Strategie & Management

Unternehmenskultur

Mit firmeninternen Querdenkern die Zukunft gestalten

Querdenker sprühen vor Ideen, treiben mit frischem Wind den Wandel voran und sind so ein echter Wettbewerbsvorteil. Doch häufig ecken sie an und stossen in verfestigten Strukturen auf Widerstand. Der Beitrag zeigt, wie eine Querdenkerkultur entwickelt werden kann.
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Dringender als jemals zuvor benötigen die Unternehmen jetzt Ideengeber mit innovativen Gedanken, Mut und Tatendrang. Solche Menschen werden interne Querdenker oder bisweilen auch Organisationsrebellen genannt. Sie sind Wachrüttler, Infragesteller, Andersmacher, Vorwärtsbringer, Zukunftsgestalter. Sie sprühen vor Ideen, wie man das, was in die Jahre gekommen ist, besser machen könnte, sollte und müsste.

Sie reden Klartext, wenn sie Verfahrensweisen aufgespürt haben, die aus der Zeit gefallen sind. Sie zeigen auf alles, was für Kollegen und Kunden eine Zumutung ist. Sie sind offen für Fortschritt und treiben mit frischem Wind den Wandel voran. Sie wagen sich dorthin, wo noch niemand vor ihnen war. Sie kämpfen sogar gegen Windmühlen an. Und all das tun sie, weil ihre Firma ihnen wirklich am Herzen liegt.

Gegen die Belanglosigkeit

Früher hatten alle die gleiche Schallplatte, heute hat jeder seine ganz per­sönliche Playlist. Will heissen: Die Kunden von heute wollen keine Massen­produkte und Gleichmacherei, sondern Originalität, Unikate und zudem Varianz. Individualisierung, Emotionalisierung und Erlebnisse, auch Customer Experiences genannt, sind fortan die ganz gros­-sen Trends. Wer auf diese Kundenbe­dürfnisse eingeht, sorgt für Loyalität, für Weiterempfehlungen und für Aufpreis­bereitschaft.

Will man sich also aus der Belanglosigkeit lösen, braucht es ständig neue Ideen – von Menschen, die aussergewöhnliche Dinge denken und tun. Indem man einfallsreich die «Ideenfunken» seiner Querdenker nutzt, macht man sich spannend – und damit begehrlich. Man kann gar nicht genug verrückte Ideen haben, um seine Kunden immer wieder neu zu be­tören. Querdenker sind dafür geradezu prädestiniert.

«Meine Mitarbeiter haben aber keine guten Ideen», ist eine verbreitete Ansicht. Manche Führungskräfte glauben tatsächlich noch immer, sie müssten alles selbst am besten wissen und ihren Leuten sagen, wie die Dinge zu laufen haben. Sie können sich schlecht auf andere Sichtweisen einlassen und nur schwer akzeptieren, wenn auch ihre Leute mit Einfällen glänzen. Dabei gelingt es am besten gemeinsam, Ideen zu entwickeln, die zuvor noch niemand hatte und auf die man allein nicht gekommen wäre. Wenn genügend kluge Köpfe zusammenkommen, lässt sich jedes Problem lösen.

Im Rahmen einer «Haufe»-Studie wurden dazu knapp 12 000 Mitarbeiter aus Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt. Das Ergebnis:

  • 84 Prozent wünschen sich mehr Mitsprachemöglichkeiten bei operativen Entscheidungen,
  • 77 Prozent wären motivierter, wenn sie mehr einbezogen würden, und
  • 73 Prozent glauben, dass die eigene Firma erfolgreicher wäre, wenn sich die Mitarbeiter stärker einbringen könnten.

Mitarbeiter geben ihre Ideen aber nur dann preis, wenn sie glauben, dass diese Wertschätzung erfahren. Und wenn sie wissen, dass Fehler kein Beinbruch sind. Denn Fehler sind der Preis für Evolution und Innovation. Fehler machen bedeutet: Üben, um siegen zu lernen. Mit einer solchen Einstellung können bahnbrechende Erfolge gelingen. Um das Vorankommen mithilfe querdenkender Mitarbeiter zu initiieren, helfen zum Beispiel folgende Vorgehensweisen.

Ideen eine Chance geben

Gute Ideen sind sehr zerbrechlich und werden leicht totgetrampelt. Ihnen und ihren Schöpfern weht oft eine steife Brise entgegen, weil sie sich gegen so viele Bremser und Schwarzmaler zur Wehr setzen müssen. Jede Veränderung hat ja bekanntlich Beteiligte, Beleidigte, Betroffene und Befürworter. Sie umfasst Erfolgsaussichten und Risiken, setzt Hoffnungen und Befürchtungen frei. Sie erfordert zunächst Einsicht, dann loslassenden Abschied von lieb gewonnenen Routinen und schliesslich Aufgeschlossenheit für Neues. Dies liegt aber noch lange nicht jedem. 

