Strategie & Management

Energie- und Umweltmanagement I

Spannungsverhältnisse der Energiestrategie 2050

Die Energiestrategie 2050 bleibt ein spannungsgeladenes Thema. Vor allem der geforderte Ausbau erneuerbarer Energien birgt Zielkonflikte. Die Bewilligung einer Energieanlage etwa kann dem Interesse am Natur-, Landschafts-, Heimat- oder Ortsbildschutz entgegenstehen. Der Beitrag beschreibt rechtliche Aspekte dieses Spannungsverhältnisses.
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Die Energiestrategie 2050 bezweckt den Umbau des Schweizer Energiesystems, um so den wirtschaftlichen und tech­nologischen Entwicklungen und den politischen Entscheidungen im In- und Ausland gerecht werden zu können. Mittels der Energiestrategie 2050 soll die Schweiz die neue Ausgangslage vorteilhaft nutzen und ihren hohen Versorgungsstandard erhalten. 

Ziele und Massnahmen

Gleichzeitig soll die Strategie dazu beitragen, die energiebedingte Umwelt­belastung der Schweiz zu verringern und die schweizerischen Klimaschutzziele zu erreichen. Ausserdem soll der Endenergieverbrauch reduziert werden, der Anteil der erneuerbaren Energien erhöht werden und die energiebedingten CO2-Emissionen gesenkt werden. Insbesondere sollen zudem die bestehenden fünf Kernkraftwerke am Ende ihrer sicherheitstechnischen Betriebsdauer stillgelegt und nicht durch neue Kernkraftwerke ersetzt werden.

Folgende Massnahmen sieht die Energiestrategie 2050 vor:

  • Verstärkung der Energieeffizienz mittels Anreizschaffung
  • Verstärkung der Nutzung der einheimischen erneuerbaren Energien
  • Ausstieg aus der Kernenergie
  • Beschleunigung der Verfahren betreffend den Ausbau der Stromnetze

Diese Massnahmen wurden in der nationalen Energiegesetzgebung umgesetzt. Infolge dieser Umsetzung ist das total revidierte Energiegesetz am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. 

Die erneuerbaren Energien

Die verstärkte Nutzung der einheimischen erneuerbaren Energien stellt eine Massnahme dar, um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen. Unter die einheimischen erneuerbaren Energien fallen die traditionelle Wasserkraft und die «neuen» erneuerbaren Energien wie Sonne, Holz, Biomasse, Wind und Geothermie. Heute wird davon ausgegangen, dass die langfristigen Potenziale der einheimischen, erneuerbaren Energien für die Erzeugung von Strom und Wärme sehr hoch sind. Zudem ist zu erwarten, dass die stetig fortschreitende technologische Entwicklung diese Potenziale der einheimischen erneuerbaren Energien noch weiter steigern kann. 

Jedoch besitzen die einheimischen erneuerbaren Energien auch viel Konfliktpotenzial. Die Nutzung von erneuerbaren Energien ist sehr raumintensiv. Man stelle sich beispielsweise nur ein Pumpspeicherkraftwerk oder eine Windparkanlage vor. Diese führen zu einem unübersehbaren Eingriff in die Landschaft. Diese Tatsache führt zum Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an der verstärkten Produktion von Energie aus erneuerbaren einheimischen Quel­len und beispielsweise dem Interesse am Schutz der einheimischen Landschaft.

Von nationalem Interesse

Das Energiegesetz (EnG) statuiert in Art. 12 Abs. 1, dass die Nutzung erneuerbarer Energien und ihr Ausbau von nationalem Interesse sind. Gemäss dem Art. 12 Abs. 2 EnG sind einzelne Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, namentlich auch Speicherkraftwerke sowie Pumpspeicherkraftwerke, ab einer bestimmten Grösse und Bedeutung von einem nationalen Interesse, das insbesondere dem­jenigen nach Art. 6 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG) entspricht. Indes sind in Biotopen von nationaler Bedeutung nach Art. 18a NHG und in Wasser- und Zugvogelreservaten nach Art. 11 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien ausgeschlossen.

Geregelte Schwellenwerte

Die Schwellenwerte zum nationalen Interesse sind in der Energieverordnung (EnV) geregelt. Danach ist ersichtlich, dass gemäss bestehendem Recht nur Wasser- und Windkraftanlagen von natio­nalem Interesse sein können. 

Wasserkraftanlagen

Gemäss Art. 8 Abs. 1 EnV sind Wasserkraftanlagen von nationalem Interesse, wenn sie über a. eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 20 Gigawattstunden (GWh) verfügen; oder b. über eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 10 GWh und mindestens 800 Stunden Stauinhalt bei Vollleistung verfügen. Gemäss Art. 8 Abs. 2 EnV sind bestehende Wasserkraftanlagen von nationalem Interesse, wenn sie durch Erweiterung oder Erneuerung: a. eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 10 GWh erreichen; oder b. eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 5 GWh erreichen und über mindestens 400 Stunden Stauinhalt bei Vollleistung verfügen.

