Strategie & Management

Aus- und Weiterbildung I

Smarte Lernarchitekturen fürs digitale Zeitalter

Eine wachsende Zahl von Unternehmen nutzt die moderne Informations- und Kom­munikationstechnik, um Blended-Learning-Konzepte in ihrer Organisation zu etablieren. Hieraus erwachsen jedoch auch neue Anforderungen an die firmeninternen Trainer und Wissensvermittler.
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Um die Effizienz ihrer Weiterbildung zu erhöhen, denken Unternehmen schon seit vor circa 40 Jahren die ersten PC in den Büros Einzug hielten darüber nach: Wie können wir das Lernen in Präsenz-Seminaren mit einem computergestützten Lernen verknüpfen? Damals erhofften sie sich von solchen sogenannten Blended-Learning-Konzepten vor allem eine Ersparnis von (Arbeits-)Zeit und Geld, wobei allgemein das Credo lautete: Mit computergestützten Lernprogrammen lassen sich zwar kognitive Lerninhalte vermitteln. Zum Herbeiführen von Einstellungs- und Verhaltensänderungen sind jedoch weiterhin Präsenz-Seminare und -Trainings nötig. 

Etwa um die Jahrtausendwende gewann neben dem Motiv, Zeit und Geld zu sparen, in den Unternehmen ein weiteres Motiv an Bedeutung, sich mit den Themen computergestütztes Lernen und Blended Learning zu befassen. Zu diesem Zeitpunkt erkannten viele Unternehmen:

  • Der Lernbedarf in unserer Organisation ist heute aufgrund der rasanten Verän­derungen in unserem Umfeld so gross, dass er mit Präsenz-Seminaren allein nicht mehr befriedigt werden kann. Das Lernen muss vielmehr ein integraler Bestandteil der Alltagsarbeit werden. Und: 
  • Die Lern- und Entwicklungsbedarfe unserer Mitarbeiter sind heute oft so verschieden, dass sie mit top-down orga­nisierten und zentral geplanten Personalentwicklungsmassnahmen nur noch bedingt befriedigt werden können. 

Mitarbeiter effektiv fördern

Also dachten die Unternehmen verstärkt darüber nach, wie eine Lernarchitektur gestaltet sein könnte, die einerseits dem Bedarf entspricht und andererseits eine individuelle Förderung der Mitarbeiter ermöglicht. In Folge davon begannen die Unternehmen zunehmend, Lern­programme zu entwickeln, auf die ihre Mitarbeiter von ihren Rechnern aus jederzeit Zugriff hatten. Sie dienten so­­wohl dazu, den Mitarbeitern die jeweils relevanten kognitiven Lerninhalte zu vermitteln, als auch dazu, zum Beispiel nach Präsenz-Seminaren den Transfer in den Arbeitsalltag zu sichern.

Parallel dazu begannen in den Unternehmen die Coachings zu boomen, denn ein Credo lautete weiterhin: Wenn die Mitarbeiter eine Einstellungs- oder Verhaltensänderung vollziehen sollen, ist eine Begegnung von Mensch zu Mensch nötig. Folglich waren die in die Blended-Learning-Konzepte integrierten Coachings in der Regel Präsenz-Coachings.

Im heutigen, sogenannten digitalen Zeitalter stellen viele Unternehmen diesen Personalentwicklungsansatz infrage, denn:

  • Heute sind die meisten Mitarbeiter der Unternehmen bereits «digital natives». Sie wuchsen mit dem Computer auf und sind es aus ihrer (Hoch-)Schulzeit gewohnt, diesen als Lerninstrument zu nutzen. 
  • Die mobilen Endgeräte – vom Laptop bis hin zum Smartphone – haben sich zu einem Alltagsbegleiter entwickelt. Die jungen Mitarbeiter der Unternehmen nutzen sie ganz selbstverständlich, um sich zu informieren und zu kommunizieren sowie ihre (Zusammen-)Arbeit zu planen. Ausserdem lernen sie mit Apps Fremdsprachen und lassen sich durch sie beim Sporttreiben coachen.

