Im Januar 2021 ist die Groupe PSA durch Fusion mit Fiat Chrysler Automobiles im Automobilkonzern Stellantis aufgegangen; seit dieser Zeit gehört auch Opel zu Stellantis. Herr Stüber, Sie haben bereits unter General Motors bei Opel gearbeitet. Hatten Sie damals weitreichendere Kompetenzen als heute unter PSA im Stellantis-Verbund?
Nein, schon damals erhielt Opel Entwicklungsaufträge für klar definierte technische Teilgebiete. Wir brachten etwa Motoren und Fahrwerke zur Serienreife, die für Europa gedacht waren. In die PSA-Zeit fiel die Entwicklung von neuen Plattformen für alle Marken. Nun unter Stellantis werden die Techniker-Teams an ihrem Wissensstand gemessen und es werden ihnen entsprechende Aufträge übertragen. So entwickeln wir unter anderem die Sitze für den gesamten Konzern. Dieses Vorgehen bringt viele Synergien, die sich schliesslich in der technischen Kompetenz, aber auch im finanziellen Ergebnis niederschlagen.
Sie sind der «Vater» der neuen Astra-Modellreihe. Auf welche Innovationen sind Sie besonders stolz?
Darauf, dass die neue Generation ein echter Rüsselsheimer geworden ist. Dies beginnt bei der einzigartigen Frontansicht mit dem Opel-Vizor-Design, führt über die Matrix-Scheinwerfer bis hin zu LED-Leuchten im Heck. Natürlich sind auch im Innenraum zahlreiche typische Opel-Details – etwa das Pure-Panel oder die AGR-Sitze – zu finden. Obwohl der neue Astra gegenüber seinem Vorgänger aussen nur vier Millimeter gewachsen ist, haben praktisch alle Innenraum-Masse zugelegt. Das ist für das Wohlbefinden an Bord wichtig. Ein besonderes Augenmerk richteten wir zudem auf das Fahrwerk, das wir auf deutschen Autobahnen ausgiebig geprüft haben.
Matrix-Scheinwerfer, was bedeutet das?
Bei Opel wurde das LED-Scheinwerfersystem schon früh in der Oberklasse eingeführt. Seit 2015 strahlen die lichtleitenden Halbleiter-Bauelemente auch in der Kompaktklasse.
Das adaptive Intelli-Lux-LED-Lichtsystem im neuen Astra besteht aus 168 Lichtpunkten, das heisst 84 pro Scheinwerfer. Jeder einzelne Punkt oder der vorgeschaltete Spiegel lässt sich so ansteuern, dass beispielsweise entgegenkommende Fahrzeuge oder Fussgänger in Millisekunden ausgeblendet werden. Wegen der langen Haltbarkeit von LEDs und eines geschickten Thermomanagements halten die Matrix-Scheinwerfer ein Autoleben lang.
Was macht das Pure-Panel-Armaturenbrett im Astra besonders?
Es bietet ein Innenraumerlebnis auf der nächsten Stufe: Vor sich hat der Fahrer zwei Widescreen-Displays, welche die Zeichen und Angaben gestochen scharf darstellen. Dabei haben wir darauf geachtet, dass möglichst wenig Ablenkung für den Fahrer entsteht, indem die sinnvollen Elemente direkt vor dem Fahrer integriert, die Nebenfunktionen jedoch über den zweiten Bildschirm oder Tasten angesteuert werden.
In diesem Zusammenhang ist eine zusätzliche Funktion im Lenkrad wichtig: Es erscheint eine Warnung, wenn die Hände nicht korrekt am Lenkradring liegen. Die individuellen Präferenzen kann jeder Fahrer in den Einstellungen im zentralen Bildschirm oder per Sprachbefehl vornehmen und verändern.
Assistenzsysteme, die den Fahrer unterstützen, haben im Astra überproportional zugenommen. Wie weit gehen sie?
Als wir gestartet haben, standen zuoberst auf der Prioritätenliste die Bedürfnisse von unseren Kundinnen und Kunden. Die Basis bilden zahlreiche Kameras und Sensoren rund um das Auto, die Schäden vermeiden helfen. Die Multifunktionskamera in der Windschutzscheibe ergänzen vier weitere Kameras – eine an der Front, eine am Heck und eine an jeder Fahrzeugseite. Hinzu kommen fünf Radarsensoren (an jeder Ecke und an der Front) sowie Ultraschallsensoren vorne und hinten. Also sind die Systeme weit fortgeschritten und bieten bei minimalistischer, aber ergonomischer Auslegung einen grossräumigen Warner vor Verkehr im toten Winkel sowie einen aktiven Spurhalteassistenten.
Das neue, teilautonome Intellidrive-2.0-System mit einem Frontkollisionswarner, Fussgängererkennung, Verkehrszeichenerkennung und einem automatischen Geschwindigkeitsassistenten mit Stop-and-go-Funktion bei den Automatik-Versionen und ein sehr gut arbeitendes Head-up-Display sind weitere Sicherheitskomponenten. Dazu haben wir zusätzliche Assistenten – etwa der 360-Grad-Rundumblick namens Intelli-Vision, Ein- und Ausparkhilfen oder bei eHorizon Connectivity den Vorteil, dass die Fahrgeschwindigkeit vor Kurven angepasst werden kann – im Angebot, die optional oder variantenbezogen eingebaut sind.
Der Geschwindigkeits-Assistent wird immer wichtiger. Wie funktioniert er im Opel Astra?