Liegt bei neuen Wasserkraftanlagen die erwartete mittlere Produktion zwischen 10 und 20 GWh pro Jahr und bei bestehenden zwischen 5 und 10 GWh pro Jahr, so reduziert sich die Anforderung an den Stauinhalt linear (Art. 8 Abs. 3 EnV). Schliesslich sind Pumpspeicherkraftwerke von nationalem Interesse, wenn sie über eine installierte Leistung von mindestens 100 Megawatt (MW) verfügen (Art. 8 Abs. 4 EnV).

Windkraftanlagen

Bei den Windkraftanlagen wird zwischen einzelnen Anlagen und Windparks unterschieden. Gemäss Art. 9 Abs. 1 EnV können für die Beurteilung, ob eine Windkraftanlage von nationalem Interesse ist, mehrere Anlagen gemeinsam berück­sichtigt werden, wenn sie in einer nahen räumlichen und gemeinsamen Anordnung (Windpark) stehen. Eben diese Anordnung ist gegeben, wenn: a. die Anlagen innerhalb des gleichen, im kantonalen Richtplan festgelegten Windenergiegebiets liegen; oder b. für die Anlagen ein gemeinsamer Umweltverträglichkeitsbericht erstellt wird. 

Auch die Windkraftanlagen beziehungsweise Windparks müssen bestimmte Schwellenwerte erreichen. Art. 9 Abs. 2 EnV bestimmt, dass neue Windkraftanlagen oder Windparks von nationalem Interesse sind, wenn sie über eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 20 GWh verfügen. Bestehende Windkraftanlagen oder Windparks sind ebenso von nationalem Interesse, wenn sie durch die Erweiterung oder Erneuerung eine mittlere erwartete Produktion von mindestens 20 GWh pro Jahr erreichen (Art. 9 Abs. 3 EnV).

Interessenabwägungen

Demzufolge erhalten neue und bestehende Anlagen beim Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes den Sta­tus eines nationalen Interesses. Mit diesem Status ziehen die Energieanlagen grundsätzlich mit anderen Interessen von nationaler Bedeutung gleich, insbesondere mit dem Schutzniveau, das die Objekte in den Bundesinventaren des Natur-, Landschafts-, Heimat- oder Ortsbildschutzes geniessen (BLN-Gebiete). Von deren ungeschmälerten Erhaltung darf nur zugunsten eines gleich- oder höherwertigen nationalen Anliegens ab­gewichen werden. Dies hat zur Folge, dass, wenn in einem konkreten Fall über eine Bewilligung einer Energieanlage zu entscheiden ist, eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse am Bau oder der Erweiterung der Energieanlagen und dem Interesse am ungeschmälerten Erhalt der Objekte in den Bundesinventaren des Natur-, Landschafts-, Heimat- oder Ortsbildschutzes vorzunehmen ist und die Energieanlagen nicht per se hinter die entsprechend höher liegenden nationalen Interessen der Objekte in den Bundes­inventaren des Natur-, Landschafts-,
Heimat- oder Ortsbildschutzes zurück­weichen müssen.

Besonderer Schutz

Eine solche nationale Bedeutung kommt nicht nur den erwähnten Objekten in den Natur- und Heimatschutzinventaren des Bundes zu. Auch Auengebiete, Vogel­reservate und Biotope geniessen ent­sprechenden Schutz. Dabei ist zu beachten, dass in Biotopen von nationaler Be­deutung nach Artikel 18a NHG und in Wasser- und Zugvogelreservaten nach Artikel 11 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien ausgeschlossen sind. Diesbezüglich wurde vorab eine Wertung zugunsten der vorgenannten Objekte gegen die Erstellung von neuen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien vom Gesetzgeber vorgenommen. 

Sinnhaftigkeit ist zu prüfen

Ferner haben Energievorhaben auch den weiteren Interessen wie beispielsweise den Luftfahrten oder der Walderhaltung Rechnung zu tragen. Mit der Anhebung der Energieanlagen bei Erreichen der gesetzlich definierten Schwellenwerte zum nationalen Interesse soll ganz allgemein eine Akzentverschiebung zugunsten der erneuerbaren Energien geschaffen werden. Sie sollen dadurch bessere Realisierungschancen erhalten. 

Die Idee ist nicht, dass sämtliche freien Standorte oder die bestehenden Schutzgebiete nun mit Energieanlagen verbaut werden sollen. 

Es geht darum, dass in einem konkreten Einzelfall geprüft werden darf, ob eine bestimmte Anlage an einem bestimmten Standort Sinn macht oder nicht. In jedem Fall sollen insbesondere die Anlagen realisiert werden, die mit möglichst wenigen Eingriffen einen grösstmöglichen Nutzen für die Energieproduktion herbeiführen. Trotzdem bleibt das Thema spannungsgeladen und es wird sich in Zukunft zeigen, wie die Gerichte die nun mögliche Interessenabwägung vornehmen werden.