Strategie & Management

Mitarbeiterführung

Führungsstile: Die Krux mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung

Führungskräfte glauben häufig, dass sie die gesamte Klaviatur der Führungsstile beherrschen und situationsgerecht führen. Doch Selbst- und Fremdbild gehen oftmals auseinander. Woran das liegt und was zu tun ist, zeigt der Beitrag.
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Von normativ bis inspirativ – Führung ist nicht immer gleich. Zwar denken viele Menschen, dass eine Führungskraft ihren eigenen Führungsstil finden und diesem treu bleiben sollte. Aber genau das ist es eben nicht, was gute Führung ausmacht. Vielmehr ist es je nach Situation und Mitarbeiter sinnvoll, auf unterschiedliche Art zu führen. 

Die Full Range of Leadership 

Im besten Fall beherrscht die Führungskraft dabei sechs verschiedene Führungsstile. Sie machen die sogenannte «Full Range of Leadership» aus: 

Der normative Führungsstil

Wie Dinge bestmöglich erledigt werden können, ist die Kernfrage beim normativen Führungsstil. Klare Anweisungen herrschen vor, und die Führungskraft misst die Arbeit ihrer Mitarbeitenden am eigenen Leistungsanspruch. So vermittelt sie nicht nur, was die Mitarbeitenden tun sollen, sondern auch, wie sie ihre Aufgaben zu verrichten haben: Sie beschreibt die Aufgaben detailliert und kontrolliert den Fortschritt. Werden Aufgaben delegiert, haben die Mitarbeitenden meist nur wenige Handlungsfreiräume.  

Angemessen kann dieses Führungsverhalten bei unerfahrenen Mitarbeitenden sein oder in einer Krise, wenn Dringlichkeit vorherrscht und klare Ansagen gefordert sind.

Der direktive Führungsstil

Kernfrage hier: Welches Ziel soll erreicht werden? Wer direktiv führt, formuliert eine klare Erwartungshaltung, räumt seinen Mitarbeitenden jedoch einen hohen Freiheitsgrad ein, um das gewünschte Ziel zu erreichen. In den Entscheidungsprozess bezieht die Führungskraft ihre Mit­arbeitenden indes nur selten ein, einmal getroffene Entscheidung setzt sie auch ­gegen Widerstand konsequent durch. Klassisch für den direktiven Führungsstil ist die Formulierung: «Wie Sie das hinbekommen, ist egal – hauptsache …».

Hilfreich ist der direktive Führungsstil, wenn lange Meinungsfindungsprozesse zu keinem Ergebnis führen würden und Aufwand und Nutzen einer Diskussion im Ungleichgewicht stehen. 

Der partizipative Führungsstil

Dieser Stil markiert die fliessende Grenze von transaktionaler zu transformationaler Führung. Die Führungskraft informiert ihr Team über die Aufgaben und Ziele (transaktional). Zudem bindet sie ihre Mitarbeitenden frühzeitig in Entscheidungen ein und ermöglicht ihnen, sich weiterzuentwickeln. Dabei pflegt sie einen kooperativen, fast schon demokratisch zu bezeichnenden Umgang (transformational). Kernfrage: «Was ist euer Beitrag/eure Sicht?»

Bei erfahrenen Teams kann dieser Führungsstil sinnvoll sein – vorausgesetzt, die Mitarbeitenden haben Handlungsspielräume. In Change-Prozessen werden durch das Führungsverhalten ausserdem mögliche Widerstände vermieden. Müssen Aufgaben jedoch schnell und auf eine klar vordefinierte Weise durchgeführt werden, behindert der partizipative Stil den Arbeitsfluss. Auch sind unerfahrene Mitarbeitende häufig mit dieser Art der Führung überfordert. 

Der integrative Führungsstil

«Wie können wir am besten miteinander arbeiten?», ist die Kernfrage bei diesem Führungsstil. Die Führungskraft achtet entsprechend auf den Zusammenhalt sowie auf gute zwischenmenschliche Arbeitsbeziehungen unter den Mitarbeitenden und fokussiert eine harmonische Zusammenarbeit. So zielt der Stil darauf ab, auch in heterogenen Teams eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen und Konflikte frühzeitig konstruktiv zu bearbeiten. Er integriert unterschiedliche Meinungen, Persönlichkeiten und interkulturelle Aspekte. 

Dieses Führungsverhalten ist insbesondere dann angebracht, wenn Aufgaben eine gemeinsame Teamleistung erfordern und alle Mitarbeitenden um die individuell vorhandenen Stärken im Team wissen sowie teamorientiert miteinander umgehen. Es trägt auch entscheidend dazu bei, dass sich alle Teammitglieder mit den Aufgaben und Zielen identifi­zieren.

Der coachive Führungsstil

Führungskräfte, die coachiv führen, stellen die Entwicklung der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt. «Wer bist du, und wie kannst du (über dich hinaus) wachsen?», lautet die Kernfrage. Die jeweiligen Stärken und Entwicklungspotenziale der Mitarbeitenden werden betrachtet, wobei die Führungskraft Reflexionen und Perspektivwechsel anstösst und somit Hilfe zur Selbsthilfe bietet. Nach der Maxime «fordern und fördern» lässt die Führungskraft ihre Mitarbeitenden an herausfordernden Aufgaben wachsen und unterstützt sie.

