Strategie & Management

Krisenmanagement IV

Mitarbeiter erfolgreich auf Distanz führen

Die Frage nach guter oder qualifizierter Führung stellt sich in Krisenzeiten unter neuen Voraussetzungen. Die Forderung nach Transparenz und Selbstreflexion gilt zwar nach wie vor, doch speziell die Führung auf Distanz, etwa beim Homeoffice, ist anspruchsvoll.
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Die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung wurden in den letzten Jahren intensiv diskutiert. Kaum ein Unternehmen konnte sich diesem Mega­trend entziehen. Die Chancen und Ri­siken der Globalisierung sind in den poli­tischen und wirtschaftlichen Diskursen genauso präsent. Auch den Stichworten Vuca, Agilität und Resilienz konnte eine interessierte Führungskraft kaum ausweichen. 

Die Ausgangslage

Mit dem aus dem Nichts aufgetauchten Coronavirus wurden diese Schlagworte für Mitarbeitende und Chefs unvermittelt persönlich wahrnehmbare Realität. Es gibt kaum jemanden, der heute die digitalen Möglichkeiten nicht zu schätzen weiss. Viele Menschen jeder Generation kommunizieren problemlos mithilfe der digitalen Tools, die uns heute zur Verfügung stehen. Nicht vorzustellen, wie viel dramatischer der Lockdown ohne diese Möglichkeiten erlebt worden wäre. 

Neue oder bisher weniger transparente Facetten der Globalisierung werden noch bewusster. Wir lesen von klarem Wasser in den Kanälen von Venedig, weil die gros­sen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr anlegen. Vergleichbares gilt für die Luft, die dank massiv eingeschränktem Flug- und Autoverkehr reiner wird. Auf der anderen Seite nehmen wir schockiert zur Kenntnis, dass in der Schweiz kaum mehr Rohstoffe für Medikamente oder Impfungen produziert worden sind. Wir lesen, dass wir diesbezüglich vor allem von China abhängig seien. Die Produktion von Gesichtsschutzmasken ist in der Schweiz eben erst wieder angelaufen. 

Das Schlagwort Vuca (Volatility – Uncertainty – Complexity – Ambiguity) wurde im Corona-Alltag sehr schnell Re­alität. Die Situation in den Ländern und Kon­tinenten ändert sich laufend, wir wissen nicht, was in wenigen Wochen, Monaten oder im nächsten Jahr sein wird. Die Zusammenhänge von Epidemiologie, Massnahmen und Wirkungen sind so komplex, dass uns nichts anderes bleibt, als den Experten und den Politikern zu glauben (oder auch nicht). Auch Mehrdeutigkeit erleben wir überdeutlich. Sie reflektiert sich in den teilweise absurden Diskussionen von Poli­tikern. Sind die verordneten Lockdown-Massnahmen der Gesundheit der Be­völkerung geschuldet oder sind sie ein Schwerthieb gegen wirtschaftliche Prosperität? Sowohl als auch, sagt uns der gesunde Menschenverstand. 

Für viele zielstrebige, verantwortungs­bewusste und fähige Menschen ist oder war es ein legitimes Ziel, irgendwann selber Chef zu werden. Mit Einsatz, Fleiss und vielleicht mit etwas Glück ist dieses Ziel für viele erreichbar. Und dann? Oft realisieren Personen, die es «geschafft haben», erst spät, wie anspruchsvoll und anstrengend es sein kann, eine gute Führungskraft zu sein. Dies gilt noch sehr viel ausgeprägter in der aktuellen Corona-Zeit, wo Mitarbeitende und Vorgesetzte von einem Tag auf den anderen, oft unvorbereitet, ins Homeoffice versetzt worden sind. Die uralte Frage nach guter Führung stellt sich erneut, diesmal vor einem anderen Hintergrund. 

Voraussetzungen guter Führung

Scheinbare Antworten auf diese Frage finden sich in tausenden von Büchern. Meine eigenen Forschungen und meine langjährige Managementerfahrung haben mich in der Überzeugung bestärkt, dass es sehr viel Wissen, aber nach wie vor keine Rezepte für «gute Führung» gibt. Dies ist keine fatalistische oder gar pessimistische Aussage – im Gegenteil. Ich bin sehr davon überzeugt, dass sich jede Führungskraft lebenslang weiterentwickeln und damit ihren Idealvorstellungen von qualifizierter Führung annähern kann. Voraussetzung ist allerdings, dass sie bereit ist, die Wirkung ihres eigenen Handelns immer wieder kritisch zu reflektieren, um dann Handlungsoptionen zu testen und allenfalls zu verankern. 

Auch wenn ich gegen das Vorhandensein von «Rezepten für gute Führung» plädiere, formuliere ich zwei von zahlreichen Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben, dürfte es schwierig sein, als gute Führungskraft wahrgenommen zu werden. 

