Strategie & Management

Qualitätsmanagement

ISO 9001 – Herausforderung für ­die Unternehmenskultur

Eine ISO-9001-Zertifizierung allein macht Qualitätsmanagement noch nicht erfolgreich. Der Weg zu einem zielführenden Qualitätsmanagementsystem führt vielmehr über ein gemeinsames Verständnis aller Mitarbeiter von Qualitätsmanagement, das durch eine entsprechende Kommunikation und Zusammenarbeit herbeigeführt und implementiert werden muss.
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Die ISO 9001 ist das weltweit populärste Managementsystem für das Qualitäts­management von Unternehmen. Wer die Zertifizierung erreicht, kann ein solides Qualitätsmanagementsystem vorweisen, welches das Unternehmen rentabler und ­resilienter macht. Viele Führungskräfte und Qualitätsmanager zumindest scheinen das zu glauben. Sie bestimmen Prozesse gemäss der Norm und wundern sich über ausbleibende Ergebnisse.

Der Weg zu einem zielführen­den Qualitätsmanagementsystem sieht anders aus – und lässt sich nur gemeinsam beschreiten. Denn die Krux liegt nicht nur in dem Verständnis der Norm, sondern auch in der Kommunikation und der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden: Das gesamte Unternehmen braucht ein neues Verständnis von Qualitätsmanagement. 

Leitplanken statt Schienen

Qualitätsmanagement hat ein Image-Problem. Es wird von Mitarbeitern als Kon­trolle wahrgenommen, als strenges Regelwerk, nach dem sie gemassregelt werden können. Und wer will das schon? In Wahrheit ist das aber gar nicht das Wesen der Norm. Die ISO 9001 gibt lediglich die Mindestanforderungen vor, um einen hohen Qualitätsstandard und kontinuierliche Verbesserung zu gewährleisten. Wie die Anforderungen konkret umgesetzt werden sollen, ist nicht festgelegt. Somit schafft die Norm vielmehr einen Raum, in dem Unternehmen selbst Prozesse bestimmen können, die die Grundsätze der Norm in ihrer Arbeit verankern. Es können also individuelle Prozesse gestaltet werden, die für die eigenen Teams sinnvoll sind und so auch gelebt werden.

Die Vorstellung, die Mitarbeiter von Qualitätsmanagement haben, muss also nicht der Realität entsprechen. Sie ist aber nicht immer ungerechtfertigt. Tatsächlich ist auch vielen Qualitätsmanagern nicht immer klar, wie sie die Norm verstehen sollen. Wenn sie daraus eine konkrete Anleitung ablesen und diese eigenständig in ein Regelwerk umsetzen, wird aus Qualitätsmanagement schnell Mikromanagement – und alle Befürchtungen der Teams werden wahr. Daher müssen zuerst Qualitätsmanager eine neue Sicht auf die Norm entwickeln und er­kennen, was ein Qualitätsmanagementsystem für die Organisation leisten kann und wie es dafür aussehen muss.

Interaktives Management

Wie sieht ein modernes Qualitätsmanagement also idealerweise aus? Das Ziel sollte sein, Mitarbeiter mit den Mass­nahmen zu unterstützen und sie nicht einzuengen. Das heisst, dass die klaren Prozesse und Verantwortungen als Entlastung statt als strenge Vorschrift wahrgenommen werden. Mitarbeiter finden alle relevanten Informationen einfach und aktuell, sodass sie Zeit sparen und Fehler vermeiden können. Gleichzeitig sollte das Regelwerk ein guter Massstab sein, um die eigene Arbeit daran zu­ messen. Mache ich meine Arbeit gut? Ein solides Qualitätsmanagementsystem gibt Mitarbeitern Sicherheit in dieser Frage. 

Wie können Qualitätsmanager ein solches System aufbauen? Das ist nur in enger Zusammenarbeit mit den einzelnen Fachabteilungen und Teams möglich. Sie wissen am besten, wie bestimmte Prozesse in ihrem Alltag aussehen müssen, damit ein ­effizienter Ablauf gewährleistet werden kann. Die Rollenteilung müsste daher so aussehen: Mitarbeiter sind für das «Wie» verantwortlich, Qualitätsmanager für das «Was». Demnach identifizieren Qualitätsmanager gemäss der ISO 9001 zunächst, welche Prozesse in der Organisation festgelegt werden müssen. Wie sie wiederum verankert werden und die einzelnen Vorgaben und Arbeitsabläufe dann aussehen, entscheiden die Teams. 