Dieser Stil ist vor allem bei motivierten Mitarbeitenden, die sich entwickeln wollen, passend.

Der inspirative Führungsstil

Inspirativ führt eine Führungskraft, wenn sie die gemeinsame Mission und den übergeordneten Sinn der Arbeit kom­muniziert und so die Eigenmotivation der Mitarbeitenden aktiviert. Sie thematisiert die Attraktivität des angestrebten Zielzustandes und schafft es somit, entsprechende «Bilder in den Köpfen» sowie Begeisterung und eine langfristige Orientierung zu erzeugen.

Gerade in Veränderungsprozessen und bei der emotionalen Bewältigung von ­Krisen kann dieser Führungsstil effektiv sein. Bei fehlender Reife und zu wenig Vertrauen der Mitarbeitenden sowie in akuten Krisensituationen, die schnelles Handeln erfordern, ist er dagegen eher kontraproduktiv.

Zwischen Selbst- und Fremdbild

Viele Führungskräfte sagen von sich, dass sie die gesamte Klaviatur der verschie­denen Führungsstile situationsbezogen anwenden. Doch würden das auch alle Teammitglieder bestätigen? Tatsächlich sieht es oftmals so aus, dass das Selbstbild der jeweiligen Führungskraft nicht mit der Wahrnehmung der Teammitglieder übereinstimmt. Das wiederum heisst: Viele Führungskräfte führen nicht so wirksam, wie sie selbst denken. 

Das individuelle Führungsstil-Portfolio messbar zu machen, ist daher sinnvoll. Das zeigt unter anderem das Beispiel von Stefan Krohn, Leiter der Entwicklungs­abteilung eines grossen Automobilzulieferers. Er hat sich darauf eingelassen und an einer Online-Befragung teilgenommen sowie zugestimmt, dass seine Mitarbeitenden hinsichtlich seiner Führung befragt wurden.

Fehlinterpretationen 

Krohn schätzt sich selbst so ein, dass er auf der gesamten Klaviatur spielen kann. Ein Bereich kommt in seinen Augen vielleicht etwas zu kurz: «Für den coachiven Stil habe ich wahrscheinlich einfach zu wenig Zeit», reflektiert er, «aber in dieser momentan unsicheren Situation ist es ­bestimmt für alle Beteiligten gut, dass ich mit meiner normativen und direk­tiven Führung klare Ansagen mache. Ich schaffe es auch, zu inspirieren und mit Blick auf den grossen Change unsere Vision hochzuhalten und dabei allen genug Leine zu geben.» 

Die Auswertung der Mitarbeitenden fällt anders aus: Nur mit dem normativen und direktiven Stil liegt Krohn tatsächlich ganz vorne, enorme Abweichungen gibt es beim partizipativen und inspirativen Stil. «Ich scheine mein Team doch nicht so sehr inspirieren zu können und gehe vielleicht doch nicht immer so kooperativ vor, wie ich denke», reflektiert der Abteilungsleiter. 

Häufig existieren Fehlinterpretationen hinsichtlich der Führungsstile, wie es bei Krohn der Fall ist. So glauben Führungskräfte etwa, sie führen coachiv, wenn sie in Wirklichkeit wohlgemeinte Ratschläge erteilen und damit in der Fremdwahr­nehmung eher normativ unterwegs sind. Eine grosse Nähe besteht ausserdem ­zwischen dem direktiven und dem ins­pirativen Führungsstil. Beide geben Orientierung in Richtung auf ein Ziel hin: Der direktive Stil jedoch mit einer direkten Anweisung, und der inspirative Stil eher damit, einen attraktiven Zielzustand zu entwerfen.

Klarheit durch Austausch

Transfer-Workshops nach den Befragungen bieten die Chance, Fehlinterpretationen zu enthüllen. Denn im Austausch mit ihren Mitarbeitenden über Selbst- und Fremdbild können Führungskräfte sowohl wertvolle Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Führungsstile sie wirklich nutzen, als auch darüber, ob sie sie der Situation angemessen einsetzen. Am besten funktioniert dies anhand kon­kreter Beispiele. 

So geschehen im Falle von Krohn: Im Workshop schildert er Situationen, in denen er meint, coachiv geführt zu haben, und einige, in denen er dachte, inspirativ unterwegs gewesen zu sein. Dabei zeigte sich unter anderem: Krohn wollte die Vision, die im Vorstand entwickelt wurde, bei möglichst vielen Gelegenheiten im Team kommunizieren. Da er jedoch Nutzen und Vorteile dieser Vision für die Teammitglieder nicht vermittelt hat, war diese ständige Wiederholung für sie wenig inspirierend. Solche Erkenntnisse sind meist der erste Schritt, die Führungsstile wirklich effektiv einsetzen zu können. Wer vier der sechs Führungsstile gut beherrscht, so zeigen umfangreiche statistische Berechnungen, steigert die Leistungsmotivation des gesamten Teams.

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