Strategie & Management

Unternehmensentwicklung

Transformation durch Wertsprungmanagement

«Wenn eine Strategie gut funktioniert, dann soll sie sich auch richtig auszahlen.» Das ist eine der Kernaussagen der hier erstmals vorgestellten Wertsprungmethode. Wertsprungmanagement ist eine fokussierte Form der Unternehmensentwicklung in Umbruchphasen.
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Viele Unternehmen sind in festgefahrenen Bahnen oder Pfadabhängigkeiten gefangen. Diese (teilweise natürlichen) «path dependencies» bergen das Risiko, dass betroffene Unternehmen in einer Sackgasse enden. Besonders gefährlich sind selbst verursachte Pfadabhängigkeiten. Diese zeigen sich in etablierten Denk- und Handlungsmustern der Führungskräfte wie auch im kollektiven Handeln ganzer Branchen. In einem solchen Umfeld ist das genaue Beobachten und Kopieren der Konkurrenten wichtiger als das selbstständige Ausnutzen von fundamentalen Entwicklungen und Opportunitäten. Die rasante Digitalisierung und die zunehmenden geopolitischen Unberechenbarkeiten bieten dabei reichlich Möglichkeiten, um grundlegende Spielregeln zu ändern und so aus den Abhängigkeiten auszubrechen.


Das Wertsprungmanagement

Natürlich ist es einfacher, über radikale Transformation zu sprechen, als diese in der Realwirtschaft umzusetzen. Genau an diesem Punkt setzt das Wertsprungmanagement an: Wertsprungmanagement ist eine auf Umbruchphasen fokussierte Form der Unternehmensentwicklung. Wertsprungmanagement basiert auf der etablierten und heute immer noch gültigen Strategieschule von Cuno Pümpin (unter anderem strategische Erfolgspositionen / SEP, Nutzenpotenziale, Multiplikation, Dynamikprinzip). Er untersuchte vor rund 20 Jahren, welche strategischen Implikationen Diskon­ti­nuitäten wie externe Schocks, neue Ge­schäftsmodelle oder grosse Technologiesprünge auf die strategische Unternehmensführung haben können – und wie unternehmerisch gut geführte Unternehmen sich diese zunutze machen.

Nach seinen Überlegungen sollen Unternehmen dabei einen signifikanten Wertsprung anstreben, der sie für ihre Krea­tivität und das eingegangene Risiko belohnt. Solche Wertsprünge sind bei Venture-Capital-Investoren, Start-ups, oder in Turnaroundfällen inhärenter Teil des Geschäftsmodells beziehungsweise des Grundplans. Die Wertsprungmethode soll auch reifen Unternehmen und ihren Führungskräften zu ebenso starken Entwicklungen verhelfen.


Das Ziel: eine Wertsprungserie


Die Abbildung 1 zeigt beispielhaft den Verlauf einer Serie von Wertsprüngen. Die Ausgangssituation präsentiert ein Unternehmen mit einem stagnierenden Unternehmenswert. Die Seitwärtsbe­wegung des Geschäftsverlaufs bis zum Punkt A entspricht bestenfalls den Minimalerwartungen der Wertbeständigkeit. In der Zeit hat sich weder der Unternehmenswert spürbar verändert, noch hat sich die Möglichkeit zu einer substanziellen Weiterentwicklung ergeben. Beim Punkt A ändert sich der Verlauf der Erfolgskurve. Der erste Wertsprung bringt das Unternehmen auf das Niveau von Punkt B. Nach einer Konsolidierungsphase erfolgt der zweite Wertsprung von Punkt C zu Punkt D. Das Unternehmen hat den Ausbruch aus Blockaden der Unternehmensentwicklung geschafft und sich erfolgreich entfalten können. Gleichzeitig wurden die Voraussetzungen für weiteres nachhaltiges Wachstum (ab Punkt D) geschaffen. Natürlich träumen viele Unter nehmer, Investoren und Führungskräfte von einer solchen Entwicklung. Bleibt die Frage, wie bei der Planung und Transformation vorzugehen ist – und zwar unter Respektierung der Komplexität, die in solch dynamischen Umfeldern herrscht.

