ökologiebewusstsein)
  • Die Verbindlichkeit (leben und auch einfordern)

Wie eingangs ausgeführt, hat der Identitäts-Check das Zusammenspiel der sieben wichtigsten Faktoren für das Führen einer Unternehmung aufgezeigt. Die Megatrends werden auf jede Organisation unterschiedlich wirken. Auf jeden Fall wird die Grundlage jeder Veränderung und Weiterentwicklung der Firma der zukünftige Umgang mit den ethischen Grundwerten Kompetenzen, Selbstverantwortung und Verbindlichkeit sein. 

«Mut» als Voraussetzung

Dies verlangt von den Verantwortlichen der Organisation, vom Verwaltungsrat bis zur untersten Führungsstufe vor allem «Mut». Mut zur Einzigartigkeit, zu den eigenen Werten zu stehen und sich zur Unternehmenskultur zu bekennen. Im Alltag heisst dies:

  • Es braucht Mut, die eigenen Leitbilder und Ziele sachlich zu hinterfragen und anzupassen. 
  • Es braucht Mut, sich unmissver­ständlich auszudrücken, weil damit Verbindlichkeit entsteht.
  • Es braucht Mut, Sanktionen zu begründen und umzusetzen.
  • Es braucht Mut, Liebe und Aner­kennung persönlich auszusprechen.
  • Es braucht Mut, die eigenen Unzulänglichkeiten einzugestehen.

Schon in den Grundsätzen des ehrbaren Kaufmanns, ausgehend von der gleichnamigen Organisation Hamburger Kaufleute, die bis hinein ins Mittelalter zurück- gehen, wurde freiwillig die nachstehende Selbstverpflichtungserklärung abgegeben: «Ich bin mir meiner Rolle in der Gesellschaft und des Leitbilds des ehr­baren Kaufmanns bewusst. Meine Aufgabe ist es, Menschen zu leiten und Ressourcen zu verwalten, um einen gesellschaftlichen Wert zu schaffen, der von einzelnen Individuen nicht erbracht werden kann. Meine Entscheidungen haben heute und auch morgen Einfluss auf das Wohlbefinden von Individuen innerhalb und ausserhalb meines Unternehmens.Diesen Eid lege ich freiwillig und bei meiner Ehre ab.»

Porträt