Strategie & Management

Aus- und Weiterbildung VII

Neue Kompetenzen für den Arbeitsmarkt von morgen

Das Berner Bildungsunternehmen WKS KV Bildung hat seinen Unterricht in der kaufmännischen Grundbildung um eine neue, selbst entwickelte Methode erweitert. Das «Begleitete Selbstorganisierte Lernen» (BGSOL) setzt vor allem auf selbstständiges Lernen. Jetzt haben die Verantwortlichen eine erste Bilanz gezogen.
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Anders als klassische Unterrichtsmethoden fokussiert das «Begleitete Selbstor­ga­ni­sierte Lernen» (BGSOL) auf selbstständiges Lernen. Die frontal gehaltenen Unterrichtseinheiten sind kürzer, dafür haben die Lernenden mehr Zeit, um sich selbst in den Stoff zu vertiefen. Dies tun sie mittels digitalen Lernaufträgen zum Kompetenzaufbau – reines Pauken ist Vergangenheit. Die Lernenden arbeiten vor Ort. Sie werden von einem Coach und von Fachlehrpersonen begleitet, die sie individuell betreuen und fördern. Mit dem BGSOL-Modell haben die Lernenden trotz klarer Strukturen mehr Freiheiten, müssen aber auch mehr Verantwortung übernehmen. Damit üben sie sich in Selbstführung und Selbstdis­ziplin – Kompetenzen, die im heutigen Arbeitsmarkt besonders gefragt sind. 

Neues Modell funktioniert

Die WKS KV Bildung hat das selbst ent­wickelte, innovative, neue Unterrichts­modell letzten Sommer in der kaufmännischen Grundbildung eingeführt. Die ersten Prüfungen im Schuljahr sind kritisch ausgefallen und es gab aus diesem Grund auch wieder Austritte. Wie es beim Prototyping so ist, die ständige Anpassung und Verbesserung basierend auf konkreten Erfahrungen ist der Weg des Erfolges. «Das System funktioniert», sagt Simon Schranz, Leiter Kaufleute der WKS KV Bildung. Die Erfahrungen bis anfangs zweites Schuljahr zeigten aber auch, dass die Abstimmung zwischen den Fachlehrpersonen, Coaches und den Lernenden noch deutlich verfeinert werden muss, damit das selbständige Lernen auch wirklich nachhaltig gefördert wird. Selbstverständlich sei das nicht, denn bei einem neuen Projekt wisse man nie, ob sich die erhofften Resultate auch einstellten. 

Auch aus Sicht der Schüler ist die neue Unterrichtsform gut angekommen. Der KV-Lernende Noël Siegenthaler etwa besucht seit August 2018 den Unterricht nach der neuen BGSOL-Methode. «Das BGSOL ermöglicht es mir, meine Zeit sehr frei einzuteilen. Wenn ich ein Thema verstehe, muss ich nicht weiter einem Lehrer zuhören, sondern kann mich Bereichen zuwenden, in denen ich weniger gut bin. Ich kann sogar selbst bestimmen, wie lange ich an einem Thema arbeite. Im klassischen Unterricht ist dies ganz anders», sagt Siegenthaler.

Neue Rollen für Lehrpersonen 

Das BGSOL erweist sich als vielversprechende Ergänzung zum klassischen Unterricht. Es stellt für die Lehrpersonen aber auch viel Neuland dar. Sie sind länger vor Ort präsent als im klassischen Unterrichtsformat. Dafür haben sie mehr Zeit für die individuelle Betreuung und stehen weniger lang vor der Klasse. Jede Lehrperson hat mehrere Rollen: Sie ist Fachlehrperson im Input, Lernbegleiter für alle in der Lernphase sowie persönlicher Coach für drei bis vier Lernende. Die Rolle als Coach erfordert einen neuen Ansatz: «Die Coachs begleiten ihre Lernenden lösungsorientiert. Anstatt ihnen einfach zu zeigen, wie etwas geht, fragen sie sie, warum eine Sache ihrer Meinung nach nicht klappt. «Fragen statt sagen, lautet hier der Grundsatz», sagt Simon Schranz. Im BGSOL-Team ist auch die Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen sehr wichtig. Das ist eine Herausforderung, weil nie alle gleichzeitig vor Ort sind. Hier ist der Einsatz der neuen Medien der zentrale Ansatz für Lösungen. Trotz der Umstellungen, die das neue Modell für die Lehrpersonen mit sich bringt, haben bereits weitere Lehrpersonen für das kommende Jahr ihr Interesse am
Einsatz am BGSOL angemeldet.

