Strategie & Management

Automobile Trends und Flottenmanagement I

Für ein zukunftsfähiges Schweizer Mobilitätssystem

Der Schweizer Mobilitätssektor steht durch eine steigende Mobilitätsnachfrage, eine zunehmende Belastung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur und neue technologische Möglichkeiten vor tief greifenden Veränderungen. Um dem gerecht zu werden, müssen sich die Mobilitätsakteure in einem gemeinsamen, vernetzten Mobilitätsökosystem organisieren.
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Das Schweizer Verkehrssystem stösst zunehmend an seine Grenzen. Die Verkehrsströme auf den Strassen, Schienen und in der Luft nehmen stetig zu. Der daraus folgende Bedarf an Ressourcen für den Infrastruktur- und Leistungsausbau, aber auch für den reibungslosen Betrieb, erfordert umfangreiche Investitionen – jetzt und in Zukunft. Die Mittel und insbesondere der Raum, um diesen Ausbau sicherzustellen, sind jedoch limitiert. Überdies wird es immer schwieriger, diese Investitionen aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu rechtfertigen.

Vernetztes Ökosystem nötig

Die steigende Nachfrage bei gleichzeitig beschränkten Ressourcen ist ein wesentlicher Faktor, der für ein neu angedachtes Mobilitätssystem spricht. Es kommen weitere Entwicklungen hinzu, die den Handlungsbedarf zwar zusätzlich verschärfen und die Herausforderungen komplexer gestalten, jedoch auch neue Lösungsansätze bieten. So ermöglichen es beispielsweise neue Technologien und eine da­tengestützte Leistungserbringung (zum Beispiel Analyse des Nutzungsverhaltens der Kunden), Mobilität auf neue Art und Weise zu gestalten und zu steuern. Das Potenzial für eine effizientere Nutzung bestehender Ressourcen und Kostensenkungen ist dadurch enorm und bietet Chancen, neue Lösungen und Geschäftsmodelle (zum Beispiel für die letzte Meile) zu entwickeln. Der Umgang mit neuen Technologien erfordert jedoch Expertise, über die Mobilitätsanbieter traditionell nicht verfügen (Mobilitätsanbieter umfassen sowohl öffentliche Verkehrsunternehmen als auch «neue» Mobilitätsdienstleister. Ist von Mobilitätsakteuren die Rede, beinhaltet dies zudem die öffentliche Hand sowie Kommunikationsnetz- und Infrastrukturbetreiber). Sie müssen diese aufbauen oder über Partnerschaften einholen.

Attraktiver Markt

Die wachsende Bedeutung neuer Tech­nologien und der Datennutzung in der Mobilität sowie die steigende Nachfrage und das damit verbundene Wachstums­potenzial machen den Markt auch für andere Unternehmen attraktiv. Investitionen in neue Mobilitäts-Start-ups haben in den letzten acht Jahren die Marke von 200 Milliarden USD (Quelle: CapitalIQ ) überschritten, wobei rund 90 Prozent dieser Investitionen auf Technologiefirmen sowie Risikokapitalgeber und Private-Equity-Firmen zurückgehen. Shared Mobility und insbesondere der Bereich Ride-Hailing (Mitfahrdienst oder spezialisierte Chauffeurservices) verzeichnen dabei ein enormes Wachstum und versprechen einen hohen Return on Investment. Daher erstaunt es nicht, dass gerade Alphabet (unter anderem mit Projekt Waymo) grosses Interesse an Sharing-Angeboten zeigt und Investitionen in Mil­lionenhöhe tätigt (siehe Abbildung 1), um sich für die Zukunft zu rüsten (Anm.: Seit Oktober 2015 gehört Google LLC als Tochterunternehmen zu Alphabet Inc. Im vorliegenden Artikel ist daher jeweils von Alphabet die Rede). Diese Entwicklungen in Verbindung mit dem enormen Marktpotenzial führen dazu, dass die Technologiefirmen zunehmend bestrebt sind, ein umfangreiches Netz im Mobilitätssektor zu spannen und ein Ökosystem zu ihren Gunsten aufzubauen (siehe Abbildung 2).

Viele der Faktoren, die den Herausfor­derungen in der Mobilitätsbranche zugrunde liegen, sind indes bekannt. Der Hauptunterschied zu früher ist, dass diese Entwicklungen parallel und in viel höherem Tempo ablaufen und somit die Komplexität im Umgang mit Veränderungen erhöhen. Um dieser Komplexität und der neuen Wettbewerbssituation gerecht werden zu können, braucht es neue Formen der Zusammenarbeit im Schweizer Mobilitätssystem. Daher ist der Aufbau eines – heute nicht existierenden – analog und digital vernetzten Mobilitätsökosystems dringend erforderlich, um die heutigen und künftigen Herausforderungen bewältigen zu können.

