Strategie & Management

Disruption durch Digitalisierung

Herausforderungen im technologischen Wandel

Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz verändern die Arbeitswelt rasant. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass somit auch Bedrohungen durch Disruption und neue Wettbewerber entstehen. Bislang wird das Ausmass der technolo­gischen und strukturellen Veränderungen allerdings häufig noch unterschätzt.

Die Aussichten auf wirtschaftliches Wachs-tum werden derzeit durch diverse Faktoren getrübt. Zwar dürfte das wahrscheinlichste Szenario ein abgeschwächtes, aber durchaus positives Wirtschaftswachstum sein, denn die guten Auftragsaussichten führen nach wie vor zu einer positiven Grundstimmung; aber für nachhaltiges Wachstum braucht es eine innovativere Herangehensweise.

Unterschätzte Disruptionen

Das Ausmass der technologischen und strukturellen Veränderungen der Wirtschaft wird häufig unterschätzt. So macht zwar die derzeit allgegenwärtige Plattform-Ökonomie für Konsumenten auf der einen Seite vieles einfacher und attraktiver – sei es die Vernetzung über grosse Distanzen, die reichhaltige Auswahl aus einer grossen Angebotspalette und das günstige Einkaufen inklusive bequemer Lieferung –, aber zeitgleich erhöhen die digitalen Plattformen auch den Wettbewerb und senken das Preisniveau. 

Zwar ermöglichen die digitalen Ökosysteme kleinen und mittleren Unternehmen, unabhängig von ihrem Unternehmens­standort gezielter und kosten­günstiger Abnehmer für Produkte und Dienstleistungen zu finden sowie das Unternehmenswachstum zu gestalten. Gleichzeitig erhöht sich aber der Konkurrenz­kampf aufgrund der internationalen Vergleichbarkeit.

Die gegenwärtig stattfindenden wirtschaftlichen Veränderungen gehen weit über das hinaus, was in der bisher be­kannten Form von digitalen Plattformen sichtbar ist. Die stetig wachsende Leis­tungsfähigkeit von Sensoren, der Daten-
über­mittlung und von deren Verarbeitung ermöglicht die Messungen, die Gewinnung und die Verarbeitung von Daten in zuvor unbekanntem Ausmass. Zusammen mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz hat ein fundamentaler Wandel in der Industrielandschaft eingesetzt. So ist es beispielsweise heute ökonomisch sinnvoll, den Zustand von Maschinen aus der Ferne zu kontrollieren und bei Bedarf ein­zugreifen oder Nahrungsmittel permanent auf ihre Qualität hin zu untersu­chen. Dabei werden spezialisierte digitale Dienst­leistungen und Lösungen für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz an Bedeutung gewinnen. Dieser technologische Wandel verschärft den Standortwettbewerb nochmals und verleiht der Globalisierung wirtschaftlich zunehmend an Fahrt. Je mehr Daten gewonnen, schnell und sicher übermittelt und dezentral verarbeitet werden können, umso einfacher werden sich bisher lokal erbrachte Dienstleistungen über die Landesgrenzen hinaus dezentral erbringen lassen.

Zurückhaltende Unternehmer

Umso erstaunlicher ist das Ergebnis einer Umfrage in der wirtschaftsstarken Flug­hafenregion Zürich (Konjunkturumfrage 2018/2019 der Flughafenregion Zürich), welches eine starke Zurückhaltung auf­­gezeigt hat, die neuen Möglichkeiten  anzunehmen. So sehen 68 Prozent der befragten Unternehmen die grössten  Heraus­forderungen der digitalen Transformation in der Digitalisierung der Prozesse, 58 Prozent in der Nutzung der Technologie für das eigene Geschäfts­modell. 30 Prozent der Befragten stel­len ein Fehlen eigener Fähigkeiten fest,  24 Prozent nennen fehlende Zeit für eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema und bei 7 Prozent der Unternehmen hat es weder im Verwaltungsrat noch in der Geschäftsleitung Priorität.Dies erstaunt, da im bereits laufenden Strukturwandel neu definiert wird, wer künftig welche Teile der Wertschöpfung kontrolliert und damit am meisten Umsatz machen wird. Entwicklungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass dies nicht zwingend die grossen Namen sein müssen. Allerdings gilt es, Chancen rechtzeitig zu erkennen, Geschäftsmodelle zu digitali­sieren und Disruption wenigstens in Teilen zuzulassen.

Veränderungsdruck

Der strukturelle Wandel und die zunehmende Automatisierung werden Arbeitsplätze im grossen Stil verändern. Dies schürt zunächst Ängste vor Job- und Identitätsverlust, vor mehr Wettbewerb und vor dem Wandel grundsätzlich. Eine 
zentrale Erkenntnis aus der Zukunfts­forschung besagt, dass die kurzfristigen Auswirkungen neuer Technologien tendenziell überschätzt, langfristig aber eher unterschätzt werden. Die Zukunft ist zwar nicht planbar, aber in bestimmtem Masse vorhersehbar. Das enorme Potenzial der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz ist heute entweder nicht bekannt oder vielerorts negativ besetzt. Es überwiegen oft Ablehnung und Angst. 