Einen eigenen Standpunkt haben

Vorgesetzte, welche sich laufend umorientieren, die Fahne in den Wind hängen, wirken längerfristig weder authentisch noch glaubwürdig. Kaum jemand wird sich eine solche Persönlichkeit als Vorgesetzten wünschen. Wenn Chefs berechenbar sein sollen, das heisst, eine Position einnehmen und diese auch transparent kommunizieren, dann ist dies keine Aufforderung an sie, nicht flexibel oder stur zu sein. Man kann auch sehr deutlich eine klare Position beziehen, indem man Unsicherheit oder sogar Ängste eingesteht. Als Orientierungspunkt dient das unter Umständen deutlich mehr als ein unreflektierter Optimismus. Gute Chefs lernen, beurteilen Situationen und Entwicklungen immer wieder neu und ändern damit gelegentlich auch ihre Meinung. Sie sind dann aber in der Lage, dies zu begründen, und stehen zu ihrem Meinungsumschwung. Ein solcher kann sowohl auf rationalen als auch auf normativ-emotionalen Argumenten basieren. 

Ein realistisches, optimistisches Selbstbild haben

Gute Chefs kennen und stehen zu ihren Stärken und zu ihren Schwächen, haben ein realistisches Selbstbild. Selbstbild und Fremdbild divergieren nicht we­sentlich. Sie vermitteln ausserdem Zuversicht. Lösungen interessieren sie wesentlich mehr als Probleme. Chefs, die negativ, pessimistisch und problem­orientiert unterwegs sind, dürften es schwer haben, eine hohe Akzeptanz bei den ihnen anvertrauten Mitarbeitenden zu finden. 

Die hier skizzierten Aspekte guter Führung gelten in unserem Kulturkreis ge­nerell. Beide sind eine Aufforderung zu Selbstreflexion und zu Transparenz. Was bedeutet dies für die Führung im Corona-Alltag?

Führung im Homeoffice 

Mitarbeitende und Vorgesetzte werden in den aktuellen vom Coronavirus geprägten Zeiten plötzlich und unvorbereitet ins Homeoffice gezwungen. Die Frage nach guter oder qualifizierter Führung stellt sich damit erneut unter neuen Voraus­setzungen. Die oben formulierte Forderung nach Transparenz und Selbstreflexion gilt dabei nach wie vor. Bei der Führung auf Distanz dürfte beides aber nicht einfacher sein. Weil der unmittelbar persönliche Kontakt fehlt, sind wir in der Sinneswahrnehmung eingeschränkt und unmittelbare Rückmeldungen sind oft kaum wahrnehmbar oder dann schwie­riger zu lesen, zu interpretieren. Für Vor­gesetzte und Mitarbeitende ist das Aufrechterhalten oder das Schaffen von vertrauensvollen, belastbaren Beziehungen schwieriger. Speziell anspruchsvoll und wichtig sind in der Führung aus dem Homeoffice folgende Aspekte. 

Emotionale Nähe nicht verlieren 

Die Beziehung zwischen Chef und Mit­arbeitenden basiert im physischen All­tag subtil auf unterschiedlichsten Ebenen. Beispielsweise spüren wir am Morgen beim Betreten des Büros sehr schnell, ob die Stimmung gut ist oder eher nicht. Ein Augenzwinkern im richtigen Moment bedeutet gelegentlich mehr als 1000 Worte. In vielen Teams gibt es Rituale, die einfach funktionieren und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit vermitteln. Das Händeschütteln, der gemeinsame Kaffee oder das Feierabendbier sind Beispiele. Wie wichtig solche Zeichen sein können, zeigt sich derzeit im Corona-Alltag.

Für Vorgesetzte ist es damit eine spe­-zielle Herausforderung, solchen Aspekten auch im Homeoffice-Alltag Rech­-nung zu tragen. Das «Checken» von Emotionen ist auch virtuell möglich. Das entsprechende Sensorium muss aber bewusst geschärft werden. Insbeson­dere bei der Bewältigung von Spannungen und Konflikten ist dies noch herausfordernder als im gewohnten Alltag. 

Die Bedeutung der emotionalen Nähe zeigt sich auch im Umgang mit der allgegenwärtigen Unsicherheit. Die Vuca-Situation ist nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für den Chef eine Realität. Alle sind verunsichert und kennen gelegentlich die Antworten auf drängende Fragen noch nicht. Wird das Unternehmen überleben, was bedeutet die Krise für mich persönlich etc. Eine der lähmendsten Emotionen ist Angst. Auch diese zu thematisieren, ist herausfordernd. Der Ver­suchung, in solchen Situationen unqua­lifiziert «Glaskugelversprechungen» zu machen, muss widerstanden werden. Wenn Chefs die eigenen, unter Umständen sogar negativen Befindlichkeiten bewusst teilen, ist dies kein Führungsversagen. Wem dies gelingt, der beweist Selbstsicherheit, steht zu seinem Standpunkt und wird damit greifbar.

