Strategie & Management

Changemanagement

Motivation: Was Manager denken – und was tatsächlich stimmt

Eine Reihe von Fehlannahmen zum Changemanagement durchziehen die Managementliteratur. Der Beitrag nennt die wichtigsten, formuliert die wichtigsten Erkenntnisse dazu und benennt die daraus zu ziehenden Konsequenzen.
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Bei der Durchsicht der Literatur zum Changemanagement können wir eine Reihe von fehlenden oder falschen Annahmen festmachen, die den Erfolg von Changeprozessen von vornherein infrage stellen. Nachfolgend einige wichtige Beispiele:

Manager müssen Mitarbeitende für den Wandel mobilisieren.

Fast alle gängigen Modelle gehen davon aus, dass es zu den Aufgaben eines Managers gehört, Mitarbeitende zu motivieren und sie zu neuem Verhalten zu veranlassen: «Wir müssen die Mitarbeitenden motivieren», «Wir müssen sie durch den Wandel führen», «Wir müssen die Mitarbeitenden dazu bringen …». Das funktioniert offensichtlich viel zu selten. Ein Grund ist, dass Manager meist selbst nicht wissen, was Motivation ist, wie sie entsteht und gestaltetet werden kann – auch die eigene. Ein weiterer Grund ist, dass die Manager übersehen, dass es die Mitarbeitenden selbst sind, die darüber entscheiden, ob sie einen Wandel wollen oder nicht. Hierfür bewerten sie Entscheidungen – zum Beispiel für oder gegen den Wandel – nach den Konsequenzen, die dies für sie hat. Erwarten sie positive Konsequenzen, werden sie sich eher dafür entscheiden; erwarten sie negative Konsequenzen, dann werden sie den Wandel meiden.

Die Konsequenz daraus: Die Quelle der Motivation für den Wandel liegt in den Mitarbeitenden selbst und lässt sich nicht dauerhaft von aussen erzeugen. Dieser Quelle sollten wir unsere Aufmerksamkeit widmen.

Wandel entsteht, weil er notwendig ist.

Mit kritisch-rationalen Begründungen sprechen Changekonzepte das Faktengedächtnis an. Das klingt dann in etwa so: «Informieren Sie einmal die Mitarbeitenden, warum wir den Wandel brauchen.» Der Wandel wird als eine dringende Notwendigkeit gesehen und mit Fakten und Zahlen begründet. Das kritisch-rationale Abwägen  – nach sinnvoll, notwendig, logisch, korrekt – ist aber nur eines von zwei Bewertungssystemen des Menschen. Das andere Bewertungssystem prüft, ob der Mensch diesen Wandel auch tatsächlich wünscht, weil er ihn mag und deshalb auch selber will.

Die Konsequenz daraus: Wir brauchen ein Vorgehen, welches auch die emotionale Bewertung der Beteiligten einbezieht: das Wollen.

Manager wissen, was gut für den Mitarbeitenden ist.

Manager gehen davon aus, dass ihre eigene Meinung quasi zwangsläufig von den Mitarbeitenden übernommen wird. Dies trifft nicht zu. Beispiel: Der Firmenchef sagt, Stillstand sei bedrohlich und deshalb sei Wandel gut. Wandel ist gut? Was, wenn der Mitarbeitende zufrieden mit seiner Situation ist? Wenn ihn ein Wandel psychisch und körperlich destabilisieren würde? Beispiel Kosteneinsparungen: Was, wenn der jährliche Bonus wegfällt? Was, wenn ich künftig immer mindestens drei Angebote einholen muss und viel mehr Arbeit habe? Rationalisierung ist gut? Wenn es mein eigener Arbeitsplatz ist? Essenziell für die Akzeptanz von Changemanagement ist, diesen aus Sicht der subjektiven Bewertung der Mitarbeitenden zu sehen. Was also bedeutet Change für die Mitarbeitenden: Mehr Sicherheit? Neues? Erfolg?

Die Konsequenz daraus: Die subjektiven Bewertungen des Mitarbeitenden sind entscheidend für die Akzeptanz des Wandels.

Der Wandel hat positive Konsequenzen für alle.

