Strategie & Management

Diversität (Teil 1 von 2)

Smart Boards – Verwaltungsräte der Zukunft

Der Umbruch zum digitalen Informationszeitalter erfordert ein Umdenken, wie die Führung idealerweise aufgestellt sein sollte. Auch im Verwaltungsrat als strategisches Gremium sind gemischte Teams mit unterschiedlichen Perspektiven erfolgversprechend. Wie sind geeignete Kandidaten für ein zeitgemässes «Smart Board» zu finden?
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Wenn sich eine Gruppe von fünf bis neun Personen unterschiedlicher Herkunft alle zwei Monate für ein paar Stunden Sitzung trifft und dabei die strategische Gesamtverantwortung für ein Unternehmen mit bis zu hunderten von Arbeitsplätzen trägt, dann sind die Anforderungen an die einzelnen Menschen und die Qualität ihrer Vorbereitung und Zusammenarbeit hoch. Das Gesetz sieht vor, dass der Verwaltungsrat die Strategie vorgibt und die Geschäftsleitung sie umsetzt.

Der «swiss code of best practice for corporate governance» gibt bewährte Anleitungen, wie ein Verwaltungsrat gut funktioniert. Professionalität, Unabhängigkeit und Vielfalt haben in den letzten Jahren im Verwaltungsrat enorm an Bedeutung gewonnen.

Grosse Unterschiede

In einer zunehmend komplexen, volatilen und von Unsicherheiten geprägten Welt verlangt Strategiearbeit zudem ein steigendes Mass an Agilität. Verwaltungsräte müssen schritthalten können mit den Erkenntnisgewinnen in den operativen Gremien der Firmen. Oft sind die operativen Kräfte dem strategischen Gre­mium jedoch spürbar voraus – besonders, wenns um digitale Transformation geht. In einer Geschäftswelt, die von den Möglichkeiten der Digitalisierung angetrieben wird, ist das Verständnis der Grammatik von Informationstechnologie eine Grundvoraussetzung für zukunftstaugliche Entscheide und Handlungsimpulse. Wirtschaft und Gesellschaft sind mitten im Umbruch vom funktionalen Maschinenzeitalter zum digitalen Informationszeitalter. Dabei verändern sich die Grundannahmen. Im Maschinenparadigma war «Effizienz» das Leitziel – im beginnenden Informationszeitalter sind Tempo sowie Geschicklichkeit der Anpassung zentral, «Agilität» eben. Dabei steigt die Komplexität enorm.

Jene Menschen, die bereits in dieses Zeitalter hineingeboren wurden, nennt man «Digital Natives». Sie haben oft ein anderes – ein aktuelleres und zukunftsfähigeres – Betriebssystem im Kopf. Sie sind ein wenig anders gestrickt als die Generation davor: schneller und anpassungsfähiger. Das ist nicht immer kompatibel mit den erfahreneren Kräften, die auf Effizienz getrimmt sind. Darum gilt es, wachsam zu sein, denn Erfahrung kann in Zeiten des Umbruchs durchaus behindernd wirken. Und wie immer in den Phasen grosser Veränderungen lösen fundamentale Unterschiede gegenseitige Abwehr aus.

Silos abbauen

Es ist einfach, mit gleichgesinnten Menschen zusammenzuarbeiten, denn man ist sich oft einig. Das ist angenehm, aber gefährlich, denn man hat dieselben blinden Flecke. Aus unterschiedlichen Perspektiven und Prioritäten entstehen Konflikte sowie Missverständnisse. Das mag unangenehm sein, doch Weiterentwicklung und Innovation brauchen intensive Auseinandersetzung und bewusste Vielfalt der Betrachtung. Doch das geht nicht reibungslos: Verschiedenheit verursacht Stress. Darum ist es von entscheidender Bedeutung, die Unterschiedlichkeiten in Teams erkennen, verstehen und sie konstruktiv nutzen zu können. Das verlangt von allen Beteiligten ein breites Repertoire an zwischenmenschlichen Fähigkeiten, denn es liegt auf der Hand, dass es nicht reicht, wenn der Verwaltungsratspräsident oder der CEO als Einziger den Durchblick hat und die Teams vereinzelt wirken lassen.

Moderne Führungskräfte versuchen, Silos in Unternehmen abzubauen und die Kollaboration zwischen den verschiedenen Geschäftsbereichen zu fördern. Mit Recht. Wirkungsvolle Teamarbeit braucht die Integration von unterschiedlichen Perspektiven, selbst wenn man sie als Einzelner nicht alle umfassend versteht. Es bleibt also nichts anderes übrig, als gelegentlich und gezielt einfach zu vertrauen. Das geht umso leichter, wenn man weiss, dass die richtigen Leuten, an Bord sind.

Überleben in der Vuca-Welt

Smart Boards sind jene Gremien, in denen sich alle gegenseitig gut kennen, vertrauen, produktiv zusammenwirken und die hinsichtlich Verschiedenheit optimal auf die Herausforderungen der Firma in der Zukunft ausgerichtet sind. Das erfordert von allen Mitwirkenden ein «gerüttelt Mass» an persönlicher Reife und zwischenmenschlicher Intelligenz, also die Fähigkeit, sich auf andere Standpunkte spielerisch einzulassen sowie diese in die eigene Sichtweise konstruktiv einzubeziehen und zu überprüfen. Die Gretchenfrage lautet nun, wie findet man genau jene Menschen, welche das gut können? Diese Fähigkeiten beziehungsweise deren Mangel erschliessen sich nämlich nicht aus einem beeindruckenden Lebenslauf, meistens noch nicht mal in einem ersten persönlichen Gespräch. Erst in der Zusammenarbeit wird sichtbar, ob diese Fähigkeiten da sind.

