Strategie & Management

Wachstumsstrategien

Kooperationspotenziale erkennen und sinnvoll nutzen

In der heutigen schnellen und vernetzten Welt werden auch klassische Konkurrenzsituationen aufgeweicht. Hier braucht es einen Paradigmenwechsel, der eine neue Sicht auf Koopera­tionspotenziale zulässt, auch mit Blick auf Wettbewerber.
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Trotz ständiger Veränderungen erfolgreich bleiben, die Erwartungen der Kunden übertreffen – so sehr wir uns auch anstrengen, manchmal scheint es, als wären wir nicht schnell, innovativ oder leistungsfähig genug. Also mehr anstrengen? Länger arbeiten? Uns selbst und andere härter pushen? 

Dick Fosbury ging es vor vielen Jahren genauso. Trotz immer höherem Trainingseinsatz kam er nicht weiter. Die vorhandene Technik war das beschränkende Element. Anstatt aber – wie viele Menschen und Unternehmen heute – mehr vom selben zu tun, wagte er etwas vollkommen Neues. 

Man schreibt das Jahr 1968, als Dick Fosbury den Hochsprung revolutioniert. Er springt mit dem Rücken zur Latte – wie noch keiner vor ihm. Als er mit diesem Stil bei den Olympischen Spielen in Mexiko antritt, lacht die Konkurrenz über den gewöhnungsbedürftigen Bewegungsablauf. Um dann zu erleben, wie sich Fosbury die Goldmedaille holt. In den fol­genden 22 Jahren klettert der Weltrekord um 16 Zentimeter auf 2,45 Meter. Der Rekordhalter Javier Sotomayor aus Kuba überspringt mit dieser Technik seine eigene Körperhöhe (1,93 m) sogar um 52 Zentimeter. Würde heute jemand mit der alten Technik, dem Scherensprung oder dem Bauchwälzer, zum Wettkampf an­treten, wäre er derjenige, über den gelacht wird.

Kooperationspotenzial nutzen

Wer in der heutigen schnellen und vernetzten Welt erfolgreich sein will, muss – wie Dick Fosbury damals – umdenken und umlernen. Was lange Zeit galt, hat keinen Bestand mehr. Galt früher das Motto, so viel Konkurrenz wie möglich und so wenig Kooperation wie nötig, heisst es jetzt: So viel Kooperation wie möglich und so wenig Konkurrenz wie nötig. 

Aber sind wir alleine nicht flexibler und unabhängiger? Möglicherweise. Aber eben auch kaum mehr in der Lage oder schnell genug, die komplexen Heraus­forderungen der modernen Wirtschaft zu lösen. Die Pluspunkte der Zusammen­arbeit liegen auf der Hand: Gemeinsam können wir Synergien nutzen, Ressourcen schonen, Expertenwissen vernetzen und so weiter kommen als alleine. Gemeinsam sind wir schnell, intelligent, innovativ – und einfach stärker.

Hemmnisse und Optionen

Neben dem tief verinnerlichten Wettbewerbsprinzip sind es drei B-Faktoren, die uns daran hindern, aktiv zu kooperieren: 

  • Bequemlichkeit: «Wir machen unsere Sachen schon immer so, wie es für uns richtig ist. Kommt jemand anderes dazu, müssten wir uns auf dessen Art und Weise, einen völlig neuen Weg einstellen. Das birgt ja auch ein Risiko, oder?»
  • Beschäftigungsgrad: «Kooperieren? Klar wäre das super, aber uns steht die Arbeit eh bis hier oben. Wir machen das, wenn wir mal Zeit haben.» 
  • Blauäugigkeit: «Das ist sicher nur so eine Welle. Die geht auch wieder vorbei. Das Konkurrenzdenken hat uns bis hierher gebracht – und wird uns sicher auch weitertragen.»

Wirklich? Oder brauchen wir doch – gerade jetzt – etwas Neues, einen Para­digmenwechsel? Kleine und grosse Unternehmen haben viele Möglichkeiten, ihr Kooperationspotenzial sinnvoll und erfolgsstiftend zu nutzen.

Kooperation mit andersartigen Unternehmen

Die Firma Heinz verarbeitet Tomaten zu Ketchup. Um es genauer zu sagen: Zwei Millionen Tonnen Tomaten werden jährlich zu Ketchup verarbeitet. Was dabei übrig bleibt, sind Haut und Stiele, die entsorgt werden müssen. Auf der an­deren Seite gibt es die Firma Ford, die schon seit vielen Jahren zu pflanzenbasierten Kunststoffen forscht. Die Grundlage einer für beide Seiten nützlichen Kooperation: Heinz spart sich Entsorgungskosten und Ford erhält Material
für die weitere Forschung. Idealerweise kommt das Wissen von Ford wieder zurück zu Heinz, die ihre Plastikflaschen nachhaltiger herstellen können. «Gehen uns dadurch nicht Kunden verloren?» Die Frage, die uns oft hemmt zu kooperieren, stellt sich hier nicht. Die beiden Unternehmen kommen sich markttechnisch nicht in die Quere. 

