Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Reden? Ja, aber über das Wesentliche.

Mittelständische Unternehmen haben einen grossen Vorteil gegenüber den meisten grossen Unternehmen: Sie können schneller sein. Warum wird dieser Vorteil so oft verspielt?
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Eigentlich ist es ja klar: Die wesentlichen Themen im Unternehmen drehen sich um die Kunden. Wirklich? Tatsächlich ist festzustellen, dass sich mitnichten der Grossteil der Gespräche im Unternehmen um Kundenprobleme dreht, die es zu lösen gilt, oder um Kundenbedürfnisse, denen man noch mehr auf die Spur kommen sollte, sondern dass sich viele interne Gespräche, viele interne Arbeitstreffen, ja sogar ganze Klausuren nahezu ausschliesslich auf interne Themen fokussieren. Nun kann man unterstellen, dass dies nicht aus Selbstzweck geschieht und dass zumindest eine implizite Absicht besteht, dass Gespräche über interne Abläufe, interne Hindernisse, interne Themen letztlich darauf zielen, dass sich das Unternehmen am Markt besser positioniert, seine Kunden besser bedient, dadurch werthaltig profitabel wächst. Natürlich sind Gespräche über interne Verbesserungen und das Überwinden interner Hürden auch relevant, aber bedauerlicherweise verstellen sie allzu häufig den Blick für das Wesentliche: die Kunden.

Aus einem Arbeitstreffen zum groben Thema «Weiterentwicklung des Unternehmens» mit der Führungsmannschaft eines mittelständischen Unternehmens lassen sich bei genauer Beobachtung sehr wohl Indizien darüber ableiten, wie es um das Unternehmen in Sachen «Wachstum» bestellt ist, und zwar ohne dass man die tatsächliche Wachstumssituation oder die Position des Unternehmens auf der Wachstumskurve kennen muss. Wenn jeder Fachbereich seine Themen vorträgt, kann man ahnen, womit sich das Unternehmen vordergründig beschäftigt, welche Themen die meiste Aufmerksamkeit erhalten, welche Ressorts die grössten zeitlichen und finanziellen Zuwendungen erhalten.

Sich zu sehr an internen Themen zu reiben, verstellt den Blick auf die Kunden und verringert Wachstumschancen
Wenn die Personalabteilung zum Beispiel darüber spricht, dass das interne Beurteilungssystem verbessert werden muss, dass man an einem Punktesystem zur besseren Bewertung der Tätigkeiten von Mitarbeitern arbeitet, die Produktionsleitung sich darauf fokussiert, die Durchlaufzeiten zu verkürzen und Rüstzeiten zu minimieren, die Lagerleitung den Einwand erhebt, dass sich dann die Bestandskosten möglicherweise deutlich erhöhen werden, wenn der Vertrieb, der Bestände ohnehin liebt, weil sie ihm Lieferfähigkeit garantieren, darauf drängt, ein neues Provisionssystem zu entwickeln, der Einkauf vor allem daran arbeitet, die Bezugspreise zu senken, und das Marketing sich in Berichten über Platzierungen von Pressemeldungen ergeht, dann weiss man: Der Kunde spielt hier eine untergeordnete Rolle. Wenn man dann auf die Position des Unternehmens auf der Wachstumskurve schaut, wird man feststellen: Ein solches Unternehmen wächst vielleicht noch minimal, vermutlich stagniert es aber und wenn man ehrlich ist, steuert es bald auf eine Abwärtsrichtung zu, wird hier nicht rechtzeitig etwas verändert.

Natürlich ist es leichter, sich an internen Themen zu reiben, als an Themen, die den Kunden anbelangen, und wenn man in mittelständischen Unternehmen fragt, wird man auch immer die Antwort erhalten: «Natürlich haben wir den Kunden im Fokus, sonst brauchten wir doch gar nicht am Markt zu sein.» Die Realität, gemessen an der Relation der gewidmeten Zeit und Aufmerksamkeit auf interne Verbesserungen zu der auf Kunden­themen, spricht oft eine ganz andere Sprache.