Die Herausforderungen

Gerade darum ist es umso wichtiger, sich mit der Zukunftsgestaltung der eigenen Unternehmung auseinanderzusetzen. Die Nonchalance, mit der diesem Wandel teilweise begegnet wird und mit der die notwendigen Anpassungen hinausgezögert werden, erstaunt. Es zeigt sich, dass viele Unternehmer wenig Mut zeigen, in Vorhaben zu investieren, bei denen nur geringe Sicherheit darüber herrscht, ob die Vorhaben je Früchte tragen.

Mehr denn je scheint es im Zeitalter der Digitalisierung gefährlich, nicht über die eigene Zukunft nachzudenken. Es lassen sich hier zwei grosse Herausforderungen identifizieren, die einen Einstieg in die Selbstreflexion bieten können:

  • das fehlende Vorstellungsvermögen, wie das eigene Geschäftsmodell weiterentwickelt werden kann und
  • das Manko an durchsetzungsstarkem Unternehmergeist, neue Ideen proto­typisch in die Realität um­zusetzen. 

Zur Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells sei in Erinnerung gerufen, dass die markanteste Eigenschaft der digitalen Welt in den Netzwerkeffekten und in der Skalierbarkeit besteht. Die grössten und wertvollsten Firmen kommen heute folgerichtig entweder aus den USA oder aus China. Firmen, die lediglich reagieren, werden vom Markt verschwinden. Dabei könnten wir uns mit Zuver­sicht und Vertrauen auf Schweizer Stär­-ken konzentrieren und uns beispielsweise auf wertschöpfungsintensive und kreative Tätigkeiten spezialisieren. In der digitalen Welt wird die Produktivität von einer kleinen Gruppe hoch ausgebildeter Menschen erzielt. Diese Welt braucht weniger Personal, um profitabel zu sein, als die industrielle Welt. Dazu müssen wir für die global ausgerichtete Plattform-Wirtschaft allerdings offen und attraktiv bleiben.Neue Studien belegen keinesfalls den Wegfall von Arbeitsplätzen durch den digitalen Wandel. Das Gegenteil trifft eher zu. Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft kommt zum Ergebnis, dass stark digitalisierte Firmen ihre Belegschaft zuletzt stärker vergrössert haben als weniger stark digitalisierte.

Disruptiv denken

Konsumenten zeigen heute ein verän­dertes Einkaufsverhalten als noch vor wenigen Jahren: Sie schauen nicht mehr nur auf einen möglichst günstigen Preis, sondern auch auf Qualität und Werte, welche ein Produkt vermittelt. Es spielt wieder eine verstärkte Rolle, woher Produkte stammen, wie umwelt- oder gesundheitsverträg­lich sie sind und welche Zusatzinformationen  existieren. Als Anbieter ist es folglich erforderlich, die Kunden besser und persönlicher zu kennen. Die Erwartungs­haltung vieler Konsumenten ist häufig vorgegeben durch ihre Erlebnisse in Online-Shops. Sie erwarten mit ihrem Einkaufserlebnis eine personalisierte Be­ratung und Bedienung. Diese Er­war­tungshaltung erfordert es, die Standardisierung zugunsten einer Personalisierung zu reduzieren.

Vor allem amerikanische Unternehmen treiben die Digitalisierung voran. In Europa sind viele Unternehmen noch zögerlich, wenn es darum geht, die Chancen zu erkennen und für sich zu nutzen. An der Digitalisierung führt jedoch kein Weg vorbei. Sie erfasst das gesamte wirtschaftliche Handeln und vollzieht sich auf drei Ebenen:

  • im Produkt- und Dienstleistungsbereich,
  • bei Prozessen und Entscheidungen und
  • auf der Ebene der Geschäftsmodelle. 

Auf der Produktebene sind Staubsauger- oder Rasenmäher-Roboter gute Bei­spiele der Digitalisierung. Digital trans­for­mierte Prozesse kommen vornehmlich in der Lagerhaltung und Logistik zum Einsatz: Wenn Bestellungen automatisiert abgewickelt werden, verringern sich die Lagerhaltungs- und Logistikkosten drastisch. Und wenn Daten nicht nur gesammelt, sondern diese für neue Dienstleistungen oder Produkte genutzt werden, können neue Geschäftsmodelle entstehen und die Wettbewerbsfähigkeit durch ein verbessertes Kundenerlebnis sichergestellt werden. Es reicht dabei nicht, nur einzelne Dimensionen im bestehenden Geschäftsmodell zu verändern. Ein Geschäftsmodell muss eine klare Geschäftslogik beinhalten. Diese Logik muss in allen Punkten Stimmigkeit aufweisen, damit das Geschäftsmodell erfolgreich ist. Daher ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, der in vielen Fällen neu gedacht werden muss – ganzheitlich.

