Strategie & Management

Fachgespräch

«Führungskräfte müssen ihre Entscheide ethisch vertreten»

Max Renggli, CEO der Renggli AG, spricht über die Gestaltung von Innovationsprozessen, den Umgang mit der digitalen Transformation und über die Bedeutung einer ethischen Unternehmensführung.
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Herr Renggli, Sie wurden im vergangenen Herbst mit dem Unternehmerpreis «Entrepreneur of the Year» ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Die Auszeichnung ist eine grosse Wertschätzung an einen echten unternehmerischen Leistungsausweis, den man aber nur erbringen kann, wenn das Umfeld stimmt. Meine Familie, unsere Kunden und Partner und natürlich unsere engagierten Mitarbeitenden haben dazu beigetragen, dass das Unternehmen diesen Preis gewinnen konnte.

«Entrepreneur» bedeutet übersetzt Unternehmer, meint aber darüber hinaus auch eine damit verbundene Geisteshal­tung. Das Erkennen von Markt-Chancen sowie der Mut, ein bestehendes Geschäftsmodell verantwortungsbewusst aufzubrechen, neu zu beleben sowie daraus Innovationen zu entwickeln, sind dabei zentral. Wie interpretieren Sie diesen Anspruch auf Ihr Unternehmen bezogen?
Unternehmergeist ist meines Erachtens immer mit Innovationswillen, Mut und einer gewissen Risikobereitschaft verbunden. Es braucht Mut, traditionelle Fesseln abzustreifen. Das Holzhaus hatte kaum noch Bedeutung, als ich die Firma in den 1990er-Jahren mit meinem Bruder übernahm. Der Erfolg kam über zwei Impulse: erstens den Entschluss, das Holzhaus neu zu denken – über Architektur und Nachhaltigkeit eine neue Herangehensweise zu finden –, und zweitens den eisernen Willen, neue Standards zu schaffen. Traditionelle Marktvorstellungen kann man nur aufbrechen, wenn man seinen Weg konsequent verfolgt. Deshalb darf man Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Normen, nicht einfach hinnehmen, sondern muss sie hinterfragen und mit geeigneten Partnern neue Lösungen suchen.

Wie sind die Innovationsprozesse in der Renggli AG gestaltet; sind diese eher vom Kunden getrieben oder das Ergebnis organisationaler Struktur?
Der kontinuierliche Verbesserungsprozess hat bei uns einen hohen Stellenwert und wird sowohl extern als auch intern angestossen. Wir nehmen auch auf den ersten Blick unscheinbare Anregungen ernst. Dann bündeln wir diese in den Teams und evaluieren das Potenzial daraus. Innovationen benötigen Neugier, Offenheit für andere Branchen und einen Blick über den Tellerrand genauso wie die Beharrlichkeit, sie voranzutreiben. Eine echte Innovation ist aber erst dann erreicht, wenn sie vom Markt entsprechend nachgefragt wird. Es ist deshalb essenziell, zwischen einer Idee, einer Vision und einem Geistesblitz zu unterscheiden und marktfähige Ideen weiterzuentwickeln.

Der Standort Schweiz steht nicht zur Diskussion. Was macht ihn so wertvoll und wie kompensieren Sie in Zeiten des starken Frankens die vergleichsweise hohen Löhne?
Jedes Land hat seine eigenen Rahmenbedingungen, die den Markterfolg beeinflussen. In der Hochpreisinsel Schweiz sind zwar die Kosten hoch, doch profi­tieren wir von einem gut aufgestellten Bildungswesen und leistungsfähigen Infrastrukturen – dies ist eventuell ausreichend, wenn man einen Nischenmarkt bedient. Gibt es einen starken Wettbewerb, muss man sich stetig verbessern. Wir optimieren uns in den Methoden mit «Lean» und « Building Information Modeling, BIM» und in der Produktionstechnik mit Robotik. Hat man einen stabilen Heimmarkt aufgebaut und sieht das Potenzial für eine internationale Ausrichtung, dann sollte man die Chance ergreifen. Auch im branchenspezifischen Austausch über die Landesgrenzen hinweg sehe ich eine Bereicherung für jede Firma.

Neben der Globalisierung gehört die digitale Transformation zu den grössten Herausforderungen, nicht nur für KMU. Welchen Reifegrad sprechen Sie Ihrem Unternehmen zu und mit welchen Entwicklungen rechnen Sie?
Wir entwickeln uns aufgrund der Digitalisierung immer stärker zu einer transparenten Gesellschaft. Bei den Produkten ist eine vollständige Vergleichbarkeit gegeben – das erhöht den Druck auf die Hersteller. Der Digitalisierung kann man nicht ausweichen und sie wird unweigerlich unsere Arbeitswelt verändern: bestehende Berufsbilder wegrationalisieren, aber auch neue schaffen. Die Frage ist hier nicht, ob uns das gefällt oder nicht, sondern wie wir damit umgehen. Denn Entwicklung ist ein nicht endender Prozess. Insofern sehe ich unsere Firma nicht in einem Reifegrad, sondern innerhalb einer permanenten Entwicklung begriffen.

Wie beurteilen Sie mögliche Vorteile, aber auch Nachteile dieser Transformation?
Die vorher angesprochene Transparenz durch die Digitalisierung macht unser Handeln sichtbar, nachvollziehbar und prognostizierbar. Dies löst Unsicherheiten aus, aber es bietet auch viele neue Chancen. Unsere Arbeitswelt wird  sich im Positiven wie im Negativen verändern. Digitalisierung erhöht das Tempo, macht uns schneller, erleichtert vieles, aber das gesteigerte Tempo löst auch Stress aus. Altbewährtes verliert an Bedeutung, neue Sichtweisen werden sich etablieren und auch Neues schaffen. Deshalb ist es im Transformationsprozess wichtiger denn je, eigenverantwortlich zu handeln und Nötiges von Unnötigem zu trennen.