Kooperation mit gleichartigen Unternehmen und regionaler Distanz

Eine Fitnesskette mit Studios überwiegend in Norddeutschland kooperiert mit einer Fitnesskette in Süddeutschland. Die Mitglieder dürfen zukünftig in allen Studios trainieren, sodass sie auch fit bleiben können, wenn sie auf Reisen sind. Beide Unternehmen bieten ihren Kunden einen grösseren Nutzen, müssen sich aber auch keine Sorgen machen, Kunden an das andere Unternehmen zu verlieren. 

Kooperation mit dem Wettbewerber

Wie wäre das, mit dem härtesten Wettbewerber zusammenzuarbeiten? Undenkbar? Oder einen Gedanken wert? Mer­cedes-Benz und BMW haben sich für Zweiteres entschieden. Nachdem im Geheimen lange miteinander gesprochen und verhandelt wurde, überraschten die Unternehmen im März dieses Jahres mit der Meldung, dass die Bündelung ihrer Mobilitätsdienste in fünf gemeinsame Firmen nur der Beginn einer weitreichenden Kooperation im Bereich autonomes Fahren und E-Mobilität ist. 

Der Grund ist leicht nachvollziehbar. Die Automobilindustrie steckt in einer grundlegenden Transformation. Technische Herausforderungen, harte Marktbedingungen, völlig neue Produkte und Services jenseits vom einfachen Autoverkauf, fordern hohe Investitionen und ausser­ordentliche Innovationskraft. Alleine wären beide Unternehmen langsamer und könnten die Entwicklungskosten schwer oder gar nicht stemmen.

Und doch reagierte nicht nur die Presse einigermassen überrascht. «Rivalen planen weitreichende Kooperation» war da zu lesen. Die Tageszeitung «Welt» schrieb sogar: «Die Kooperation markiert einen epochalen Wandel.» Unser Weltbild kommt ins Wanken. Was ist da los, wenn jetzt schon Konkurrenten zusammenarbeiten? Schwächeln die Unternehmen etwa? Ganz im Gegenteil: 
Kooperieren ist stark und intelligent.

Die Ko-Intelligenz-Treiber

Wer sich dem Paradigmenwandel stellt, wird es sich selbst zur Aufgabe machen, den Austausch und die Kooperation aktiv zu suchen. Wie das gelingt? Indem wir
ko-intelligenter werden, das heisst, die Fähigkeiten nutzen, die es uns erlauben, erfolgreich zu kooperieren, zu kollaborieren und zu kokreieren. Und das auch gerade dann, wenn es schwierig wird oder wir unter Druck stehen. Dafür gibt es vier Ko-Intelligenz-Treiber:

Gemeinsamkeit

Gemeinsamkeiten machen sympathisch. Wir haben die Wahl, ob wir eher auf Unterschiede achten oder ob wir den Fokus immer wieder darauf lenken, dass wir
gemeinsam weiter kommen als alleine. Verbunden mit der Bereitschaft, auch mal auf einen schnellen, individuellen Gewinn zu verzichten, um langfristig gemeinsam mehr zu gewinnen. 

Wertschätzung

Unser Gehirn ist ständig am Vergleichen – viel schlimmer aber ist, dass wir meistens sofort auch noch bewerten: Was ist gleich, was anders – und damit nicht mehr «normal»? Ein Konfliktverschärfer! Besser ist es, positiv anzuerkennen, dass wir von anderen Expertisen, Vorgehensweisen und Unternehmenskulturen profitieren können. Wohl wissend, dass es immer wieder eine neue Herausforderung ist, mit Andersartigkeit umzugehen.

Vertrauen

In Organisationen nehmen Hierarchien immer mehr ab. Dadurch entsteht auf der einen Seite mehr Freiraum, auf der anderen Seite aber auch mehr Verantwortung für den Einzelnen. Vertrauen und Integrität bekommen eine noch höhere Bedeutung im Umgang miteinander. Das Zauberwort heisst Vorschussvertrauen. Gehen wir davon aus, dass die anderen Beteiligten sich selbstverständlich auch kooperationsfördernd verhalten, sind wir eher dazu bereit, alles zu
geben. Transparenz hilft dabei, den Rahmen zu definieren, in dem sich jeder eigenverantwortlich auf ein Ziel zubewegt, das allen dient.

Offenheit

Innovation findet nicht im Elfenbeinturm des Experten statt. Sie entsteht, wenn verschiedene Disziplinen zusammenkommen und Wissen geteilt wird. Neben dem Dialog fördern neue Methoden wie Design Thinking diesen Prozess aktiv. Für ein neues Wir gilt es, flexibel und offen zu bleiben, um sich auf andere Ideen einlassen zu können. Wer aktiv den Austausch mit Menschen sucht, die anders sind als er selbst, profitiert durch neue Sicht- und Herangehensweisen.

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