Nicht ohne moderne Technik

Deshalb wirkt es heute auf einen grossen Teil der Mitarbeiter geradezu anachronistisch, wenn sie bei der betrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung auf diese Hilfsmittel verzichten sollen. Dies gilt insbesondere für die jungen Leistungsträger in den Unternehmen, denn sie können aufgrund ihrer herausfordernden Jobs meist heute nicht sagen:

  • «In vier Wochen habe ich für ein mehrstündiges Coaching Zeit» oder 
  • «In zwei Monaten kann ich an einem mehrtägigen Seminar teilnehmen.» 

Deshalb setzen immer mehr Unternehmen, wenn es zum Beispiel um das Vermitteln von Lerninhalten geht, verstärkt auf Webinare statt Präsenz-Seminare – nicht nur weil hierdurch Reisezeiten und -kosten entfallen, sondern sich auch leichter solche smarten Designs wie «vier Module à zwei Stunden» realisieren lassen. Und beim Coachen ihrer Mitar­beiter nimmt die Zahl der Telefon- und Video-Coachings sowie Coachings via Skype zu – auch weil sich solche Coachings kurzfristiger planen lassen. 

Und beim Trainieren der Verhaltens­sicherheit der Mitarbeiter? Hier ent­decken die Unternehmen die Vorzüge solcher Apps, wie sie ihre Mitarbeiter im Privatbereich schon nutzen, denn die 
Erfahrung zeigt, dass sie geeignete Tools sind, um mit sogenannten «Micro-Learnings» wie Transferfragen und -aufgaben sowie (Kurz-)Videos und Audios das Gelernte einzuüben und zu vertiefen.

Überforderte Trainer

Den Unternehmen wird also zunehmend bewusst, dass ihnen die moderne Informations- und Kommunikationstechnik schon heute viele Möglichkeiten bietet, um ganz neue Lern- beziehungsweise Blended-Learning-Konzepte zu schmieden. Studien und Online-Befragungen belegen, dass das Gros der HR-Manager von der wachsenden Bedeutung digitaler Lernformen überzeugt ist. 

Dieser breite Konsens ist auch darin begründet, dass sich inzwischen auch in den Personalentwicklungsbereichen der Unternehmen ein Generationswechsel vollzogen hat. Auch dort haben zunehmend Digital Natives das Sagen. Trotzdem bleibt, wenn es um die digitale Trans­formation der Personalentwicklung in den Unternehmen geht, der interne Kompetenzaufbau eine zentrale Hürde, und zwar insbesondere auf der operativen Ebene der Trainer und Wissensvermittler.

Die meisten grösseren Unternehmen beschäftigen zwar auch Full-time-Trainer, das Gros ihrer Trainer sind jedoch Parttime-Trainer – insbesondere, wenn es um das Vermitteln von Fachwissen geht. Bei ihnen handelt es sich zum Beispiel um

  • Führungskräfte auf der operativen Ebene, die zuweilen in die Trainerrolle schlüpfen, beispielsweise um (neue) Mitarbeiter einzuarbeiten, oder
  • berufserfahrene Fachkräfte /Spezialisten, die regelmässig eine Trainerfunktion wahrnehmen, wenn im Unter­nehmen neue Verfahren oder Prob­lem­lösungen eingeführt werden. 

Das heisst wiederum:

  • Für die meisten firmeninternen Trainer ist das Trainieren eine Zusatzaufgabe. Und:
  • Sie sind keine ausgebildeten Pädagogen; sie wurden vielmehr gerade wegen ihres fundierten Fachwissens und ihrer beruflichen Erfahrung als Fachtrainer ausgewählt.

Speziell diese Trainer fühlen sich ohne eine adäquate Unterstützung oft überfordert, wenn sie künftig ihre Kollegen auch online trainieren und coachen sollen, denn dann werden sie mit vielen technischen, methodisch-didaktischen, aber auch (selbst-)organisatorischen Fragen und Problemen konfrontiert, deren Beantwortung beziehungsweise Lösung von ihnen neue Skills erfordern. 