In vielen Changekonzepten ist als Aufgabe für die Führungskräfte zu lesen,  dass sie den Mitarbeitenden die Chancen des Wandels darstellen sollen. Als ob es die Chance gäbe, die alle Mitarbeitenden motivieren könnte. Tatsächlich entsteht Motivation aus den unbewussten Bedürfnissen und bewussten Motiven der jeweiligen Person. Sie entsteht also individuell und ist innerhalb einer Belegschaft sehr unterschiedlich.

Changemanagement sollte darstellen, welche emotionale Bedeutung die Fakten für die Mitarbeitenden haben, also warum sie ihnen ein gutes Gefühl verschaffen: Welches gute Gefühl bringt die neue Qualitätsoffensive? Das gute Gefühl, beständige Produkte herzustellen, mit denen sich der Kunde sicher fühlt? Welches gute Gefühl geht vom neuesten Produkt aus: Faszination? Stärke? Sicherheit? Typische Aussagen wie «Wir wollen weltweiter Marktführer sein» sind für die meisten Mitarbeitenden ziemlich bedeutungslos.

Die Konsequenz daraus: Die Chancen des Wandels sind individuell. Unser Vorgehen sollte dies berücksichtigen.

Subjektive Bewertung

Befürchtungen und Ängste bei Veränderungen

  • Was bedeuten die Veränderungen für mich und welche Folgen haben sie für meinen Arbeitsplatz?
  • Wie sehr werden sich meine Aufgaben ändern?
  • Werde ich dem Neuen gewachsen sein?
  • Bringen mir die neuen Aufgaben auch Vorteile?
  • Muss ich mich auf den neuen Chef, auf neue Kollegen, auf eine neue Arbeitsumgebung einstellen?

Die Verarbeitung

  • Der Betroffene hat die Ziele, Hintergründe und Motive einer Massnahme nicht verstanden.
  • Er hat verstanden, um was es geht, aber er glaubt nicht daran.
  • Er hat verstanden und glaubt auch daran, kann für sich aber keine positiven Folgen dieser Massnahmen erwarten.

Die Reaktionen

  • Wird das Projekt als destruktiv empfunden, erfolgt eine totale Ablehnung.
  • Wird das Projekt als bedrohlich empfunden, werden Widerstände aufgebaut.
  • Erscheinen die Auswirkungen unklar, wird das Projekt toleriert.
  • Wird «positive Unsicherheit» empfunden, wird das Projekt akzeptiert.
  • Wird das Projekt uneingeschränkt positiv empfunden, wird es unterstützt; man macht mit.

Die Folgen

  • Die Arbeit kommt nur mühsam und zähflüssig voran. Sitzungen werden lustlos geführt. Entscheidungen stocken.
  • Es wird geblödelt, es findet keine vernünftige Diskussion statt, der rote Faden fehlt.
  • Es gibt peinliche Schweigepausen, selbst engagierte Mitarbeitende halten sich zurück, es herrscht Ratlosigkeit.
  • Auf einfache, klare Fragen kommen nur unklare Antworten.
  • Hoher Krankenstand sowie hohe Fehlzeiten und Fluktuation.
  • Unruhe, Intrigen, Gerüchtebildung.
  • Papierkrieg.
  • Hoher Ausschuss, viele Reibungsverluste und Pannen.

Bewusste Entscheidung

Zahlen, Daten, Fakten – Change wird meist aus Sicht der bewussten Wahrnehmung diskutiert. Jedoch weisen Wissenschaftler wie Elisabeth Wehling darauf hin, dass wir nur etwa zwei Prozent bewusst verarbeiten (Wehling, 2016). Nur der geringste Teil unserer Wahrnehmungen dringt in unser Bewusstsein ein. Bewusst sind alle geistigen Tätigkeiten, die ein Mensch bei sich selbst wahrnimmt und über die er Auskunft geben kann, wenn er danach gefragt wird. Wie mächtig das Unbewusste in unserem Gehirn ist, vergleicht der Sozialpsychologe Timothy Wilson (2007) mit einem Eisberg, der einen winzigen Schneeball als Spitze hat (das Bewusstsein).