Die Barrieren 

Die Transformation des aktuellen Schweizer Mobilitätssystems hin zu einem  Öko­system, in dem unter anderem der öf­fentliche Verkehr, Strassenverkehr, Mi­kro-Mobilitätsdienstleistungen und Infrastrukturen intelligent vernetzt sind, ist anspruchsvoll, aber keineswegs utopisch. Derzeit stehen dieser Entwicklung fünf zentrale sowie fünf weitere Barrieren im Wege (siehe Abbildung 3). Darüber hinaus müssen das Finanzierungssystem, der Service public, die Wettbewerbs- und Innovationsförderung sowie der Datenaustausch reformiert werden. Werden diese zentralen, aber auch weitere Barrieren von den Schweizer Mobilitätsakteuren nicht konsequent angegangen und überwunden, werden ein vernetztes Mobilitätsökosystem und die damit verbundenen Vorteile nicht zustande kommen.

Handlungsempfehlungen

Es lassen sich sieben Stossrichtungen, ergänzt um konkrete Handlungsempfehlungen, zur Überwindung der Barrieren ausmachen. Diese Handlungen sollen die zentralen Akteure des Schweizer Mobilitätssektors im Aufbau eines Ökosys­tems bestärken:

Gesamtschweizerische Vision und Governance für Mobilität

Ein schweizweites Koordinationsgremi­um für vernetzte Mobilität soll in Kombination mit einer gesamtschweizerischen Governance die Definition und Weiterentwicklung einer gemeinsamen Vision für ein Mobilitätsökosystem vorantreiben.

Anreize zur Teilnahme an einem Mobilitätsökosystem

Ein Anreizsystem und der Nachweis strategischer und finanzieller Vorteile sollen die Mobilitätsakteure zur Teilnahme an einem Schweizer Mobilitätsökosystem bewegen.

Austausch von Mobilitätsdaten

Der ökosystemweite Datenaustausch muss gewährleistet und gefördert werden. Dazu braucht es eine sachliche Auseinander­setzung mit dem Thema, welche Relevanz und Mehrwert der Datenbe­reitstellung aufzeigt, sowie ein vertrauenswürdiges Datenaustauschsystem, bereitgestellt durch eine nicht ge­winn­orien­tierte unabhängige Institution.

Ausrichtung der bestehenden Verkehrsinfrastrukturen auf vernetzte Mobilität

Kapazitätsauslastung und Angebots­nachfrage müssen in Zukunft optimiert werden, indem bestehende Verkehrs­infrastrukturen digital aufgerüstet, die Zusammenarbeit zwischen den invol­vierten Infrastrukturakteuren verbessert und die Kommunikationsnetze entlang der Verkehrswege ausgebaut werden.

Kooperationen auf mehreren Ebenen

Strategische und branchenübergreifende Kooperationen und Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Akteuren müssen als Innovationstreiber für die (Weiter-)Entwicklung eines Mobilitätsökosystems gefördert werden.

Digitale Transformation, Business Modelling und Innovationen

Mobilitätsakteure müssen zur Positionierung im Ökosystem ihre Geschäftstätigkeit und ihren Daseinszweck neu definieren, das heisst, ihre Geschäftsstrategie anhand eines digitalen Ambitionslevels überdenken, ihr Geschäftsmodell um zukunftsorientierte Fähigkeiten ergänzen und eine Veränderungskultur für die digitale Transformation schaffen.

Kompetenzinitiative «Mobilität der Zukunft»

Mobilitätsakteure müssen die Arbeitswelt der Zukunft mit einem partnerschaftlichen Ansatz aktiv gestalten, um der Mobilität der Zukunft, der Digitalisierung und dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen.

Handlungsbedarf

Die in diesem Fachartikel identifizierten Stossrichtungen und Handlungsempfehlungen geben wesentliche Impulse zur Entwicklung eines vernetzten Schweizer Mobilitätsökosystems, haben jedoch teilweise einen eher langfristigen Charakter. Um diese Entwicklung voranzutreiben, müssen je nach Akteur (siehe Abbildung 4) unterschiedliche Grundlagen geschaffen werden. Für die öffentliche Hand bedeutet dies, gezielte Anreize und Verbindlichkeiten zu schaffen. Dazu muss insbesondere der Bund die Initiative ergreifen und in bestimmten Bereichen Verbindlichkeit schaffen, Anstossfinanzierungen in Erwägung ziehen und die formulierten Stossrichtungen in die politische Agenda aufnehmen. Die öffentlichen Verkehrsunternehmen und «neuen» Mobilitätsdienstleister müssen sich im Klaren sein, welchen Wert sie schaffen wollen und können, welche Rolle(n) sie dabei einnehmen und welches Geschäftsmodell sie verfolgen wollen. Dabei wird der Ausbau ihrer Fähigkeiten in einer zu­nehmend «verökosystemisierten» Welt zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Die Infrastruktur- und Kommunikationsnetzbetreiber schliesslich befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen Auslastungs- und Nachfrageoptimierung und müssen gleichzeitig ihr eigenes Führungsmodell (zum Beispiel Verkürzung des Planungshorizonts) anpassen, um gezielt auf die neuen, immer schneller voranschreitenden technologischen Ent­wicklungen eingehen zu können.

Porträt