Die richtigen Fragen stellen
Nun kann man einwenden, dass die oben beispielhaft aufgeführten Themen sehr wohl ihre Berechtigung haben und nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind. Das stimmt, aber den Diskussionen über interne Themen ist oft zu eigen, dass sie auf die Optimierung des jeweils vortragenden Bereiches ausgerichtet sind: Die Personalabteilung will sich nicht vorwerfen lassen, sie täte nichts in Bezug auf Mitarbeiterentwicklung, die Produktionsleitung möchte am Ende des Jahres nicht als Kostenverursacher durch zu kleine Lose dastehen, der Einkauf will sich keine zu hohen Einkaufspreise eingestehen müssen und so fort. Die Frage, die sich bei internen Themen aber sofort, reflexartig und unmittelbar stellen muss, ist: «Was ist das Ziel der Massnahme? Wie zahlt sich dies auf die Verbesserung unserer Marktposition aus?»

Natürlich, wenn man sich gar nicht auf dem Spielfeld des Marktes befindet, wenn alle internen Kennzahlen in Relation zur erforderlichen Wettbewerbsfähigkeit auf «Rot» stehen, muss man sich verschärft internen Themen widmen. Aber selbst dann hilft es, den Blick auf den Kunden zu richten und sich zu fragen, wie man tatsächlich Differenzierung schafft und Wahrnehmung erzeugt, denn wohin sonst sollten die internen Abläufe optimiert werden? Überdies stehen die meisten Marktteilnehmer, die den internen Themen den Vorrang gegenüber den Kundenthemen geben, nicht so schlecht da, dass bereits alles auf «Rot» stünde.

Nein, manches mittelständische Unternehmen steht sich selbst im Wege, weil es sich so gebärdet, als sei es ein Konzern und damit vor allem Leichtigkeit und Schnelligkeit verliert. Ein Unternehmen mit fünfzig, hundert oder hundertfünfzig Mitarbeitern ist schlagkräftig, vorausgesetzt, es sind die richtigen Mitarbeiter am Start. Wenn dies nicht der Fall ist, hat die Unternehmensführung ohnehin Handlungsbedarf.

Die Unternehmensführung verantwortet die Themensetzung
Womit wir auch bei der Unternehmensführung angelangt sind, denn hier wird darüber entschieden, hier wird zugelassen, welche Themen auf die Agenda kommen. Wer, wenn nicht die Unternehmensführung, kann die unternehmensrelevanten Themen setzen? Wenn man auf die Beurteilungssysteme der einzelnen Abteilungs- und Bereichsleiter schaut, dann wird man sehr schnell feststellen, dass diese oft so handeln, wie es von ihnen erwartet wird. Wenn es Bestandteil des Bonussystems des Produktionsleiters ist, die Rüstzeiten gering und die Auslastung hoch zu halten, wird er sich danach richten. Wenn der Lagerleiter unter anderem nach der Höhe der Bestände beurteilt wird, ist ein Konflikt mit der Produktion vorprogrammiert. Wenn der Einkauf nahezu ausschliesslich dafür belohnt und belobigt wird, einen möglichst niedrigen Einkaufspreis zu erzielen? Richtig: Er wird dies tun, und das möglicherweise auf Kosten der Lieferfähigkeit, was dem Vertrieb wiederum nicht gefallen wird.

Die Unternehmensführung ist es, der die Aufgabe zukommt, nicht nur die Beurteilungssysteme so zu gestalten, dass sie dem Gesamtunternehmen dienlich sind und nicht nur einer Untermenge davon, sondern es ist auch ihre Aufgabe, darauf zu achten, dass die richtigen Grossthemen im Unternehmen gesetzt werden und regelhaft in Arbeitstreffen besprochen werden. Strategische Fragen, Fragen nach den sich weiterentwickelnden Kundenbedürfnissen, Fragen nach dem Bild über den idealen Kunden, Fragen nach dem Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens müssen von der Unternehmensführung auf die Agenda gebracht werden, denn wenn sie diese Fragen nicht aufbringt, werden sie auch nicht gestellt und die internen Themen gewinnen die Oberhand.


Professor Dr. Guido Quelle ist geschäftsführender Gesellschafter der Mandat Managementberatung. www.mandat.de, guido.quelle@mandat.de

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