Dass diese Vorgaben aktualisiert werden, liegt ebenfalls in der Verantwortung der Mitarbeitenden. Die Frage sollte stets sein: Wie können wir uns noch weiter ver­bes­sern? Am Ende wird das Ergebnis von den Qualitätsmanagern dokumentiert. Sie übernehmen dabei eine moderierende Rolle, kümmern sich um die Organisation sowie um regelmässige Aktualisierungen und Prüfungen durch interne Audits.

Von einem interaktiven Qualitätsmanagement profitieren letztlich alle. Die Möglichkeit, den eigenen Arbeitsalltag durch effizientere Prozesse zu verbessern, Mitbestimmung und transparente Verantwortung sorgen bei Mitarbeitern für eine höhere Motivation und mehr Freude an der Arbeit. Das ist aber nicht unbedingt schon zu Beginn klar. Denn selbst wenn die Qualitätsmanagementbeauftragten ein neues Bild der Norm ­haben, müssen sie Mitarbeiter oft erst noch davon überzeugen, dass sich der Aufwand für sie lohnt.

Verantwortung und Nutzen 

Um Mitarbeiter für das Projekt «interaktives Qualitätsmanagement» abzuholen, müssen zwei Dinge klar gemacht werden: Verantwortung und Nutzen. Den Teams wird daher die Verantwortung zur Klärung folgender Fragen übertragen: Was bedeutet Qualität für uns? Wie müssen unsere Arbeitsabläufe dafür aussehen? Wie können wir darüber hinaus eine kontinuierliche Verbesserung ermöglichen? Dabei zeigt sich schnell: Ein Qualitäts­manager könnte das kaum gleichwertig beantworten. Die Antworten müssen aus dem Team kommen.

Natürlich ist der Nutzen für den eigenen Arbeitsalltag der grössere Motivator. Man kennt es von sich selbst: Führungskräfte sprechen von mehr Rentabilität, mehr ­Resilienz – aber was bedeutet das für mich? Qualitätsmanager haben daher die Aufgabe, den Nutzen noch mal ganz klar zu kommunizieren. Was eindeutige Verantwortungen, Strukturen und ordentlich dokumentierte Prozesse für Vorteile bringen, lässt sich am besten an praktischen Beispielen verdeutlichen. 

Ein Szenario, das sicher jeder kennt, ist die Urlaubsvertretung: Ein Kollege geht in den Urlaub und hinterlässt eine Übergabe. Da steht dann möglicherweise, dass der Posteingang übernommen werden soll. Aber wie? Wenn jetzt die Vorgehensweise ganz genau im Qualitätsmanagement­system vermerkt ist, haben Mitarbeiter Prozesssicherheit und es gibt keine Probleme. Wie der Posteingang zu bearbeiten ist, ist personenunabhängig festgelegt. Das spart auf Dauer viel Zeit und Nerven. Wer in den Urlaub geht, muss die Übergabe nicht bis ins kleinste Detail ausformulieren und wer die Vertretung übernimmt, muss sich nicht möglicherweise fehlende Informationen zusammensuchen oder gar Kollegen im ­Urlaub stören. Darüber hinaus werden Fehler vermieden, die sonst leicht entstehen, wenn Mitarbeiter nicht den Zugriff auf alle nötigen Informationen haben. Das reduziert natürlich auch den Stress. 

Ein klares Gefühl von Verantwortung und stressfreie Abläufe als Ziel vor Augen sollten genug Motivation für Mitarbeiter sein, sich in das Qualitätsmanagement einzubringen und es für das eigene Team selbst zu gestalten. Aber nicht jede Un­ternehmenskultur und alle Teams sind geeignet für diese Art der Selbster­mäch­tigung. Schon manches Qualitätsmanagementsystem ist daran gescheitert, dass Mitarbeiter zu viel Verant­wortung und Freiraum in der Gestaltung der Prozesse übertragen wurde – ein Balanceakt für Qualitätsmanager. Sie müssen herausfinden, wie viel Orientierung und Hilfestellung notwendig ist, ohne die Teams zu sehr einzuschränken und sinnlose Prozesse vorzugeben. Eine enge Zusammenarbeit und gute Kommunikation sind daher hier besonders wichtig.

Fazit

Ein gutes Qualitätsmanagementsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur die Voraussetzungen für kontinu­ierliche Verbesserung schafft, sondern diese auch tatsächlich erreicht. Dafür müssen Unternehmen über die Normanforderungen hinausgehen, denn diese sind lediglich das Rahmenwerk, in dem das Qua­litätsmanagementsystem ent­stehen soll – interaktiv mit den Mitar­beitenden und individuell abgestimmt auf das Unternehmen und seine einzelnen Fachabteilungen. Erst dann stellen sich die Vorteile ein, die über eine Zer­tifizierung hinausgehen.

Porträt