Herausforderungen 

Wie vielfältig diese sind, sei am Beispiel eines fiktiven (Part-time-)Trainers, nennen wir ihn Michael, illustriert. Der 45-jährige Betriebswirt ist ein erfahrener Controller. Als solcher schult er in der firmeneigenen Akademie auch (neue) Kollegen – bisher ausschliesslich in Präsenzveranstaltungen. Doch nun entschied die HR-Abteilung: Künftig soll die Wissens- und Kompetenzvermittlung weitgehend mittels Blended-Learning-Konzepten erfolgen. Deshalb implementierte das Unternehmen auch ein Lernmanagement- System (LMS). Trainer Michael verunsichert diese Entscheidung, denn er weiss, dass sich hierdurch seine Trainertätigkeit stark verändert, primär, weil er künftig als Trainer nicht mehr die Lerner persönlich im Seminarraum trifft. Vielmehr wird er mit ihnen künftig mittels eines PC mit einer Kamera kommunizieren. 

Seminarplanung und -design

Die erste Herausforderung, vor der Michael hierbei steht, ist: Er muss sich für seine bisherigen Seminarinhalte Lernziele überlegen und daraus ableiten, welche Inhalte er künftig online vermitteln könnte und welche nicht. Zum ersten Mal in seinem Trainerleben muss er zudem der HR-Abteilung für jedes Lernmodul ein schriftliches Design vorlegen und sich vorab auf die genaue Abfolge der Inhalte sowie ein bestimmtes methodisches Vorgehen festlegen. Das widerspricht seiner bisherigen Arbeitsweise, bei der er sich oft situativ, im Dialog mit der Gruppe für das weitere Vorgehen entschied. 

Lernplattformen nutzen und Webinare halten

In einem Online-Tutorial lernt Michael die Lernplattform kennen und bedienen. Dabei merkt er, dass er sich für das optimale Gestalten von Webinaren auch mit folgenden Fragen befassen muss: 

  • Welche Gestaltungsmöglichkeiten bietet die gewählte Webinar-Plattform (Whiteboard-Funktion, Chat, Umfragetool, Bildschirm teilen etc.)?
  • Wie lange sollte ein Webinar dauern?
  • Wie kann ich die Teilnehmer in dieses so einbinden, dass sie motiviert und online bleiben? Sollte zum Beispiel der Chat während des Webinars aktiviert sein?

Zudem spürt er, dass die Arbeit vor einer Kamera ohne direkten Augenkontakt mit den Teilnehmern ungewohnt ist und ihn Überwindung kostet.

Vertonte Bildschirmaufnahmen

In dem Online-Tutorial erfuhr Michael auch, dass man mit Powerpoint-Folien vertonen kann; zudem ist ein Aufnehmen des Kamerabilds möglich. Also macht er sich zu Hause ans Werk. Beim Anschauen der ersten Aufnahmen merkt Michael, dass er viel zu lange spricht, und seine Botschaften sind zuweilen nicht klar genug formuliert. Ihm wird bewusst, dass er sich auch mit solchen Themen wie

  • Videoaufnahme
  • optimale Länge der Lernvideos
  • klare, einfache Sprache 
  • Videoschnitt

befassen muss.

Ansprechende Unterlagen produzieren

Für einige Inhalte möchte Michael Skripts zum Selbststudium hochladen. Bisher druckte er nur seine Powerpoint-Folien für die Seminarteilnehmer aus. Doch diese genügen für ein Selbststudium nicht.
Also gilt es zusätzliche schriftliche Unterlagen zu erstellen. Um diese ansprechend zu gestalten, muss sich Michael unter anderem mit folgenden Themen befassen:

  • verständliche, leicht lesbare Sprache
  • Visualisierungen durch Piktogramme, Grafiken usw. 
  • Urheberrecht (welche Bilder darf ich verwenden?)
  • optimale Länge, Gliederung des Textes.

Wissensüberprüfungen erstellen

Um den Lerntransfer in der Online-Phase zu überprüfen, soll Michael ausserdem eine Wissensüberprüfung mit Multiple-Choice-Fragen erstellen. Dabei fragt er sich oft, ob die Fragen zu leicht oder zu schwer sind. Für einen Themenbereich entwirft Michael zudem eine Fallarbeit. Die Teilnehmer sollen ihre Lösung als Dokument auf die Lernplattform hochladen. Binnen einer Woche erhalten sie dann ein schriftliches Feedback, verspricht Michael. 

