Die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung wurden in den letzten Jahren intensiv diskutiert. Kaum ein Unternehmen konnte sich diesem Megatrend entziehen. Die Chancen und Risiken der Globalisierung sind in den politischen und wirtschaftlichen Diskursen genauso präsent. Auch den Stichworten Vuca, Agilität und Resilienz konnte eine interessierte Führungskraft kaum ausweichen.
Die Ausgangslage
Mit dem aus dem Nichts aufgetauchten Coronavirus wurden diese Schlagworte für Mitarbeitende und Chefs unvermittelt persönlich wahrnehmbare Realität. Es gibt kaum jemanden, der heute die digitalen Möglichkeiten nicht zu schätzen weiss. Viele Menschen jeder Generation kommunizieren problemlos mithilfe der digitalen Tools, die uns heute zur Verfügung stehen. Nicht vorzustellen, wie viel dramatischer der Lockdown ohne diese Möglichkeiten erlebt worden wäre.
Neue oder bisher weniger transparente Facetten der Globalisierung werden noch bewusster. Wir lesen von klarem Wasser in den Kanälen von Venedig, weil die grossen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr anlegen. Vergleichbares gilt für die Luft, die dank massiv eingeschränktem Flug- und Autoverkehr reiner wird. Auf der anderen Seite nehmen wir schockiert zur Kenntnis, dass in der Schweiz kaum mehr Rohstoffe für Medikamente oder Impfungen produziert worden sind. Wir lesen, dass wir diesbezüglich vor allem von China abhängig seien. Die Produktion von Gesichtsschutzmasken ist in der Schweiz eben erst wieder angelaufen.
Das Schlagwort Vuca (Volatility – Uncertainty – Complexity – Ambiguity) wurde im Corona-Alltag sehr schnell Realität. Die Situation in den Ländern und Kontinenten ändert sich laufend, wir wissen nicht, was in wenigen Wochen, Monaten oder im nächsten Jahr sein wird. Die Zusammenhänge von Epidemiologie, Massnahmen und Wirkungen sind so komplex, dass uns nichts anderes bleibt, als den Experten und den Politikern zu glauben (oder auch nicht). Auch Mehrdeutigkeit erleben wir überdeutlich. Sie reflektiert sich in den teilweise absurden Diskussionen von Politikern. Sind die verordneten Lockdown-Massnahmen der Gesundheit der Bevölkerung geschuldet oder sind sie ein Schwerthieb gegen wirtschaftliche Prosperität? Sowohl als auch, sagt uns der gesunde Menschenverstand.
Für viele zielstrebige, verantwortungsbewusste und fähige Menschen ist oder war es ein legitimes Ziel, irgendwann selber Chef zu werden. Mit Einsatz, Fleiss und vielleicht mit etwas Glück ist dieses Ziel für viele erreichbar. Und dann? Oft realisieren Personen, die es «geschafft haben», erst spät, wie anspruchsvoll und anstrengend es sein kann, eine gute Führungskraft zu sein. Dies gilt noch sehr viel ausgeprägter in der aktuellen Corona-Zeit, wo Mitarbeitende und Vorgesetzte von einem Tag auf den anderen, oft unvorbereitet, ins Homeoffice versetzt worden sind. Die uralte Frage nach guter Führung stellt sich erneut, diesmal vor einem anderen Hintergrund.
Voraussetzungen guter Führung
Scheinbare Antworten auf diese Frage finden sich in tausenden von Büchern. Meine eigenen Forschungen und meine langjährige Managementerfahrung haben mich in der Überzeugung bestärkt, dass es sehr viel Wissen, aber nach wie vor keine Rezepte für «gute Führung» gibt. Dies ist keine fatalistische oder gar pessimistische Aussage – im Gegenteil. Ich bin sehr davon überzeugt, dass sich jede Führungskraft lebenslang weiterentwickeln und damit ihren Idealvorstellungen von qualifizierter Führung annähern kann. Voraussetzung ist allerdings, dass sie bereit ist, die Wirkung ihres eigenen Handelns immer wieder kritisch zu reflektieren, um dann Handlungsoptionen zu testen und allenfalls zu verankern.
Auch wenn ich gegen das Vorhandensein von «Rezepten für gute Führung» plädiere, formuliere ich zwei von zahlreichen Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben, dürfte es schwierig sein, als gute Führungskraft wahrgenommen zu werden.
Einen eigenen Standpunkt haben
Vorgesetzte, welche sich laufend umorientieren, die Fahne in den Wind hängen, wirken längerfristig weder authentisch noch glaubwürdig. Kaum jemand wird sich eine solche Persönlichkeit als Vorgesetzten wünschen. Wenn Chefs berechenbar sein sollen, das heisst, eine Position einnehmen und diese auch transparent kommunizieren, dann ist dies keine Aufforderung an sie, nicht flexibel oder stur zu sein. Man kann auch sehr deutlich eine klare Position beziehen, indem man Unsicherheit oder sogar Ängste eingesteht. Als Orientierungspunkt dient das unter Umständen deutlich mehr als ein unreflektierter Optimismus. Gute Chefs lernen, beurteilen Situationen und Entwicklungen immer wieder neu und ändern damit gelegentlich auch ihre Meinung. Sie sind dann aber in der Lage, dies zu begründen, und stehen zu ihrem Meinungsumschwung. Ein solcher kann sowohl auf rationalen als auch auf normativ-emotionalen Argumenten basieren.