Wie das Unbewusste arbeitet, wird bei einem angekündigten Stellenabbau deutlich. Fühlen sich Menschen bedroht, aktiviert das Gehirn wieder sein Stresssystem und wirft die alten, einfachen Notfallprogramme an: Angriff, Flucht, Erstarrung. In der wahrgenommenen Gefahr verringert das Gehirn die Informationsmenge, die es zu verarbeiten hat. Das Gehirn will der Gefahr entkommen und hält sich möglichst an die einfachsten Muster wie

  • Flucht: «Ich gehe sofort woanders hin.»
  • Konfrontation: «Ich werde es schon schaffen.» «Da müssen wir durch.»
  • Verleugnung: «Mich wird es schon nicht treffen.»

Befinden der Mitarbeiter

Die Prüfung, ob der Mitarbeitende den Wandel will oder nicht, erfolgt also unbewusst; sein Bewusstsein ist nicht informiert, wie die Bewertung und die Entscheidung zustande kommen. Er kann das Ergebnis lediglich spüren, und zwar daran, ob er etwas will oder nicht. Kaum ein Changekonzept geht auf die unbewussten Prozesse des Bewertens und Entscheidens ein. Wichtig für das Einbeziehen des Unbewussten sind Bilder und Geschichten.

Die Konsequenz daraus: Wir müssen unbewusste Bewertungs- und Erwartungsprozesse einbeziehen und hierfür Bilder und Geschichten schaffen.

Jeder Changeprozess ist ein Neuanfang.

Meistens beginnen die Manager einen Changeprozess im Glauben, dass etwas Neues für sie und die Mitarbeitenden beginnt. Das ist falsch. Fast immer haben die Mitarbeitenden bereits Erfahrungen mit früheren Changeprozessen gemacht. In der Beratungspraxis zeigt sich, dass die Erfahrungen fast immer negativ waren. Solche früheren Erfahrungen sind danach gespeichert, was geschehen ist (kognitiv), wie sich die Mitarbeitenden gefühlt haben (affektiv) und wie sie körperlich auf den Wandel reagiert haben (somativ) – nämlich mit Verspannungen oder dauerhaften Magenbeschwerden. Im Fall des neuen Changeprozesses rufen die Mitarbeitenden solche Erfahrungen ab, um aus ihnen zu schliessen, wie der neue Prozess aussehen wird. Diese Erfahrungen laufen wie innere Filme ab – fast gleichzeitig und meist unbewusst.

Die Konsequenz daraus: Wir müssen frühere Erfahrungen der Mitarbeitenden berücksichtigen, weil sie neue Erfahrungen verhindern können.

Motivation entsteht aus Angst vor einer schlimmen Zukunft.

Viele der Botschaften der Manager in einem Prozess des Wandels erzeugen  bei den Mitarbeitenden Angst und Unsicherheit: «Wir müssen uns verändern, sonst gehen wir unter.» «Wir müssen Arbeitsplätze abbauen für die langfristige Sicherung unserer Arbeitsplätze.» Oder gar: «Wenn wir nicht kreativer und innovativer werden, wird uns der Wettbewerb überholen.» Solche Botschaften können kurzzeitig mobilisieren; langfristig erzeugen sie eine permanent von Angst und Unsicherheit geprägte Stimmung.

Die Mitarbeitenden können sich zwar vorübergehend selbst für die korrekte Ausführung der Arbeitsanforderungen kontrollieren. Aber sie müssen sich ständig kontrollieren (die Selbstkontrolle entwickeln), dass sie die Ziele verfolgen, die vom Unternehmen vorgegeben sind und die sie eigentlich gar nicht wollen. Das macht auf Dauer die Menschen krank, wie die dramatisch gestiegenen Zahlen von Depressionen oder Burnout zeigen. Die von sich selbst heraus bestehende intrinsische Motivation, die aus dem eigenen tiefen Wollen um der Arbeit selbst willen entsteht (Selbstregulation), wird zurückgedrängt.

Die Konsequenz daraus: Wir brauchen ein Vorgehen, das die innere Überzeugung jedes Mitarbeitenden erzeugt – den inneren Antrieb der Mitarbeitenden (Motivation).