Sinn vermitteln 

Nur wer erkennt, warum er etwas erledigt haben sollte, wird zufriedenstellende Resultate liefern. Das unmittelbare Eingreifen von Vorgesetzten in Arbeits­ab­läufe et cetera ist im Homeoffice-Alltag nur sehr beschränkt möglich. Die Mit­arbeitenden brauchen das «Big Picture», müssen verstehen, worum es geht, was als Resultat warum erwartet wird. 

Es macht deshalb Sinn, der Zielverein­barung ein spezielles Augenmerk zu schenken. Ziele müssen Sinn vermitteln, denn nur wer den Sinn erkennt, kann sich entscheiden, ob er mitwirken will (nicht mitwirken muss) oder nicht. Wer engagierte Mitarbeitende will, dem muss es als Chef in der Homeoffice-Situation speziell gut gelingen, Sinn zu vermitteln. Diese Herausforderung dürfte für Vorgesetzte unterschiedlich gross sein. Die Art des bisher gepflegten Führungsstils, das Auf­gabengebiet und das Know-how der Mitarbeitenden sind für den diesbezüglichen Handlungsbedarf determinierend.

Vertrauen schenken

Die Kontrollmöglichkeiten werden im Homeoffice in den meisten Fällen massiv eingeschränkt. Empowerment wird zur zwingenden Voraussetzung erfolgreicher Führung. Dies basiert immer auf Vertrauen. Ein Vorgesetzter beispielsweise, der im Homeoffice fixe Arbeits­zeiten verordnet, dürfte es schwer haben, zu erklären, warum dies sinnvoll sei. Mit grosser Wahrscheinlichkeit vergibt er sich aber die Chance, seinen Mitar­beitenden sein Vertrauen unmittelbar unter Beweis zu stellen. 

Spielregeln definieren 

Die bisherigen Regeln der Zusammen­arbeit sind zu reflektieren und allenfalls neu zu gestalten. Bei Video-Konferenzen mag es leichter fallen, den Vorredner aussprechen zu lassen, bevor man selber wieder das Wort ergreift. Trotzdem sind die Stolpersteine zahlreich. Deshalb ist es wichtig, diese zu thematisieren und verbind­liche Abmachungen zu treffen. Bei­spielsweise dürfte die Versuchung für den einen oder anderen gross sein, während eines virtuellen Meetings die eigenen Mails zu bearbeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dabei ertappt oder sogar gemassregelt zu werden, ist bei vir­tu­-eller Kommunikation deutlich kleiner. Die Effizienz und Effektivität der Zu­sammenarbeit dürfte aber genauso darunter leiden wie im gewohnten Alltag bei physischer Präsenz. 

Zum Definieren von Spielregeln gehört möglicherweise auch das Festlegen von technologischen Voraussetzungen. Es ist sinnvoll und wichtig, dass alle wissen, auf welchen Technologien die Zusammenarbeit basieren soll. Diese sind zu testen und die Finanzierung ist anzu­sprechen und zu klären. Wenn der Mitarbeitende für sein virtuelles Mitwirken im Unternehmen beispielsweise seinen privaten PC nutzt, dann darf dies nicht unkommentiert als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden. 

Beraterangebote 

Die Gilde der Berater hat auf den Corona-Alltag sehr schnell reagiert. Im Internet finden sich zahlreiche Hinweise und Angebote. Dabei dominieren Ratschläge in der Art, wie sie oben formuliert worden sind. Anzutreffen sind auch zahlreiche Angebote für virtuelles Coaching. Ebenfalls angeboten werden Webinare, in welchen den Teilnehmenden Wissen vermittelt und Diskussionsan­gebote unterbreitet werden. Beratung ist ebenfalls auch virtuell erhältlich. 

Interessant ist eine Konzeption von Stucki Leadership & Team Development. Das Unternehmen hat sich dem handlungsorientierten Lernen verschrieben und bietet seit über 30 Jahren keine Schulungen, sondern Trainings an. Diese finden oft im Freien statt. Für Fragestellungen des Führungsalltages haben die Trainer Simulationen entwickelt. Da­bei lösen die Teilnehmenden gemein­-sam Aufgaben, reflektieren im Anschluss die gemachten Erfahrungen mit Unterstützung der Trainer und ziehen Schluss­folgerungen für den Führungsalltag. Diesen Ansatz hat Stucki in die virtuelle Welt übertragen. 

Das neu entwickelte Führungstraining richtet sich dabei insbesondere an Führungskräfte, die bisher nicht oder nur selten virtuell führen mussten. In den Trainings werden die Teilnehmenden virtuell verlinkt und sie sind untereinander in ständiger Interaktion. Sie lösen gemeinsam Aufgaben und reflektieren das Erlebte. Dabei wird gezielt auf die in der Homeoffice-Welt speziellen Herausfor­derungen fokussiert: das Schaffen von emotionaler Nähe und von Vertrauen, die Sinn-Vermittlung und das Entwickeln von der neuen Situation angepassten Spielregeln im Homeoffice-Alltag.

Porträt