Strategie & Management

Energie- und Umweltmanagement III

Nachhaltige Investments erfordern eine komplexe Analyse

Auch wenn es derzeit unangebracht ist, ihr Anlageuniversum auf komplett umweltfreundliche Unternehmen zu begrenzen, können engagierte Anleger beim Kampf gegen den Klimawandel Veränderungen bewirken. Hierfür ist zunächst eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsanalyse unerlässlich. Der Beitrag zeigt ein Beispiel unter Anlageaspekten.
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Letztes Jahr hat die Weltbevölkerung ihr Ressourcenbudget nach sieben Monaten verbraucht: Der sogenannte «Earth Outshoot Day» war am 1. August. Dieser Indikator wird jährlich vom internatio­nalen «Global Footprint Network» berechnet. Er gibt an, bis zu welchem Tag die Menschen auf der Welt sämtliche Ressourcen verbraucht haben, die das Ökosystem regenerieren kann. Noch vor zehn Jahren kam dieser Tag fast drei Monate später, nämlich am 26. Oktober. 

In dieser Hinsicht ist die Schweiz kein Vorbild: Hierzulande waren die verfüg­baren Ressourcen im 2018 bereits nach fünf Monaten verbraucht. Wenn die gesamte Menschheit so leben würde wie die Schweizer, bräuchten wir drei Planeten, um den Bedarf zu befriedigen. Die Menschheit lebt somit auf Pump. Die derzeitige Lebensweise ist langfristig nicht haltbar.

Klimainvestments nehmen zu 

Das Bewusstsein dafür scheint weltweit, sowohl auf individueller als auch auf staatlicher Ebene, mittlerweile vorhanden zu sein: 174 Länder haben sich dazu verpflichtet, den Temperaturanstieg auf der Welt auf «weniger als zwei Grad über dem Niveau der Industrialisierung» zu begrenzen. 66 europäische Städte haben Massnahmen gegen den Klimawandel ergriffen. Die Finanzwelt, also die Anleger und die Vermögensverwalter, besitzen einen starken Einfluss auf die Veränderung. Wir nähern uns schnell dem Wendepunkt, ab dem verantwortungsbewusste Anlagen keine Nische mehr sein werden, sondern die Referenz.

Manche Vermögensbesitzer verlangen bereits Investitionsmöglichkeiten für ihre Guthaben, die das Überleben der Menschen auf der Erde ermöglichen. Daher ist es nicht weiter überraschend, dass sich die europäischen Anleger seit 2009 Strategien zuwenden, die in die Bereiche Energieeffizienz oder Lösungen für den Klimawandel fallen. Die Anlagen in solche Strategien haben sich von praktisch null auf 148 Milliarden Euro im Jahr 2017 gesteigert. Während die Staaten bei den zum Verhindern der Klimakatastrophe notwendigen Entscheidungen noch zögern, handeln die Anleger offensichtlich bereits.

Beispiel Transportsektor

Wie kann dies so wirksam wie möglich getan werden? Betrachten wir als konkretes Beispiel den Automobil- und Transportsektor, von dem so gut wie alle Anleger betroffen sein dürften. Die Frage bei diesem Sektor lautet, wie er sich am besten in das Portfolio integrieren lässt, wenn die Anforderungen an den Umweltschutz und an die Performance in Einklang gebracht werden sollen.

Hierfür ist eine ganzheitliche Analyse unerlässlich. Der Transportsektor befindet sich im Wandel: Elektrofahrzeuge sind bereits leistungsfähiger als benzingetriebene, und bald werden sie auch billiger sein. Ob ein spezifischer Hersteller von Elektrofahrzeugen wie Tesla überleben wird oder nicht, mag ungewiss sein. Es ist jedoch anzunehmen, dass in Zukunft auf unseren Strassen hauptsächlich Elektrofahrzeuge zirkulieren werden. Auf der einen Seite sind Elektromotoren fünfmal so energieeffizient wie Verbrennungs­motoren: Bei Elektromotoren werden bis zu 95 Prozent der Akkuleistung in Energie umgewandelt, während es bei Verbrennungsmotoren nur zwischen 17 und 21 Prozent sind. Auf der anderen Seite tragen Elektromotoren zur Verlangsamung des Klimawandels bei. 

Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass ein Grossteil der für den Antrieb benötigten Elektrizität noch aus Kohlenwasserstoffen stammen könnte. Dies hängt davon ab, wie schnell auf Wind- und Sonnenenergie umgestellt wird. Aber wenn Benzin- und Dieselfahrzeuge von den Elektrofahrzeugen von der Stras­se oder sogar aus der Produktion verdrängt werden, wird nicht nur der Transportsektor umweltfreundlicher. Ein weiterer Effekt wäre, dass die Ölförder- und Vertriebsgesellschaften ihren zweitgrössten Kunden verlieren würden. Die Schätzungen des damit verbundenen Einnahmenverlusts schwanken. Bis zum Jahr 2040 könnte laut Bloomberg New Energy Finance die Nachfrage nach Rohöl durch die Verbreitung von Elektrofahrzeugen (30 Millionen Elektrofahrzeuge bis 2030) um 7,3 Millionen Barrel sinken.

Anlageaspekte

Unter Anlageaspekten bilden die Batterien einen wesentlichen Bestandteil der Elektrofahrzeuge. Daher ist es von In­teresse, die Entwicklung der verarbeiteten Metalle zu verfolgen, insbesondere Lithium, Nickel, Mangan und Kobalt, nach denen die Nachfrage steigt. Weiterhin fliessen Kupfer, Platinmetalle sowie hochfester Stahl ein. Kupfer profitiert beispielsweise direkt von einer höheren Anzahl an Elektrofahrzeugen: Diese könnten die Nachfrage nach dem Metall ab 2025 tatsächlich um 6 Prozent in die Höhe treiben. 

Bei den Platinmetallen (Platin, Palladium und Rhodium) sieht die Situation anders aus, da sie in Verbrennungsmotoren dafür verwendet werden, den CO2-Ausstoss zu senken. Weil diese aber nicht von heute auf morgen verschwinden wer­den, sind bei einer ganzheitlichen ESG-Betrachtung (Ecology, Social, Governance – Umwelt, soziale Aspekte, Governance) auch diese Metalle zu berücksichtigen. Bis zum Ende der 2030er-Jahre werden die meisten Neuwagen noch mit Verbrennungsmotoren ausgestattet sein. Daher wird der Automobilbau noch für weitere zwei Jahrzehnte hybrid sein. 

Nachhaltigkeit fokussieren

Das Anlageuniversum auf 100 Prozent umweltfreundliche Unternehmen zu begrenzen, wäre in unserer im Wandel befindlichen Welt also unangebracht. Um den Wechsel zur CO2-freien Wirtschaft zu beschleunigen, empfiehlt es sich eher, in diejenigen Unternehmen anzulegen, die in ihrer Kategorie in Bezug auf die Nachhaltigkeit am besten abschneiden. Diese finden sich in allen Wirt­schaftss­ektoren. Ein solcher Ansatz ist wichtig, weil sonst ein Ungleichgewicht im Portfolio droht. 

Darüber hinaus mögen Sektoren wie die Finanz- und die Versicherungsbranche auf den ersten Blick zwar «nachhaltig» erscheinen, doch dies relativiert sich, wenn die Aktivitäten ihrer Kunden in die Analyse einbezogen werden, das heisst unter Berücksichtigung der für sie berechneten sogenannten Scope-3-Emissionen, also weitere, indirekte Emissionen. Weniger als die Hälfte der börsenkotierten Unternehmen machen heute Angaben über ihre CO2-Emissionen. Und für die Scope-3-Emissionen gilt dies umso mehr. 

Um zuverlässige Schätzungen erstellen zu können, muss diese Informationslücke also von den Analysten geschlossen werden. Microsoft, Pfizer und Vestas wären drei Beispiele für Unternehmen mit vergleichbaren CO2-Bilanzen. Sind sie in Bezug auf die Nachhaltigkeit also als gleichwertig zu erachten, obwohl Vestas das einzige dieser Unternehmen ist, das sich auf den Bau von Windkraftanlagen spezialisiert hat? Wie dieses Beispiel zeigt, kann die CO2-Bilanz weder über die Strategie eines Unternehmens noch über die Ausrichtung eines Sektors grossen Aufschluss geben. Sie enthält daher keine Information über die Absicht, sich in Richtung CO2-freie Wirtschaft zu orientieren. Die folgende Frage ist ein weiteres Beispiel dafür, wie komplex die Nachhaltigkeitsanalyse sein kann: Sollte beim Fahrgestell Stahl oder Aluminium bevorzugt werden? Im Vergleich zur Aluminiumproduktion mag die Stahlproduktion zwar weniger CO2-intensiv sein, dies ist aber stark abhängig davon, ob beim Abbau und Schmelzen des Metalls erneuerbare Energien verwendet werden. Beispielsweise wird bei der Produktion einer Tonne Aluminium in den USA fast eine Tonne Kohlendioxid weniger ausgestos­sen als in manchen Werken, die sich in Indien oder China befinden. 