Innovationshemmnisse

Grundsätzlich bieten die neuen Technologien vielen Unternehmen dabei eine Fülle von Entwicklungschancen und Möglichkeiten. Vor allem Start-ups nutzen diese extensiv. Sie erschliessen das disruptive Potenzial der Digitalisierung, um etablierte Unternehmen vom Markt zu drängen. Diese sind dennoch oft zögerlich, selbst einzusteigen. Die Ursachen dafür sind vielschichtig: 

  • Disruptive Innovationen erfüllen häufig nicht die Qualitätsansprüche des breiten Marktes. Unternehmen setzen daher auf eine Weiterentwicklung des Bewährten und Bestehenden. Nur selten steigen sie auf neue Technologien um.
  • Disruptive Technologien sind zunächst in Nischen erfolgreich. Etablierte Unternehmen können dort vorerst nicht genügend Gewinn generieren, da die Guppe der «Early Adapters» eher klein ist.
  • Mit disruptiven Innovationen gehen häufig neue Geschäftsmodelle einher. Etablierte Unternehmen scheuen aber das damit verbundene Wagnis, ein neues Geschäftsmodell zu entwerfen und einzuführen. 
  • Etablierte Unternehmen investieren lieber ins Kerngeschäft als in disrup­tive Innovationen, welche mit grossem Risiko einhergehen und wo niemand mit Sicherheit weiss, ob sich die Investition jemals lohnt.
  • Häufig warten Unternehmen zu lange, bis sie neue Technologien für sich einsetzen. In der Zwischenzeit haben andere die Zukunftsmärkte womöglich untereinander aufgeteilt.

Um mit der Digitalisierung und den neuen Technologien Schritt zu halten, müssen sich etablierte Unternehmen für disruptive Innovationen öffnen. Sie müssen sich ebenso öffnen für die eigene Disruption ihres Geschäftsmodells. Sie dürfen nicht nur auf evolutionäre  Innovation setzen, welche die bestehende Produkt- und Dienstleistungspalette organisch weiterentwickelt.

Schlüsselfaktor Mitarbeiter

Jede neue Geschäftslogik erfordert neue Strategieprozesse. Dabei lehrt die Erfahrung, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden idealerweise aktiv in den Prozess miteinbeziehen, einen Blick hinter die Kulissen von anderen Branchen wagen und nach Mustern suchen, welche für das eigene Unternehmen Lösungsansätze oder Antworten liefern. Speziell ist der Blick hier auf digitale Technologien zu richten. Im gesamten Prozess ist es ebenso wichtig, offen für Zufälle und Neugierde zu bleiben. Die gezielte Auswahl von Ideen sowie die intensive Diskussion im Team und mit externen Experten legen einen gesunden Grundstein zu tragfähigen Geschäfts­modellen. Nicht selten sind überraschende Lösungen das Ergebnis. Erfolgreiche Start-ups machen genau diese Vorgehensweise häufig vor. 

  • Sie fangen mit einer Hypothese an, nicht mit einem ausgefeilten Produkt. Diese Hypothese steht oft auf wackeligen Beinen und muss regelmässig intern hinterfragt und angepasst werden.
  • Sie gehen mit einem Prototyp auf den Markt und nutzen den Dialog mit den Kunden, um die Hypothese auch aus externer Perspektive zu überprüfen und so anpassen zu können.
  • Sie halten nicht unumstösslich an der Hypothese fest, sondern sind bereit, jederzeit von vorne zu beginnen.

Eine solche Vorgehensweise führt dazu, dass bei der Produktentwicklung auf die relevanten Kernfunktionen fokussiert werden kann, dass schnell agiert wird und dass das Kundenfeedback im Prozess laufend einfliesst. Für etablierte Unternehmen ist es wichtig, Neues von der Bürokratie des Alten fernzuhalten. Gelingt dies nicht, gehen wichtige Er­folgs­fak­toren wie Geschwindigkeit, Agilität, Kreativität, Risikobereitschaft und Freude am Probieren verloren. Auch die Anpassung der Führungskultur auf die Veränderungen beflügelt und fördert. Diversität und die Unterschiedlichkeit der Mitarbeitenden sind in Zeiten des digitalen Wandels ein klarer Vorteil. Schlüsselfaktoren sind hier, wie Mitarbeitende in Entscheidungen involviert werden, wie sie bestimmte Situa­tionen einschätzen, wie offen sie mit Informationen umgehen und diese aussprechen und wie weit das Wissen allen Mitarbeitenden zugänglich ist. Vor allem sind Konsequenz und Ausdauer notwendig, um den Herausforderungen der digitalen Trans­formation zu begegnen und die Zukunft aktiv zu gestalten.

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