Wie kommt es überhaupt, dass sich die Bedenkenträger oft so breit machen können? Die Harvard-Psychologin Teresa Amabile hat dazu verschiedene Experimente durchgeführt. Sie kam zu dem Schluss, dass Kritiker oft als intelligenter wahrgenommen werden, man spricht ihnen ein spitzfindigeres Urteilsvermögen zu. «Schwarzseher erscheinen leicht als scharfsinnig und weitsichtig, während positive Äusserungen schnell als naiv abgetan werden», sagt sie. Da Ungewisses womöglich Gefahr für Leib und Leben bedeutet, hat es Vorfahrt im Hirn. So rückt vorsorgliche Abwehr schnell in den Vordergrund. Ferner werden die potenziellen Risiken, die die Zukunft bringt, oft überbewertet. Die «guten, alten Zeiten» hingegen werden verklärt.

Sondieren Sie also ruhig einmal per einfacher Strichliste: Wie oft reden wir denn hier über das, was nicht funktioniert? Und wie viel läuft denn wirklich schief? Wie oft ist ein Negativfall denn tatsächlich eingetreten – oder in der Realität zu befürchten? Wie viele Kunden sind denn tatsächlich schwierig? Um wie viel besser ist die Konkurrenz denn effektiv? Oder hat sie vielleicht nur die Beschäftigten mit der besseren Einstellung? Kein Sportler würde ständig über Misserfolge reden, wenn er zum nächsten Sieg eilen will. Ganz im Gegenteil: Er führt sich seine grössten Triumphe vor Augen.

Also: Beugen Sie vor. Installieren Sie dazu in Ihren Meetings die Rolle des «Engels­advokaten». Dieser hat nach der Vorstellung einer Idee immer das erste Wort. Er findet zunächst das Gute darin und gibt
ihr so eine Überlebenschance. Dazu muss er eine eingehende Begründung liefern, Worte wie «super» oder «klasse» oder «hilfreich» allein reichen nicht aus. Nun sind zumindest schon mal zwei Personen im Raum dafür, und Querdenker erhal­ten die so dringend benötigte Rückendeckung. Die hiernach einsetzende Diskussion verläuft dann meist auch konstruktiver. Darüber hinaus kann man dem Engelsadvokaten eine Zimbel geben. Wird viel gejammert, wird eine Idee mal wieder zerfleddert, wird es zynisch oder ein Angriff «persönlich», kann sie erklingen. Für die Dauer des zarten Nachhalls überlegt jeder still, wie man es besser machen kann.

Der Killerphrasen-Friedhof  

Weil Querdenker schnell ins Abseits geraten, brauchen sie Schutzzonen für ihre innovativen Gedanken, Enklaven für den gefahrlosen Meinungsaustausch und Versuchslabore für neuartiges Tun. Nur dann kann sich ihre Kreativität voll entfalten. Leider gibt es eine Vielzahl taktischer Vorgehensweisen, um einen Querdenker und seine Initiativen loszuwerden oder seine Vorstösse ins Nirvana zu schicken. 

Ein Beispiel: Der Ansprechpartner sagt, er kümmere sich um die Sache und prüfe das, tut es aber dann doch nicht. Er «vergisst» den Vorschlag oder schiebt ein «Nein» von oberster Stelle vor. Oder er erklärt, dass die Idee nicht in die zukünf­tigen Planungen der Firma passt. Oder er behauptet, dass man genau das schon einmal erfolglos versucht habe. Ziel ist es, den Ideengeber zu verunsichern, einzuschüchtern und mundtot zu machen. Geschieht das öffentlich, soll derjenige herabgewürdigt, diskriminiert und isoliert werden.

Auch innerhalb eines Teams kann es passieren, dass versucht wird, vielversprechende Einfälle mit sogenannten Totschlagargumenten abzuwiegeln oder zu Fall zu bringen. Dies hat meist damit zu tun, dass ein anderer aus welchen Gründen auch immer sein derzeitiges Verhalten nicht ändern will. In solchen Fällen kommen gern Killerphrasen und Totschlagargumente zum Einsatz. So sterben selbst die besten Ideen.

Zunächst Achtung: Auf manche Entgegnungen fällt man leicht herein. «Das machen wir doch schon», ist eine solche. Da muss nachgefragt werden: Wie denn genau? Wie früher? Wie immer? Wie alle? Wer das Neue am Neuen nicht sieht, ist besonders gefährdet. Oft wird das Neue am Neuen auch überhört, weil unser Hirn das Vertraute so liebt.

Manche Erwiderungen sollen ganz einfach verletzen. Das klingt dann etwa so: «Sie wollen was ändern? Die Phase hat am Anfang hier jeder. Das geht vorbei.» Auf solche Spielchen geht man besser gar nicht erst ein. Oder jemand sagt: «Wie du dir das vorstellst, das klappt nie.» Statt mit einem «Wieso?» in ein argumentatives Hin und Her zu geraten, fragt man in die Runde: «Peter meint, bei ihm geht das nicht. Wie seht ihr das in Bezug auf euren Bereich? Wie könnte das bei euch funktionieren?»

Und wie schafft man Totschlagargumente auf Dauer aus der Welt? Zunächst braucht es eine gemeinsame Erkenntnis, dass man damit nicht weiterkommt. Dann beginnt man, diese zu sammeln. Diese werden schliesslich begraben, indem man einen Friedhof für Ideenkillerphrasen erschafft. Dies visualisiert man zum Beispiel in Form eines Posters. Das hängt man an der Wand im Meetingraum auf. Und lassen Sie Platz für neue Phrasen. Irgendjemandem fällt bestimmt noch was ein.

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