Er ist ein richtiges Highlight, denn er hält, einmal eingeschaltet, über das eingestellte Tempo hinaus den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, indem er den Astra entsprechend beschleunigt – ohne dabei die vorgewählte Geschwindigkeit zu überschreiten – oder verlangsamt. Bremst der Vordermann ab, verzögert der Opel ebenfalls, gegebenenfalls bis zum Stillstand. Dank «Stop-and-go-Funktion» fährt der neue Astra mit Automatikgetriebe auch selbstständig wieder an. Beschleunigt der Vordermann, erhöht er ebenfalls die Geschwindigkeit, sodass der eingegebene Abstand beibehalten wird. Das dürfte staugeplagte Fahrer besonders freuen.
Eine Besonderheit von Opel ist die Zusammenarbeit mit der «Aktion Gesunder Rücken» (AGR). Was ist Ihre Aufgabe dabei?
Opel entwickelt konzernweit die vorderen Einzelsitze mit dem AGR-Zertifikat. Sie besitzen eine durchdachte Polsterung, die hilft, Rückenprobleme nachhaltig zu vermeiden. Dazu haben sie flexible Seitenwangen, eine elektropneumatische Lendenwirbelstütze oder Massagefunktionen. Zusätzliche Möglichkeiten wie elektrische Mehrfachverstellung, Heizung und Lüftung decken weitere Kundenbedürfnisse ab. Die äusseren Rücksitze sind überdies ebenfalls beheizbar.
Wie profitieren Flottenbesitzer bei der Wahl des neuen Astra?
Das kann so ausgedrückt werden: Natürlich geniessen Flottenbetreiber bereits bei Vertragsabschluss die Vorteile von Opel. Sie dürfen zudem beruhigt sein, weil ihre Fahrer besonders sicher unterwegs sind. Die ideale Abstimmung der Bedienelemente mit geringstmöglicher Ablenkung erleichtert zudem das Handling, wenn sich verschiedene Personen am Steuer ablösen. Weil wir den Astra bewusst so aufgebaut haben, dass die Lenkenden tatkräftig in ihrer Arbeit unterstützt werden, jedoch nach heutiger Gesetzeslage immer die Verantwortung tragen müssen, halten wir die jetzige Ausführung für zeitgerecht.
Wie entwickeln sich die Assistenzsysteme weiter?
Natürlich werden Verbesserungen laufend in die Serie aufgenommen. Für weitergehende Systeme sind meiner Ansicht nach die Politik und damit der Gesetzgeber sowie die Versicherungen gefragt. Sie müssen den Weg für allgemeine Kommunikation im Verkehrswesen ebnen. Heutzutage kann ein Computer noch längst nicht Auto fahren, er wird jedoch immer lernfähiger. Bereits in wenigen Jahren könnte es einen massiven Schub geben, der natürlich von Opel mitgetragen würde.
Erstmals wird der Astra auch mit nachladbarem Hybridsystem angeboten. Wie geht die Elektrifizierung weiter?
Der Astra lebt von Innovationen. Dazu gehört natürlich auch der Antrieb. Da sticht die Plug-in-Version besonders hervor. Sie wird von einem Vierzylinder-Benzinmotor mit einer Leistung von 132 Kilowatt (kW) sowie einem Elektromotor mit 81 kW angetrieben. Daraus ergibt sich eine Systemleistung von bis zu 160 kW, was dieses Modell zum vorläufigen Astra-Flaggschiff macht. Die von uns getroffene Abstimmung der beiden Aggregate lässt einerseits rein elektrisches Fahren zwischen 40 bis 60 Kilometer und bis 130 km/h zu, was sich besonders positiv auf den Treibstoffverbrauch auswirkt, andererseits sind auch lange Reisen problemlos möglich. Als nächsten Schritt wird Opel 2023 einen rein elektrischen Astra in beiden Modellvarianten auch in die Schweiz bringen.
Wie entwickeln sich die klassischen thermischen Kraftquellen weiter?
Für den Export in gewisse Länder werden die Benziner und Dieselmotoren wohl noch längere Zeit weiterentwickelt. Die in Diskussion stehende Abgasnorm Euro 7 wird wahrscheinlich neue Prüfverfahren und Grenzwerte bringen, die hierzulande dem Verbrenner den Garaus machen könnten. Bereits 2025 könnte diese in Kraft treten. Zurzeit sind jedoch noch keine verbindlichen Grenzwerte für die verschiedenen anfallenden Schadstoffe bekannt, weshalb es müssig ist, darüber zu spekulieren.
Beim Fahrwerk hat der neue Astra einen grossen Schritt nach vorn gemacht. Wie ist er zustande gekommen?
Ich denke, mein Team hat einen sehr guten Job gemacht und die richtige Opel-DNA getroffen. Die Wahl sowie die Abstimmung von McPherson-Federbeinen mit Querlenker vorn und der Verbundlenkerachse hinten wurde unter allen Wetter-, Strassen- sowie Verkehrsbedingungen ausgiebig getestet. Der Slogan «Autobahn Proof» kommt daher nicht von ungefähr, weil besonders bei hohen Tempi das Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden aufkommt. Dazu tragen natürlich auch die ausgewogene Federung sowie die ausgeklügelte Dämpfung bei. Erste Reaktionen von Fachleuten zeigen ein erfreuliches Bild, denn das Fahrwerk wird allenthalben gelobt.