Videos produzieren

Zur Begrüssung der Teilnehmer im Online-Seminar nimmt Michael ein Video auf – mit seinem Smartphone. Beim Hochladen stellt er fest: Das Bild ist verkehrt herum. Ein Kollege erklärt ihm, dass man die Videos stets im Querformat aufnehmen muss. Ausserdem weist er Michael darauf hin, dass der Hintergrund – ein unaufgeräumter Schreibtisch – nicht optimal für ein Video ist. Michael sollte sich künftig ein passen­deres Setting überlegen. 

Betreuung beim Online-Lernen

Michael möchte auch in der Online-Phase für die Teilnehmer ansprechbar sein. Also fordert er die Teilnehmer unter anderem dazu auf, ihm im LMS online Fragen zu stellen. Doch leider hat er erst eineinhalb Wochen später wieder Zeit, in dessen Forum zu schauen, und bemerkt, dass einige Teilnehmer fast schon ebenso lange auf eine Antwort auf ihre Fragen warten, denn Michael hat die automatische Benachrichtigung bei neuen Posts durch das System nicht aktiviert. 

Klare / transparente Vorgaben machen

Auch die ersten Rückmeldungen zu seiner Fallarbeit überraschen Michael. Manche Teilnehmer schreiben drei Sätze, andere fünf Seiten. Michael erkennt, dass er genauere Vorgaben machen muss, zum Beispiel, indem er eine Mindestzeichenanzahl angibt. Ausserdem wünscht seine Firma, dass er im LMS die Arbeiten in Prozent bewertet, um den Seminarerfolg der Teilnehmer beurteilen zu können. Michael hat sich jedoch kein klares, transparentes Bewertungsschema für die Fallarbeit überlegt. Dies muss er beim nächsten Mal tun und dieses den Teilnehmern vorab mitteilen.

Schriftliches Feedback geben

Auch das versprochene schriftliche Feedback ist keine leichte Aufgabe, erkennt Michael rasch, denn hierbei muss er einerseits die Feedbackregeln beherzigen und sich andererseits so klar ausdrücken, dass die Teilnehmer verstehen, was gemeint ist – und das rein schriftlich. Das dauert länger als gedacht; ebenso das Lesen der Fallausarbeitungen. Hierfür muss Michael mehr Zeit einplanen.

Ein Change-Projekt

Mit solchen technischen, methodisch-­didaktischen, aber auch (selbst-)orga­nisatorischen Fragen und Problemen kämpfen Trainer und Wissensvermittler eigentlich stets, wenn ihr Arbeit- oder Auftraggeber beschliesst, das Online-Lernen in seiner Organisation zu forcieren und künftig bei der Personalentwicklung verstärkt auf Blended Learning zu setzen. Eine Ursache hierfür ist, dass die Unternehmen und ihre HR-Bereiche oft verkennen, dass es sich hierbei um ein Change-Projekt handelt, das unter anderem 

  • auf das Schaffen einer neuen Lernkultur in ihrer Organisation abzielt und
  • eine Einstellungs- und Verhaltungsänderung bei allen Beteiligten erfordert.

Entsprechend professionell muss das Projekt gemanagt werden. Sie unterschätzen zudem oft, wie viele neue Kompetenzen die Trainer und Wissensvermittler brauchen, um auch künftig ihre Funktion professionell wahrzunehmen. Deshalb empfiehlt es sich, ihnen in einer Blended-Learning-Trainer-Aus- und -Weiterbildung die noch fehlenden Skills zu vermitteln und sie in dem Change-Prozess coachend zu begleiten. Sonst entstehen speziell bei den Part-time-Trainern rasch Vorbehalte gegen das Online-Lernen beziehungsweise Blended Learning, und sie empfinden das Trainieren zunehmend als eine belastende Zusatzaufgabe. Das heisst, die Gefahr besteht, dass das Un­ternehmen einen firmeninternen Wissensvermittler verliert. Dabei brauchen die Unternehmen diese, wenn sie sich zu lernenden Organisationen entwickeln möchten, die für die Vuka-Welt gewappnet sind.

Porträt