Komplexität aufbrechen


Die in Abbildung 2 dargestellte, intuitiv leicht verständliche und kommunizierbare Formel der Wertsprungmethode erlaubt es einem (interdisziplinären) Team, einen wertsprungorientierten Strategieprozess so zu gestalten, dass ein entscheidender Teil der Komplexität absorbiert wird. Die Multiplikationsfunktion in der Wertsprungformel ist symbolisch zu sehen. Gute Wertsprungstrategien mit multiplen Hebelwirkungen bringen nämlich auch potenzierende Entwicklungsmöglichkeiten hervor. Typische Beispiele für Netzwerkeffekte mit viel Eigendynamik liefern die viel zitierten «FAANG» (Facebook, Amazon, Apple, Netflix oder Google).

Wie ist konkret vorzugehen? Ein mögliches Vorgehen ist, dass im Rahmen eines Workshops drei Teams gebildet werden, die sich unabhängig voneinander mit je einem Modul befassen. Team 1 überlegt sich, welche attraktiven neuen Nutzenpotenziale vorhanden sind. Team 2 befasst sich mit Möglichkeiten der Multiplikation, der Skalierung oder des Einsatzes von multiplen und viralen Hebelwirkungen – mit dem Ziel, Eigendynamik zu generieren. Team 3 kümmert sich um Modelle, welche neuartigen «revenue streams» angezapft werden können. In der Folge kommen die Teams zusammen und kombinieren ihre Lösungen mit den Inhalten der anderen Teams.

Abbildung 3 zeigt ein rudimentäres Beispiel von Kombinationsmöglichkeiten. Es entstehen Wertsprunglandkarten. Die besten, radikalsten oder innovativsten Möglichkeiten werden im nächsten Bearbeitungsschritt in Form von Business-­Cases weiterentwickelt. Besonders anstrebenswert sind Ergebnisse, bei denen das Un­ternehmen das bisherige (cashflow-generierende) Geschäftsmodell beibehält und eine zusätzliche oder «additionale» Unternehmensentwicklung mit Wertsprungcharakter aufgleist. Betrachten wir die Inhalte der einzelnen Module in kurzer Form.


Wertsprungpotenziale


Wertsprungpotenziale sind Ideen, Opportunitäten und Chancen für eine Nutzen­generierung bei Interessengruppen. Beispiele umfassen die Stärkung des Ser­vicegeschäfts, die Expansion in neue Märkte, das Einbringen von Wissen in neue Anwendungsgebiete, Akquisitions- und Kooperationsmöglichkeiten oder die innovative Nutzung neuer Technologien.
 
Wertsprungpotenziale sind eine spezi­-elle Teilmenge der Nutzenpotenziale. Sie können als neuartige Kombinationen von verschiedenen Nutzenpotenzialen «erfunden» werden und sich über die Zeit hinweg so entwickeln. Zum Beispiel nutzte Net­flix das Internet frühzeitig für die Kommu­nikation mit seinen Kunden: zuerst für das Verwalten der Wunschlisten, dann für das Lernen über Benutzerverhalten und Präferenzen und später für die Auslie­ferung der Inhalte mittels Streaming. Was heute im Zeit­alter des Streamings bereits selbstverständlich ist, wurde im Jahre 1997 mit dem – aus heu­tiger Sicht «banalen» – postalischen Vers­and einer Aus­leih-DVD «erfunden». Das Versenden per Kurier funktionierte erfolgreich: Ab 2005 lieferte Netflix täglich eine Million DVDs aus. Die Möglichkeit zum digitalen Streaming hat wiederum völlig neue strategische Op­tionen und zahlreiche Wertsprünge er­öffnet. Der Netflix-Fall aus Sicht der Wertsprung­methode ist im Buch «Transformation durch Wertsprungmanagement» (Fuchs / Pümpin, 2019) nachgezeichnet.