«Einbeziehung der Mitarbeitenden»

Umsetzungshinweise wie «Einbeziehung der Mitarbeitenden» und «Mitarbeitenden die Chancen des Wandels aufzeigen» sind abstrakt. Unklar bleibt, wie die Mitarbeitenden konkret einbezogen werden und wie hierdurch ihre Motivation steigen soll. Chancen des Wandels sind individuell, gruppen- und gemeinschaftsbezogen und müssen auch je nach Unternehmen, Branche und Umfeld angepasst sein.

Die Konsequenz daraus: Wir brauchen ein Changeprogramm, das konkrete Hinweise für die Umsetzung enthält.

Die Ziele des Wandels müssen klar und spezifisch sein

Ziele von Changeprozessen sollen konkrete Ergebnisse sein, wie zum Beispiel «fünf Prozent Umsatz steigern» oder «drei Innovationen pro Jahr entwickeln». Hierfür erarbeiten die Manager die erforderlichen Handlungsziele, zum Beispiel die  konkreten Gewinnziele durch realisierte Innovationen.

Indes fehlt ein Haltungsziel beziehungsweise eine Einstellung, welche die erforderliche Energie für die Zielerreichung freisetzt. Hierzu das Beispiel der Serviceorientierung: Um stärkere Kundenorientierung zu erlangen, kann das Unternehmen konkretes Verhalten festlegen, beispielsweise im Umgang mit Beschwerden. Dies ist jedoch sehr aufwendig, weil für die einzelnen Fälle spezifisches Handeln erforderlich ist. Kaum ein Mitarbeitergespräch ohne «Smart»-Zielvereinbarung, also nach der Regel «spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch, mit Termin».

«Smarte» Ziele sind sinnvoll, wenn Motivation schon vorhanden ist und es sich um ganz einfache, klar strukturierte Aufgaben handelt, wie zum Beispiel «Mache täglich fünf Neukundenanrufe». Wenn aber das Ziel im Verkauf lautet: «Begrüs­se jeden Kunden mit einem Lächeln», dann zeigt sich, dass die Kundenorientierung nicht auf der Verhaltensebene funktioniert, weil dies oft aufgesetzt wirkt; stattdessen sind Haltungs- oder Einstellungsziele erforderlich, die sich ganzheitlich auf Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeitenden auswirken. Ein Haltungsziel wäre das Dach über den Ergebniszielen: «Wenn mein Kunde zufrieden ist, dann hüpft mein Herz.» Natürlich hat dies der Mitarbeitende nicht immer in der Hand, ob der Kunde glücklich ist oder nicht, aber seine Haltung beziehungsweise Einstellung zielt auf dessen Zufriedenheit ab.

Die Konsequenz daraus: Wir brauchen eine Haltung quasi als Dach über den konkreten und spezifischen Zielen.

Change ist für die Erfolgreichen

Changemanagement richtet den Blick auf Widerstände und deren Beseitigung. Hierbei wird regelmässig übersehen, dass es Mitarbeitende gibt, für die der Change mit einem Verlust verbunden ist, weil sich die Bedingungen für sie verschlechtern. Nicht jeder Change ist ein Gewinn für jeden Mitarbeitenden. Experten schätzen, dass durch die Digitalisierung der Banken in den kommenden Jahren die Hälfte der Arbeitsplätze verloren geht.

Viele Arbeitnehmer müssen neue Aufgaben übernehmen, wenn sie es sich nicht leisten können, den Job aufzugeben, weil sie die Raten für das Haus abbezahlen oder die Ausbildung ihrer Kinder finanzieren müssen. Wie gehen solche Menschen mit den neuen Bedingungen um? Kollmann und Schmidt (2016) schreiben in ihrem Buch «Deutschland 4.0: Wie die Digitale Transformation gelingt»: «Viele Arbeitnehmer werden das Tempo der Digitalisierung nicht mitgehen können – sie werden zurückbleiben. Das ist ein ernstes Problem und damit müssen wir uns beschäftigen.»

Die Konsequenz daraus: Wir müssen Mitarbeitende dabei unterstützen, sich mit ihrer Situation bestmöglich zu arrangieren, wenn sie diese nicht ändern wollen, können oder dürfen.

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