Des Weiteren ist beim Vergleich der beiden Metalle zudem der Recyclingaspekt zu berücksichtigen. Mit fast 95 Prozent ist der Recyclinggrad bei Aluminium ausgesprochen hoch, und der Energieaufwand macht nur fünf Prozent der ursprünglichen Produktion aus. Wie dieses Beispiel zeigt, setzen gute Entscheidungen seitens des verantwortungsbewussten Anlegers gründ­liche Analysen voraus.

Desinvestition selten ratsam

Derzeit wird von manchen Seiten empfohlen, Kohlenwasserstoffe völlig aus den Portfolios zu verbannen. Das Problem dabei ist, dass durch die Nicht-Investition in Ölgesellschaften oder Energiever­sorger keine Anreize für diese Unternehmen gesetzt werden, ihre Geschäftsmodell zu ändern. Dasselbe gilt für die Hersteller von «Benzinfressern». In diesem Kontext erscheint es viel sinnvoller, die Suche auf Unternehmen zu konzentrieren, die echte Anstrengungen für die Senkung ihres CO2-Ausstosses unternehmen und sich einer nachhaltigen Entwicklung zuwenden. Natürlich ist dies komplexer als der Ausschluss bestimmter Akteure im Sektor. In der aktuellen Phase des Energiewandels ist eine solche Vor­gehensweise jedoch viel geeigneter.

Desinvestitionen können aber unter bestimmten Bedingungen trotzdem gerechtfertigt sein. Im Dezember letzten Jahres haben wir unsere Entscheidung angekündigt, nicht mehr in Kohle anzulegen. Diese Entscheidung gründete sich auf die folgenden Überlegungen: Bei der Stromerzeugung aus Kohle werden 40 Prozent mehr Treibhausgase freigesetzt als bei der Stromerzeugung aus Erdgas. Im Moment und in der absehbaren Zukunft gibt es keine wirtschaftlich trag­fähige Lösung, um diese Gase sicher und nachhaltig zu gewinnen und zu speichern. 

Hinzu kommt, dass bei einigen Stromerzeugungstechnologien auf Basis von erneuerbaren Energiequellen (Solarzellen und Windkraftanlagen) in den letzten Jahren die Kosten stark gesunken sind. Im Vergleich zur Kohle sind sie damit wettbewerbsfähig geworden. Es ist daher sowohl aus rein wirtschaftlichen Gründen als auch aus Umweltsicht nicht mehr angebracht, die thermische Kohleförderung und die kohlebasierte Stromerzeugung weiter zu finanzieren.

Erfolg versprechender als Desinvestitionen scheint ein Engagement für eine Neuausrichtung der Geschäftsmodelle zu sein. Immer mehr Unternehmen mit einer starken Umweltauswirkung beugen sich dem Druck der verantwortungsbewussten Anleger und verpflichten sich, ihre Emissionen zu senken. Im letzten Jahr kündigte Shell an, sich Ziele für einen niedrigeren CO2-Ausstoss zu setz-en und die Bonuszahlungen an die Ma­nager teilweise an die Erreichung dieser Ziele zu knüpfen. Als Anleger mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit beteiligen wir uns an diesem Dialog, und wir werden die Unternehmen auch in Zukunft dazu auffordern, stärkere Anstrengungen dafür zu unternehmen, das im Pariser Klimaabkommen genannte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.

Mentalitätenwechsel notwendig

Um langfristige Werte zu schaffen und gleichzeitig den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen, werden sich die Anleger in Zukunft von den traditionellen Bewertungsmodellen lösen müssen. Der Grund dafür ist nicht, dass die Finanzkennzahlen mit den ESG-Kriterien unvereinbar wären, sondern dass die Verfahren der Unternehmensbewertung überdacht werden müssen. Künftig muss berücksichtigt werden, dass die grössten Risiken der Wassermangel, der Klimawandel und die gesellschaftliche Entwicklung sind.

Wenn nachhaltiges Anlegen bedeutet, dass das Portfolio die Überzeugungen widerspiegelt, kann der Anlagehorizont nur langfristig sein, und die mit der Kapitalisierung gewichteten Indizes gelten nicht mehr als Referenz. Eine Anlage zur Unterstützung des Kampfes gegen den Klimawandel setzt eine Mentalitätsveränderung bei den Anlegern voraus, und diese wiederum erfordert eine Schulung. Deswegen hat Candriam die Candriam Academy gegründet (academy.candriam.com), eine Onlineplattform, auf der ein Verständnis für ESG-Anlagen und deren Verwaltung vermittelt wird.

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