Strategie & Management

Unternehmensorganisation I

Resilienz für Unternehmen in der Vuca-Welt

Mit der Norm ISO 22316 ist ein Leitfaden veröffentlicht worden, der Organisationen aller Art helfen soll, ihre Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit zu steigern. Der Beitrag fasst die wichtigsten Inhalte zusammen.
PDF Kaufen

Wir leben in einer Welt, die sich immer rascher ändert. Unser Klima ist in Be­wegung, es gibt politische Instabilität und die Verbraucher scheinen ihre Meinung nach Belieben zu ändern, ganz zu schweigen von der Technologie, die sich exponentiell entwickelt. All dies wird mit dem Kürzel Vuca umschrieben.

Eine Begriffserklärung

Tatsächlich ist Vuca zum Normal­zustand geworden. Langfristige, starre Pläne sind zum Scheitern verurteilt. Einfache Lösungsrezepte funktionieren nicht mehr. Vuca ist ein Akronym für die englischen Begriffe volatility (Volatilität), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit).

  • Volatility: Rasche und unberechenbare Veränderungen im Aussen hebeln die langfristige Stabilität im Inneren aus.
  • Uncertainty: Wegen der Ungewissheit über zukünftige Entwicklungen funktionieren langfristige Pläne nicht mehr.
  • Complexity: Die Vernetzung der wirtschaftlichen Kreisläufe führt dazu, dass Ursachen und Wirkungen nicht mehr eindeutig auszumachen sind.
  • Ambiguity: Die Mehrdeutigkeit führt dazu, dass einfache Erklärungen nicht mehr passen.

Resilienz ist der Schlüssel

Resilienz ist eine Antwort darauf, wie Unternehmen mit Vuca umgehen können. Organisationale Resilienz ist die Fähigkeit eines Unternehmens, auf Veränderungen zu reagieren und sich anzupassen, zukünftige Bedrohungen und Chancen zu antizipieren und seine Schwachstellen zu kennen. Dazu gehören

  • eine effektive Planung und Entscheidungsfindung zum Stärken der Anpassungsfähigkeit unter komplexen und sich rasch ändernden Bedingungen,
  • die Flexibilität, ein Spektrum von Risiken zu bewältigen, die für den Betrieb eines Unternehmens einzig­artig sind.

Doch wie kann ein Unternehmen seine Resilienz stärken? Die «International Organization for Standardization» (ISO) hat dazu einen Leitfaden für organisationale Resilienz publiziert. 

Die ISO 22316

Diese ISO-Norm 22316 bietet einen Rahmen, der Unternehmen unterstützt, ihr Business zukunftssicher zu gestalten. In der Norm sind die wichtigsten Prinzipien, Attribute und Aktivitäten sowie die Eva­luation der Resilienzfaktoren beschrieben. Die Resilienz eines Unternehmens wird durch ein Zusammenspiel von unterschied­lichen strategischen und operativen Faktoren beeinflusst. Resilienz ist weder Zustand noch definiertes Ziel. Je resilienter ein Unternehmen, desto besser kann es Bedrohungen und Chancen, die sich aus plötzlichen oder allmählichen Veränderungen in seinem internen und externen Kontext ergeben, antizipieren und darauf reagieren. Die Norm ISO 22316 betrachtet die Aspekte, die die Widerstandskraft und An­passungsfähigkeit eines Unternehmens stärken können. Viele davon sind verhaltens­orientiert und wurden in der Vergangenheit übersehen. Es geht auch darum, auf dem bestehenden Risikomanagement aufzubauen, gemeinsame Werte und ein Bewusstsein für sich verändernde Zusammenhänge zu schaffen und eine starke und befähigende Führung zu etablieren. Eines der Grundprinzipien der Norm ist, Unternehmen zu helfen, eine Kultur zu entwickeln, die Resilienz unterstützt. 

Die Inhalte

Die ISO 22316 bietet ein Framework und eine Strategie, die Resilienz des Unternehmens zu stärken. In der ISO 22316 sind Prinzipien, Attribute und die Evaluation von Resilienzfaktoren beschrieben. Wenn ein Unternehmen diese Attribute durch konkrete Massnahmen, deren Bewertung und Verbesserung entwickelt, stärkt es seine Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit immer weiter. 

Neun Attribute

Die folgenden neun Attribute bilden den Kern der ISO 22316. Jedes Attribut ist in einer dreiteiligen Struktur beschrieben:

  • Kurze Beschreibung des Attributes.
  • Aspekte, die das Unternehmen zeigen und verstärken sollte.
  • Aktivitäten, die das Unternehmen priorisieren und mit entsprechenden Mitteln ausstatten sollte.

Gemeinsame Vision und Klarheit über den Unternehmenszweck

Die Resilienz wird gestärkt durch eine gemeinsame Vision, Mission und Werte, mit denen sich die Menschen auf allen Ebenen der Organisation auseinandersetzen. Strategische und individuelle Ziele sind darauf abgestimmt. Die Grundsätze werden auch externen Partnern mitgeteilt.

Den internen und externen Kontext verstehen

Eine resiliente Organisation kennt und versteht ihren internen und externen Kontext, in dem sie sich bewegt. Sie schaut über den Tellerrand und reflektiert. Sie gestaltet ihren Kontext aktiv und arbeitet mit Partnern zusammen, welche die gleiche Mission und die gleichen Werte haben.