Kompetent durch mehr Bildung

Der Einfluss der Digitalisierung und der neuen Arbeitsprozesse und -modelle auf die Arbeitswelt dürfte in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die Deloitte-Studie «Welche Schlüsselkompetenzen braucht es im digitalen Zeitalter?» beleuchtet die Auswirkungen der Digita­lisierung auf die Schweizer Beschäftigten und zeigt auf, welche Kompetenzen in Zukunft besonders gefragt sein werden. Nebst den Rahmenbedingungen, welche die Unternehmen sicherstellen müssen, muss auch das Bildungssystem auf diese Veränderungen reagieren. 

Eine erfolgreiche Transformation braucht verschiedenste Faktoren, die sich gegenseitig unterstützen. Wo bis vor einigen Jahren noch Kontinuität, Planbarkeit und stabiler Wettbewerb unternehmerisches Handeln leiteten, prägen heute Unbeständigkeit, Ungewissheit, Komplexität und eine gewisse Mehrdeutigkeit immer mehr das Umfeld von Unternehmen aller Grössen. Die vierte industrielle Revolution, die Digitalisierung und die damit verbundene Transformation, bietet eine völlig neue Arbeitswelt – für die es jedoch auch besondere Kompetenzen verlangt.

Die Auswirkungen dieser neuen Rahmen­bedingungen zeigen sich im täglichen Geschäftsalltag: Sie fordern uns heraus, neue Geschäftsmodelle anzudenken und verlangen von allen Beteiligten eine andere, noch stärker unternehmerisch geprägte Denk- und Herangehensweise. Der Schlüssel zum Geschäftserfolg bei permanenten Veränderungen liegt nebst Leistung und Kollaboration im sinnbezogenen, werteorientierten Arbeiten. Veränderung ist zur Normalität geworden. Dadurch ist lebenslanges Lernen mehr als ein Schlagwort, es ist zwingend. Bestehende Kompetenzdefizite im Zeitalter der digitalen Transformation müssen rasch angegangen werden. 

Selbstmanagement im Fokus

In diese Richtung denkt und handelt auch die Schweizerische «Elektro-Einkaufs-Vereinigung eev Genossenschaft». Als Marketing- und Servicedienstleisterin für das Schweizer Elektrogewerbe engagiert sie sich für rund 1900 Mitgliedsfirmen und 120 Vertragspartner am Markt. Und in der Ausbildung von Lernenden, dies in den Bereichen Marketing, Vertrieb/Logistik, Rechnungswesen und klassisches Direktionssekretariat. «Für uns besteht die Herausforderung in der Ausbildung von Lernenden darin, verschiedene Arbeitsmöglichkeiten aufzuzeigen, Zusammenhänge zu erläutern und den Lernenden gleichzeitig genügend Freiraum für die Erledigung der Arbeiten zu lassen», sagt Marion Oberlin, Verantwortliche für Berufsbildung. Und ergänzt: «An die jungen Menschen werden in der Lehre immer höhere Ansprüche gestellt. Das reine Fachwissen rückt immer mehr in den Hintergrund. Komplexes Denken, aber auch das situative Handeln und Entscheiden sind heute mehr denn je gefragt. Künftige Mitar­beitendengenerationen müssen flexibel einsetzbar sein und sich schneller neues Wissen aneignen können.»

Um die jungen Menschen optimal auf das Selbstmanagement vorzubereiten, hat sich auch die EEV vom BGSOL-Unterrichtsmodell überzeugen lassen. Oberlin hat die Erfahrung gemacht, dass die Lernenden mit diesem Modell «nicht nur an Selbstbewusstsein gewonnen haben, sondern sie hinterfragen und fragen mehr, sie fordern mehr Selbstständigkeit und holen Wissen ab. Die Ausbildung ist anspruchsvoller.» Das bestätigen auch die Lernenden. Nick Schütz, Lernender im 1. Lehrjahr, sagt: «Für Jugendliche, die gerade erst die obligatorische Schulzeit abgeschlossen haben, ist der Einstieg ins BGSOL-Modell ein wenig schwieriger, da sich der Frontalunterricht auf nur vier Mal 20 Minuten pro Tag beschränkt und man sich die Lernzeit ansonsten selbst einteilen muss.»