Wertsprunghebel


Wie eingangs erwähnt, ist die Grund­philosophie des Wertsprungmanagements einfach, aber essenziell: Wenn eine Strategie zur Erschliessung eines Potenzials gut ist und funktioniert, dann soll der daraus resultierende Erfolg möglichst ergiebig sein. Eine Wertsprungstrategie enthält daher zwingend Möglichkeiten zu Multiplikation, Skalierung oder anderen Formen von Hebelwirkungen. Hebel entfalten ihre Wirkung durch die Kombi­nation mit einem oder mehreren Wertsprungpotenzialen. Richtig interessant sind Hebel, die andere Hebel in ihrer Wirkung verstärken und dadurch selber wiederum zusätzlich an Wirkung gewinnen (typischerweise Netzwerkeffekte).


Wertsprungertrag


Ziel jeder Wertsprungstrategie ist die signifikante Steigerung des Unternehmenswerts. Dieser Methodenbaustein stellt sicher, dass die Erträge der Wertsprungstrategie tatsächlich auch erwirtschaftet werden – und nicht nur auf dem Papier bestehen bleiben. Wertsprungerträge fallen vorzugsweise als planbare, regelmässige Geldflüsse (Cashflows) an. Dies ist beispielsweise bei erweiterbaren Lizenzverträgen, Leistungen im Abonnement (Net­flix) oder auch bei einer erfolgreichen Erschliessung neuer Märkte der Fall.

Wertsprungerträge ergeben sich aber auch in Fällen von noch verlustbringenden Geschäftsmodellen. Amazon generierte bei seinem Börsengang im Mai 1997 noch hohe Verluste. Seither hat sich der Kurs vom Ausgabepreis von 18 US-Dollar (unter Berücksichtigung der Aktiensplits wären das sogar nur 1,50 US-Dollar) auf über 1900 US-Dollar (Juni 2019) entwickelt.


Wertsprungpromotor


Wertsprünge sind selten Produkte von Zufälligkeiten. Erfolgreiche Wertsprünge werden fast immer durch unternehme­rische Promotoren, ihre Ideen und ihren Einsatz getragen. Promotoren können eine oder auch mehrere Personen sein. Oft ist es der Eigentümer, der Ideengeber oder eine intrinsisch motivierte Führungspersönlichkeit. Bei KMU ist dies oft ein und dieselbe Person.

Promotoren sehen die Möglichkeiten des Wertsprungmanagements: Sie verstehen, welche Potenziale mit verfügbaren Hebeln verbunden werden können und wie daraus Erträge und neue Möglichkeiten für Wertsprünge entstehen. Erfolgreiche Promotoren verkörpern auch die Werthaltungen der Unternehmung und können die Sinnhaftigkeit der (Wertsprung-)Strategie vermitteln. Abbildung 4 verdeutlicht Merkmale von Wertsprungpromotoren im Vergleich zu traditionell denkenden Managern.

Fazit


Unternehmensentwicklung mit Wertsprungstrategien ermöglicht einen Freischlag aus wirtschaftlichen, strategischen und führungsmässigen Blockaden. Wertsprungorientierte Unternehmen verfügen über eine ausgeprägt unternehmerische Grundhaltung. Sie können etablierte Denk- und Handlungsmuster erkennen und durchbrechen – und sie haben den Mut, eigene, kreative und neuartige Wege zu gehen.

Wertsprungstrategien verknüpfen attraktive Wertsprungpotenziale mit verstärkenden Wertsprunghebeln. Voraussetzung ist ein Promotor, der als Ideengeber, Initiant und als Beschützer der Wertsprungstrategie zum Durchbruch ver­-hilft. Wertsprungstrategien sind riskant; sie bedingen ein diszipliniertes Projekt- und Risikomanagement und klar definierte Ertragsziele. Wie an den Beispielen zu sehen ist, verändern erfolgreiche Wertsprungstrategien die Lebenslinien der Unternehmen und der daran beteiligten Führungskräfte nachhaltig.

Porträt