Wirkungsvolle und kraftvolle Führung

Ermutigende, unterstützende und fehlertolerante Führungskräfte, die integer handeln, sowie eine Führungskultur, die auch in unsicheren Zeiten greift, stärken die Resilienz der Organisation.

Eine unterstützende Unternehmenskultur

Ein Engagement für gemeinsame Werte und Überzeugungen sowie für positive Einstellungen und Verhaltensweisen machen die Organisation resilienter. Diese Kultur fördert die Kommunikation über erkannte Chancen und Gefahren, fördert Kreativität und Innovation.

Informationen und Wissen teilen

Die Resilienz des Unternehmens wird erhöht, wenn Wissen verteilt und angewendet wird, wo auch immer dies angebracht ist. Lernen voneinander und Lernen aus Erfahrungen und Fehlern wird gefördert.

Verfügbarkeit der Ressourcen

Eine resiliente Organisation entwickelt Ressourcen (zum Beispiel qualifizierte Mit­arbeitende, Infrastruktur, Infor­ma­tionen, Technologie etc.), um Schwachstellen zu beheben und eine schnelle An­passung an veränderte Umstände zu ermöglichen.

Managementdisziplinen entwickeln und koordinieren

Design, Entwicklung und Koordination der unterschiedlichen Managementdisziplinen sowie deren Ausrichtung auf die strategischen Ziele des Unternehmens sind von grundlegender Bedeutung für die Steigerung der Resilienz. Im Anhang der ISO 22316 sind 20 Managementdisziplinen aufgeführt.

Kontinuierliche Verbesserung unterstützen

Die Resilienz wird verbessert, wenn die Organisation ihre Leistung anhand vorgegebener Kriterien überwacht, um aus Erfahrungen zu lernen, sich zu verbessern und Chancen zu nutzen. Sie schafft für alle Mitarbeiter eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung.

Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren und zu bewältigen

Die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens wird erhöht, wenn es sich auf Veränderungen oder auch plötzliche und unerwartete Vorfälle vorbereitet, indem es den Umgang damit plant und entsprechend darauf reagiert.

Resilienzfaktoren evaluieren

Jede Organisation, jedes Unternehmen hat seine eigenen, massgeschneiderten Resilienzfaktoren. Diese sind abhängig von Branche, Reifegrad, Grösse und anderen Merkmalen. Die Faktoren, die zur Resilienz beitragen, sollen ermittelt, gemessen und bewertet werden. Die erkannten Lücken und Schwachstellen sollen rasch geschlossen werden. 

Die Resilienz der Organisation ist regelmässig zu bewerten, wobei Änderungen am internen und externen Kontext zu berücksichtigen sind. Daraus sind Massnahmen für die weitere Stärkung der Resilienz zu planen – nicht nur zu planen, sondern auch umzusetzen.

Die Umsetzung

Beim Attribut zu Managementdisziplinen wird auf eine Liste von 20 Managementdisziplinen verwiesen, die von Asset- Mana­gement über Informationssicherheits- und Qualitätsmanagement bis hin zu Supply-Chain-Management reichen. Diese sind entsprechend den Bedürfnissen der Organisation zu gewichten und zu koordinieren. 

Möchte ein Unternehmen seine Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähig­keit stärken, empfiehlt sich das folgende Vorgehen.

Gap-Analyse

Als erster Schritt sollte eine auf den At­tributen der ISO 22316 basierende Gap-Analyse durchgeführt werden. Diese erste Bewertung der organisatorischen Resilienz kann verwendet werden, um alle dringend erforderlichen Arbeiten zu ermitteln und das Konzept der organisatorischen Resilienz den Stakeholdern zu vermitteln.

Das Unternehmen kann dabei auch bereits vorhandene Messgrössen (KPIs) verwenden, um einen groben Überblick über den Stand der organisationalen Resilienz zu erhalten. Die bei der Gap-Analyse ermittelten Lücken mit dringendem Handlungsbedarf sollten rasch geschlossen werden.

Resilienz-Monitoring 

Für eine langfristige Entwicklung sind Methoden und Messgrössen zu entwickeln, mit denen die für das Unter­nehmen relevanten Attribute und die Wirksamkeit von Massnahmen zur Risikosteuerung überwacht werden können. 

Dafür können auch Mitarbeiter- und Kundenbefragungen durchgeführt werden, die Indikatoren für die Resilienz des Unternehmens liefern. Das Ziel ist, die Entwicklung der Resilienz systematisch zu bewerten und zu steuern.

PDCA-Zyklus

Die weiteren Schritte können gemäss dem PDCA-Zyklus erfolgen:

  • Plan: Ziele in Bezug auf organisationale Resilienz setzen und Massnahmen zu deren Erreichung planen. Dafür eignen sich die in der ISO 22316 beschriebenen neun Attribute und zugehörigen Aktivitäten. 
  • Do: Geplante Massnahmen umsetzen. 
  • Check: Mit dem Resilienz-Monitoring prüfen, ob die Massnahmen wirksam sind.
  • Act: Ergebnisse absichern und systematisieren, kurz- und langfristige Verbesserungen einleiten.

Fazit

Die ISO 22316 ist ein knapp formulierter Leitfaden für Organisationen, die ihr Immunsystem auf systematische Art und Weise stärken wollen. Die Beschreibung der Attribute und der Ansatz zur Bewertung der Resilienz unterstützen eine strategische Entwicklung der organisatio­nalen Resilienz.

Porträt