Sie treten am 26. April im KKL Luzern als Gastreferent an der «Verleihung des Swiss Ethics Award» auf. Nach welchen ethischen Grundsätzen führen Sie Ihr Unternehmen?
Unsere Werte haben wir genauso wie die Führungs- und Verhaltensgrundsätze schriftlich formuliert – sie sind die DNA unserer Firma. Notwendig ist immer ein disziplinierter Umgang, mit sich selbst und mit den Mitarbeitenden. Das ist innen wie aussen spürbar. Unser Wirken soll Sinn machen. Deshalb konzentrieren wir uns auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz – bei unseren Produkten und in der Firma.

In diesem Zusammenhang wird oft das Schlagwort «Ethical Leadership» verwendet. Was bedeutet das in der Praxis und welche Anforderungen entstehen daraus an Führungskräfte?
Von hoher Bedeutung sind respektvoller Umgang, Vorbildfunktion und eine definierte Zielerreichung. Nach meiner Erfahrung ist Leadership geprägt von aufmerksamem Zuhören und der Fähigkeit, Entscheide zu treffen, die Mehrwert für den Kunden und die Firma schaffen. Ich sehe Vorgesetzte in einer sozialen Verantwortung, die keine Verlierer produziert, Vorgesetzte, die aber ebenso fördern wie fordern, um Ergebnisse zu produzieren.

Ist die Wirtschaft durch die globale Vernetzung unmoralischer geworden und die Manager entsprechend rücksichtsloser, wenn es um Geld und Macht geht?
Monetäre Treiber haben heute teilweise übermächtigen Einfluss. Dies resultiert aber oft daraus, dass Manager an kurzfristigen Zielen gemessen werden. Erhält man eine Belohnung für Kurzfristigkeit respektive Kurzsichtigkeit, beeinflusst das die Handlungen. Familienunternehmen können Ziele mittel- oder langfristig ausrichten und dadurch ruhiger, besonnener und gleichzeitig flexibel reagieren. Hochgezüchtete Leistungssysteme sind sehr anfällig, während eine nachhaltige Ausrichtung Langfristigkeit bedingt und mehr Stabilität bringt.

In manchen Branchen, wie beispielsweise der Rüstungsindustrie, oder in Ländern, in welchen Korruption zum Tagesgeschäft gehört, herrschen andere Spielregeln. Wie bringt man in der heutigen globalen Welt unsere Wertvorstellung bezüglich eines ethischen Verhaltens sowie die Wettbewerbsfähigkeit unter einen Hut?
Es ist irrational, wie viel Geld in Rüstung fliesst, während im Gegensatz Menschen zu Hungerlöhnen arbeiten müssen. Ausnutzung von Menschen und Bereicherung finde ich verwerflich. Wenn die führenden Köpfe eines Landes nicht aus der Bevölkerung erwachsen und sich mit ihr identifizieren, werden wir wohl noch länger begleitet sein von Staatsmännern, die sich auf dem Rücken ihrer Bevölkerung persönlich bereichern. Trotzdem habe ich die leise Hoffnung, dass vor allem auch die Digitalisierung Machtpositionen aufheben und Korruption reduzieren kann, denn sie sorgt für mehr Information und mehr Transparenz. Die Zeiten von einseitigem Wissen sind vorbei; heute haben die Menschen einen leichteren Zugang zu Informationen. Das macht die Führung – in der Politik, aber auch in Unternehmen – anspruchsvoller. Es ist eine grundsätzliche Verantwortung, als Unternehmer Korruption und Ausnutzung nicht zu unterstützen.

Wenn es um grobe Verfehlungen geht, zerren die Medien zumeist die Manager von global tätigen Unternehmen ins Schlaglicht. Sind denn die Führungskräfte im Bereich der KMU die Musterknaben der Wirtschaft oder hängt dies eher mit den Rahmenbedingungen, etwa der Unternehmensgrös­se oder mit den unterschiedlichen Anreizsystemen, zusammen?
Meiner Meinung nach nicht, sondern mit der Stärke einer Firma und ihrer langfristigen Ausrichtung. Oft ist heute das Verhalten der Presse auch sehr oberflächlich und die Berichterstattung hat an Substanz verloren. Seriöse Recherchen und Berichte wären hilfreicher, als Schlammschlachten auf dem Rücken Einzelner auszutragen. Generell ist es in politischen Systemen, wie aber auch in der Führung eines Unternehmens, essenziell, vor dem Entscheid hinzuhören und Kompromissbereitschaft zu zeigen, statt in operative Hektik zu verfallen und dabei Fehlentscheide zu treffen. Gleichwohl müssen Führungskräfte ihre Entscheide jederzeit ethisch vertreten und verantworten.

Als Familienunternehmen legen Sie grossen Wert auf eine wertorientierte Führung. Glauben Sie, dass sich dieses Verhalten für ein Unternehmen langfristig auszahlt, das heisst, auch in den Ergebnissen niederschlägt?
Ja, denn ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Mitarbeitende und Teams entwickeln und an der Gesamtstrategie orientieren können. Wissen ist nicht Können – dazwischen liegt das Training.

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