Es gibt einen Forschungszweig in der Psychologie, der sich genau mit dieser Herausforderung beschäftigt: die Entwicklungspsychologie. «Der Mensch reift in erkennbaren Entwicklungsschritten», hat Jane Loevinger bereits in den 1960er-Jahren erkannt. Die USA-Schweizerin Dr. Susanne Cook-Greuter hat daraus ein Werkzeug entwickelt, das von David Rooke und William R. Torbert für die Anwendung in der Leadership- und Team-Entwicklung verfeinert wurde. Mit diesem ist es möglich, systematisch zu erkennen, wie viel Vielfalt und Komplexität eine Person in ihr Denken und Handeln in­tegrieren kann und mit wie viel Widersprüchlichkeit sie in der Lage ist, produktiv umzugehen.

Damit schätzt man die Integrationsfähigkeit einer Führungsperson in einem Kontext von Widersprüchen und Unsicherheiten ein sowie deren Handlungsfähigkeit bei paradoxen Rahmenbedingungen. Kurz: Man misst damit die Handlungsfähigkeit in einer Vuca-Welt. Jim Collins beschreibt in seinem Bestseller «good to great», welchen nachhaltigen Nutzen sogenannte Level-4- und Level-5-Manager in Unternehmen stiften können. Es ist daher erstrebenswert, in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen genügend Menschen am Werk zu haben, die genau diese Fähigkeiten im Umgang mit Komplexität, Widersprüchen und Unsicherheiten mitbringen, um als Unternehmen in einer Vuca-Welt überlebensfähig zu sein. Ein erster wichtiger Schritt, doch das allein reicht nicht.

Zu «Smart Boards» gehört Diversity, denn Vielfalt in Teams macht sie erfolgreicher. Unter Vielfalt verstehen wir bewusst geplante und auf die Unternehmensstrategie ausgerichtete Unterschiedlichkeit in allen relevanten Dimensionen. Das Alter, der Bildungshintergrund, der Erfahrungsschatz, die kulturelle Herkunft, das Geschlecht und so weiter.

Im Zentrum der Diversity-Modelle steht zumeist die «Persönlichkeit». Doch wie kann man Persönlichkeit systematisch beschreiben und für die Diversity-Planung nutzen? Dafür eignen sich insbesondere typologische Werkzeuge. Neuere Instrumente, wie z. B. das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP, Hossiep und Paschen, 2003) und das Schweizer Talente-Profil Jaagou (Eric Bättig, 2006), bauen jüngere Erkenntnisse zur Ressourcenorientierung und der positiven Psychologie in ihre Werkzeuge mit ein. Damit steigen die Genauigkeit sowie die Akzeptanz der Ergebnisse und folglich auch der Anwendungswert gegenüber älteren Tools.

Viele Unternehmen nutzen bereits etablierte Werkzeuge, die «Persönlichkeit» beschreiben, für ihre Personalsuche und in der Führungskräfteentwicklung. Sie liefern einen systematischen und von der Selbsteinschätzung unabhängigen Blickwinkel auf Menschen. Es sind standardisierte Profile. Sie haben den Vorteil, dass Aussagen gemacht werden, die losgelöst von Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildung und so weiter gültig sind. Sie überbrücken diese Kategorien und helfen dabei, die sogenannte «baisses» zu überwinden. Das sind Wahrnehmungsverzerrungen durch unbewusste Verknüpfungen von Kategorien mit Fähigkeitszuschreibungen, konkreter: Vorurteile, Klischees und Mythen. Typologische Tools können vorhandene Fähigkeiten und Veranlagungen aufzeigen, die der Kategorie, zu der der betreffende Mensch gehört, eher nicht zugetraut wird. Ein introvertierter und sozial-empathischer Mann sowie eine unternehmerisch innovative Frau, um zwei plakative Beispiele zu nennen.

Mit diesen standardisierten Profilen lassen sich Team-Profile bilden, die Aussagen darüber machen können, ob in einem Gremium zum Beispiel Vorsicht und Risikobewusstsein eher im Vordergrund stehen als Entwicklungsdrang und Kreativität. Je nachdem in welcher Entwicklungsphase das Unternehmen ist, ist das eine oder das andere besser für die Strategieumsetzung. Ersteres eignet sich besser zur Konsolidierung, das zweite für eine Wachstumsstrategie. Und dies gilt für eine Geschäftsleitung genauso wie für ein Verwaltungsratsgremium. Diese sollten als zwei smarte Boards nicht in völliger Opposition zueinanderstehen und auch nicht 1:1 kongruent aufgestellt sein. Jede Vakanz eröffnet die Chance, das Board im Hinblick auf strategische Weichenstellungen frisch auszurichten. Mit guten Planungs- sowie Gestaltungshilfsmitteln macht man sie smarter.

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